Der Staat an deiner Seite
Mitte des 19. Jahrhunderts stieß die Alte Brücke in Frankfurt angesichts zunehmender Stein- und Bierfuhren an ihre Kapazitätsgrenzen. Da der Magistrat der Stadt jedoch keine Möglichkeit sah, eine zweite Brücke über den Main zu finanzieren, wurden die Bürger selbst aktiv. Sie gründeten eine Gesellschaft zur Erbauung einer eisernen Brücke und gaben verzinsliche Anteilsscheine aus. Von jedem Nutzer der neuen Brücke erhoben sie eine Maut in Höhe von einem Kreuzer. Der Eiserne Steg, eine der ältesten Brücken Deutschlands und von Max Beckmann mehrfach gemalt, ist bis heute nicht nur ein Wahrzeichen der Stadt Frankfurt; der „Tiger aus Stahl” symbolisiert auch die Eigeninitiative und den Fortschrittsglauben des beginnenden Industriezeitalters:
Die Bürger wollen den Staat nicht vor der Nase, sondern an ihrer Seite haben: Davon war auch Bundeskanzler Gerhard Schröder überzeugt. Seine Regierungskoalition schuf gesellschaftlich und rechtlich einen Rahmen, in dem sich öffentlich-private Partnerschaften immer dynamischer entwickeln. Das reichte von der Initiative D 21 über die Partnerschaft für Innovation oder die Lokalen Bündnisse für Familie bis zu einer wachsenden Zahl privat realisierter öffentlicher Bauten.
Die Große Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung das Ziel gesetzt, diesen Rahmen weiter zu entwickeln, um das Potenzial dieser Public Private Partnerships (PPPs) auch in Deutschland noch besser zur Entfaltung zu bringen. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück peilt sogar an, „den Anteil der PPPs an den öffentlichen Investitionen von heute vier Prozent auf das Niveau anderer Industrieländer zu bringen, das bei bis zu 15 Prozent liegt“.
Der patriarchalische „Vater Staat“ wird zum „Partner Staat“. Immer mehr Verantwortliche begreifen, dass die Aufgabe des Staates im 21. Jahrhundert nicht (mehr) vornehmlich darin bestehen kann, nahezu die gesamte Wertschöpfungskette in eigener Hand zu halten. Sie liegt vielmehr darin, möglichst optimale Leistungen für die Bürger zu erbringen.
Erschwingliche Dienstleistungen für alle
Die im vorigen Jahrhundert mitunter erbittert geführte Debatte über die Privatisierung öffentlicher Aufgaben wird mehr und mehr jenseits ideologischer Linien entlang der Frage diskutiert, auf welchem Weg bessere Dienstleistungen in effizienter Weise kunden- und bürgerorientiert angeboten werden können. Mitunter gibt es zu staatlich erbrachten Diensten keine vernünftige Alternative, in der weitaus größten Zahl der Fälle jedoch liegt die staatliche Verantwortung in der Sicherstellung zugänglicher, zuverlässiger und erschwinglicher Dienstleistungen für alle Bürger.
Bis Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts glaubten viele Menschen, dass beispielsweise die flächendeckende Versorgung mit moderner Telekommunikation nur in staatlicher Regie zu gewährleisten sei. Dem gegenüber stand die Überzeugung, dass auch in diesem Sektor der Wettbewerb der staatlichen Lenkung bei Weitem überlegen ist. Deshalb folgte auf die Privatisierung des Post- und Telekommunikationswesens im zweiten Schritt die Liberalisierung der entsprechenden Märkte. Vor dem Hintergrund der existierenden Monopole jedoch musste der Staat als Schiedsrichter in Gestalt einer Regulierungsbehörde zum einen sicherstellen, dass neue Wettbewerber den Markteintritt schaffen und zum anderen angemessene und ausreichende Dienstleistungen flächendeckend gewährleisten. Letzteres wurde eigens im Grundgesetz verankert.
