Für eine neue rot-grüne Außenpolitik - mehr Eigenverantwortung und Partnerschaft

Nicht mehr nationalsstaatliche Reflexe dürfen Deutschlands Politik in Europa und der Welt bestimmen. Was wir jetzt entwickeln müssen, ist eine aktiv gestaltende Weltstrukturpolitik

Grüne und SPD arbeiten darauf hin, bei der nächsten Bundestagswahl erneut die Regierung zu stellen und Schwarz-Gelb abzulösen. Das hätte nicht nur innenpolitisch eine große Bedeutung, auch außenpolitisch könnte – und müsste – eine Neuauflage von Rot-Grün Enormes leisten.

Im Gegensatz zu 1998, als die neue Regierung noch skeptisch beäugt wurde, hätte eine neue rot-grüne Regierung nach den Bundestagswahlen 2013 im außenpolitischen Bereich wesentlich bessere Startbedingungen. Grüne und SPD können auf eine solide – wenn nicht sogar erfolgreiche – Außenpolitik der Jahre 1998-2005 verweisen und müssten weder im Inland noch im Ausland mit grundsätzlichen Vorurteilen umgehen. Das schafft Gestaltungsspielraum.

Vor dem Hintergrund einer erratischen Außenpolitik der jetzigen schwarz-gelben Bundesregierung haben Grüne und SPD guten Grund, sich frühzeitig über die Grundlagen und Parameter außenpolitischen Handelns einer neuen Regierung zu verständigen. Anknüpfend an die rot-grüne Regierungsbilanz und die schwarz-gelben Fehlentwicklungen wollen wir im Folgenden dafür Eckpunkte benennen und Vorschläge machen. Im Kern geht es hier um die grundsätzliche Frage, wie mit der fortschreitenden Globalisierung und dem einhergehenden Regulierungsbedarf umgegangen werden soll. Wir plädieren hierbei für einen aktiven außenpolitischen Ansatz, der Internationalisierungs- und Globalisierungsprozesse grundsätzlich anerkennt und diese als Chance begreift. Rot-grüne Außenpolitik sollte sich unserer Meinung nach einem positiven und gestalterischen Auftrag im Sinne einer Weltstrukturpolitik verschreiben.

Der Blick zurück: Im Gesamtbild eine erfolgreiche Bilanz 1998-2005

Rot-grüne Außenpolitik hat Deutschlands Rolle in der Welt verändert. Gründe dafür waren sicherlich die Akteure selbst, aber noch mehr ihre Bewältigung der enormen sicherheitspolitischen Herausforderungen in diesen sieben Jahren. Konnte Helmut Kohl noch Scheckbuchdiplomatie betreiben, hatte Rot-Grün diese Möglichkeit nicht mehr. Deutschlands außenpolitisches Engagement ist in diesen Jahren wesentlich stärker geworden, allerdings wurden dabei auch Grenzen und Möglichkeiten deutlich.

Zu den Kernpunkten außenpolitischen Regierungshandelns von Rot-Grün gehören sicherlich der Umgang mit dem Kosovokrieg, die Frage der Teilnahme am militärischen Engagement im Irak, der Ausbau der Mittel und Kapazitäten für zivile Krisenprävention und -reaktion und eine stärkere institutionelle Verankerung der Menschenrechtspolitik. Zu den Höhepunkten gehört die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union, gleichwohl hier Deutschland nur ein Partner unter vielen war.

Die Teilnahme am Kosovokrieg ohne dezidiertes VN-Mandat war höchst umstritten. Hier stand Rot-Grün vor einem tiefen Dilemma: Auf der einen Seite stand der Schutz der Menschenrechte und auf der anderen die völkerrechtliche Legalität. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nach dem 11. September 2001 wurde zum unfreiwilligen Schwerpunkt rot-grüner Außenpolitik. Dabei fokussierte sich die Politik jedoch hauptsächlich auf militärische Terrorbekämpfung. Nichtmilitärische Elemente wie etwa eine starke Menschenrechts-, Demokratisierungs- und Entwicklungspolitik wurden vernachlässigt. Auch die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik als soft power der Außenpolitik und Teil einer Krisenpräventionsstrategie wurde nicht ausreichend berücksichtigt.

Selbst die schweren innerparteilichen Auseinandersetzungen über die Auslandseinsätze der Bundeswehr (Kosovo, Afghanistan) überstand Rot-Grün, wenn auch nur unter Einsatz extremen politischen Drucks (Vertrauensfrage durch Kanzler Schröder). Kurz: An der Außenpolitik ist die Koalition 2005 nicht gescheitert.

Allerdings war die Zusammenarbeit immer wieder von Konflikten geprägt, die sich an Schlagworten wie MEADS, Export von Leopard-Panzern in die Türkei, Aufhebung des Waffenembargos gegen China, Export der Brennelementefabrik Hanau oder Hermes-Bürgschaften festmachen. Darüber hinaus gab es teils unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit autoritären und semi-autoritären Regierungen in Bezug auf die Einhaltung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards.

Gemeinsam ist vielen dieser Konflikte der Zusammenprall von wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen mit Werten bzw. Menschenrechten. Insbesondere bei Exportgeschäften, die gegen menschenrechtliche bzw. demokratiepolitische Bedenken (China, Türkei) oder grundsätzliche wirtschaftspolitische und ökologische Bedenken (Nuklearanlagen) durchgeführt wurden oder werden sollten, hat dies immer wieder eine Rolle gespielt. Ein anderes Beispiel ist die Russland-Politik, die zwischen Distanz aufgrund demokratischer Defizite (Fischer) und kumpelhafter Nähe zugunsten energiepolitischer Kooperation (Schröder) changierte.

Außenpolitik heute

Die bisherige Außenpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung lässt keinen Gestaltungswillen erkennen. Die heutige Regierung hat wichtige rot-grüne Initiativen wie den Ausbau der zivilen Krisenprävention versanden lassen und, schlimmer noch, substanziellen Flurschaden in der Europapolitik angerichtet.

Die schwarz-gelbe Regierung hat durch mangelnde Kommunikation und abrupte Kurswechsel grobe Fehler gemacht und damit viele Partner – vor allem in Europa – verprellt und sich in einigen Fragen isoliert. Es besteht Verunsicherung über den deutschen außenpolitischen Kurs. Dies wird besonders in der Debatte über die europäische Schuldenkrise und bei der Abstimmung zu Libyen im VN-Sicherheitsrat deutlich.

