Der bittere Geschmack frischer Früchte
Tropische Früchte liegen im Trend. Neben der beliebten Banane, die bei den Deutschen Platz zwei auf der Rangliste der meistgekauften Obstarten einnimmt, finden sich auch Ananas, Mangos, Honigmelonen und andere Südfrüchte in den Regalen der führenden Supermarktketten. Die Verbraucher freuen sich über den süßen Geschmack und die niedrigen Preise der Früchte, doch auf den ausländischen Obstplantagen schuften Arbeitnehmer für Hungerlöhne und unter ausbeuterischen Bedingungen. „Das Geld, das ich auf den Plantagen verdiene, liegt unter dem staatlich anerkannten Existenzminimum“, sagt ein Landarbeiter, der auf den Bananenplantagen in Ecuador arbeitet. Weder könne er die Bedürfnisse seiner Familie nach Bildung und Gesundheit befriedigen noch Wasser und Strom bezahlen. Jede dritte Banane im deutschen Einzelhandel stammt aus Ecuador.
In Costa Rica, Hauptlieferant von Ananas, ist die Lage nicht anders: „Bei Arbeitstagen von bis zu zwölf Stunden erhalten die wenigsten Arbeiter auf den Ananasplantagen den gesetzlichen Mindestlohn. Sie werden unter Druck gesetzt, sich nicht gewerkschaftlich zu organisieren“, so ein Gewerkschaftsvertreter aus Costa Rica. In beiden Ländern verhindern Plantagenbesitzer systematisch die Gründung von Gewerkschaften, drohen mit Entlassung, Gehaltskürzung und „schwarzen Listen“, die an andere Unternehmen weitergegeben werden, um die Wiedereinstellung zu verhindern. Mit Erfolg: In Ecuador gibt es nach den Massenentlassungen und Einschüchterungen der vergangenen Jahre nur noch wenige Gewerkschaften. Es herrscht ein Klima von Angst und Gewalt.
Zusätzlich gefährden die Arbeitskräfte ihre Gesundheit. Auf den Plantagen in Ecuador sind sie ständig Pestiziden ausgesetzt. Eine Befragung ergab, dass jene Arbeiter, die die Chemikalien mischen und die Flugzeuge betanken, im Extremfall bis zu 65 Stunden pro Woche tätig sind. Und das ohne ausreichende Schutzkleidung; nicht selten arbeiten sie in Straßenkleidung und waschen diese mit der Hand aus. Die Folge: Viele Tankwarte und Prüfer weisen Vergiftungserscheinungen auf. Die katastrophalen Nebenwirkungen der Pestizide treffen auch die Anwohner. Eine Untersuchung in einer Bananenanbauregion aus dem Jahr 2007 ergab eine hohe Rate an Fehlgeburten, verstärktes Auftreten von Asthma, Lebererkrankungen, Krebs und Niereninsuffizienz sowie Erkrankungen von Tieren und Pflanzen. Im selben Jahr wurden in Costa Rica teilweise immer noch giftige Pestizide wie Bromacil verwendet, die in Europa verboten sind. Der multinationale Bananenexporteur Dole setzte bis 2008 sogar das Herbizid Paraquat ein, dessen Anwendung ohne Schutzkleidung tödlich sein kann. Auch die Umwelt leidet unter der rasanten Ausbreitung von Ananasplantagen als Monokultur. Die illegale Abholzung von Primärwäldern, Bodenerosion und mit Chemikalien vergiftete Flussläufe und Brunnen gehören zu den Schattenseiten des Ananasbooms.
Wer ist schuld an diesen fatalen Zuständen? Neben den Unternehmen vor Ort tragen auch deutsche Supermarktketten Verantwortung. Damit sie in dem „mörderischen Wettbewerb“ (Metro-Chef Eckhard Cordes) um Marktanteile bestehen können, drücken die führenden Supermarktketten ihre Lieferanten im Preis und diktieren ihnen unfaire Konditionen in die Verträge. Heraus kommen miserable Arbeitsbedingungen in Zulieferbetrieben und massive Umweltbelastungen.
An den Türstehern kommt niemand vorbei
In Deutschland hat die Marktmacht der Supermarktketten rapide zugenommen. Nach Angaben des Bundeskartellamts gibt es im Lebensmittel-Einzelhandel eine „fortschreitende Konzentration“. Im Jahr 1999 erzielten die acht großen Handelsunternehmen in Deutschland zusammen einen Marktanteil von 70 Prozent. Nur rund zehn Jahre später kommen die vier größten – Aldi, Schwarzgruppe (Kaufland, Lidl), Edeka und Rewe – auf einen Anteil von rund 85 Prozent. Diese Marktmacht bringt die Supermarktketten in die Position eines „Türstehers“: An ihnen kommt niemand mehr vorbei. Die Lieferanten, die auf die Regalplätze für ihre Produkte angewiesen sind, müssen sich dem Preis- und Kostendruck beugen. Sie erfüllen, was von ihnen gefordert wird. Die Liste unfairer Bedingungen, die ihnen Supermarktketten auferlegen, reicht von Regalmieten über Werbekostenzuschüsse bis zu rückwirkend geltenden Vertragsänderungen. Die Lieferanten geben den Preis- und Kostendruck bis an das Ende der Lieferkette weiter.
