Die sich selbst im Weg stehen
Zwei Reporter des Spiegel, Jan Fleischhauer und Martin Doerry, begaben sich im November 2014 in „eine kleine Villa am Hang hoch über dem Mittelmeer bei St. Tropez“, um mit dem Publizisten Klaus Harpprecht daheim ein Interview über dessen gerade erschienenen Erinnerungen Schräges Licht zu führen und sich bei dieser Gelegenheit wie auf einem beschwingten Familiengeburtstagsfoto „bei den Harpprechts“ ablichten zu lassen. Das „Highlight“ des völlig unkritisch und damit Spiegel-untypisch geführten Gesprächs bestand im späten Outing einer früheren Liebschaft Helmut Schmidts. Die Botschaft lautete: Ein 87-jähriger Willy-Brandt-Verehrer gibt dem 95-jährigen Brandt-Nachfolger von einst noch einen mit. Hier ist nicht von einem klatschsüchtigen Boulevardblatt die Rede, sondern von einem Nachrichtenmagazin, das vormals als „Sturmgeschütz der Demokratie“ firmierte.
Die Kulturzeitschrift Merkur hat diesem Vorgang in ihrer Februar-Ausgabe eine Medienkolumne über das „Selbstverständnis des Journalismus“ gewidmet, geschrieben von Matthias Dell. Denn dass die beiden Spiegel-Reporter Harpprecht daheim den Hof gemacht hatten, schien mehr über die allseits beklagte „Medienverwahr-losung“ auszusagen als jede schlecht recherchierte Artikelserie: „So wie das Selfie mit dem Star die Autogrammkarte ersetzt hat“, schreibt Dell, „tritt hier die gemeinsame Aufnahme von Besuchern mit Besuchten an die Stelle von Erkenntnisinteresse“. Die bebilderte Sause zweier Spiegel-Reporter zum Plauderstündchen nach La Croix Valmer korrespondiert mit dem denunziatorischen Klatsch eines vormals herausragenden SPD-Publizisten, der sich als Lordsiegelbewahrer des Brandtschen Erbes sieht. Dieser Vorgang symbolisiert, dass die Misere der Medien mit jener der SPD einiges zu tun hat.
Gleichschaltung und Herdentrieb?
„Es gibt Medien- und Fälschungsaffären, es gibt Boulevardisierung, es gibt die Kritik am Negativismus der Nachrichten, es gibt den Einfluss von PR-Organisationen und Ähnliches mehr“, sagte der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen im Interview mit dem Deutschlandfunk über den grassierenden Vertrauensverlust der Medien. Zum Ausdruck komme das Misstrauen bei Schlüsselereignissen wie der Wulff-Affäre, der unfairen Behandlung des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück – Stichwort „Pannen-Peer“ –, oder der Empörung über weitere Griechenland-Hilfen.
Dabei sieht Pörksen die alten Kampagnengeister in Gestalt jener Manipulationstheorien heraufziehen, die aus den Kampfzeiten von Alt-Achtundsechzig in den siebziger Jahren stammen, sich „aber nicht mehr gegen einzelne Institutionen, wie etwa den Springer-Verlag, sondern … gegen die Profession selbst, … den Journalismus der Öffentlich-Rechtlichen, gegen den Journalismus der Qualitätsmedien“ richten. Doch Pörksen warnt vor falscher Generalisierung, die Medien würden uns manipulieren, seien korrupt oder nur auf Skandalisierung aus. Im heterogenen Feld der Kritiker werden vier Gruppierungen unterschieden. Erstens: seriöse Medienkritiker mit klugen Analysen; zweitens: gekaufte Provokateure, die Trolle; drittens: Empörungsjunkies, „die gewissermaßen den Rausch der Entrüstung genießen“; sowie viertens enttäuschte Verschwörungstheoretiker von rechts wie links. Die Medienkritiker aus dem sozialdemokratischen Umfeld gehören sicher eher zu der vierten als zu der ersten Gruppierung.
