Betrifft: Zwangsarbeit
Aus dem Schreiben eines regionalen Industrieverbandes an einen nachfragenden Bundestagsabgeordneten
Sehr geehrter Herr N.,
Ihr Büro hat mit mir Kontakt aufgenommen. Zum Thema Zwangsarbeit überreiche ich unsere 3 Presseinformationen.
Ergänzend weise ich auf folgendes hin:
1. Notwendige Differenzierung zwischen unterschiedlichen Formen von "Fremdarbeit"
In der öffentlichen Diskussion wird nicht hinreichend differenziert zwischen der Arbeit von Kriegsgefangenen, KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern. Eine derartige Differenzierung ist sowohl rechtlich wie moralisch notwendig.
Die Arbeit von Kriegsgefangenen in deutschen Unternehmen kann regelmäßig weder Entschädigungsansprüche auslösen, noch gibt es insoweit eine moralische Verantwortung zur Entschädigung. Dementsprechend sieht auch die Stiftungsinitiative für Kriegsgefangene ausdrücklich keine Entschädigung vor. Ganz anders sieht dies mit der Arbeit von KZ-Häftlingen in deutschen Unternehmen aus. KZ-Häftlinge haben Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz vom Staat erhalten, jedoch nicht für die Zwangsarbeit. Vielmehr knüpft das Bundesentschädigungsgesetz die Entschädigung an einzelne Verfolgungstatbestände vor allem eine politische, rassische oder religiöse Verfolgung. KZ-Häftlinge waren im Verbandsgebiet nicht eingesetzt. Es gab im Verbandsgebiet auch kein KZ.
Zwangsarbeiter wurden insbesondere in den letzten Kriegsjahren überwiegend aus Osteuropa in das Deutsche Reich verschleppt und mussten in deutschen Unternehmen arbeiten. Sie erhielten keine Entschädigung durch den Staat, insbesondere auch nicht nach dem Bundesentschädigungsgesetz.
2. Verfügbarkeit von Unterlagen
Die regionalen Arbeitsämter haben keinerlei Unterlagen mehr aus der Zeit vor 1945. Gleiches gilt für die Finanzämter. Wenig aufschlussreich scheint auch die Datenlage im nordrhein-westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf zu sein. Es gibt zwar eine sehr allgemein gefasste Liste von Unternehmen, jedoch ohne weiterführende Hinweise. Herr Dr. F. vom Hauptstaatsarchiv (Tel.: ...) weist jedoch darauf hin, dass - möglicherweise - die Unternehmen nachfragen können, ob weiterführende Hinweise in den sog. Entnazifizierungsakten von Einzelpersonen enthalten sind.
Für die Stadt J. finden sich Hinweise über Zwangsarbeiter in der alten Meldedatei (Ansprechpartner: Herr D., Tel.: ...). Die Stadt D. hat keine Unterlagen. Das Kreisarchiv E. hat keine Unterlagen. Die AOK hat für den Kreis D. keine Unterlagen. Für J. gibt es jedoch teilweise noch Hebelisten, aus denen entnommen werden kann, welcher Zwangsarbeiter bei welcher Firma beschäftigt war. Bei der AOK E. gibt es noch bruchstückhafte Unterlagen. Eine Zuordnung nach Firmen ist bei der AOK nicht zugängig. Ohne konkrete Namensnennung möglicherweise betroffener Personen ist die Recherche nicht möglich.
Abschließend erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung:
Sie haben eine Reihe von unseren Mitgliedsfirmen angeschrieben und um Auskunft gebeten, ob sie Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Die Sinnhaftigkeit eines derartigen Auskunftsersuchens durch Sie ist mit nicht ganz klar. Wollen Sie damit öffentlichen Druck auf die Unternehmen ausüben? Haben Sie eine eigene Auffassung zu dieser Thematik? Wollen Sie sich zum selbsternannten Sachwalter der Zwangsarbeiter machen?
Ich persönlich glaube, dass es weder dem Geist des Gesetzentwurfes eines Stiftungsgesetztes noch dem Verständnis des American Jewish Committee oder dem Interesse der Zwangsarbeiter selbst dienlich ist, wenn auch nur der Eindruck erweckt würde, dass Unternehmen unmoralisch handeln, die sich nicht an die Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft beteiligen. Umgekehrt wäre es sicher auch kontraproduktiv, wenn auch nur der Anschein eines Eindrucks erweckt würde, dass deutsche Unternehmen - ich spreche jetzt einmal gar nicht von der Region - , die sich an dem Stiftungsfonds beteiligt haben, damit für begangenes Unrecht sühnen.
Im übrigen kann ich mir den Hinweis nicht verkneifen, wie es mit der sogenannten Gesamtverantwortung aller gesellschaftlichen Gruppen steht. Bekanntlich war zum Beispiel auch die Rolle der Kirchen im Dritten Reich nicht über jeden Zweifel erhaben.
Im übrigen sollte gelten: Unabhängig davon, ob sich deutsche Unternehmen zu einer Beteiligung an der Stiftungsinitiative verstehen oder aber nicht, niemand sollte wegen einer solchen individuellen Entscheidung beschimpft oder auch nur kritisiert werden.
Ich gehe davon aus, dass Ihnen selbst an der Aufklärung und persönlicher Meinungsbildung gelegen ist, nicht jedoch daran, auf Unternehmen in irgendeiner Weise öffentlichen Druck auszuüben. In diesem Sinne bin ich sehr gerne bereit, Sie auch zukünftig mit weiteren Informationen zu versehen.
Gemeinschaftsausschuss ruft die deutsche Wirtschaft auf, sich an der Stiftungsinitiative zu beteiligen
Pressemitteilung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie vom 11. Januar 2000
Alle deutschen Unternehmen sollen sich an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beteiligen, die der Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter dienen soll. Dazu rief die Mitgliederversammlung des Gemeinschaftsausschusses der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft am Dienstag in Berlin auf. Der Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft ist ein Zusammenschluss von 15 Wirtschaftsverbänden; derzeitiger Vorsitzender ist für eine zweijährige Amtsperiode der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel.
Der Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen Wirtschaft bekannte sich nachdrücklich zu den Zielen der Stiftungsinitiative, zusätzlich zur humanitären Hilfe an noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter einen Zukunftsfonds einzurichten, der Projekte der Völkerverständigung und des Jugendaustausches zwischen verschiedenen Ländern fördern soll. Es gehe bei der Stiftungsinitiative nicht um persönliche oder juristische Schuld, sondern um die Anerkennung einer moralischen Verantwortung, die die deutsche Wirtschaft als ganzes und das deutsche Volk betrifft, betonte der Gemeinschaftsausschuss. Deshalb komme es nicht darauf an, ob ein Unternehmen bereits während der Nazizeit existierte oder erst nach dem 2. Weltkrieg gegründet wurde.
In dem Solidaritätsaufruf an die deutsche Wirtschaft wies der Gemeinschaftsausschuss darauf hin, dass bei einer Beteiligung an der Stiftungsinitiative für alle Unternehmen die Prinzipien der Freiwilligkeit und der finanziellen Selbsteinschätzung gelten. Jedoch verböten sich rein symbolische Beiträge von selbst.