Die Berliner Republik und ihre Medien
Was für die Berliner Republik im allgemeinen gilt, trifft auch auf ihr Verhältnis zu den Medien zu. Es gibt geteilte Meinungen. Die eine Seite ist der Auffassung, dass sich die enge Verzahnung zwischen Politik und Medien, wie sie ja für die Bonner Republik so typisch war, in Berlin fortsetzen wird. So glaubt Peter Ellgaard, Leiter des neuen Berliner ZDF-Studios, die Bonner Plauderrunden zwischen Politikern und Journalisten würden sich auch in Berlin wieder herausbilden: "Die werden sich neue Kneipen suchen, und dann geht es weiter." (Berliner Zeitung). Die andere Seite - hierzu gehört unter anderem Ellgaards ARD-Kollege Jürgen Engert -, sieht hingegen neue Zeiten anbrechen. Zwar liege das neue ARD-Hauptstadtstudio nur einen Katzensprung vom Reichstag entfernt, "aber die journalistische Distanz soll größer werden" (taz).
Wird dieser Spagat zwischen räumlicher Nähe und geistiger Distanz funktionieren? Wird das Verhältnis von Politik und Medien in Berlin tatsächlich ein anderes, ein weniger klüngelhaftes als in Bonn? Werden sich die Medien mit Anbruch der Berliner Republik überhaupt wesentlich verändern? Und wenn ja: in welche Richtung? Die Liste der Fragen ließe sich beliebig erweitern. Hier die grundlegenden drei:
1. Werden die Medien ihre Rolle als "Hüter der Demokratie", die ihnen von der Bonner Verfassung zugedacht (und als solche im Grundgesetz verankert wurde) weiterspielen?
2. Wird sich der Trend zur Kommerzialisierung der Medien, der nicht zuletzt auf die Medienpolitik der EU zurückzuführen ist, weiter fortsetzen?
3. Werden die Medien auch in Zukunft die Revolutionäre sein, die sie bei der Wende in der DDR im Jahr 1989 waren?
1. Die demokratiestützende Funktion der Medien
Es spricht einiges dafür, dass die Medien ihre "Rolle als Hüter der Demokratie" weiterspielen werden: Seit dem Umzug des Parlamentes von Bonn nach Berlin ist die politische Berichterstattung in Deutschland eine Berichterstattung aus Berlin. Und Berlin ist zur Hälfte Ost-Deutschland. Das heißt zum einen, dass Ostdeutsche sich nun endlich auch in der Bundespolitik wiederfinden können - und sei es zunächst auf dem Umweg über die Orte, an denen Politik gemacht und vermittelt wird. Dieser Sich-in-den-Medien-wiedererkennen-Effekt, der in den 80er Jahren ganz maßgeblich für den unerwarteten Erfolg des lokalen Engagements von Zeitungen (Lokalteile, Landkreis-Ausgaben etc.) verantwortlich war, wird auch hier nicht ohne Wirkung bleiben: Ein Bürger, der sich und seine Umwelt in der politischen Berichterstattung wiederfindet, wird sich leichter mit seinem Land identifizieren können.
Zum anderen ziehen seit Eröffnung der vielen Hauptstadtstudios und -redaktionen maßgebliche Journalisten nach Berlin. Sie stoßen in Berlin - da die allermeisten aus Westdeutschland kommen - vor allem in Ostberlin auf eine Realität, die sie sich so wahrscheinlich nicht träumen ließen, als sie noch in München, Hamburg oder Köln saßen. Eine Realität, die über kurz oder lang in ihre Berichterstattung Einzug halten und dazu führen wird, dass diese gesamtdeutscher - und das heißt in diesem Zusammenhang vor allem ostdeutscher - wird. Auch das kann das Verhältnis vieler Bürger zu ihrer Demokratie positiv beeinflussen.
2. Die Kommerzialisierung der Medien
Europa wächst mehr und mehr zusammen und das macht sich auch auf dem Mediensektor bemerkbar - als stetig anhaltende Ver-Marktung. Information als Ware, die den Gesetzen des Marktes entsprechend gehandelt wird, auch das wird die Zukunft der Medien in der Berliner Republik sein.