Das Problem des Missbrauchs der Nachfragemacht mit seinen negativen Auswirkungen auf Arbeitnehmer und Umwelt ist nicht unlösbar. Beispielsweise fordern die in der „Supermarktinitiative“ zusammengeschlossenen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften bereits seit Längerem, dass das Bundeskartellamt eine Untersuchung des Lebensmittel-Einzelhandels durchführt und die Bundesregierung auf dieser Grundlage entsprechende Maßnahmen zur Eindämmung der unfairen Einkaufspraktiken der Supermarktketten ergreift. Die Vorschläge reichen von der Einrichtung einer Ombudsstelle zur Untersuchung und Ahndung der unfairen Einkaufspraktiken bis zu Änderungen des Kartellrechts. Darüber hinaus will die Supermarktinitiative verbindliche soziale und ökologische Mindeststandards für die gesamte Lieferkette der Unternehmen erreichen, da höhere Einkaufspreise gegenüber den Lieferanten allein nicht zu besseren Arbeitsbedingungen in Produktionsländern führen.
Die Bundesregierung setzt auf Freiwilligkeit
Nun scheinen die Forderungen bei Verwaltung und Politik Gehör gefunden zu haben. Im Februar kündigte das Bundeskartellamt eine Untersuchung der Wettbewerbsbedingungen auf den Beschaffungsmärkten an – sprich des Verhältnisses der Handelsunternehmen zu ihren Lieferanten. Und Anfang April befasste sich der Bundestag mit dem Antrag der SPD „Für faire Lebensmittelpreise und transparente Produktionsbedingungen – Gegen den Missbrauch von Marktmacht“. Darin fordern auch die Sozialdemokraten eine Ombudsstelle zur Eindämmung der unfairen Einkaufspraktiken sowie gesetzliche soziale und ökologische Mindeststandards in der gesamten Lieferkette.
Trotz dieser ersten Erfolge wird es jedoch noch eine Weile dauern, bis die Forderungen der Supermarktinitiative erfüllt werden. Denn der Widerstand bei Handel und bei Teilen der Politik ist groß. So lehnt der „Handelsverband Deutschland – Einzelhandel“ (HDE) die Forderungen nach einer Ombudsstelle oder Änderungen des Kartellrechts radikal ab. „Eine einseitige Marktmacht des Handels gibt es nicht“, erläutert Hauptgeschäftsführer Stefan Genth die Position des HDE. Auch bis zur Durchsetzung verbindlicher sozialer und ökologischer Mindeststandards ist es noch ein langer Weg. Denn bislang wehren sich Industrie und Handel erfolgreich gegen jede Art von gesetzlicher Regulierung im Bereich gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung: Die Strategie der Bundesregierung zur Corporate Social Responsibility setzt ausschließlich auf freiwillige Maßnahmen.
Die Verbraucher sind oft überfordert
In der Zwischenzeit sind daher die Verbraucher gefragt. Durch den Einkauf von sozial und ökologisch verantwortlich hergestellten Produkten können sie die Supermarktketten dazu bewegen, mehr Früchte beispielsweise aus dem Fairen Handel anzubieten. Dennoch wäre es falsch, die Hauptverantwortung für bessere Produktionsbedingungen den Verbrauchern aufzubürden. Denn zum einen ist den Verbrauchern gerade im Hinblick auf Sozialstandards gar nicht ersichtlich, unter welchen Bedingungen die Früchte angebaut und geerntet worden sind – abgesehen von dem geringen Anteil an Obst und Gemüse, der Siegel wie „Fair Trade“ trägt. Eine informierte Entscheidung, ein „Votum mit dem Einkaufskorb“ ist daher bei der Mehrheit der Produkte gar nicht möglich. Hier wäre wiederum zunächst einmal die Politik gefragt, Offenlegungspflichten für Unternehmen einzuführen und so für transparente Produktionsbedingungen zu sorgen. Zum anderen sollte die Durchsetzung grundlegender Menschen- und Arbeitsrechte nicht ausschließlich den Gesetzen des Marktes überlassen werden. Gegen den bitteren Geschmack menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in tropischen Früchten hilft nur ein gemeinsames Vorgehen von Politik, Wirtschaft und Verbraucher – in Deutschland wie in den Produktionsländern. «