Am Ende hatten alle einen Kater

Andrew Rawnsley beschreibt den Niedergang von New Labour

Der Kampf um die Deutungsmacht über die jüngere britische Geschichte ist nach den Unterhauswahlen im Mai 2010 in vollem Gange. Schon im März erschien das doppeldeutig betitelte Buch The End of the Party, welches das Wahlergebnis schon einmal ankündigte. Es handelt sich hierbei um den zweiten Teil einer Gesamtdarstellung der New-Labour-Epoche aus der Feder des Journalisten Andrew Rawnsley vom Observer. Wie schon der Vorgänger Servants of the People ist Rawnsleys Werk von einer kritischen Sympathie für Tony Blair und das Projekt New Labour getragen. Gleichwohl könnte es in deutscher Übersetzung „Pleiten, Pech und Pannen“ heißen. Der Band liest sich über weite Strecken wie eine Aneinanderreihung von Hahnenkämpfen zwischen Blairites und Brownites, katastrophalen Fehleinschätzungen (irakische Massenvernichtungswaffen) und persönlichen Unzulänglichkeiten (Gordon Browns „psychische Defekte“).

Zunächst zeichnet der Autor Tony Blairs zweite und dritte Amtszeit nach. Im Jahr 2001 war die Regierung noch mit deutlicher Stimmenmehrheit im Amt bestätigt worden. Nun sollten die großen innenpolitischen Reformprojekte im Gesundheits- und Bildungswesen verwirklicht werden, die zuvor verschleppt worden waren – teils aufgrund von Unerfahrenheit, teils aufgrund der Dauerfehde zwischen Tony Blair und Gordon Brown. Auch in der Europapolitik plante die Regierung neue Wege. Blair versuchte damals, den Briten ihre traditionelle Europaskepsis auszureden. „Wir können nicht ewig die Nachzügler bleiben“, sagte Blair in einer Rede auf dem Labour-Parteitag 2002. Aus heutiger Sicht mutet es überraschend an, wie knapp Großbritannien tatsächlich vor einem Beitritt zur Eurozone stand. Während Blair sich davon mehr Einfluss auf dem Kontinent versprach, lautete Mitte 2001 Browns Argument gegen den Euro, Großbritannien verfüge nach wie vor über eine sehr gute Konjunktur und sei nicht in die Rezession abgerutscht wie die Euroländer Deutschland und Frankreich. Der nächste Anlauf Blairs zum Euro-Beitritt 2004 endete mit einer endgültigen Niederlage gegen seinen Schatzkanzler.

Wenn Blair siegte, war es Browns Niederlage – und umgekehrt


Zwischen dem 11. September 2001 und den Nachkriegswehen im Irak nimmt die Außenpolitik naturgemäß den größten Raum des Buches ein. Das Verhältnis Blair-Bush, die angeblichen Beweise für Saddams Massenvernichtungswaffen, frisierte Geheimdienstdossiers, der Selbstmord des Biowaffenexperten David Kelly, die Terroranschläge von London, zahlreiche Untersuchungsausschüsse – noch einmal folgt der Leser diesen historischen Ereignissen fassungslos. Blair hatte zwischendurch ans Aufgeben gedacht, schöpfte aber kurz vor der Wahl 2005 neue Hoffnung, in einer dritten Amtszeit die Reformen durchführen zu können, die erneut liegen geblieben waren. Doch spätestens nachdem Blair verkündet hatte, selbst bei einem erneuten Wahlsieg nicht ein viertes Mal antreten zu wollen, befand sich sein politischer Stern im Sinkflug. Zwar gewann Labour – zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte Großbritanniens –  die dritte Wahl hintereinander, jedoch rumorte es anschließend in der Partei, als hätte man die Wahl verloren. Eindringlich wandte sich Blair an Parteikollegen, die ihn nun loswerden wollten: „Ich habe während dreier Niederlagen loyal zu euch gestanden. Alles, worum ich bitte, ist ein bisschen Loyalität nach drei Siegen!“ Nach einem vorübergehenden Waffenstillstand brach der Streit zwischen Blair und Brown jetzt offen aus: Mit Ausnahme der Außenpolitik, aus der sich Brown wohlweislich heraushielt, wurde jedes Thema dem titanischen Ringen um Downing Street Nr. 10 untergeordnet: Ein Sieg Blairs war nun immer auch eine Niederlage Browns – und umgekehrt.

Browns Zeit in Downing Street Nr. 10 war nur noch ein trauriger Epilog

Rawnsely arbeitet prägnant heraus, wie sehr sich Brown und seine Berater während der Blair-Jahre als echte Alternative innerhalb der Regierung profilierten (die Tories als Opposition kamen praktisch nicht vor). Während Blair sich George W. Bush auf Gedeih und Verderb auslieferte und in Europa bald nur noch Freunde vom Schlage Silvio Berlusconis hatte, bediente Brown jene Themen, für die die Labour-Abgeordneten ins Parlament gewählt worden waren: Bildung, Gesundheit, soziale Sicherheit. Nach dem knappen Wahlsieg 2005 war in den Medien und unter Abgeordneten die Auffassung verbreitet, mit Brown an der Spitze hätte Labour bei den Parlamentswahlen mehr herausgeholt. Die Übergabe von Parteivorsitz und Premierministeramt an Brown im Sommer 2007 resultierte dann zunächst auch in steigenden Umfragewerten. Doch bereits eine Parteispendenaffäre im November desselben Jahres brachte die neue Regierung in schweres Fahrwasser. Als Brown schließlich die intern für Februar 2008 angepeilten Wahlen unter dem Eindruck steigender Umfragewerte der Tories mit fadenscheiniger Begründung absagte, strauchelte die Regierung in die Dauerkrise. Selbst Browns überwiegend positiv bewertetes Krisenmanagement während der Wirtschafts- und Finanzkrise konnte daran nichts mehr ändern.

Gewählt wurde erst im Mai 2010, dem spätestmöglichen Zeitpunkt. Gordon Brown hatte immer befürchtet, dass seine Zeit als Premierminister ein bloßer Epilog auf die Ära Blair werden würde. Genau dies trat ein. The End of the Party ist zuweilen amüsanter, zuweilen schockierender Investigativjournalismus. Zusammen mit Servants of the People ist es die im Moment beste Darstellung der New-Labour-Epoche. «

Andrew Rawnsley, The End of the Party: The Rise and Fall of New Labour, London: Viking 2010, 816 Seiten, 12,95 Euro







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