Medienschelten von links sind mit der Berliner Republik zur postavantgardistischen Marotte geworden. Es geht darum, Zeitgeistschnüffelei statt -diagnostik zu betreiben und der eigenen Zunft mit großer Pose den Spiegel vorzuhalten. Die Publizistin Sabine Pamperrien unterscheidet deshalb zwischen der tatsächlichen „Krise des Journalismus“ und dem „Kampf um die Deutungshoheit“. Die erste Welle an linker Medienkritik wurde 2007 von der unvergessenen Tissy Bruns mit ihrem Titel Republik der Wichtigtuer in Gang gesetzt. Darin bekennt sie, die Medien und die Politik, die sich so oft gegenseitig die Verantwortung für Oberflächlichkeit und Verflachung geben, säßen in Wahrheit „in einem Boot“. Kommunikationswissenschaftler Lutz Hachmeister legte im gleichen Jahr mit seinem Buch Nervöse Zone nach, in dem er die Vermischung von Politik und Medien im Berliner Regierungsviertel und die Entstehung einer „Parallelgesellschaft“ in Berlin-Mitte beklagt. taz-Autor Tom Schimmeck ging 2009 in seinem Buch Am besten nichts Neues noch einen Schritt weiter: „Gleichschaltung und Herdentrieb sind so stark wie seit Adolf nicht mehr.“ Altvordere der Zunft hätten sich mit einer jungen Garde von Zynikern zusammengetan, „um kollektiv eine Gruppe nicht sehr mächtiger Politiker niederzumachen“. Zu solchen Verurteilungen passt auch das Verdikt des Kommunikationswissenschaftlers Stephan Weichert in der Studie Journalisten in der Berliner Republik von 2008, wonach der deutsche Journalismus sich im Zustand der schleichenden „Verwahrlosung“ befinde. Weichert vermutet hinter dem „Kampagnenjournalismus“ den „Vorboten eines neuen Totalitarismus“. Carolin Emcke hat diese erste Welle einmal passend zusammengefasst: „Mehr als das Internet schreckt mich die zunehmende Neigung unserer Zunft, sich angstvoll mit sich selbst zu beschäftigen, und darüber die Auseinandersetzung mit der Welt zu vernachlässigen.“
Eine neue Welle der Kritik setzte nach der Bundestagswahl 2013 und den Skandalen um zu Guttenberg, Wulff, Steinbrück, Brüderle und Susanne Gaschke ein, vom „Blutrausch der Medien zum Schaden der Demokratie“ war im Magazin Cicero die Rede. Und Nils Minkmar geriet mit seinen luziden Beobachtungen der Mediendynamik und sozialen Netzwerke während der Steinbrück-Kampagne unfreiwillig zum publizistischen Kronzeugen des sozialdemokratischen Frustes.
Formuliert eine Gruppe von Journalisten die politischen Richtlinien?
Die Grenzen zwischen seriöser Medienkritik und blanker Verschwörungstheorie sind fließend geworden: „Es gibt im internationalen Bereich eine Gruppe von Journalisten, die sind in der Zeit ganz entscheidend tätig, in der Süddeutschen Zeitung, auch in der FAZ, ebenso in einigen Rundfunkanstalten, die sind in Netzwerken in vielen Organisationen, wo sie gemeinsam mit Politikern, vornehmlich aus den USA, diese politischen Richtlinien formulieren, und dann dafür sorgen, dass sie unisono in ihren Schlüsselmedien gelobt und als das einzig Sinnvolle dargestellt werden.“
Dieses Zitat stammt nicht etwa von einem Kommentator auf Russia Today Deutsch, sondern von Thomas Meyer zu seinem aktuellen Buch Die Unbelangbaren. Darin wird der Vorwurf erhoben, dass bestimmte Spitzenjournalisten als „Ko-Politiker“ unterwegs seien, um im politischen Geschäft mitzumischen.
Jürgen Heilig hat auf einen inneren Widerspruch dieser These hingewiesen: „Wenn Journalisten als „Ko-Politiker“ gar nicht mehr die Fragen stellen, die Regierungschefs, Ministern oder Bürgermeistern unbequem werden können, dann sind sie eher willige Helfer als unbelangbare Gebieter über den Meinungsmarkt.“ Der gängige Befund von der journalistischen Angepasstheit widerspricht klar dem der anmaßenden Einmischung in die Politik – möchte doch gerade der Einmischer aus seinem bleiernen Konformismus ausbrechen.
