Das Stadtwerk der Zukunft
Die knapp tausend Stadtwerke in Deutschland stehen aufgrund von Energiewende und Digitalisierung, wie alle etablierten Akteure im Energiemarkt, unter erheblichem Veränderungsdruck. Sie befinden sich zudem im Spannungsfeld zwischen Gewinn- und Gemeinwohlorientierung. Stadtwerke müssen wirtschaftlich effizient sein, als kommunale Unternehmen aber auch – und das unterscheidet sie von anderen Akteuren im Markt – ihrem öffentlichen Auftrag nachkommen. Sie übernehmen vielerorts zusätzliche Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge, die weniger lukrativ sind, etwa den öffentlichen Personennahverkehr oder den Bäderbetrieb. Diese Aufgaben charakterisieren das für Deutschland typische Modell der Kommunalwirtschaft.
Ohne die lokale Ebene gibt es keine Energiewende
Mit der kommunalen Verantwortung gehen aber auch einzigartige Stärken einher. Der öffentliche Auftrag gibt Stadtwerken einen Vertrauensvorsprung. Das breite Aufgabenportfolio ermöglicht es, Synergien zu nutzen. Die Dezentralität erhöht die Erreichbarkeit und lokale Bekanntheit. Und mit den Kommunen haben sie auch politisch starke Partner. Stadtwerke können auf diesen Stärken aufbauen und ihre Rolle in Gesellschaft und Wirtschaft modernisieren. Im Rahmen des Projekts „Das Stadtwerk der Zukunft“ des Verbands kommunaler Unternehmen und des Progressiven Zentrums haben wir sechs mögliche Rollen für die Zukunft herausgearbeitet.
Erstens: Der Umsetzer der Energiewende vor Ort. Stadtwerke treiben die Energiewende in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr voran. Sie errichten Wind- und Solaranlagen, modernisieren Verteilnetze, betreiben KWK-Kraftwerke und Wärmenetze, bauen Ladesäulen aus, bieten Effizienzdienstleistungen an und erproben Flexibilitätsoptionen. Sie können mit dieser Rolle noch viel offensiver umgehen und werben, denn ohne die Verwirklichung auf lokaler Ebene gibt es keine Energiewende.
Zweitens: Der Koordinator regionaler Projekte. Stadtwerke können prüfen, ob weitere Bereiche zu ihrem bisherigen Portfolio passen. So können sie die Kommunen auf ihrem Weg zur sozialen, digitalen und nachhaltigen Stadt unterstützen. Stadtwerke könnten etwa in den Ausbau der Infrastruktur für Elektromobilität und neue Mobilitätsdienstleistungen (Car-, Roller- und Bike-Sharing) einsteigen. Als Koordinator für die „Soziale Stadt“ könnten sie den sozialen Wohnungsbau und generationengerechte Quartiere mitgestalten und aufeinander abstimmen. Stadtwerke könnten die Bürgerbeteiligung und Bauplanung im Namen der Kommune koordinieren.
Die ganze Breite moderner Daseinsvorsorge
Drittens: Der Rundum-sorglos Anbieter. Stadtwerke nutzen ihren Blick fürs Ganze und ihr breites Aufgabenportfolio, um auf das Bedürfnis vieler Menschen nach unkomplizierten Lösungen einzugehen. Sie können mit Rundum-sorglos Paketen besonders den Bürgerinnen und Bürgern ein Angebot machen, die „mit der Zeit“ gehen wollen, sich aber nicht um jedes Detail kümmern möchten. Beispielsweise interessieren sich vielleicht Häuslebauer, die an der Energiewende teilhaben, sich aber nicht mit jeder Förderrichtlinie und Vergütungsabrechnung auseinandersetzen wollen, für die Kombination einer Solaranlage auf dem Dach mit einem Stromspeicher im Keller und einem Ladeanschluss in der Garage. Hier sind die Stadtwerke als lokale Akteure besonders nah am Kunden.
Viertens: Das Energiedienstleistungsunternehmen. Stadtwerke verkaufen als Energiedienstleister nicht mehr die Kilowattstunde Strom und Wärme, sondern Licht und eine warme Wohnung. Sie bieten ihren Kunden Lösungen, wie diese ihren Energieverbrauch senken und digital managen können. Stadtwerke setzen damit weniger auf Assets als große Kraftwerke, sondern mehr auf Produkte wie Verbrauchsberatung, Effizienzmaßnahmen, Mieterstrom, Ökostrom, intelligente Energiesysteme und Aggregation von flexiblen Lasten. Energie wird vom Produkt zum Mittel zum Zweck.