Zugleich haben sich die Voraussetzungen für außenpolitisches Handeln seit 1998 grundlegend verändert. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich, die sich beispielsweise am (Wieder-) Aufstieg weltpolitischer Akteure wie China, Russland, Indien und Brasilien ablesen lassen. Aber auch neue Herausforderungen wie die Folgen des Klimawandels und der Finanzkrise, Ressourcenknappheit, Proliferation oder Cyber-Security beherrschen die internationalen Beziehungen und es gilt, mit neuartigen Strukturen und Akteuren umzugehen. Herrschte in den 90er Jahren noch eine Gestaltungseuphorie und lagen große Hoffnungen auf multilateralen Prozessen und der Verrechtlichung internationaler Politik im Rahmen der VN, macht sich heute Ernüchterung breit. Wichtige multilaterale Anstrengungen wie die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele oder Nachfolgeabkommen für den internationalen Klimaschutz scheinen in weite Ferne gerückt zu sein. Stattdessen übernehmen „Clubs“ wie die G20 immer mehr Gestaltungsaufgaben, ohne dafür die Zustimmung der Staatengemeinschaft einzuholen.

Auch der wichtigste Handlungsrahmen deutscher Außenpolitik, die Europäische Union, hat sich verändert. Durch die Erweiterung um 12, mit Kroatien bald 13 neue Mitgliedstaaten seit 2004 sind neue Prioritäten hinzugekommen, die auch die außenpolitische Agenda prägen. Der Vertrag von Lissabon hat nicht die erhoffte Kohärenz im Handeln gebracht. Die Krise der öffentlichen Haushalte und des internationalen Bankensystems haben gewaltige Fragen aufgeworfen. Nicht zuletzt steht die Frage nach weiteren institutionellen Reformen wieder hoch auf der Agenda. In dieser Phase wird eine klare europapolitische Linie Deutschlands gebraucht und von unsern Partnern sogar eingefordert, doch die Antworten der schwarz-gelben Regierung haben kaum zur substanziellen Problemlösung beigetragen.

Die historischen Umbruchprozesse in Nordafrika und im Nahen Osten verdeutlichen, vor welchen Aufgaben die Europäische Union in ihrer direkten Nachbarschaft steht. Bislang sind auf diese Herausforderungen noch keine Antworten gefunden worden. Eher im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon hat zwar eine Hohe Vertreterin und einen europäischen diplomatischen Dienst hervorgebracht, aber die EU-Außenpolitik bleibt heute meilenweit von einer gemeinsamen Position oder gar einer gemeinsamen Stimme entfernt. Meist geht es über den kleinsten gemeinsamen Nenner nicht hinaus.

Seit 1990 wird immer deutlicher, dass internationale Politik Querschnittspolitik ist und weit über die Grenzen klassischer Außen- und Entwicklungspolitik hinausgeht. Internationale Politik gestalten heute grundsätzlich auch das Umwelt-, Finanz-, oder Innenministerium mit. Auf diese veränderten Gegebenheiten haben alle vergangenen Bundesregierungen der letzten 20 Jahre keine befriedigende Antwort gefunden. Die Strukturen sind darauf nicht eingestellt. Nach wie vor gibt es zu wenig Anreize für interministerielle Kooperation. Stattdessen dominieren Ressortegoismen. Voraussetzung für mehr Kohärenz in der Außenpolitik sind daher neben strukturellen Innovationen auch Anreize für mehr und engere Kooperation wie auch größeres Verständnis für die Sichtweisen des jeweils anderen. Daher sollte die neue Bundesregierung den interministeriellen Personalaustausch ebenso systematisch fördern wie die Einrichtung von ressortübergreifenden Arbeitsgruppen. Diese müssen die Regel werden und nicht die Ausnahme bleiben.

Dazu kommt, dass heute europäisches und internationales Engagement im Allgemeinen und Auslandseinsätze im Speziellen nach den Erfahrungen der letzten 15 Jahre von der deutschen Öffentlichkeit zunehmend kritisch gesehen werden.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass diese schwarz-gelbe Regierung es nicht verstanden hat, sich auf die Rahmenbedingungen einer sich verändernden Welt einzustellen. Sie hat auf die Herausforderungen der fortschreitenden Globalisierung keine Antwort gefunden und sich eher defensiv und integrationsfeindlich aufgestellt, ohne einen politischen Gestaltungswillen und Gestaltungsanspruch erkennen zu lassen. Dies zeigt sich insbesondere in der katastrophalen Verhaltensweise hinsichtlich der europäischen Schuldenkrise. Hier hat die schwarz-gelbe Regierung es verpasst, eine positive Führungsrolle zu übernehmen, die ganz Europa von der Bundesregierung erwartet hätte. Genau hier muss die neue rot-grüne Regierung neue Schwerpunkte setzen und Konzeptionen entwickeln.

Mögliche Orientierung von Rot-Grün 2.0

Die zunehmende Globalisierung und Internationalisierung hat viele der bekannten Parameter außenpolitischen Handelns verändert und alte Gewohnheiten in Frage gestellt. Die fortschreitende Interdependenz der Gesellschaften und Volkswirtschaften hat zweifelsohne neue Herausforderungen aufgeworfen, insbesondere die Frage nach Regulierungsbedarf und Regulierungsmöglichkeiten auf globaler Ebene. Hier kann es keine einfachen Antworten geben.

Aber genau in diesem Bereich stellt sich eine ganz grundsätzliche Frage, die von entscheidender Bedeutung in der außenpolitischen Konzeption ist. Im Kern geht es darum, ob man diesen Herausforderungen eher negativ und defensiv begegnet und sie als Bedrohung auffasst, oder sie auch als Chance versteht und sie deshalb mit einem aktiven politischen Gestaltungswillen angeht.

Die Erfahrungen der letzten Jahre haben verdeutlicht, dass der ursprünglich bestehende neoliberale Ansatz in Globalisierungsfragen, der auf Deregulierung und Privatisierung setzt, sich spätestens seit der internationalen Finanzkrise 2007 diskreditiert hat. Es besteht daher im politischen Spektrum weitgehend Einigkeit darüber, dass es einer gewissen Steuerung und Regulierung von Globalisierungsprozessen bedarf.

Allerdings stehen sich hier zwei Ansätze gegenüber: Zum einen ein grundsätzlich globalisierungskritischer und integrationsfeindlicher Ansatz, der eher die Gefahren und Risiken der Globalisierung betont und Internationalisierung weitgehend als Nullsummenspiel versteht. Dieser Ansatz betont den Vorrang traditionell definierter nationaler Interessen in der Außenpolitik. Das bezieht sich auf den Primat klassischer Machtinstrumente wie Militär und Geld, die eingesetzt werden, um außenpolitische Interessen durchzusetzen. Daraus folgt eine prinzipiell interventionsfeindliche Haltung, die nur dann multilateral agiert, wenn nationale Vorteile klar erkennbar sind. Für die Produktion globaler Kollektivgüter, etwa globale Standards zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen oder zur Befreiung von Armut oder Gewalt, ist diese Position kaum zu gewinnen. Sie könnte mit dem Stichwort Renationalisierung der Außenpolitik beschrieben werden. Genau diesem Ansatz hat sich die jetzige schwarz-gelbe Regierung verschrieben, wenn sie beispielsweise in der Frage der europäischen Schuldenkrise kurzfristigen nationalen Interessen und Ressentiments den Vorrang vor einer langfristigen und strategischen Perspektive gibt, die Europas Handlungsfähigkeit in den Vordergrund gestellt hätte.