Journalisten konnten schon immer „belangt“ werden, zum Beispiel wenn sie nachgewiesenermaßen die Unwahrheit sagen. Sagen sie denn die Unwahrheit? Thomas Meyer: „Dass in der Presse aber direkt gelogen wird, kann ich nicht beobachten.“ Worin besteht also das Problem? „Solange Journalisten nicht gegen Gesetze verstoßen, sind sie insofern in einem präzisen Sinn unbelangbar.“ Sie sollten sich also fürderhin nicht nur bei Gesetzesübertretungen verantworten müssen, sondern auch wenn sie mit einer „manisch-selbstgefälligen Lust an der Inszenierung“ Kampagnen betreiben und wenn sie in ihren Texten „destruktive Selbstüberschätzung“ pflegen. Wegen solcher „Vergehen“ werden Journalisten derzeit nur bei Wladimir Putin in Russland oder im rechtspopulistisch abgedrifteten Ungarn „belangt“. Der Titel von den „Unbelangbaren“ sei allein schon deshalb falsch, kritisierte Brigitte Baetz im Deutschlandfunk, da Journalisten sehr wohl für ihre Berichterstattung zur Rechenschaft gezogen würden, zum Beispiel durch sinkende Auflagen.
Journalistische Macht war der SPD willkommen, solange die Richtung stimmte
Die teutonisch grundierte Kritik an der lustbereitenden „Medieninszenierung“ oder der „Politik als Theater“ war schon immer eine verquaste Konspirationstheorie, deren innewohnender Glaube an die grenzenlose Manipulierbarkeit eher auf das zynische Menschenbild ihrer Verfechter als auf die tatsächlichen Verhältnisse verweist. Bei solchen Attacken wird unterschlagen, dass es die SPD war, die 1998 mit einer unvergleichlichen Parteitagsinszenierung fragwürdige Mediengeschichte schrieb: Die Nominierung Gerhard Schröders zum Kanzlerkandidaten auf dem Leipziger Parteitag war nach allen Regeln der Werbung durchinszeniert, als große Show, mit Musik, Filmen und einer an amerikanischen Beispielen angelehnten, gottesdienstähnlichen Feierlichkeit, „die es bis dahin in der bundesdeutschen Politik nicht gegeben hatte“, wie Dirk Kurbjuweit in seinem Buch Alternativlos konstatiert. PR habe über die Politik triumphiert, diese Inszenierung mit den „Regeln der Demokratie“ gebrochen.
Für Heribert Prantl wirkt die Kritik an den „unbelangbaren Journalisten“ in der Süddeutschen Zeitung nur wie Balsam auf „wund und aufgescheuerte SPD-Seelen“, die die Schuld für das miserable Abschneiden bei den Bundestagswahlen von 2009 und 2013 noch immer nicht bei sich und den Glaubwürdigkeitsproblemen der Partei, sondern bei Vertretern der „Vierten Gewalt“ ausmachen möchten. Deren Macht war immer willkommen und konnte nicht expansiv genug sein, solange die politische Richtung stimmte, Journalisten nach Abenden bei Willy Brandt mit „Gentlemen, it’s been a -pleasure“ verabschiedet wurden, in den achtziger Jahren großkotzig von der „kulturellen Hegemonie“ der Linken die Rede war, der „Enkel“-Krieg als endlose Familien-Soap das Polittheater in den Neunzigern beherrschte und solange Schröder als Kanzler „Bild, BamS und Glotze“ kumpelhaft im Griff zu haben schien.
Medien ticken anders als viele Sozialdemokraten sich dies wünschen. Dass Bild-Journalisten zum Spiegel wechseln oder mittlerweile sogar den Grimme- oder Hajo-Friedrichs-Preis erhalten können, passt ebenso wenig ins verstaubte Feindbild wie die Tatsache, dass ein früherer Spiegel-Chef nunmehr Herausgeber von Springers moderaterer Welt werden konnte.
