Angebote
Bildung und Hochschule in der Wissensgesellschaft
Bildung gerät in den letzten Monaten immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die intensive Debatte über die Greencard, die Rede vom Bundespräsidenten Johannes Rau und die Tatsache, dass der Etat des Bildungsministeriums trotz der allgemeinen Haushaltskonsolidierung erhöht wird, sind Anzeichen dafür. Die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien wandelt bereits heute unsere Alltags- und Arbeitswelt. Bisher lässt sich jedoch nur erahnen, wie tiefgreifend diese Veränderungen unser Leben beeinflussen werden. Außer Frage steht jedoch, dass gerade die Hochschulen eine Schlüsselfunktion in der Wissensgesellschaft einnehmen werden, sei es bei der Vermittlung von Wissen, als Ort der Forschung oder im Bereich der Weiterbildung. Bereits heute arbeiten dort 156.000 Wissenschaftler, und 1.8 Mio. Studierende werden ausgebildet.
Hochschulen haben in ihren jeweiligen Städten und Regionen eine besondere Bedeutung als Triebkraft für den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Strukturwandel. Hier bündelt sich Expertenwissen verschiedener Fachdisziplinen wie an keinem vergleichbaren Ort. Sie sind "Zukunftswerkstätten" und schaffen die Voraussetzung für die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft auf allen Ebenen.
In Zeiten eines deutlichen Rückgangs der SPD-Mitglieder (von 300.000 im Jahr 1974 auf 80.000 Unter-35-jährige heute) ist in der Partei eine Diskussion über eine Öffnung für externen Sachverstand entbrannt. Nicht nur die Forderung nach "zehn von außen", sondern vielmehr die Diskussion über die Netzwerkgesellschaft und damit auch die Netzwerkpartei lässt die Hochschulangehörigen mit ihren Kompetenzen stärker in den Mittelpunkt des Interesses rücken.
Sozialdemokratische Präsenz
In den 70er Jahren hatte die SPD bei progressiven Wissenschaftlern und Studierenden eine Vormachtstellung und dominierte damit die gesellschaftlichen Debatten. Diese Situation ist heute nicht mehr gegeben. Untersuchungen zeigen, dass die Sozialdemokraten in den Wahlen der vergangenen Jahre an Zustimmung bei Jungwählern massiv eingebüßt haben. Es ist erkennbar, dass Parteineigungen heute aufgrund des sozialen Wandels beweglicher sind; deshalb verfügt keine Partei über eine dauerhafte Bindung einer Mehrheit der Jugendlichen. Jugendliche sind aber nicht unpolitisch. Vielfach besteht jedoch eine erhebliche Skepsis gegenüber dem politischen System, einschließlich der etablierten Parteien. Diese Skepsis entspricht vielleicht dem Unmut über die mangelnde Anerkennung der eigenen Wünsche, Lebensentwürfe und Partizipationsansprüche.
Der anhaltende Vertrauensverlust ist für die SPD schon deshalb fatal, weil sich aus den Reihen der Studierenden ein großer Teil der Meinungs- und Entscheidungsträger von morgen rekrutiert. Es ist deshalb ein grundsätzliches Überdenken der Ansprechformen und der Mitgestaltungsmöglichkeiten für Studierende nötig. Denn im Studium werden politische Grundeinstellungen schon in hohem Maße herausgebildet.
Außer Frage steht, dass sich Studierende am ehesten durch Jugendliche ansprechen lassen, mit denen sie die Lebensumstände teilen. Hier sind die Juso-Hochschulgruppen mit ihren etwa 1000 Aktiven gefragt, durch interessante Angebote eine Nähe zur Sozialdemokratie zu schaffen. Den Hochschulgruppen fehlt es jedoch vor Ort an finanzieller Unterstützung, an einer für die zu leistende Arbeit entsprechenden Infrastruktur und an einer institutionellen Anbindung an die Partei. Da der Studierendenverband in der Organisationsstruktur der SPD praktisch nicht vorkommt, gehen die durch die Juso-Hochschulgruppen gewonnenen Bindungen nach dem Studium häufig wieder verloren.
Gleichzeitig existieren nicht genügend Angebote an junge Wissenschaftler. Für viele sozialdemokratische Wissenschaftler ist die "normale" Parteiarbeit nicht attraktiv. Deshalb sind nur wenige von ihnen tatsächlich aktiv und bringen sich bei programmatischen Diskussionen mit ihren spezifischen Kompetenzen selten ein.