Nun sieht die bundesrepublikanische Verfassung weder die flächendeckende Versorgung mit Brot noch mit Autos als staatliche Aufgabe vor. Und es darf bezweifelt werden, dass entsprechende Regelungen in der Praxis zu einer Verbesserung des Angebotes führen würden. Die öffentliche Infrastruktur jedoch – von den Straßen über das Bahnnetz bis hin zu Schulen und Krankenhäusern – würde in ausschließlich privater Verantwortung wohl kaum in einer Weise bereitgestellt, die mit den gesellschaftspolitischen Zielen gleichwertiger Lebensverhältnisse vereinbar wären. Doch auch hier gilt: Die öffentliche Hand muss sicherstellen, dass das Ergebnis stimmt, dass das Ziel erreicht wird. Die Wege zu diesem Ziel kann sie aber in viel größerem Umfang als bisher privaten Anbietern überlassen.
Die Briten haben es vorgemacht
Großbritannien hat bereits in den neunziger Jahren auf PPPs gesetzt und damit nach einer Phase der schlichten Privatisierung staatlicher Infrastruktur, die teilweise wegen mangelnder Folgeinvestitionen zu deutlichen Qualitätsverschlechterungen führte, die öffentliche Infrastruktur erneuert. Das Vereinigte Königreich tätigte dabei jährlich mehr als ein Drittel der PPP-Investitionen weltweit.
Private Unternehmen erzielen nicht generell, aber in vielen Fällen bei Planung, Finanzierung, Bau und Betrieb öffentlicher Einrichtungen bessere Ergebnisse als die öffentliche Hand allein. Die Akzeptanz der Öffentlichkeit – und damit der verantwortlichen Entscheidungsträger – setzt allerdings mehr und mehr voraus, dass die Vorteile über reine Kostenreduktion hinausreichen und sich etwa in Form von besserem Service oder höherer Qualität niederschlagen.
Seit den achtziger Jahren setzte die Stadt Houston in Texas vergeblich darauf, dass private Investoren ein großes Hotel im Stadtzentrum errichten. Erst durch eine Partnerschaft zwischen der Stadt, der Hotel-Gesellschaft und einer Investmentbank wurde aus der Vision schließlich Wirklichkeit. Heute ist das Hotel eines der größten in der Region und arbeitet profitabel.
Wenn die staatlichen Mittel für ein notwendiges Projekt fehlen, kann privates Kapital die Voraussetzung für dessen Verwirklichung sein. Soll der Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU wieder erfüllt werden, bedarf es neben der Konsolidierung des Haushalts auch positiver Impulse für die Konjunktur, um die Wachstumskräfte zu stärken und Beschäftigung in Deutschland zu fördern. Ohne eine gemeinsame Kraftanstrengung auch mithilfe privater Investoren wird Deutschland die Arbeitslosigkeit nicht in ausreichendem Maße senken können. Die Möglichkeiten dazu sind durchaus vorhanden. Es gilt, sie zu nutzen. So wie die Kunden heutzutage nicht mehr als Antragsteller viele Wochen auf einen Telefonanschluss warten müssen, um schließlich die Wahl zwischen einem grauen, einem farngrünen oder einem saharabeigen Telefonapparat zu haben, erwarten immer mehr Patienten, dass private Kliniken neben hohen medizinischen Standards einen „Hotelbetrieb“ bieten, der stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten eingeht als das früher oft der Fall war.
Privat ist nicht zwangläufig besser – aber oft
Auch in diesem Bereich gilt: Privat ist nicht zwangsläufig besser. Doch eine Bestandsaufnahme des Deutschen Instituts für Urbanistik im September 2005 belegt, dass PPP-Projekte von Bund, Ländern und Kommunen im Durchschnitt Effizienzgewinne von zehn Prozent erzielen. Erfahrungen in Großbritannien, in den Niederlanden, Spanien, Portugal und Griechenland zeigen gar, dass im Vergleich zur staatlichen Eigenregie Einsparpotenziale von bis zu 20 Prozent möglich sind.