Der SPD-nahe Medienkritiker und frühere Kanzlerberater von Willy Brandt, Albrecht Müller, beschwört noch heute die siebziger Jahre als vorbildlich und stilbildend, als von der Ostpolitik bis zum RAF-Terrorismus fast jeden Tag eine Art publizistischer Bürgerkrieg zwischen Gut und Böse tobte, zwischen der „Hamburger Medienmafia“, wie sie von rechts beschimpft wurde, und Springers Kampfpresse. Es besteht kein Grund zur Nostalgie nach solchen Zeiten der permanenten Polarisierung, bloß weil aus Müllers Sicht damals am Ende „die Richtigen“ oder besseren Menschen siegreich waren, und bedeutendere „Qualitätsjournalisten“ oder lauter schreibende Urgesteine unterwegs gewesen sein sollen. Und ganz störungsfrei verliefen auch in jener nostalgisch überhöhten Zeit die Beziehungen zur linksliberalen Presse nicht. Hans-Jochen Vogel ließ sich 1996 in seinen Erinnerungen Nachsichten über die „Macht der Medien“ aus und knöpfte sich darin den Spiegel mit seiner „sublimen Häme“ auf altväterliche Weise vor. Eine Zukunft wollte er dem Magazin nur dann in Aussicht stellen, „wenn es gelegentlich auch einmal etwas gut fände und nicht nur erkennen ließe, wogegen es ist“.
Sind die »Alphajournalisten« an der Fehlentwicklung schuld?
Albrecht Müller ist heute ein viel gelesener Blogger. An der aktuellen Medienszene beklagt er zu viel „Verneigung vor den Mächtigen“ und vermisst „die Zuneigung zu den Schwächeren“. Sabine Pamperrien stellt in ihrem Essay die Frage, warum ausgerechnet jemand wie Müller, „der einst erfolgreich Journalisten für seine Zwecke agitierte, nun die politische Beeinflussbarkeit von Journalisten an den Pranger stellt“. Ihre Vermutung: „Dies lässt sich wohl nur mit der Obsession erklären, dass hier beanspruchte Wahrheiten oder moralische Überlegenheitsgefühle im Spiel sind.“
Für die beklagte Fehlentwicklung wird seit geraumer Zeit eine neue journalistische Gattung, die der „Alphajournalisten“, verantwortlich gemacht. Darunter werden Publizisten verstanden, die sich selbst als Teil der Politik sehen und sich in epochaler Propheten- oder Trendsetterpose gefallen. Konkret gemeint sind damit Journalisten wie Ulrich Jörges vom Stern, Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, Gabor Steingart vom Handelsblatt oder bis zu dessen Tod 2014 Frank Schirrmacher von der FAZ.
Nehmen wir Peter Glotz als Gegenbeispiel, den Medientheoretiker und Medienfreak in einer Person, dessen Todestag sich am 25. August 2015 zum zehnten Mal jährte. Der frühere Bundesgeschäftsführer der SPD darf noch heute als Kronzeuge für das komplizierte, inzwischen fast hochneurotisch gestörte Verhältnis seiner Partei zu den Medien angesehen werden. Er hat von jenen linken Mediendiskursen, wie sie jetzt wieder grassieren, außer alter Ideologiekritik und neuen Folterwerkzeugen nicht viel erwartet. Als Medienbeauftragter seiner Partei durchlitt er viele Debatten in der Bonner und zu Beginn der Berliner Republik. An die besonders skurrilen sei hier kurz erinnert.
Es begann – vor seiner Zeit – mit der frühen Generalverdammnis der Demoskopie als „Ausgeburt von Joseph Goebbels“. Carlo Schmid schreibt im Jahr 1979 in seinen Erinnerungen, wie Kurt Schumacher seinen Ratschlag brüsk zurückwies, zum brisanten Thema Wiederbewaffnung lieber die aufkommende Meinungsforschung zu befragen. Dieses unerbittliche Nein zur Demoskopie war folgenreich. Denn die junge Institutsleiterin in Allensbach am Bodensee, Elisabeth Noelle-Neumann, wandte sich von da an der Union zu.