Die Gegenkonzeption dazu ist ein Ansatz, der in der steigenden Vernetzung und Entgrenzung der Welt hingegen eine grundsätzlich positiv zu bewertende Entwicklung sieht, die allerdings der politischen Gestaltung bedarf. Für die Außenpolitik bedeutet dies weniger klassische Machtpolitik und stärkere Orientierung an globaler Nachhaltigkeit. Daraus ergibt sich die Idee einer „Weltstrukturpolitik“, die darauf setzt, die Interessen möglichst vieler Betroffener und Beteiligter in die Formulierung politischer Ziele und Strategien einzubeziehen.

Eine neue rot-grüne Regierung sollte sich zur zweiten Position bekennen. Es gibt für die großen globalen Herausforderungen keine nationalen Lösungen. Es geht global um nicht weniger als eine Stärkung des Rechts gegen das Recht des Stärkeren und um eine positive Gestaltung der Globalisierung, die Armut und Ausgrenzung angeht und zugleich die menschlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten wahrt.

Eine der größten Herausforderungen für eine künftige rot-grüne Regierung wird der Umgang mit autoritären Staaten sein. Die historischen Umwälzungen in der arabischen Welt und in Nordafrika werden dafür zum Praxistest. Deutschland und die Europäische Union haben nicht nur in dieser Region Politik nach den Prinzipen „Für Stabilität sorgen“ und „Kampf gegen den islamistischen Terror“ gemacht. Deshalb wurde auf enge Bündnisse mit autoritären Regimen gesetzt. Demokratische Bewegungen wurden nicht ausreichend unterstützt. Dabei stehen Deutschland und die EU durchaus vor einem Dilemma. Es wird auch künftig Kooperationen mit autoritären Staaten geben müssen. Zudem sind die Herausforderungen, die einer menschenrechtsorientierten Politik erwachsen werden, jetzt schon absehbar, wenn aus den Wahlen radikale oder vermeintlich radikale Kräfte als Sieger hervorgehen und westlich orientierte Parteien minorisiert werden.

Dabei sollten Deutschland und die EU aus den Fehlern im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen in Palästina von 2006 lernen. Die Wahlen, aus denen die Hamas als Siegerin hervorging, wurden von den USA wie der EU befürwortet und als frei und fair beurteilt. Trotzdem wurde auf den Wahlsieg der Hamas mit der Einstellung der Zahlungen an die gewählte palästinensische Autonomieregierung reagiert. Dies wurde in der Region als kollektive Bestrafung und Beweis für eine Politik der doppelten Standards Europas und der USA gesehen. Deutschland und die EU sollten diesen Fehler nicht wiederholen, sondern bei Wahlsiegen von radikalen Kräften die Zusammenarbeit an die Einhaltung von Menschenrechten und völkerrechtlichen Standards knüpfen, aber Dialog und mögliche Kooperation nicht von vornherein ablehnen oder Beziehungen abbrechen.

Es gilt dabei, Anreize für demokratische Reformprozesse zu setzen, die einen wirklichen Mehrwert haben und nicht als europäischer Paternalismus verstanden werden. Das kann nur gelingen, wenn ein solches Paket nicht nur großzügige finanzielle Hilfen umfasst, sondern aufbauend auf dem europäischer Binnenmarkt und den vier Grundfreiheiten –, freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapitalverkehr – weitreichende konditionierte Angebote für eine neue Nachbarschaftspolitik macht. Um dies nicht in Beliebigkeit abgleiten zu lassen, brauchen wir hier klare Kriterien und Mechanismen der Überprüfung. Konditionierung sollte auf die Stärkung der Menschenrechte und Demokratie zielen. Dabei gilt prinzipiell der Grundsatz der Kooperation in Abhängigkeit von Taten, nicht von Worten.

Ideen für eine rot-grüne Außenpolitik 2013

Rot-Grün muss sich schon jetzt an die Ausarbeitung einer konzeptionell neuen und innovativen Außenpolitik machen. Mit den folgenden Vorschlägen wollen wir erste Anregungen für eine Weltstrukturpolitik liefern, die der Startschuss für die weitere Debatte sein können. Uns ist klar, dass wir hier eine Auswahl vorlegen, die ebenso selektiv wie kontrovers ist. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern wollen dazu einladen, sich an der Debatte zu beteiligen. Im Wesentlichen schlagen wir einen Dreiklang aus gestärkter europäischer Außen- und Sicherheitspolitik, einer zielgerichteten globalen Strukturpolitik und einer konsequenten Friedenspolitik vor.

1.    Prioritäten für eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik

Europapolitik muss jenseits der aktuellen Krise wieder der Dreh- und Angelpunkt des außenpolitischen Kompasses einer rot-grünen Regierung sein. Es geht um nicht weniger, als Deutschland wieder „europafähig“ zu machen – als gestaltender und verlässlicher Akteur, auch auf der Weltbühne.

Nichts hat diesen bislang geltenden Anspruch in den letzten Monaten mehr untergraben als die abwartende und kalkulierende Haltung der Bundesregierung in der europäischen Schuldenkrise und das nicht nachvollziehbare Verhalten in der Libyenfrage im VN-Sicherheitsrat. Das größte Risiko deutscher Außenpolitik bleibt das Risiko einer Isolation Deutschlands in Europa. Ein geeintes Europa ist für die Bewältigung der internationalen Finanzkrise genauso wie für den Kampf gegen Armut und den Klimawandel von entscheidender Bedeutung. Der Rückfall ins Nationale ist für keine dieser Herausforderungen eine Lösung. Das Einbinden von Nationalstaaten in die Europäische Union bleibt das Friedensprojekt für unseren Kontinent im 21. Jahrhundert. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die außenpolitische Gestaltungskraft der EU, auch wenn die innere Umgestaltung der EU angesichts der dramatischen europäischen Schuldenkrise natürlich entscheidende Rückwirkungen auf die Möglichkeiten einer europäischen Außenpolitik hat.

Die Europäische Union wird bei der Gestaltung der Globalisierung nur dann eine Rolle spielen können, wenn sie geeint und gestärkt auftritt. Der Vertrag von Lissabon hat mit seinen Neuerungen in diesem Bereich zwar die richtige Richtung eingeschlagen, hat sich aber durch seine vielen Kompromisse – und der gegenwärtigen Umsetzung – als nicht praktikabel erwiesen. Ohne eine gemeinsame Außenpolitik, die es den europäischen Staaten ermöglicht, sich in einer sich permanent verändernden Welt zu behaupten und diese mitzugestalten, wird mittel- und langfristig auch der ökonomische Spitzenplatz der EU in der Welt gefährdet sein. Umgekehrt bedeutet dies: Ohne eine starke wirtschaftliche Komponente wird es keine effektive europäische Außenpolitik geben können. Die EU muss dabei vor allem ihre wirtschaftliche Stärke zum Tragen bringen und auf soft power setzen.

