Die Auflösung aller Widersprüche
Unser Ziel ist ein solares Energiezeitalter“, heißt es im neuen Grundsatzprogramm der SPD. Wer möchte diesem Ziel nicht zustimmen? Schließlich wissen wir doch inzwischen, dass unsere derzeitige Energieversorgung mit absehbaren Gefahren verbunden ist. In ihrem Niveau und ihrer Struktur ist sie eben nicht nachhaltig: Wir verbrauchen zu viel Energie, und wir nutzen die falschen Energieträger. Genau deshalb ist ein „solares Energiezeitalter“ eine Vision, an deren Verwirklichung wir arbeiten sollten: Dann hätten wir das Klimaproblem weitgehend gelöst, wären nahezu unabhängig von riskanten Energieimporten und kämen ohne Kernenergie aus. Dezentralität hätte über Zentralität gewonnen. Allen diesen Zielen soll hier gar nicht widersprochen werden.
Auf der anderen Seite sind wir von einem solaren Zeitalter aber noch weit entfernt. Nach wie vor dominieren die fossilen Energieträger. Kohle, Öl und Gas machen rund 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus; in Deutschland sind es sogar 83 Prozent. Der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch beträgt bei uns weniger als 7 Prozent. Die Energieversorgung beruht somit trotz aller Erfolge im Einzelnen (die wir auch dem von der rot-grünen Koalition verabschiedeten Erneuerbare-Energien-Gesetz verdanken) überwiegend auf prinzipiell endlichen Energieträgern. Diese sind überdies maßgeblich für den Anstieg der CO2-Emissionen verantwortlich.
Theoretisch gibt es viele Wege ins solare Zeitalter. Doch wie und mit welchen Auswirkungen können die notwendigen Schritte in der Realität tatsächlich getan werden? Im Hamburger Programm steht: „Wir wollen weg vom Öl und anderen erschöpflichen Energien, bei denen wir auf Importe angewiesen sind. Als Brücke ins solares Energiezeitalter setzen wir auf moderne Kohle- und Gaskraftwerke mit hocheffizientem Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung.“ Dem kann man sicher zustimmen, wenngleich unübersehbar ist, dass wir beim Erdgas zunehmend von Importen abhängig sein werden und Kohlekraftwerke unter heutigen Bedingungen nicht gerade besonders klimaverträglich sind. So haben Braunkohlekraftwerke im Vergleich zu allen anderen Kraftwerken den mit Abstand höchsten Ausstoß an CO2. Gegenüber Erdgaskraftwerken weisen Braunkohleanlagen rund zweieinhalb Mal höhere und Steinkohlekraftwerke noch immer etwa doppelt so hohe Emissionen auf.
Mit ganz viel Kohle ins solare Zeitalter?
Eine überwiegend auf Kohlekraftwerke ausgerichtete Strategie würde über viele Jahrzehnte einen Emissionssockel festschreiben, der mit dem langfristigen klimaschutzpolitischen Ziel der Bundesrepublik in Konflikt geraten dürfte, nämlich der Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 80 Prozent bis Mitte des 21. Jahrhunderts. In diesem Fall müssten die Reduktionsmaßnahmen in allen anderen Emittentengruppen drastisch verstärkt werden – wenn überhaupt noch Spielraum für Emissionen außerhalb der Stromwirtschaft bliebe. Es ist fraglich, ob dies leichter durchsetzbar und weniger riskant wäre als die Beschleunigung der strukturellen Änderungen im Kraftwerkssektor. Zu viel Kohle als „Brücke“ in ein solares Energiezeitalter anzustreben, würde die Chance auf einen klimaverträglichen Umbau des Energiesystems vertun.
Einen Ausweg könnten so genannte CCS-Konzepte (carbon capture and storage) bieten, bei denen das CO2 in den Kraftwerken abgeschieden und in geeigneten Lagerstätten deponiert werden soll. Leider sind wir bei dieser Technologie noch am frühen Beginn der Entwicklung, obwohl sich erste Pilotanlagen im Bau befinden und die EU beabsichtigt, den Bau und die Inbetriebnahme von bis zu 12 Demonstrationskraftwerken für nachhaltige Technologien zur kommerziellen Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen bis 2015 zu fördern. Fraglos sind noch große ökonomische, ökologische und rechtliche Probleme zu lösen, bevor an eine Verwirklichung des CCS-Konzepts mit Breitenwirkung gedacht werden kann.