Erwähnt sei auch der berühmt-berüchtigte „Entflechtungs“-Beschluss gegen den Springer-Konzern anno 1971 auf einem tollkühnen Steuerparteitag, vorgetragen vom hessischen Juso-Vorsitzenden Hans Eichel. Doch das Papier landete beim Genossen Heinz Ruhnau, der für den SPD-Vorstand die Parteitagsbeschlüsse selektiv einzusammeln pflegte, sogleich im Papierkorb. Denn von einer marktbeherrschenden Monopolstellung oder unzulässigen Verflechtung konnte beim Marktanteil des befehdeten Springer-Verlags noch lange nicht die Rede sein. Anfang der achtziger Jahre waren es dann „Störsender wie bei Breschnew“ (O-Ton Glotz), mit denen Parteigenossen die Einführung des „volksverderblichen“ Privatfernsehens glaubten noch verhindern zu können. Gewiss, manche Blütenträume, die Peter Glotz mit den neuen privaten Medien verband, haben sich nicht erfüllt. Anspruchsvollere Formate in Kultur und Wissenschaft finden – wenn überhaupt – heute nur in öffentlich-rechtlichen Spartenkanälen statt. Die Primetime wird dagegen von immer mehr Krimis und Fußball sowie Talkshows bis zum Abwinken beherrscht.
Es ist ein Treppenwitz, dass ausgerechnet Peter Glotz zu seinem fünften Todestag 2010 in der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte als leuchtendes Vorbild eines politischen Intellektuellen gegen die Gefahren eines grassierenden Alphajournalismus musealisiert werden sollte. In Wahrheit war Glotz seinerseits ein erfolgreicher Grenzüberschreiter vom Parteidenker zum politischen Allround-Journalisten. Vielleicht ist er sogar ein Mitgründer jenes Genres. Denn seinen Abschied aus der aktiven Politik 1996 begründete er damit, als umtriebiger und omnipräsenter Publizist politisch mehr bewirken zu können, als in Fraktions-, Ausschuss- oder Bundestagssitzungen das Wort zu erbitten oder in Münchner Hinterzimmern vor seinen bayerischen Genossen kluge Referate zu halten.
Mit ihrer Medienskepsis steht sich die SPD selbst im Weg
Schließlich gab es am 12. September 2005 jene bestürzende Koinzidenz, an die Johannes von Dohnanyi in der aktuellen Ausgabe des Cicero erinnert: Es war der Tag, an dem die Trauerfeier und Urnenbestattung von Peter Glotz im Schweizer Kanton Appenzell-Außerrhoden stattfand, während zur gleichen Zeit in Berlin auf Betreiben des Trauerredners Otto Schily die Redaktionsräume des Cicero sowie das Haus eines Cicero-Autors wegen Verdachts des Geheimnisverrats durchsucht wurden. Gefahr sei im Verzug gewesen. In Gedenken an Glotz ließ Strauß grüßen.
Seit etwa zehn Jahren und drei Bundestagswahlen (2005, 2009, 2013) kursieren im Umfeld der Sozialdemokratie Verschwörungstheorien über die Rolle der Medien. Schon über den Wahlkampf 2005, der zum Ende der rot-grünen Koalition geführt hatte, wurde analytischer Nebel verbreitet. Unter dem an Schiller angelehnten Titel „Die Verschwörung der Journaille zu Berlin“ beschrieb der langjährige RTL-Chefreporter Gerhard Hofmann den bemitleidenswert „einsamen Kampf“ der Regierungsparteien gegen Meinungsmacher und Meinungsumfrager. Von der Bild-Zeitung bis zum Spiegel hätten sie in einer gleichsam konzertierten Aktion Rot-Grün weggeschrieben.
Doch auf handfeste Beweise angesprochen, musste auch der Autor zugeben, dass sich weder kartellartige Absprachen noch konzertierte Aktionen nachweisen ließen. Eher habe es sich 2005 um ein Bündel von Motiven gehandelt: um Auflagenmacherei, fetzigen Aktionismus, Talkshowgeilheit, oder um eine notorische Abneigung gegen arrogant gewordene Alt-Achtundsechziger an der Macht, die mit ihrer Mediengewandtheit glaubten, die schreibende Zunft auf ihre Seite gebracht zu haben. Oder die tiefe Enttäuschung über die rot-grüne Regierungsbilanz.