Wenn mit der Hochschulinitiative die Entscheidungsträger von heute und morgen für die Sozialdemokratie gewonnen werden sollen, müssen diesen klare Angebote unterbreitet werden. Ein zentraler Aspekt ist eine stärkere Einbeziehung bei politischen Entscheidungsfindungen. Viele Studierende und Wissenschaftler sehen Mitgestaltungsmöglichkeiten zur Zeit als nicht gegeben. Es wird also nicht ausreichen, Netzwerkstrukturen aufzubauen, sondern es muss ebenfalls aufgezeigt werden, wie Vorstellungen und Kompetenzen auch tatsächlich in politische Prozesse einfließen können.
Hinzu kommt, dass eine Entscheidung für politisches Engagement zunehmend dadurch geprägt wird, daß dieses für die persönliche und berufliche Entwicklung förderlich ist. Qualifizierungsangebote, ob im Bereich der Präsentation, der Öffentlichkeitsarbeit oder inhaltlicher Art müssen deshalb deutlich ausgebaut werden. Auffallend ist zudem, dass die SPD im Gegensatz zur offensiven Personalpolitik der Konservativen kaum Perspektiven für eine Karriere in Politik und Verwaltung bietet.
Hochschulinitiative konkret
Um die für eine erfolgreiche Hochschularbeit notwendigen Netzwerkstrukturen zu schaffen, ist zunächst eine Stärkung der bereits bestehenden Organisationen erforderlich.
Um mehr Studierende für die Sozialdemokratie zu gewinnen, sollen die Juso-Hochschulgruppen unterstützt werden. Hierzu wurde im Oktober die Aktion Patenschaften gestartet, bei der jeder SPD-Bezirk die Verantwortung für die Gründung einer Studierendengruppe übernimmt. Die Ausweitung der Angebote für Hochschulangehörige verschiedener Statusgruppen wird durch eine Regionalisierung der Wissenschaftsforen und der Kulturforen der Sozialdemokratie betrieben.
Neue Organisationsformen wie sozialdemokratische Hochschulforen und offene Diskussionsclubs sollen die bestehenden Strukturen ergänzen. Die lokalen Hochschulforen fungieren als Schnittstelle zwischen Hochschule und örtlicher Partei und sollen neben wissenschaftlichen Fragestellungen auch kommunale Themen aufgreifen. Flankiert wird dieser Strukturaufbau durch regionale Hochschulkonferenzen, die Erfahrungen zusammentragen und Hilfestellung für die Hochschularbeit bieten sollen.
Als neue Form der Kontaktaufnahme mit Studierenden wird zur Zeit in Berlin ein Politikscheck getestet. Dieser Scheck ist eine Kombination von Freizeit-, Dienstleistungs- und Politikangeboten, mit dem Studierende angesprochen und für entsprechende Netzwerke gewonnen werden sollen. Als weiteres attraktives Angebot für Studierende wird im August 2001 eine Sommeruniversität stattfinden, wo die Möglichkeit zur Diskussion mit hochrangigen Wissenschaftlern und SPD-Spitzenpolitikern gegeben sein wird.
Um den Dialog mit den Hochschulangehörigen zu verstärken, sollen die Hochschulen künftig wieder stärker als Veranstaltungsort genutzt werden. Einen Auftakt stellen die zwölf Veranstaltungen dar, die im nächsten Jahr im Rahmen der Programmdebatte mit SPD-Spitzenpolitikern durchgeführt werden. Themen werden unter anderem Innovation, soziale Gerechtigkeit und die Bildungsoffensive sein. Hierbei wird das Ziel verfolgt, wissenschaftlichen Sachverstand für die eigene Arbeit einzuholen, Anschluss an Debatten über gesellschaftlichen und technischen Fortschritt zu halten, aber auch Themen und Botschaften zu vermitteln. Um Studierenden und jungen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, ihre Vorstellungen einzubringen, ist geplant, den dieses Jahr von Jusos und Hochschulgruppen durchgeführten Wissenschaftspreis ZukunftsEntwürfe im nächsten Jahr in Zusammenarbeit mit der Partei auszurichten.
Die im Rahmen der Hochschulinitiative geplanten Maßnahmen versuchen, wichtige strukturelle Defizite der sozialdemokratischen Hochschularbeit zu beheben. Sie sind jedoch nur als erste Schritte zu verstehen, denn für eine Etablierung an den Hochschulen sind neue Anspracheformen, Kontinuität in der Arbeit und ständige Evaluation der Aktivitäten die Voraussetzung.
Ungeklärt scheint bisher noch der Ausbau der Qualifizierungsangebote und der politischen Beteiligungsmöglichkeiten. Um die Attraktivität für Studierende und Wissenschaftler zu erhöhen, müssen diese stärker an der Meinungsbildung partizipieren und sich damit in der Politik der Partei wiederfinden können. Hier muss die Partei Antworten entwickeln, wie sie die Impulse von Vorfeldstrukturen oder "von außen" in ihre Entscheidungsprozesse zu integrieren gedenkt. Mit der heutigen Struktur wird dies nur schwer möglich sein.