Damit sich europäische Außen- und Sicherheitspolitik nicht nur am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert, muss auch hier das Prinzip von Mehrheitsentscheidungen eingeführt werden. Die rot-grüne Regierung sollte sich für eine stärkere Anwendung der Gemeinschaftsmethode statt der intergouvernementalen Methode in diesem Bereich einsetzen – nur so können die verschiedenen Politikbereiche sinnvoll miteinander verzahnt werden. Langfristig würde eine konsequente Anwendung der Gemeinschaftsmethode zu mehr Effizienz und demokratischer Kontrolle führen. Das bedeutet auch mehr Beteiligungs- und Kontrollrechte für ein entsprechend aufgewertetes Europaparlament im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Voraussetzung dafür sind Änderungen der EU-Verträge ebenso wie tiefgreifende Verfahrens- und Strukturanpassungen verschiedener Brüsseler und mitgliedstaatlicher Institutionen. Weil diese Fragen so bedeutsam sind, führt kein Weg an einer europaweiten öffentlichen Debatte vorbei, um hinreichende Unterstützung zu erhalten. Dafür sollte sich eine neue Bundesregierung offensiv einsetzen und gemeinsam mit gleichgesinnten Partnern realistische Vorschläge für eine stärker vergemeinschaftete Außen- und Sicherheitspolitik erarbeiten.

Die Bilanz des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) ist bislang enttäuschend. Es muss die Frage gestellt werden, ob seine "sui generis" Struktur (weder Kommissionsdienststelle, noch Teil des Ratssekretariats) wirklich effektiv sein kann oder ob der EAD damit nicht zwischen allen Stühlen sitzt. Daher sollte die 2013 geplante Evaluierung des EAD offen, kritisch und ehrlich vorgenommen werden, um den EAD auch in der Praxis zu einem Dienst im Dienste aller EU-Institutionen und der Mitgliedsstaaten zu gestalten. Abhängig von ihrem Ergebnis kann am Ende eine stärkere Anbindung an die Kommission oder auch eine Stärkung der Unabhängigkeit des EAD, etwa durch die Übertragung zusätzlicher Kompetenzen stehen.

Aber nicht nur institutionell, sondern auch inhaltlich muss sich die europäische Außenpolitik an einigen wesentlichen Prioritäten ausrichten. Hier sollte die rot-grüne Regierung neue Impulse geben.

EU-Nachbarschaftspolitik

Die Beziehungen zu unseren Nachbarn sollte höchste Priorität erhalten. Das Ziel, einen Ring von Sicherheit und Stabilität um die Mitgliedsstaaten der EU zu errichten, ist heute so richtig wie im Entstehungsjahr der Nachbarschaftspolitik 2004. Wir brauchen endlich ein einheitliches und tragfähiges Konzept für unsere östliche und südliche Nachbarschaft. Hier sollten wir nicht weniger als eine volle Teilhabe am EU-Binnenmarkt anbieten. Nach der Euphorie über die politischen Umwälzungen in Nordafrika und im Nahen Osten muss nun die Demokratisierung der Gesellschaften und ökonomische Stärkung dieser Region entschlossener vorangetrieben werden. Auch wenn in diesen Tagen vielfach von Erweiterungsmüdigkeit und Plebiszitaversion die Rede ist, bleibt es ein Fakt, dass die EU so lange unvollständig bleibt, wie die Staaten des ehemaligen Jugoslawien sowie Albanien nicht zur EU gehören. Dies gilt letztlich auch für unsere direkten östlichen Nachbarn, zumindest in der Form eines "erweiterten Europäischen Wirtschaftsraumes". Diese Staaten brauchen eine verlässliche und transparente Perspektive, denn ihre Nicht-Integration würde im Falle neuer Gewalteskalationen ein unkalkulierbares und erhebliches Risiko für Europas Sicherheit und Stabilität bedeuten. Eine klare Beitrittsperspektive ist und bleibt der verlässlichste Motor für Reformen. Das gilt ebenso für die Türkei, die zum zentralen Akteur im Raum des Nahen Ostens und Südlichen Mittelmeers herangewachsen ist.

Strategische Partnerschaften im neuen Weltgefüge

Damit die EU nicht nur als regionaler Akteur auftritt, brauchen wir ein zielgerichtetes Konzept, wie wir mit den aufstrebenden Mächten des 21. Jahrhunderts umgehen wollen. Dafür müssen wir strategische Partnerschaften aufbauen, die nicht nur dieses Label haben, sondern auch inhaltlich diesem Anspruch genügen. Dies werden die einzelnen Mitgliedsstaaten der EU nicht alleine können und ein gemeinsamer europäischer Ansatz ist mehr gefordert denn je. Hier muss die EU ihre wirtschaftliche Stärke nutzen, um globale Fragen auch politisch angehen zu können. Wir brauchen insbesondere ein neues, umfassendes Konzept, wie wir mit der bedeutendsten Wachstumsregion der Welt, Asien, umgehen wollen. Hierfür muss sich die Bundesregierung einsetzen und klare menschenrechts- und demokratiepolitische Prioritäten setzen. Zum Erreichen unserer Ziele brauchen wir neue Partner und alte Freunde. Von besonderer Bedeutung ist daher das transatlantische Verhältnis. Gemeinsam sollten Europa und die USA auf die geänderten globalen Machtverhältnisse mit einem Eintreten für einen effektiven Multilateralisms reagieren.

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Ein militärisches Element der EU zur Gewaltverhinderung oder Gewalteindämmung wird nicht ausgeschlossen werden können. Hier sollte die EU weiter vorangehen und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterentwickeln. Im militärischen Bereich gibt es durch die im Lissabon-Vertrag vorgesehene ständige strukturierte Zusammenarbeit für einzelne Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, beim Aufbau gemeinsamer militärischer Kapazitäten voranzuschreiten. Dieser Prozess kann genutzt werden, um weitgehend aufeinander abgestimmte nationale Streitkräfte aufzubauen, deren Ausbildung zumindest teilweise gemeinsam erfolgt, damit die EU im Rahmen der Vereinten Nationen agieren kann. Eine möglichst weitgehende Spezialisierung der nationalen Streitkräfte und die gemeinsame Beschaffung und Nutzung schafft Synergien und könnte gesamteuropäisch zur Senkung militärischer Ausgaben führen. Obwohl zivile Konfliktbearbeitung schon seit langem als Ziel verfolgt wird, brauchen wir gerade in diesem Bereich neue Impulse und Konzepte. Dies muss besser als bisher andere Politiken und Instrumente, insbesondere aus dem Bereich der Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe, einschließen.