Auch nach dem desaströsen Wahlresultat von 2009 waren die Medien Schuld. Zwei Millionen Nicht-Wähler aus dem SPD-Reservoir wurden damals in der Neuen Gesellschaft „freigesprochen“(!). Dieses Resultat habe sicher „keiner von ihnen gewollt“: „Wähler müssen sich nicht rechtfertigen. Allenfalls sollten sich die neubürgerlich saturierten Journalisten der Republik ein paar Fragen stellen, am besten selbst, die das angeödete Weghöhnen der Sozialdemokratie zu einer Art Massensport der Profession gemacht haben.“
Fortan stand sich die Partei mit ihrer Medienskepsis selbst im Weg. Als es darum ging, eine Urwahl für die Kanzlerkandidatur 2013 durchzusetzen, machten einige Genossen Schlupflöcher für die misstrauisch beäugte Medienwelt aus, der man offenbar noch immer vorhielt, 1998 den nachträglich so verwünschten Basta-Kanzler -Schröder als Kohl-Nachfolger herbeigeschrieben zu haben. Kritiker aus dem hessischen Landesverband fanden, die SPD „könne sich doch nicht von der Presse ihr Personal vorschreiben lassen“. Also sollte lieber auf eine Urwahl zugunsten der schlechtesten aller möglichen Lösungen verzichtet werden – einer Kungelei der drei in Frage kommenden Kandidaten untereinander. Gottseidank hielt sich die aberwitzige Vorstellung nicht lange, die Kandidatur für ein solch hohes öffentliches Amt von der medialen Öffentlichkeit abschotten zu wollen, getreu der paranoiden Sicherheitsdevise von Putins Anti-NGO-Gesetzen: Einmischung unerwünscht wegen Zersetzungsgefahr!
Kommen soziale Themen in den Medien zu kurz? Keine Spur!
Wen wundert es, dass es nach Peer Steinbrücks erfolgloser Kandidatur 2013 erneut an Verschwörungstheorien nur so hagelte; sein Scheitern soll Folge eines „vorab gesprochenen“ medialen Todesurteils gewesen sein. Der Kandidat sei nur als „Narziss“, „Schauspieler“ und „Clown“ abqualifiziert und einer „öffentlichen Schlachtung“ ausgeliefert worden. Ihm sollte der „Gnadentod“ gegeben werden. Julian Nida-Rümelin dagegen argumentierte in seiner Medienkritik grundsätzlicher und unaufgeregter. Zunächst erinnerte er im Cicero daran, wie sehr der Kandidat Steinbrück von den Medien als „Geheimwaffe“ verklärt worden sei, ehe er dann im Wahlkampf – gewiss auch durch ein paar verbale Ausrutscher – auf die Skandalisierungsschiene geriet, wo das Ausmaß der öffentlichen Erregung in keinem nachvollziehbaren Verhältnis zum Anlass stehe. Er riet dazu, Politiker „nach Kriterien des Gelingens und Scheiterns und nicht nach privaten Wertungen“ zu beurteilen. Übrigens, der Kandidat hat sich bereits 2010 in seinen Erinnerungen Unterm Strich in einem längeren Kapitel über „die delikate Beziehung zwischen Politik und Medien“ ausgelassen und dabei den Medien zum Teil „vordemokratische“ Kriterien attestiert, wenn von Parteien „Geschlossenheit“ erwartet würde, Kompromisse in der Regel nur „faule“ seien, Empörungswellen wegen Diätenerhöhungen losgetreten würden oder die „Bringschuld“ bei der Bewältigung von Problemen ausschließlich bei der Politik liege.
In SPD-Milieus ist seit geraumer Zeit die These anzutreffen, soziale Themen würden in der Journalistenzunft nur noch gering geschätzt. Im neoliberalen Mainstream fänden Solidarität und soziale Gerechtigkeit keinen Platz mehr. Angestrengt wird dabei auf soziologische Milieustudien rekurriert, wonach viele Journalisten von Hause aus „besitzbürgerlich“ geprägt seien: „Das langweilt die, das ödet die an. Deswegen kann man sagen, dass systematisch eigentlich die linken, die mittelinken Themen – Ungleichheit, Wirtschaftsmacht, Ausgegrenztsein – aus den Medien raus sind, aus deren Weltbild“, so Thomas Meyer im Juli dieses Jahres in der Sendung Andruck im Deutschlandfunk.