Die Vorteile der Mobilisierung privaten Kapitals und der Realisierung von Effizienzgewinnen im Betrieb werden abgerundet durch die Chance größerer Planungssicherheit und Termintreue. Das National Audit Office des Vereinigten Königreichs kommt zu dem Ergebnis, dass Preisüberschreitungen oder Verzögerungen der Fertigstellung bei PPP-Projekten um über die Hälfte seltener waren als bei vergleichbaren, auf herkömmliche Weise durchgeführten Investitionen der öffentlichen Hand. Diese Kostenersparnisse können zur Haushaltskonsolidierung beitragen oder gezielt in Leistung und Service investiert werden. Oder Krankenhausträger wie die Region Lazio in Italien entscheiden sich unter dem allgemeinen Druck zur Kostensenkung im Gesundheitswesen dafür, Krankenhäuser nicht zu schließen, sondern zu bündeln, sie dann an eine eigene Gesellschaft (SAN.IM) zu verkaufen und zurück zu leasen. Der Kaufpreis der Häuser wurde von SAN.IM über die Verbriefung der Leasingforderungen gegenüber der Region am Kapitalmarkt refinanziert. So konnten sonst schwer verkäufliche Assets zur Finanzierung der Krankenhäuser herangezogen werden. Ähnliche Modelle des Sale and lease back werden zunehmend auch in Bundesländern und Kommunen eingesetzt, um Gebäude vom Polizeipräsidium bis zum Behördenzentrum für die Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Verbesserung der Dienstleistungen nutzbar zu machen.
Wo Deutschland an seine Grenzen stößt
Deutschland ist spätestens mit der Osterweiterung der EU auch geografisch wieder ins Zentrum Europas gerückt. Das bringt es mit sich, dass die Bundesrepublik als größtes Transitland an die Grenzen ihrer Transportkapazitäten stößt. Die prognostizierten Verkehrszuwächse sind selbst in den moderaten Szenarien so erheblich, dass ohne Investitionen in die Erweiterung der Verkehrsinfrastruktur und intelligente Steuerungssysteme die Verkehrsmeldungen im Radio bald auf die Durchsage von frei befahrbaren Streckenabschnitten beschränkt werden könnten. Es ist ohnehin ein Phänomen, wie stoisch eine Gesellschaft hinnimmt, dass die Staumeldung so alltäglich wurde wie die Wettervorhersage.
Ein Road Pricing System, wie es in Ansätzen mit der Einführung der LKW-Maut in Deutschland geschaffen wurde, würde den erforderlichen Straßenausbau in Grenzen halten. Denn es eröffnete die Möglichkeit, die Preise abhängig von der Nachfrage zu differenzieren. Warum soll es genau so viel kosten, in der Rushhour unterwegs zu sein wie in den früheren Morgen- oder späteren Abendstunden? Leuchtet uns nicht auch ein, dass Urlaub in der Hochsaison deutlich teurer ist als in der Nebensaison? Und das nicht, weil das Angebot in dieser Zeit besser wäre – am Mittelmeer etwa ist es im Frühsommer oder -herbst weit schöner – sondern weil die Nachfrage ferienbedingt ihren Höhepunkt hat.
Beginn einer wunderbaren Freundschaft?
Die nutzungsorientierte Abrechnung würde es erlauben, heutige Investitionen über zukünftige Einnahmen zu finanzieren. Im Gegensatz zur klassischen Finanzierung öffentlicher Infrastruktur über Schulden werden so Nutzung und Finanzierung synchronisiert. Möglich machen dies so genannte strukturierte Finanzierungen wie sie etwa in den Vereinigten Staaten, Frankreich oder Italien bereits mit großem Erfolg praktiziert werden.
Auch in diesem Fall entscheidet der Staat, in welchem Umfang er auf die Expertise, das Know-how und die Leistung privater Partner zurückgreift. Die Mobilisierung privaten Kapitals ist jedoch zunehmend die conditio sine qua non für die Realisierung von Projekten. An dieser Stelle kommen Investmentbanken ins Spiel: Sie sind die Mittler zwischen zumeist institutionellen Investoren wie Lebensversicherungen oder Pensionsfonds und dem Kapitalbedarf der öffentlichen Hand.
Wenn Deutschland die vorhandene Bereitschaft nutzt, Kapital bereitzustellen und Risiken gemeinsam zu schultern, könnten PPPs zwar nicht den „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, wohl aber eines partnerschaftlichen Staates markieren, der sich vom autoritären „starken“ Staat nicht durch Schwäche unterscheidet, sondern durch Handlungsfähigkeit. So paradox es scheinen mag: Gerade durch die Konzentration auf seine tatsächlichen Aufgaben sichert der Staat umfassendere Leistungen für die Bürger und erfährt damit mehr Akzeptanz durch die Bürger.