Letztlich werden sich viele der außenpolitischen Herausforderungen ohne die EU nicht lösen lassen. Eine gestärkte EU wird deshalb für Deutschland die notwendige Bedingung sein, seine Stimme international geltend zu machen. Dies allerdings setzt voraus, dass die Bundesregierung auch eine aktive Rolle als Mitgestalterin im Sinne eines geeinten Europas wahrnimmt und nicht nur zur Wahrung nationaler Interessen agiert.

2.    Globale Strukturpolitik - für globale soziale Gerechtigkeit

Wir verstehen Entwicklungspolitik als Teil einer internationalen Strukturpolitik, die das Ziel einer gerechteren globalen Gesellschaft verfolgt. Wenn Strukturen auf globaler Ebene etwa in der Handels- und Agrarpolitik nicht verändert werden, kann Entwicklungszusammenarbeit im besten Fall ein Pflaster sein, das lindert. Wir wollen, dass sie mehr ist.

ODA-Aufholplan und Strukturreform

Deutsche Bundesregierungen sind internationale Verpflichtungen gegenüber Entwicklungsländern eingegangen, zu denen sich auch Schwarz-Gelb bekannt hat, deren Umsetzung aber offenkundig vernachlässigt wird. Hierzu zählt nicht nur die Zusage, bis 2015 Mittel in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe (ODA) aufzuwenden. Deutschland hat beschlossen, zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele beizutragen und hat sich in Paris, Accra und Busan dazu verpflichtet, seine Entwicklungszusammenarbeit effizienter zu gestalten, sich besser mit anderen Gebern abzustimmen und die Eigenverantwortung der Partnerländer zu stärken. Mindestens ebenso wichtig wie die Einhaltung des 0,7 Prozent-Ziels ist eine stärkere Politikkohärenz für Entwicklung. So müssen Entwicklungsländer die Möglichkeit haben, sich stärker in die Weltwirtschaft zu integrieren. So sollten Handelshemmnisse abgebaut werden, die den Zugang von Produkten aus Entwicklungsländern zu den Märkten der EU verhindern. Auch handelsverzerrende Fördermaßnahmen der Industrieländer, z.B. Agrarsubventionen, müssen reduziert werden, auch dort, wo es die Industrieländer schmerzt. Allerdings müssen die Empfängerländer konsequent an Strukturreformen ihrer Wirtschaften arbeiten und ihre „Good Governance“ stärken. Im Gegenzug bedeutet dies aber auch eine intelligente Konditionierung der Kooperation. Ohne weitere Schritte in diese Richtung wird eine global gerechte Welt auch bei einer Erfüllung des 0,7 Prozent-Ziels in weiter Ferne sein.

Eine neue rot-grüne Regierung sollte zu diesen Verpflichtungen stehen und mit einem ODA-Aufholplan zeigen, dass Deutschland seiner Verantwortung auch bei einer schwierigen Haushaltslage gerecht werden kann. Deutschland sollte innerhalb der EU und der OECD als treibende Kraft dafür eintreten, dass sich Geber besser abstimmen, dem Prinzip der Politikkohärenz für Entwicklung Rechnung getragen und ihre Politik stärker an den Bedürfnissen der Partnerländer und den verletzlichsten Bevölkerungsgruppen ausrichten. Aber auch die Strukturen der deutschen Entwicklungspolitik müssen weiter verbessert werden. Das empfiehlt auch das Entwicklungskomitee der OECD. Wir schlagen daher vor, die GIZ und die KfW-Entwicklungsbank zu einer bundeseigenen Entwicklungsagentur zusammenzulegen und so die Fragmentierung und die Komplexität des Systems zu reduzieren.

Entwicklung und Klimaschutz

Der Klimawandel stellt Entwicklungsländer vor immense neue Herausforderungen, die von den Industrienationen verursacht werden. Wir sind daher in der Pflicht, die Entwicklungsländer beim Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Hierfür sind erheblich mehr Mittel notwendig, als die schwarz-gelbe Bundesregierung zur Verfügung stellt. Klimaschutz und Entwicklung schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, sie müssen zusammengedacht und die Erfahrungen der Entwicklungszusammenarbeit genutzt werden. Steigende Ausgaben für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel dürfen aber nicht zu Lasten des Kampfes gegen Hunger, Armut und Krankheiten in den Entwicklungsländern gehen.

Die mageren Ergebnisse des Klimagipfels in Durban und die Kündigung des Kyoto-Protokolls durch Kanada haben erneut gezeigt, wie weit der Weg zum Zwei-Grad-Ziel ist. Ein rechtsverbindliches globales Abkommen mit umfangreichen CO2-Reduzierungspflichten muss weiter das Ziel bleiben. Auf dem Weg dorthin sollten Deutschland und Europa nicht abwarten, sondern Vorreiter sein. Es wird international auf absehbare Zeit keine ambitionierte gemeinsame Klimapolitik geben, sondern nur Klimaschutz der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Zügig sollte die EU ihre CO2-Minderungspflichten bis 2020 auf 30 Prozent anheben und zugleich in einem Green New Deal die Transformation der Wirtschaft vorantreiben.

Unternehmens- und Verbraucherverantwortung

Globale Strukturpolitik bedeutet auch, die Verantwortung von europäischen Unternehmen im Ausland in den Blick zu nehmen. Eine gerechtere Welt erfordert auch durchgreifende Reformen der ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen in den Gesellschaften vieler Entwicklungsländer. Viele dieser Reformen müssen diese Länder selber angehen, aber sie dürfen nicht durch eine fehlgeleitete europäische Politik auf Unternehmensebene unterminiert werden. Schließlich gilt es, bei den Verbrauchern das Bewusstsein für die Implikationen ihrer Kaufentscheidungen zu stärken.

Daher schlagen wir vor, in der EU ansässige Unternehmen gesetzlich auf hohe Transparenz- und Menschenrechtsstandards, insbesondere im Rohstoffbereich, zu verpflichten. Dazu müssen Transparenzinitiativen wie die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) und Publish What You Pay endlich umfassend unterstützt werden. Auch in Drittstaaten auftretende Korruption durch in der EU ansässige Unternehmen soll entschieden bekämpft werden. Zugleich sollen die Standards der acht Konventionen der internationalen Arbeitsorganisation ILO und der internationalen Konventionen im Bereich von Bürgerrechten, Frauenrechten und Umweltschutz auch im Handeln europäischer Unternehmen im Ausland durchgesetzt werden. Die europäische Außenwirtschaftsförderung muss künftig klaren menschenrechtlichen Prüfkriterien unterliegen. Nicht zuletzt sollte Rot-Grün breit angelegte Aufklärungskampagnen über Produktherkunft und Produktionsbedingungen von Waren auf dem europäischen Markt unterstützen, um Verbraucherinnen und Verbrauchern Entscheidungsmöglichkeiten zu geben.