Sicher erscheint zumindest, dass die Kraftwerke, die in den kommenden zehn Jahren in Betrieb gehen, diese Technologie noch nicht werden nutzen können. Experten gehen davon aus, dass die CCS-Technik erst nach dem Jahr 2020 zur Verfügung steht. Deshalb täte man bei anstehenden Entscheidungen über den Neubau von Kraftwerken gut daran, nicht ausschließlich auf diese Lösung zu setzen. Folgt man der Auffassung der EU-Kommission, wonach die Anwendung der CCS-Technologie in Kraftwerken in 10 bis 15 Jahren rentabel sein könnte, sollten wir uns andererseits nicht scheuen, Betriebsgenehmigungen für Kohlekraftwerke an die Bedingung zu knüpfen, dass die Anlage spätestens im Jahr 2020 mit der CCS-Technik nachgerüstet werden muss. Ob unter diesen Bedingungen die Kostenrechnung noch immer zugunsten der Kohle ausfallen würde, sei dahingestellt.
Der Kohleverbrauch steigt überproportional
Kurzum, wir stecken in einem Dilemma: Von allen fossilen Energieträgern hat die Kohle weltweit die mit weitem Abstand größten Vorkommen, und diese befinden sich zudem überwiegend in politisch stabilen Regionen. Kohle konventionell zu nutzen würde zwar die Sicherheit der Energieversorgung verbessern, zugleich aber die klimaschutzpolitischen Ziele ad absurdum führen. Die jüngsten Energieprognosen der Internationalen Energieagentur besagen, dass der Anteil des Kohleverbrauchs am globalen Primärenergieverbrauch sogar überproportional steigen wird: zwischen 2005 und 2030 um 73 Prozent. Demnach würde allein der höhere Kohleverbrauch die weltweiten CO2-Emissionen von 2005 bis 2030 um fast 8 Milliarden Tonnen nach oben treiben; das wäre etwa die Hälfte der gesamten Zunahme der weltweiten CO2-Emissionen in dieser Zeit. Eine solche Entwicklung kann klimaschutzpolitisch schlicht nicht hingenommen werden.
Angesichts der vorhandenen Struktur der fossilen Energievorkommen – etwa drei Viertel der Reserven und Ressourcen aller fossilen Energien entfallen auf die Kohle – ist es wenig realistisch zu glauben, der weltweite Kohleverbrauch könne schon in überschaubarer Zeit nachhaltig reduziert werden. Deshalb erscheint die Entwicklung und Durchsetzung von CCS-Konzepten als absolut notwendig. Sofern sie sich im Ergebnis als ökonomisch und ökologisch machbar erweisen, könnte dies vielleicht die Chance einer „Versöhnung“ zwischen den Anforderungen des Klimaschutzes und der Erhöhung der Energieversorgungssicherheit bedeuten. Daneben hätte dies wohl den erwünschten Vorzug, dass unter solchen Voraussetzungen zusammen mit der Steigerung der Energieeffizienz und dem forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien eine umso wirksamere Alternative zur Kernenergie bestünde.
Mit Sicherheit können wir nicht gleichzeitig aus der Kernenergie aussteigen und uns vom Öl und anderen fossilen Importenergieträgern verabschieden und völlig auf die Nutzung der Kohle verzichten. Wenn aber schon Kohle verstromt wird, dann sollte dies so weit wie möglich auf Basis der Kraft-Wärme-Kopplung geschehen, um wenigstens die damit verbundenen Effizienzpotenziale zu nutzen.
Entscheidend ist die Effizienz
Klar ist: Die von der SPD (wie die von der Bundesregierung) verfolgten ambitionierten klimaschutzpolitischen Ziele erfordern in erster Linie eine drastische Verbesserung der Energieeffizienz (speziell der Stromeffizienz) auf der einen Seite sowie den schnellen Übergang auf emissionsfreie, zumindest aber emissionsarme Energieträger auf der anderen Seite. Mit den von der Bundesregierung auf der Koalitionsklausur in Meseberg im August 2007 beschlossenen Eckpunkten für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm sowie den inzwischen teilweise schon in Gang gebrachten Gesetzesvorhaben sind wichtige Schritte getan. Effizienz bei der Energienutzung wie bei der Energiebereitstellung sowie erneuerbare Energien sind freilich nicht nur die Kernstücke einer jeden wirksamen Klimaschutzpolitik. Sie tragen auch wesentlich dazu bei, auf dem vorgezeichneten Pfad aus der Kernenergie aussteigen zu können.
