Das Ende eines Old-Boys-Networks

Lobbying und Public Affairs in Berlin

Das Ende der Bonner Republik

Nur wenige Wochen nach dem Umzug von Regierung und Parlament nach Berlin ist die CDU in die tiefste Krise ihrer Geschichte geraten. Aber nicht nur die größte Oppositionspartei gerät immer tiefer ins Zwielicht, auch ein System von Beziehungsgeflechten wird erkennbar, das Bürger und Experten so nicht für möglich hielten. Prompt steht die Bonner Republik kurz nach ihrem Ableben im Verdacht, bestechlich gewesen zu sein. Dabei spielen selbst ernannte Lobbyisten eine wichtige Rolle.

Doch was ist Lobbying eigentlich? In Bonn war das immer reine Beziehungspflege. Die Akteure waren auf der einen Seite Repräsentanten großer deutscher Unternehmen und Verbände. Auf der anderen Seite standen die politischen Entscheidungsträger und das Führungspersonal in der Administration. Dieses sogenannte Old-Boys-Network diskutierte die wichtigsten politischen Fragen miteinander und bereitete Entscheidungen vor.

Der internationale Vergleich

Wer dagegen einen Blick über den deutschen Tellerrand hinaus wagt, wird schon in Brüssel ein ganz anderes Verständnis von Lobbyismus erleben. Noch krasser der Unterschied in London und Washington.


Verbände und Verbandsfunktionäre spielen eine weit geringere Rolle als in Deutschland. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Interessenverbände entweder nur den kleinsten gemeinsamen Nenner widerspiegeln oder aber den Vorgaben einiger weniger sehr großer Mitglieder folgen müssen. Daher bevorzugen Unternehmen zunehmend, ihre Interessen selbst zu vertreten. Auf der anderen Seite spielen auch nicht nur Ex-Politiker eine Rolle. Das Bild wird von vielen jungen Lobbyisten geprägt, darunter auffallend viele Frauen. Kommunikationsexperten, Anwälte oder Fachleute begleiten die Arbeit der Unternehmen aktiv und stellen die erforderlichen Kontakte her.

Dabei wird in erster Linie auf Professionalität und Know-how geachtet. Da wundert es dann auch nicht, dass Lobbyisten und Public Affairs-Agenturen sich einem strengen Zulassungsverfahren unterziehen müssen. Ihre Arbeit wird durch ein strenges Standesrecht geregelt, vergleichbar mit der Situation deutscher Rechtsanwälte.

Der Zeitenwechsel

Zu Bonner Zeiten waren alle Beteiligten davon überzeugt, dass das bestehende Beziehungsgeflecht die beste Form der Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft darstellt. Aber nur wenige Wochen nach dem Umzug von Regierung und Parlament sprachen Insider offen von dem bevorstehenden Wandel für die Arbeit in Berlin. Es bestehe die Chance, dass sich in Berlin ein professionelles Verständnis von Lobbying und Public Affairs (PA) herausbildet.

Immer mehr Unternehmen signalisieren, dass sie über eine eigenständige Lobby-Arbeit nachdenken. Drei Faktoren geben hierbei den Ausschlag:

- Vermehrt treten auch internationale Unternehmen auf der politischen Bühne auf. Sie kennen professionelle PA-Arbeit und bedienen sich derer auch an anderen Standorten, zum Beispiel in Deutschland.

- Mit dem Regierungswechsel ist auch eine andere Generation in die politische Verantwortung getreten. Die 68er sind von einem weit größeren Pragmatismus geprägt und verstehen auch die politische Arbeit eher als eine Profession, denn als Dienst am Staat.

- Die Metropole Berlin verändert die politische Kultur. Man läuft sich eben nicht mehr ständig über den Weg, sondern steht mitten im Leben. Darüber hinaus beschleunigt die Aufteilung der Ministerien zwischen Bonn und Berlin die Veränderung politischer Entscheidungsabläufe.

Public Affairs in einem demokratischen Gemeinwesen

Wohin wird sich Lobby- und PA-Arbeit in Berlin entwickeln? Im Angesicht der Skandale der letzten Jahre werden die Rufe nach einer Politik ohne Lobbyismus lauter. Dabei werden eine Reihe wichtiger Faktoren übersehen. PA-Arbeit gibt sowohl Politik als auch Wirtschaft die Chance zur gezielten Kommunikation miteinander, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit.

In der Politik gilt gleichermaßen wie in der Wirtschaft: Fehlende oder auch fehlgeleitete Kommunikation ist einer der wichtigsten Gründe für falsche Entscheidungen.

Das gilt sowohl, wenn die getroffene Entscheidung einer objektiven Prüfung des Sachstandes nicht standhält, als auch wenn dieser Entscheidung die erforderliche Akzeptanz in der Öffentlichkeit fehlt. Besonders deutlich wurde dies in der Diskussion um das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit. Am Ende der öffentlichen Diskussion konnte fast niemand mehr unterscheiden, welche Regelungen im Detail nun falsch waren und welche nicht auf die notwendige Zustimmung in der Öffentlichkeit trafen. Der Regierung blieb nichts anderes übrig, als das eigene Gesetz in kürzester Zeit vollständig zu überarbeiten.

Public-Affairs-Arbeit hat daher als erste und wichtigste Aufgabe die Vermittlung von Informationen und Kommunikation. Grundlage bildet dabei immer ein ausführliches Monitoring der politischen Diskussionen, der Gesetzgebungsverfahren und publizistischen Veröffentlichungen. Darauf aufbauend werden Einschätzungen getroffen, ob wirtschaftliche oder gesellschaftliche Faktoren eines Unternehmens oder einer Berufsgruppe von diesen Diskussionen und Entscheidungsprozessen betroffen sind. Ist dies der Fall, so wird ein Informations- und Meinungsaustausch mit Interessenvertretern und involvierten Politikern und Entscheidern hergestellt. So kann eine öffentliche Debatte auf Grundlage konkreter Kritikpunkte und mit sachlichen Argumenten stattfinden.

Längst bedient sich auch die Politik gezielt dieses Know-hows. Ein Beispiel: Zwar konnte das Finanzministerium die Folgen der Steuerreform für den Bundeshaushalt durchrechnen, aber die betriebswirtschaftlichen Folgen konnten aus eigener Kraft nicht ermittelt werden. Hier bediente sich das Ministerium einiger Unternehmen, die verschiedene Varianten durchspielten. Unter ähnlicher Voraussetzung steht der Workshop, den ein Landesjustizminister mit allen Betroffenen aktuell durchführt, um die Folgen der geplanten Justizreform zu ermitteln.

Dies zeigt, wie wichtig die Kooperation in solchen Belangen sein kann, solange ein Fakt allen klar ist: Am Ende gilt immer das Primat der Politik.

Aber auch umgekehrt gilt: Politik muss kampagnenfähiger werden. Die Zeiten der reinen Informationsarbeit mittels Broschüren des Bundespresseamtes sind vorbei. Menschen von politischen Entscheidungen zu überzeugen, sie für die Unterstützung einer konkreten Politik zu gewinnen (z.B. die Beteiligung an einem 100.000-Dächer-Programm), bedarf einer pro-aktiven Kommunikation. Angesichts der geschwundenen Autorität der Politik und immer komplexerer Kommunikationsabläufe können solche Kampagnen aber nur dann erfolgreich verlaufen, wenn andere gesellschaftliche Akteure darin eingebunden werden. PA-Arbeit kann also keineswegs eine Einbahnstraße sein, sondern muss als wechselseitiger Kommunikationsprozess gesehen werden, von dem beide Seiten guthaben.

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