Politik in globaler Verantwortung: Für die Reform der Vereinten Nationen

Als Organisation, die sowohl über eine universelle Mitgliedschaft als auch eine praktisch allgemeine Problemzuständigkeit verfügt, sind die Vereinten Nationen (VN) der geeignete Rahmen für Global Governance. Gegenwärtig leisten die VN jedoch nicht das, was von ihnen erwartet wird. Dafür ist neben der unzureichenden Ausstattung mit Ressourcen ein gewaltiger Reformstau verantwortlich. An beiden Punkten muss eine künftige rot-grüne Koalition ansetzen, um einen effektiven und legitimen Multilateralismus zu befördern.

Die Reform der VN hat zwei Ziele: Zum einen die Stärkung ihrer Handlungsfähigkeit (Effektivität), zum anderen die Anpassung ihrer Entscheidungsorgane an die globalen Machtstrukturen des 21. Jahrhunderts (Legitimität). 2005 legten Brasilien, Deutschland, Indien und Japan einen weitreichenden Reformvorschlag vor, der die Erweiterung des Sicherheitsrats mit dem Ziel der Verbesserung der Effektivität und Legitimität dieses wichtigsten VN-Gremiums einschloss. An diesen grundsätzlich richtigen Ansatz sollte eine neue Koalitionsregierung anknüpfen. Seither haben sich die globalen Herausforderungen allerdings deutlich verschärft. Global vernetzte Risiken wie Klimawandel, armutszentriertes Bevölkerungswachstum und Finanz- und Wirtschaftskrisen machen kollektive Antworten der globalen Gemeinschaft nötiger denn je. Daher muss ein neuer Reformanlauf darauf achten, alle aufstrebenden globalen Akteure mit in tragfähige Global Governance-Strukturen einzubeziehen. Dazu zählen neben verantwortungsbereiten Staaten auch Regionalorganisationen wie die EU sowie Wirtschaftsvertreter und zivilgesellschaftliche Akteure. Denn staatliches Regieren allein reicht angesichts der Komplexität und Interdependenz der Weltstrukturpolitik keinesfalls mehr für effektive Steuerung aus – und angesichts des unabweisbaren Bedeutungsgewinns autoritärer Regime wie China, Russland und Saudi-Arabien, die alle den G20 angehören, auch nicht mehr für deren Legitimität.

Konsequenterweise bedarf daher ein weiterer Aspekt im Rahmen der VN-Reformdebatte höchster Aufmerksamkeit. Die politische Legitimität und damit Durchschlagskraft der VN kann nur sichergestellt werden, wenn die demokratische Qualität ihrer Entscheidungen hinreichend gewährleistet ist. Mit anderen Worten: Die VN haben nur dann eine Chance, in und von den Öffentlichkeiten in demokratischen Rechtsstaaten als legitime Entscheidungsstruktur akzeptiert zu werden, wenn Beschlüsse nicht durch Koalitionen von demokratisch nicht legitimierten Regierungen majorisiert werden. Die Unterstützung von Demokratisierungsprozessen und einer größeren Rolle nichtstaatlicher Akteure in den VN wird damit zu einem wichtigen Element einer zukunftsorientierten rot-grünen Außenpolitik. Dieser strategische Aspekt sollte in der operativen Außenpolitik deutlich betont und durch entsprechende Konditionierungen gestärkt werden. Auch hier sollte der Grundsatz gelten: More for more, also mehr Kompetenzen und Ressourcen bei größerer Verantwortlichkeit und Transparenz.

Dabei geht es nicht darum, die VN zu einer noch größeren Organisation auszubauen, sondern um Entbürokratisierung, Arbeitsteilung und „Vergesellschaftung“. Die VN müssen nicht alles selbst machen, denn vieles können sektorale Clubs wie die G20 tatsächlich besser. Sofern deren Entscheidungen aber globale Implikationen haben, bedürfen sie der Rechtfertigung vor einem globalen Forum der Betroffenen. Reformierte VN, in denen nicht nur Staaten, sondern auch Regionalorganisationen, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteure ihren Platz haben, können der Ort werden, an dem solche Entscheidungen gerechtfertigt und verantwortet werden können. Es versteht sich von selbst, dass dies kein schnell umsetzbares Projekt ist, sondern eins, das erhebliche Überzeugungsarbeit unter den statusfixierten Staaten auch in der EU erforderlich macht. Eine solche postnationale Außenpolitik hat jedoch den Vorteil, dass sie Fragen wie die nach der Mitgliedschaft im VN-Sicherheitsrat viel unwichtiger werden lässt. Sie wird damit anschlussfähig für Verbündete jenseits der Staatenwelt, die gewillt sind, zusätzliche Ressourcen für eine Transformation der VN zu einem Forum für Global Governance bereitzustellen.

Parlaments- und Regierungsstrukturen anpassen

Die Umbenennung des Ausschusses „Auswärtige Angelegenheiten“ des Bundestages in Ausschuss „Auswärtige und globale Fragen“ würde verdeutlichen, welchen Stellenwert Rot-Grün der Bearbeitung von globalen Fragen beimisst. Er könnte von einer (Enquete-) Kommission „Globales Regieren unter postnationalen Bedingungen“ begleitet werden. Auftrag der Kommission soll die Untersuchung des nach außen gerichteten Handelns der Bundesrepublik Deutschland unter den veränderten Rahmenbedingungen einer globalisierten Welt sein. Folgerichtig soll die Enquete-Kommission bei der Formulierung ihrer Empfehlungen auch eine kritische Bilanz der gegenwärtigen Arbeitsstrukturen von Bundesregierung und Bundestag vornehmen und mögliche Anpassungen dieser Strukturen mit dem Ziel größerer Kohärenz und Konsequenz deutscher Außenpolitik vorschlagen.

3.    Instrumente für Friedenspolitik gestalten

Friedensgerichtete Außenpolitik ist eine zentrale Leitlinie einer rot-grünen Regierung. Deutschland trägt als drittgrößter Beitragszahler der Vereinten Nationen, größtes Mitglied der EU und einer der wichtigsten NATO-Staaten globale Verantwortung für Frieden. Diese Verantwortung muss mit einer proaktiven Politik wahrgenommen werden, die die Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie, Wirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik sinnvoll bündelt.

Vor diesem Anspruch gibt Deutschland im Moment ein jämmerliches Bild ab. Die Enthaltung im VN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung zur Resolution 1973, das Fehlen einer eigenständigen Position in dieser Frage und die opportunistische Aufstockung des Afghanistaneinsatzes um AWACS-Einheiten als Antwort auf den Abzug der deutschen Marineeinheiten aus dem NATO-Verband stellen dabei nur die Spitze des Eisbergs dar. Dazu gesellen sich eine Bundeswehrreform, die in weitgehender Isolation von EU- und NATO-Partnern durchgeführt wird, verteidigungspolitische Richtlinien, die das „nationale Interesse“ wieder in den Mittelpunkt rücken und eine regelmäßige Kakophonie zwischen AA und BMVg in zentralen Fragen wie Afghanistan oder NATO-Atomwaffen. Gleichzeitig changiert die Zielsetzung deutscher Politik zwischen Stabilisierung, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte und wirtschaftlichen Interessen.