Der langjährige ZDF-Redakteur Wolfgang Herles vertritt in seinem gerade erschienenen Buch Die Gefallsüchtigen die Gegenthese. Darin geht es um den „Quotenwahn“ und „Konformismus“ im Fernsehen. Von einer „systematischen“ Ausblendung sozialer Themen kann nach seinen Beobachtungen überhaupt keine Rede sein. Ganz im Gegenteil: In den öffentlich-rechtlichen Medien sei vor allen anderen „der sozial Benachteiligte … in guten Händen“, was Herles am Beispiel der Berichterstattung über die Schließung des Opel-Werks in Bochum deutlich macht: Im Vordergrund standen die Tränen der ebenso fleißigen wie schuldlosen Arbeiteropfer und ihre Klagen über die soziale Kälte der Geschäftsführung. Aber kein Wort wurde verloren über „Managementfehler, die Überproduktion bei Autos, den allgemeinen Statusverlust des Automobils, den allmählichen Abschied vom Verbrennungsmotor, die Computerisierung“.
Wer Ungerechtigkeit anprangere, so Herles, sei „unschlagbar verständlich und immer im Recht. Er bessert Marktanteile auf und macht sich auf dem Markt der politischen Stimmungen bemerkbar.“ Selbst komplizierteste ökonomische Zusammenhänge würden auf soziale Einzelschicksale heruntergebrochen – die Thematik des Renteneintrittsalters auf den Dachdecker, die Mindestlohndebatte auf die Friseurin, die Not in Griechenland auf den Rentner. Es herrsche ein „aggressiver Konformismus“, aber nicht auf Kosten, sondern gerade vermöge des Sozialen. Danach ist der „Quotenwahn“ im Fernsehen ohne die Moralisierung sozialer Basisthemen kaum zu denken.
Auch lässt sich aus der Sicht des einstigen Redakteurs von Bonn direkt und Aspekte kaum behaupten, soziale Themen hätten im Bundestagswahlkampf 2013 keine Rolle gespielt. Vielmehr wurde er auf kleinstem sozialen Karo geführt: flächendeckender Mindestlohn und Frühverrentung von Arbeitnehmern nach 43 Beitragsjahren von Seiten der SPD, Mütterrente, Betreuungsgeld und Autobahnmaut bei der Union. Hingegen hätten Zukunftsfragen in Bezug auf Europa und den Euro, die alternde Gesellschaft oder die digitale Revolution kaum stattgefunden, wie Kritiker Herles mit Recht moniert.
Wo die alte Message nicht mehr verfängt, sollen die Medien schuld sein
Es herrscht tiefe Unzufriedenheit, gewiss auch ausgelöst durch die demoskopische Stagnation der SPD. Dabei fällt auf, dass solche Medienkritik offenbar keinen Unterschied mehr zwischen sozialen Problemen und linker Politik macht: erstere finden sehr wohl mediale Aufmerksamkeit, letztere gilt aber als langweilig oder von der für vertrauenswürdiger gehaltenen Kanzlerin als hinreichend abgedeckt.
Peer Steinbrück hat jüngst darauf hingewiesen, dass die SPD mit der Dominanz des Themas soziale Gerechtigkeit und dem braven Abspulen des Koalitionsprogramms bei Bundestagswahlen auch künftig nicht über dreißig Prozent gelangen dürfte. Die Partei „mobilisiert nicht, sie weckt keinen Enthusiasmus, sie reißt niemanden mit“. Die Überfixierung auf das Thema soziale Gerechtigkeit, angesetzt als heroischer Abwehrkampf gegen die Globalisierung und den Neoliberalismus, zudem mit falschen propagandistischen Alternativen wie „Spardiktat oder europäische Solidarität“ versehen, sei schon deshalb unangemessen, da die konkurrierenden Parteien hierzulande, so Steinbrück, „nicht wie die Abrissbirne des Sozialstaates dastehen“.