Demgegenüber sehen viele eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke – wenn nicht sogar den Bau neuer Anlagen – als unabdingbar für die Verwirklichung der Klimaschutzziele an. Dabei wird gern darauf hingewiesen, dass die Kernenergie außerhalb Deutschlands eine Renaissance erfährt. Schaut man sich allerdings die Zahlen der International Atomic Energy Agency (IAEA) an, bleibt von diesem Argument nur wenig übrig. Hierzu einige Stichpunkte.
Renaissance der Kernenergie?
Weltweit sind gegenwärtig in 31 Ländern 439 Reaktoren mit einer Kapazität von (netto) fast 372 Gigawatt in Betrieb. Der Anteil des Nuklearstroms an der weltweiten Stromerzeugung betrug im Jahr 2006 knapp 15 Prozent und damit weniger als die Stromerzeugung in Wasserkraftwerken. Rund 85 Prozent des weltweiten Nuklearstroms werden in nur sechs Ländern erzeugt. Bezogen auf den weltweiten Primärenergieverbrauch im Jahr 2006 betrug der Anteil der Nuklearenergie weniger als 6 Prozent. Bisher stillgelegt wurden weltweit bereits 119 Reaktoren, weitere 5 Reaktoren sind langfristig abgeschaltet. Im Bau sind derzeit lediglich 35 Blöcke in 13 Ländern mit einer Kapazität von reichlich 29 Gigawatt. Angesichts des mit 23 Jahren hohen Durchschnittsalters der bestehenden Nuklearanlagen ist in den kommenden Jahrzehnten aber mit einem erheblichen Ersatzinvestitionsbedarf zu rechnen. Es braucht also ohnehin viele Neubauten, um überhaupt nur den Kapazitätsbestand aufrechtzuerhalten – von einer Ausweitung gar nicht zu reden.
Nach der jüngsten Prognose der IAEA wird der Nuklearanteil am weltweiten Primärenergieverbrauch bis 2030 auf knapp 5 Prozent und an der weltweiten Stromerzeugung auf 12 Prozent sinken; ähnlich sieht es auch die Energy Administration Agency des amerikanischen Energieministeriums in ihrer Vorausschätzung vom Frühjahr 2007. Vor diesem Hintergrund von einer Renaissance der Kernenergie und ihrem unverzichtbaren Beitrag zum Klimaschutz zu sprechen, geht an den Fakten vorbei. Die Frage der Kernenergie nur im Kontext des Klimaschutzes zu diskutieren, hieße im Übrigen auch, die „eigentlichen“ zentralen Argumente der Befürworter eines Ausstiegs aus der Kernenergie einfach auszublenden: Sicherheitsrisiken des Betriebs der Kernkraftwerke; Probleme der Endlagerung radioaktiver Stoffe; Gefahren der Proliferation; die neue Dimension der terroristischen Bedrohung.
Schließlich zeigen verschiedene Szenarien, dass eine wirksame Klimaschutzpolitik und der Ausstieg aus der Kernenergie kein Widerspruch sein müssen. Hier mag nur auf die entsprechenden Szenarien hingewiesen werden, die die Enquete-Kommission des 14. Deutschen Bundestages „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und Liberalisierung“ vorgelegt hat. Dass sich solche Szenarien nicht von allein verwirklichen lassen, sondern erhebliche Anstrengungen und eine große Akzeptanz seitens der Gesellschaft voraussetzen, ist evident. In diesem Kontext sei aus den Eckpunkten für ein integriertes Energie- und Klimaprogramm der Bundesregierung zitiert: „Eine Energie- und Klimapolitik ist nur in dem Maße glaubwürdig, wie ihre ambitionierten Ziele auch durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden.“ Ein wahrhaft richtiger Satz. Hoffen wir, dass die Energie- und Klimapolitik in diesem Sinne glaubwürdig wird.