Damit wird wertvolles Vertrauen in Deutschland in den internationalen Beziehungen gefährdet, das besonders auf einer klaren friedenspolitischen Orientierung, dem eindeutigen Bekenntnis zum Multilateralismus und Verlässlichkeit aufbaut. Eine rot-grüne Regierung muss diesen Vertrauensvorschuss wieder bestätigen und Friedenspolitik wieder ins Zentrum der eigenen Außenpolitik rücken.

Konfliktprävention wiederbeleben

Friedenspolitik agiert in der Konfliktbearbeitung präventiv, Frieden schaffend und nachsorgend. Zahlreiche Konflikte weltweit eskalieren unter Beobachtung der internationalen Gemeinschaft und werden erst dann bearbeitet. Dies ist zu spät, zu kostspielig und zumeist nicht nachhaltig. Die rot-grüne Regierung hat 2004 den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ verabschiedet, worin dies angegangen wird. Dieser ressortübergreifende Ansatz war richtig und muss von einer neuen rot-grünen Regierung wieder aufgegriffen werden, denn zu viele der Empfehlungen sind in der Zwischenzeit vernachlässigt worden. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Stärkung der ressortübergreifenden Zusammenarbeit liegen müssen. Hier reicht die empfohlene Koordinierung nicht aus, stattdessen sollten die beteiligten Ressorts (AA, BMVg, BMZ und BMI) eine gemeinsame Konfliktpräventionseinheit einrichten, die sich mit der Analyse und Bearbeitung von Konflikten und ihren Auswirkungen befasst und der Bundesregierung mit Strategien und Empfehlungen zuarbeitet. Da die bisherige Zusammenarbeit nicht funktioniert und die tief verankerten Barrieren selbst bei politischem Willen nur schwer zu durchbrechen sind, schlagen wir vor, Kooperation über Mittelvergabe zu erzwingen. Mittel für zivile Krisenbearbeitung sollen gepoolt werden, die Gelder können nicht mehr durch ein einzelnes Ministerium ausgegeben werden können, sondern nur wenn in einem gemeinsamen Lenkungskreis Einigkeit besteht. Durch unabhängige Begleitung etwa auf parlamentarischer Ebene (unter Hinzuziehung nichtstaatlicher Expertise) könnte zudem sichergestellt werden, dass die Mittelvergabe sachgerecht geschieht und nicht auf der Basis fauler Kompromisse oder von Koppelgeschäften erfolgt. Dies würde auch die Erarbeitung einer ressortübergreifenden Strategie erzwingen, die die bisherigen Reibungsverluste besonders zwischen BMZ und BMVg schon in der konzeptionellen Phase aufzeigen und bearbeitbar machen würde.

Effektive Rüstungskontrolle und Abrüstungspolitik

Es muss Schluss sein mit einer Politik der doppelten Standards. Die Aufrüstung von Despoten schafft keine Stabilität und läuft menschenrechtlichen und rechtstaatlichen Prinzipien zuwider. Regierungshandeln muss sich an den eigenen Ansprüchen messen lassen.

Unter Rot-Grün sollen die Rüstungsexporte in Drittstaaten sinken und nicht weiter ansteigen. Rüstungsexporte in Länder, in denen die Regierungen für erhebliche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, sollte es generell nicht geben. Dabei müssen die Parteien sich mit den industriepolitischen Interessen und auch Arbeitnehmerinteressen in der Rüstungsindustrie auseinandersetzen, um wirkungsvolle Mechanismen zur Begrenzung durchzusetzen.

Wir schlagen vor, die Geheimhaltung der Beschlüsse des Bundessicherheitsrats aufzuheben. Zudem soll dieser künftig im Konsens entscheiden, damit nicht erneut menschenrechtliche Abwägungen durch industriepolitische Interessen überstimmt werden. Die Rüstungsexportrichtlinien sollten zur höheren Verbindlichkeit in ein Rüstungsexportgesetz überführt werden und es soll eine sanktionsbewehrte Endverbleibskontrolle vorgeschrieben werden, um Missbrauch zu verhindern.

Das Parlament muss seine Kontrollfunktion gegenüber der Bundesregierung vollumfänglich ausüben können. Deshalb sollte es stärker durch umfangreichere und vor allem frühere Informationen als bisher die Möglichkeit haben, die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung zu kontrollieren. Für besonders sensible Exporte, beispielsweise Lieferung von Kriegswaffen in Drittstaaten, soll ein Parlamentsgremium vorher informiert und gegebenenfalls ein aufschiebendes Veto einlegen können.

Weiterhin sollte sich Deutschland für eine verschärfte Rüstungskontrolle auf europäischer Ebene einsetzen, die auch sicherheitsrelevante Dienstleistungen und Softwareprodukte mit berücksichtigt.

Deutschland ist einer der glaubwürdigsten Akteure in der Abrüstungspolitik und muss diese Position nutzen, um bestehende Ideen wie Global Zero im nuklearen Bereich und den Arms Trade Treaty im Kleinwaffenbereich zu stärken. Daneben muss eine rot-grüne Regierung aber auch eigene Initiativen starten. Dazu zählt besonders die Wiederbelebung des KSE-Abkommens als zentraler Rahmen europäischer Sicherheit.

Neue Felder ergeben sich im Bereich der Cyber-Sicherheit. Sie ist zu einer neuen und zunehmend politischen Herausforderung geworden. Gleichwohl es richtig ist, den Schwerpunkt auf zivile Aspekte zu legen, muss sich eine rot-grüne Regierung verstärkt auf die internationalen und sicherheitsrelevanten Aspekte konzentrieren. Es geht einerseits um den Schutz der eigenen Infrastruktur, andererseits aber auch um die notwendige internationale Abstimmung, Vernetzung und Verrechtlichung im Rahmen der VN, EU, OSZE oder anderen Organisationen. So sollte sich Rot-Grün vor allem für bindende internationale Regeln – etwa dem Verbot von Angriffen auf zivile Infrastrukturen – einsetzen. Ein weiteres Feld, das in diesem Rahmen bearbeitet werden muss, ist die Bewaffnung des Weltraums, die frühzeitig mit einer globalen Konvention verhindert werden sollte.

Demokratie und Menschenrechte stärken

Rot-Grün muss seine Menschenrechtspolitik ernster nehmen - auch ernster als zu Regierungszeiten der Jahre 1998 bis 2005. Menschenrechtspolitik darf nicht bloß verbale Dekoration einer Interessenspolitik sein. Menschenrechte sind keine „soft issues“, im Gegenteil: Die Mehrheit der Staaten hat die großen internationalen Menschenrechtsabkommen ratifiziert und ist somit unmittelbar an sie gebunden. Wer also auf die Umsetzung dieser Verpflichtungen pocht, der propagiert nicht etwa „westliche Werte“, sondern fordert von den Staaten nur das einzuhalten, zu was sie sich vertraglich selbst verpflichtet haben.

