Die Satten wieder hungrig machen: Berlin nach dem Medien-Urknall



Mit dem Umzug von Bonn nach Berlin hat sich auch das Verhältnis zwischen Politik und Medien verändert. Fast alles ist anders, aber vieles nicht unbedingt besser geworden. Es gibt mehr Reporter, mehr Kameras und mehr Nachrichten, aber sind wir deshalb auch besser informiert? Die Berichterstattung zwischen Wasserwerk und Langem Eugen dürfte nicht unprofessioneller, sondern nur unaufgeregter gewesen sein. Das „Raumschiff Bonn“ ist im Spreebogen gelandet, schreibt Jürgen Leinemann. An Bord waren zwar noch viele Bonner Politiker, aber nur wenige Bonner Korrespondenten. Zeitungen, Hörfunk- und Fernsehsender nutzten den Umzug zu einem weitgehenden Austausch ihrer Redaktionen. Durchbrochen werden sollte damit das räumlich und manchmal auch persönlich enge Verhältnis von Politikern und Journalisten. Übersehen wird dabei, dass es langjähriger Kontakte zu Parteien, Fraktionen und Ministerien bedarf, um wirklich gute Quellen und damit auch gute Informationen zu haben. Nur so kommt man an echte, weil zutreffende Exklusivmeldungen.

Die Berliner Kultur des Misstrauens

Korrespondenten, die noch die Bonner Verhältnisse kennen, und jetzt in Berlin arbeiten, beklagen, dass Politiker heute in den eigentlich vertraulichen Hintergrundkreisen kaum noch mehr sagen als in normalen Pressekonferenzen. In Berlin ist – bedingt durch die Unerfahrenheit von Journalisten und einen stärkeren Konkurrenzdruck – die Vertraulichkeit der Hintergrundkreise so oft gebrochen worden, dass ihr eigentlicher Sinn fast verloren gegangen ist. Durch die in Berlin stärker ausgeprägte Kultur des Misstrauens ist es oft nur noch ein sehr kleiner Kreis von Journalisten, der von Spitzenpolitikern mit Hintergrundinformationen versorgt wird. Berlin ist ein attraktiverer Korrespondentenplatz, als es Bonn war. Insoweit wird der Druck aus den Zentralredaktionen stärker, Korrespondenten schneller auszutauschen. Der Qualität der Berichterstattung muss das nicht immer förderlich sein.


Mit dem Wechsel von Bonn nach Berlin versprachen sich viele, dass die Politik nun den Menschen näher sein würde, an der Schnittstelle von Ost und West, dem Laboratorium der deutschen Einheit. Zugegeben: Berlin ist eine demonstrationsfreundlichere Stadt, weil viele Aktivisten vor der Haustür auf die Straße gehen können und nicht erst den beschwerlichen Weg an den Rhein antreten müssen. Auf den vielen Festen und Partys am Abend trifft man nicht nur Politiker, Beamte und Lobbyisten, sondern auch einmal Künstler oder Sportler. Doch die Schere zwischen Infoelite und Unterhaltungsproletariat geht immer weiter auseinander. Sender wie Phoenix oder n-tv geben politisch Interessierten die Möglichkeit, sich „das eigene Bild“ zu machen. Berlin ist eine mediengerechte Hauptstadt, mit vielen eingebauten Live-Positionen in Ministerien, Fraktionen und Parteizentralen. Doch das nutzt nur eine kleine Minderheit der Zuschauer. Immer mehr, gerade in der Altergruppe der 14- bis 49-Jährigen, sehen abends um sieben nicht heute und zappen um acht an der tagesschau vorbei. Sie verweilen in Containern, auf der Alm, bei daily soaps oder Gesangswettbewerben. Die politischen Probleme, die es zu lösen gilt, werden immer komplizierter, aber die Zuschauer sehen immer weniger Informationsprogramme, deren Sendezeit ohnehin beschnitten wird.


Es dürfte jedoch weniger der genius loci sein, der die Berichterstattung verändert hat. Vielmehr sind in Berlin intensiver die Nachbeben des medienpolitischen Urknalls zu spüren, den die Einführung des Privatfernsehens in Deutschland mit sich gebracht hat. Hinzu kommt ein stärkerer Konkurrenzkampf auf dem Printmarkt. Die Nachrichtenangebote von heute und tagesschau stehen in Wettbewerb mit den Unterhaltungsangeboten kommerzieller Sender. Zeitungen verlieren Abonnenten und müssen Käufer am Kiosk gewinnen. Sendeanstalten leiden wie Parteien unter der mangelnden Bindung der Zuschauer an ihr Programm. Deshalb wird zugespitzt, personalisiert und aufgebauscht. Es wäre dem demokratischen Diskurs in Deutschland förderlich, wenn die inhaltliche Konsistenz, die oftmals bei der Politik angemahnt wird, von den Mahnern in den Medien selbst beherzigt würde. Es mehren sich die Fälle, in denen dieselben Medien einerseits die Politik zum Sparen und zum Subventionsabbau auffordern und dann andererseits, wenn so etwas geschieht, Wutwellen durchs Land schwappen lassen: Wie könne es denn sein, dass jetzt wieder an einer sozial besonders ungerechten Stelle gekürzt werde?

Sachkompetenz reicht nicht mehr aus

Die Anforderungen an die „Generation Berlin“ unter den Journalisten wie Politikern haben sich gewandelt. Reporter müssen Meister sein in kurzen, zuspitzenden Beiträgen, bei „Live-Schalten“, und sie sollten Aufregerthemen für die Schlagzeile liefern. Für ausführliche Erklärstücke oder verständliche Analysen ist nur selten Platz. Für den Politiker wiederum wird Medienkompetenz zur Bedingung seines politischen Erfolgs. Sachkompetenz, Berufserfahrung und Führungsfähigkeiten reichen allein nicht mehr aus. Mindestens ebenso wichtig ist, ob man im Fernsehen sympathisch wirkt, knapp, präzise und zuschauernah argumentiert, schlagfertig und souverän rüberkommt. Im „ungläubigen“ Berlin bricht sich die „Christiansenisierung“ der Politik Bahn.


Früher hatte die Politik die Aufgabe, hungrige Menschen satt zu machen. Heute muss Politik dafür sorgen, dass die Satten wieder hungrig werden. Das setzt einen Journalismus voraus, der Informationen vermittelt und keine demokratischen Schauprozesse mit Politikern in der Rolle der Angeklagten veranstaltet. Die Politik hat ihrerseits die Aufgabe, unter den Bedingungen der Medien mit nachvollziehbaren Botschaften die Menschen für notwendige Veränderungen zu gewinnen. Dazu braucht man vor allem Bild, BamS und Glotze. Auch sie – nicht nur Politiker – haben eine große Verantwortung als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung.

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