Fünftens: Der zentrale Infrastrukturanbieter. Mit Verteil-, Wärme- und Gasnetzen betreiben Stadtwerke die zentrale Infrastruktur für das Gelingen der Energiewende. Vielerorts kommt die Ladeinfrastruktur für Elektromobilität hinzu. Neben den klassischen analogen können Stadtwerke auch digitale Infrastrukturen wie den Breitband-Ausbau und den Roll-out von Smart Metern voranbringen und damit schrittweise die ganze Breite einer modernen Daseinsvorsorge anbieten.
Sechstens: Die regionale Plattform. Stadtwerke können als regionale Plattform die unterschiedlichen Akteure einer Kommune zusammenbringen. Sowohl etablierte und neue Unternehmen vor Ort als auch Genossenschaften und Vereine nutzen die Plattform als Infrastruktur, um Geschäfte zu machen und gemeinsam neue Ideen für das Leben in der Gemeinde zu entwickeln. Die regionale Plattform kann neue Kooperationen und Produkte speziell im Bereich der Digitalisierung ermöglichen. Eine Cloud für die lokalen Handwerker könnte die Zusammenarbeit der Mittelständler bei gemeinsamen Bau- oder Renovierungsprojekten effizienter machen. Bereits heute sind Stadtwerke vereinzelt an Inkubatoren und Acceleratoren beteiligt, um Innovationen und neue Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen.
Was die Privatwirtschaft nicht übernehmen würde
Stadtwerke leisten als kommunalwirtschaftliche Unternehmen einen wertvollen Beitrag zur Daseinsvorsorge und zum Gemeinwohl. Dabei übernehmen sie auch Versorgungsleistungen, die rein privatwirtschaftliche Unternehmen nicht übernehmen würden. Gleichzeitig stehen in all ihren Bereichen, von Energie über Verkehr bis zur Digitalisierung, große Umbrüche bevor oder sind bereits in vollem Gange. Stadtwerke können diesen tiefgreifenden Wandel mitgestalten und vorantreiben. Davon profitieren die Städte, Gemeinden und Bürger – kurzum: die Lebensqualität vor Ort.
Vieles können die Stadtwerke alleine bewerkstelligen. Und viele von ihnen sind bereits weit vorangeschritten auf dem Weg zu einem echten Stadtwerk der Zukunft. Gleichwohl kann die Politik auf vielen Ebenen Hürden abbauen, so dass Stadtwerke ihren wertvollen Beitrag auch zukünftig leisten können. Die Politik kann Möglichkeiten eröffnen, wie Stadtwerke die Energiewende, Digitalisierung und andere Trends im Interesse des Gemeinwohls vorantreiben können. Folgende Politikempfehlungen halten wir für sinnvoll:
Stadtwerke brauchen mehr Spielräume für Innovation. In der Phase des Umbruchs müssen Unternehmen Risiken eingehen, um neue Geschäftsideen auszuprobieren. Stadtwerke sollten in den Gemeindeordnungen der Länder über dieselben Handlungsspielräume verfügen wie die privaten Wettbewerber im Energiemarkt, um sich etwa an neuen Unternehmen zu beteiligen. Bedingung muss sein, dass eine Beteiligung zur Nachhaltigkeit und Effizienz des lokalen Energie- oder Verkehrssystems und somit zum Gemeinwohl beiträgt.
Das Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie“ (SINTEG) des Bundes bietet finanzielle und regulatorische Anreize, digitale Technologien zur Vernetzung des Energiesystems zu erproben. Das Programm ist gefragt und gilt bereits heute als Erfolg, um innovative Systemlösungen im Kleinen zu testen und dann für die Breite zu skalieren. Bei der Vergabe der SINTEG-Förderung durch die Bundesregierung sollte darauf geachtet werden, dass kleine und dezentrale Akteure eine gleichberechtigte Chance haben, ihre Projektideen einzubringen.
Schließlich sind die Kommunen selbst gefragt: Bisher schütten die meisten Stadtwerke ihre Gewinne überwiegend an den kommunalen Haushalt aus, um dort Lücken zu schließen. Das ist sinnvoll und wichtig, schränkt gleichzeitig aber den Investitionsspielraum der Stadtwerke ein. Es braucht daher das Verständnis der kommunalen Anteilseigner, dass heutige Investitionen in die Stadtwerke wichtig sind und sich auf zukünftige Gewinnerwartungen für den kommunalen Eigentümer auswirken. Gleichzeitig muss die Kommunalfinanzierung von den Erlösen der Stadtwerke unabhängiger werden.