Zu einer konzeptionell innovativen rot-grünen Politik gehört vor allem ein neues Verständnis von Kohärenz. Eine effektive Menschenrechtspolitik bedeutet das Ende des strikten Ressortdenkens. Wer auf der einen Seite Menschenrechtsdialoge mit einem Land führt und gleichzeitig unter Missachtung dortiger Menschenrechtsverletzungen Rüstungsgüter exportiert, tut nichts für den Menschenrechtsschutz und zerstört darüber hinaus seine eigene Glaubwürdigkeit in jedem Werte- oder Rechtsdiskurs. Nicht nur außenpolitische, auch entwicklungs-, sicherheits- und innenpolitische Entscheidungen müssen am Kriterium Menschenrechte gemessen und Abwägungsprozesse transparent gemacht werden. Weder die deutsche noch die europäische Politik hat hier bislang überzeugende Ernsthaftigkeit und Kohärenz gezeigt.

Um Menschenrechtspolitik ressortübergreifend zu verankern und institutionell aufzuwerten, schlagen wir vor, dass in jedem Ressort eine für das Thema zuständige Person benannt wird. Diese Funktion beinhaltet auch die Überprüfung der Umsetzung der Empfehlungen, die im Rahmen des VN-Staatenberichtsverfahrens abgegeben werden. Der/die bisherige Beauftragte für Menschenrechte im Auswärtigen Amt soll künftig Staatsminister/in für Menschenrechte mit einem adäquaten Arbeitsapparat werden, außerdem in beratender Funktion Mitglied im Bundessicherheitsrat sein und die Menschenrechtspolitik der gesamten Bundesregierung koordinieren.

Instrumente zum Schutz der Menschenrechte stärken

Bisherige nationale und europäische Instrumente zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten müssen dringend evaluiert werden. Dabei ist es wichtig, bei ihrer Neukonzeption oder Anpassung die Akteure und Betroffenen in den jeweiligen Partnerländern frühzeitig und ernsthaft mit einzubinden. Ebenso wichtig ist, dass bei einer kontinuierlichen Verletzung von Menschenrechten in Partnerländern der EU eine sichtbare Reaktion und nicht wie heute ein laues Schweigen erfolgen muss. Ein einfaches „Weiter so“ in den bilateralen Beziehungen und in der Entwicklungszusammenarbeit darf es in solchen Situationen nicht geben. Wirksamere und zielgenauere Konditionierung ist dabei eine notwendige und richtige Maßnahme. Menschenrechtsklauseln in Handelsverträgen der EU mit Drittstaaten müssen wenn nötig angewendet werden. Auch Budgethilfe-Tranchen können zurückgehalten werden, wenn vereinbarte Verbesserungen der Menschenrechtslage ausbleiben. Die Konsequenz der jeweiligen Maßnahmen auf die Menschenrechtslage muss dabei stets neu und sorgfältig abgewogen werden. Zugleich sollte die Bundesregierung, nicht zuletzt über die Möglichkeiten der politischen Stiftungen, zivilgesellschaftliche Akteure durch gezielte Menschenrechts- und Demokratieförderprogramme stärker als bisher unterstützen.

Flüchtlings- und Migrationspolitik reformieren

Die derzeitige EU-Flüchtlingspolitik muss dringend reformiert werden. Renationalisierung und die Konzentration auf eine „Festung Europa“ sind der falsche Weg. Immer wieder kommen Menschen auf ihrer Flucht nach Europa zu Tode, auch wegen gravierender Defizite in der Seenotrettung und völkerrechtlich problematischer Einsätze von FRONTEX. Rot-Grün muss sich für eine Verbesserung der gemeinsamen EU-Regeln zum Umgang mit Asylbewerbern einsetzen und eine solidarische und menschenwürdige Aufnahme von Flüchtlingen in die EU ermöglichen.

Besonders in der Migrationspolitik brauchen wir mehr Offenheit und Flexibilität. Ein prosperierendes Europa ist dauerhaft nur möglich, wenn es Migration erleichtert und deren Potenziale nutzt. Die EU hat aufgrund ihrer demografischen Entwicklung einen hohen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Rot-Grün sollte daher Visa-Erleichterungen insbesondere für Auszubildende, Studierende und Unternehmer verfügen. Stipendien und Traineestellen in Unternehmen sollen die EU für Graduierte und Nachwuchskräfte attraktiv machen und ihnen eine legale Lebens- und Arbeitsperspektive in der EU bieten. Von einem solchen Modell würden die Europäische Union, aber auch die Herkunftsländer der Nachwuchskräfte profitieren. Aus diesem Grund müssen die bestehenden Mobilitätspartnerschaften, deren Zweck die Verknüpfung von migrations- und entwicklungspolitischen Zielen ist, dringend ausgewertet und optimiert werden. Insbesondere bei der gezielten Öffnung der Arbeitsmärkte und bei der Reisefreiheit gilt es für die EU, ausstehende Verpflichtungen dringend zu erfüllen.

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Vor dem Hintergrund des desaströsen außenpolitischen Auftretens der gegenwärtigen schwarz-gelben Regierung hat Rot-Grün die Chance, einen deutlich anders akzentuierten außenpolitischen Kurs einzuschlagen. Damit diese Chance genutzt werden kann, gilt es sich frühzeitig über Grundlagen und Prioritäten der zukünftigen Außenpolitik Gedanken zu machen. Es geht im Kern um eine grundsätzliche Politikkonzeption, die die Veränderungen in der Welt aufgreift und die fortschreitende Globalisierung mehr als Chance denn als Last versteht. Natürlich werden dadurch nicht alle Probleme und Widersprüche gelöst werden können, nicht zuletzt auch durch einen begrenzten Handlungsspielraum einer jeden Bundesregierung. Allerdings ist deutlich, dass in vielen Bereichen neue Akzente gesetzt werden müssen. Rot-Grün sollte sich dieser Herausforderung stellen und sich schon jetzt über konzeptionellen und strukturellen Veränderungsbedarf verständigen. Deutsche Außenpolitik darf sich nicht auf die nationalstaatlichen Reflexe der Vergangenheit berufen, sondern muss sich als aktive Weltstrukturpolitik verstehen, die es in Kooperation mit unseren europäischen und internationalen Partnern zu gestalten gilt. Dazu wollen wir Denkanstösse liefern.

Weitere Autorinnen und Autoren dieses Beitrages sind Barbara Meincke, Christos Katsioulis, Britta Jacob, Ekkehard Münzing

(Dieser Text ist am 21. Februar 2012 als Online-Spezial-Beitrag erschienen)