Im Augenblick spiegelt sich die zunehmende Kommerzialisierung der Medien in einem Phänomen wider, das typisch ist für übersättigte Märkte: Es gibt auf dem Mediensektor ein eklatanter Preisverfall. Immer mehr Medien werden inzwischen umsonst angeboten.
Möglich werden Medien zum Nulltarif nur, weil sie neben dem redaktionellen Inhalt mehr und mehr Werbung transportieren. Dies verändert aber ihren Charakter: Redaktionelle Inhalte werden zunehmend zum "Werbeumfeld" degradiert, nach Kriterien ausgewählt, platziert und gestaltet, die sich in erster Linie nicht an den Bedürfnissen des Rezipienten, sondern an denen der werbetreibenden Wirtschaft ausrichten. "Wir machen die Bekanntschaft mit ganz neuen Programmformen wie Game-Shows oder Teleshopping, die zu nichts anderem erfunden wurden als zur Anpreisung oder sogar zum direkten Verkauf von Produkten", so der Medienwissenschaftler Winfried Schulz.
Brüssel stand bisher in starkem Maße für die Kommerzialisierung der Medien und wird dies auch in naher Zukunft tun - jüngstes Beispiel: Wie der Spiegel berichtet, ist EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti "wild entschlossen", Deutschlands öffentlich-rechtlichem System den Garaus zu machen. Das Ende des dualen Systems, also des Nebeneinanders von öffentlich-rechtlichen und privatwirtschaftlichen Radio- und Fernsehveranstaltern, wäre vorprogrammiert. Was würde, was könnte an seine Stelle treten?
3. Medien als Revolutionäre
Hier gilt noch mehr als oben: Alles bleibt beim alten und wird dennoch ganz neu. Ihre Rolle als Revolutionäre werden die Medien beibehalten, aber mit der Wende von 1989 - oft genug als "erste Fernsehrevolution der Welt" bezeichnet - hat die anstehende Kommunikationsrevolution nichts gemein. Diesmal verändern nicht die Medien ein politisches System oder haben maßgeblichen Anteil daran. Diesmal verwandeln sich die Medien selbst. Sie werden digital.
Dies wird tiefgreifende Veränderungen zur Folge haben. So führt die Digitalisierung des Rundfunks dazu, dass die Zahl der verfügbaren Radio- und Fernsehkanäle erhöht werden kann. Geradezu explosionsartig entwickelt sich das Informationsangebot im Internet.
Apropos Internet. Mit diesem Medium erhöht sich nicht nur die Quantität, sondern auch die Vielfalt der Information - weil zu den klassischen Medien ein neues hinzutritt, das ganz spezifische, bisher nicht dagewesene Qualitäten mitbringt. Beim Internet ist dies zum Beispiel die Geschwindigkeit: Internet-Sites lassen sich jederzeit aktualisieren. Das Internet ermöglicht auch einen viel bequemeren Zugriff auf Informationen: Ein Online-Dokument kann von zuhause aus und jederzeit heruntergeladen werden - von einer unbegrenzten Zahl von Menschen. "Das Buch ist leider ausgeliehen" - diesen Fluch der Gutenberg-Ära kennt das Internet nicht. Hinzu kommt, dass das Privileg zu publizieren, das ja bisher nur einigen wenigen zuteil wurde, mit dem Aufkommen des Internet einer breiten Masse zugefallen ist.
Problematisch ist, dass ein Teil der Bevölkerung für die Herausforderungen des neuen Informationszeitalters wesentlich besser gewappnet ist als der andere.
Die sich abzeichnenden Trends der Medienentwicklung fordern Konsequenzen: Es muss von politischer Seite verhindert werden, dass die Medien der Zukunft nur einem kleinen, elitären Zirkel zum Nutzen gereichen.
Philippe Quéau, Direktor der UNESCO-Abteilung für Information und Informatik, schrieb, der digitale Code sei "eine neue "Schrift", die von allen beherrscht werden sollte, wenn sich zwischen den gebildeten und allmächtigen Hohepriestern und den digitalen Analphabeten [...] nicht immer tiefere Gräben bilden sollen."
Dieser Beitrag erscheint in längerer Fassung auch in dem von Daniel Dettling herausgegebenen Sammelband "Die junge Republik zwischen Brüssel, Berlin und Budapest" P.O.D.-Verlag, Frankfurt a.M. 2000.