An der Energiewende sollten alle teilhaben können. Schon heute existieren vielfältige Möglichkeiten, Bürger zusammenzubringen, um gemeinsam erneuerbare Energien oder Speicherprojekte zu betreiben. Weil Bürgerbeteiligungsmodelle – häufig in Zusammenarbeit mit Stadtwerken – breite Teilhabe und damit Akzeptanz vor Ort stärken, sollten sie bei den Ausschreibungen der erneuerbaren Energien und bei der Vergabe von landeseigenen Flächen berücksichtigt werden. Die öffentliche Hand kann mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur zudem die Teilhabe an der Elektromobilität verbessern. Stadtwerke können als zentrale Infrastrukturanbieter den Ausbau öffentlicher Ladenetze als Teil einer modernen Daseinsvorsorge vorantreiben. Sie würden damit nicht zuletzt auch einen wichtigen Beitrag zur Luftqualität in den Städten leisten.
Ganzheitliche Lösungen für ganze Quartiere
Die Energiewende braucht auch die dezentralen Potenziale. Stadtwerke und Kommunen arbeiten vielerorts zusammen, um ganze Quartiere nachhaltiger und moderner zu machen. Diese Quartiersbetrachtung konzentriert sich nicht nur auf die Stromversorgung, sondern denkt Wärme, Verkehr, Wasser, Breitband und andere Versorgungssysteme gleich mit. Durch solch ganzheitliche Lösungen können zusätzliche Synergien erzielt, kosteneffiziente Versorgungslösungen gefunden und mehr Energie eingespart werden. Bestehende Programme zur Förderung von Quartierlösungen, wie die der KfW, sollten daher ausgebaut werden und die gesetzlichen Regelungen zur Gebäudeeffizienz sollten die Quartiersbetrachtung einbeziehen.
Lokale KWK-Anlagen stellen die effizienteste Form der Strom- und Wärmegewinnung aus konventionellen Energieträgern dar. Und auch in einem Energiesystem mit fast ausschließlich erneuerbaren Energien können Strom-Wärme-Systeme erneuerbaren Strom in Wärme umwandeln. Der KWK sollte daher eine klare Perspektive gegeben werden. Kommunale Wärmenetze sind ein zentraler Schlüssel, um die Wärmeversorgung in den Ballungszentren zu dekarbonisieren. Sie sollten daher ebenfalls auch weiterhin angemessen ausgebaut und gefördert werden.
Die Energiewende von den Stadtwerken her denken
Schließlich sind kommunale Versorgungsinfrastrukturen für Strom, Gas und Wärme entscheidend, um die Verknüpfung der Energiesektoren Strom, Wärme und Verkehr zu ermöglichen. Diese Sektorenkopplung wird eine der zentralen Herausforderung der Energiewende in den kommenden Jahren darstellen. Neben einer Reform der Entgelte und Umlagen sind funktionstüchtige Infrastrukturen notwendig. Gleichzeitig sollten die Technologien, die Sektorkopplung ermöglichen, auf ihrem Weg zur Marktreife weiter unterstützt werden. Gerade in den Kommunen sind die Potenziale für solche Technologien gegeben und werden schon heute von Stadtwerken genutzt.
Letztlich ist keine andere Akteursgruppe so weitreichend und tiefgreifend in den Umbau unserer Energieversorgung involviert wie die Stadtwerke. Und kaum einer anderen Instanz wird dabei so viel abverlangt. Gleichwohl bieten die Energiewende, die Digitalisierung und neue Mobilitätskonzepte große Chancen für die Stadtwerke, moderne Rollen einzunehmen und die Trends unserer Zeit mitzugestalten. Stadtwerke können zeigen, dass diese großen Aufgaben lösbar sind. Denn letzten Endes kommen die noch so globalen Transformationen konkret und lokal in den Städten und Gemeinden an. Stadtwerke können Teilhabe an diesen Trends ermöglichen und Akzeptanz für notwendige Veränderungen schaffen. „Die Energiewende von den Stadtwerken her denken“ – unter Berücksichtigung aller Bereiche und Infrastrukturen als ein System – könnte somit zu einer Antwort auf die Frage werden, die andere Staaten an Deutschland stellen: Wie kann die Energiewende gelingen?
Der ausführliche Abschlussbericht des Projekts „Das Stadtwerk der Zukunft“ (inklusive weiterer Politikempfehlungen) ist nachzulesen unter www.progressives-zentrum.org