Der Staat: Von den Menschen für die Menschen



Bis vor kurzem war es geradezu en vogue, den Staat zu verachten. Die Angriffe kamen aus unterschiedlichen Richtungen: Für die einen war der Staat eine Krake, die sich mit ihren vielen Armen in nahezu alle Lebensbereiche dränge. Andere sahen in ihm einen Repressionsapparat, den man misstrauisch beäugen müsse. Wieder andere empfanden den Staat als schwach und unfähig. Und manche vermissten beim Staat die eigenen Ideale und Werte.

Wie auch immer diese Kritik motiviert und intendiert war – stets sah sie im Staat ein die Freiheit hemmendes, wenn nicht sogar die Freiheit zerstörendes Element.

All diese Stimmen sind inzwischen leiser geworden. Damit wächst die Chance, den positiven Grundton dessen, was den Staat ausmacht, wieder wahrzunehmen. Die beiden großen Volksparteien könnten nun in ihren Programmdebatten einen modernen Staatsbegriff definieren. Nur wenn Union und SPD sich ein jeweils eigenes Staatsverständnis erarbeiten, wird ihnen die Selbstvergewisserung auch auf anderen Themenfeldern gelingen.

Schaffen die großen Parteien das nicht, werden ihre Identitätskrisen fortdauern. Die Folge: Die Parteien würden sich nicht öffnen. Diese Öffnung ist aber unbedingt notwendig, um von der Bevölkerung wieder stärker akzeptiert zu werden. Deshalb sei daran erinnert, dass jeder Staat ein politischer Verband ist. Indem er entsteht, gelingt die Stiftung des innergesellschaftlichen Friedens. Damit steht er der Gesellschaft nicht als etwas gänzlich anderes gegenüber, sondern ist sozusagen ihr Aggregatzustand. Seine zentrale Aufgabe bleibt die Gewährleistung und Vertiefung dieses Friedens. Dazu muss der Staat ständig behutsam aber erfolgreich Macht ausüben. Dafür benötigt er auch das ihm übertragene Gewaltmonopol.

Der neuzeitliche Verfassungsstaat vollbringt diese Leistung sogar unter den Bedingungen der Freiheit. Er orientiert sich dabei an der Personalität seiner Mitglieder. Völlig gefeit gegen Pervertierung ist er damit zwar noch nicht. Doch zahlreiche Kontrollmechanismen schützen ihn heute stärker vor sich selbst, als das bei anderen politischen Verbänden der Fall ist. Wenn diese Beschreibung zutrifft, dann wohnt jedem staatlichen Handeln – das aus Politik resultiert und ohne sie keinen Augenblick auskommt – per se ein ethisches Moment inne. Das ist zwar nicht stets auf den ersten Blick erkennbar, aber es ist wichtig, sich diese Prämisse immer vor Augen zu halten.

Ebenso wichtig wie einzelne Sachentscheidungen sind die Formen und Prozesse, in denen sich Politik vollzieht sowie die Tatsache, dass Politik auf der geschilderten Basis stattfindet und dass dadurch die gesamtstaatliche Machtdisposition ständig neu integrativ gelingt. Ist eine Entscheidung nicht sachgerecht, misslingt die Integration der Gesellschaft. Ist eine Entscheidung nur sachgerecht und berücksichtigt nicht die personalen Momente, wird sie ebenfalls nicht akzeptiert. Nur die Beachtung dieses Umstandes ermöglicht die Bereitstellung der in jüngster Zeit immer häufiger und zu Recht nachgefragten öffentlichen Güter.

Manchmal lästig, aber immer nötig

Gehen aber nicht alle Beteiligten innerhalb eines Staates – und dabei wiederum vor allem jene, die mit mehr Autorität und Einfluss ausgestattet sind als andere – in diesem Sinne pfleglich mit dem Staat um, wird das Konzept des Staates auf Dauer scheitern. Der Staat mag lästig sein, aber er ist nötig. Er lebt wesentlich von Formen und – als soziales Gebilde – von Menschen. Die agieren in und mit Hilfe von Institutionen. Deshalb ist eine Renaissance des parlamentarischen Regierungssystems geboten.

Das System muss Vertrauen zurückgewinnen, indem erstens dessen Repräsentanten vertrauenswürdig agieren; indem zweitens deren Bereitschaft zunimmt, die notwendigen Entscheidungen auch gegen Widerstände zu fällen und Verantwortung dafür zu übernehmen; indem drittens zugleich das Mehrheitsprinzip als Wert anerkannt bleibt; und indem schließlich viertens Eigenverantwortung und Subsidiarität dabei nicht bedeutungslos werden.

Kommunale Bezüge werden diesen Anforderungen tendenziell eher gerecht. Denn dort wird unmittelbarer das sachlich Gebotene gegen das sozial Zumutbare abgewogen. Diese Gangart darf in einer immer mehr von Fliehkräften bedrohten Welt Vorbild sein. So kann es nämlich auch gelingen, die friedensstiftende und -erhaltende staatliche Kärrnerarbeit auf den so genannten übergeordneten Ebenen zum Erfolg zu führen. Problem- und Lösungsstrukturen in größeren politischen Verbänden als den klassisch nationalstaatlichen können so besser herausgebildet werden.

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