Selten wurde diese Fixierung treffender entwaffnet als in jenem Interview, das Jan-Philipp Reemtsma der Neuen Gesellschaft Anfang 2015 gewährte. Scharfsinnig wies der Hamburger Institutsgründer Versuche zurück, alle Probleme dieser Welt, zum Beispiel das Abtauchen deutscher Migrantenkinder ins mörderische Dschihadistenmilieu, mit der sozialen Frage zu erklären. Reemstma messerscharf: „Es ist aber Unsinn zu sagen, Defizite unseres Sozialstaates seien die Ursache für die Attraktion, die Gewaltausübung im Irak auf Leute hierzulande ausübt … Das ist eine klassische sozialdemokratische Unterstellung, weil man dann wenigstens ein Hilfsmittel hat. Wenn es schiefläuft, machen wir eben ein bisschen mehr Sozialgesetzgebung und Jugendzentren.“ Über soziale Rechtsansprüche lasse „sich viel sagen, nur nicht im Zusammenhang mit den Leuten, die da zum IS überlaufen“.
Wo die Message nicht mehr verfängt, sollen die Medien schuld sein. Doch „auch in einer Mediendemokratie lässt sich nicht alles den Medien in die Schuhe schieben“, so Brigitte Baetz. Linke Medienschelten schenken sich zumeist elaborierte Hinweise auf den tiefgreifenden Strukturwandel, wie er sich durch die Digitalisierung vollzieht. Denn es geht ihnen ohnehin nur um eines: stärkeren ideologischen Einfluss zu gewinnen. Dass damit die tatsächliche Krise des Journalismus verpasst wird, ist evident. Denn die permanente Selbstthematisierung der Medien ist von dem Widerspruch geprägt, „dass die Reflexion über die Bedeutung der vierten Gewalt zunimmt, während die Medien doch von den ökonomischen Furien des Verschwindens gejagt werden“ (Thomas E. Schmidt).
Geisterdebatten in die falsche Richtung
In Wahrheit hat der Journalismus mit ganz anderen Krisen zu tun, als dass „besitzbürgerliche“ Journalisten soziale Fragen ignorierten oder angriffslustige Interviews mit SPD-Politikern (Sigmar Gabriel) oder Siemens-Managern (Joe Kaeser) führten. Über allem thront die Jahrhundertfrage, in welchem Ausmaß das Internet irgendwann den traditionellen Printjournalismus ablösen wird. Dieser ist von massivem Stellenabbau und schwindenden Volumina, der Insolvenz von Traditionsblättern oder ihrem Umbau in populärere Formate bedroht, um zu retten, was noch zu retten ist. Dabei verleitet der enorme ökonomische Druck die Medien immer mehr zu der fatalen Neigung, ihr Heil in Tabubrüchen und Skandalisierungen zu suchen und der Politik populistische Leitbilder zu verpassen. Ähnlich gelagert sind auch Quotendruck und Qualitätsverfall im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. So fragt Miriam Meckel, wie sich ein professionell angelegter Qualitätsjournalismus noch finanzieren lasse, „wenn Informationen im Netz zur commodity werden und kostenlos zu haben sind“.
Unter den revolutionären Bedingungen einer digitalisierten Öffentlichkeit noch von einem „Veröffentlichungsmonopol von Schlüsseljournalisten“ auszugehen, ist sowohl ökonomisch als auch politisch blauäugig. Gewiss, zwischen den Medien und der Politik hat sich in der Tat eine „fatale Allianz“ oder „unkontrollierte Symbiose“ (Thomas E. Schmidt) herausgebildet, die aber weniger, wie altideologisch unterstellt, mit der politischen Nähe zwischen Journalisten und Politikern zu tun hat, sondern – so Herles – die Folge eines quotengerechten Konformismus ist. Dagegen zählten „weltanschauliche Fundamente nicht mehr viel“. Hinzu kommt, dass sich durch die unerhörte Beschleunigung aller weltweit verfügbaren Informationen die Halbwertzeit von Überzeugungen, Stimmungen und politischen Konstellationen dramatisch reduziert hat. Nicht nur die Medien selbst, sondern auch die Struktur der Öffentlichkeit – Meinungs- und Willensbildung sowie Entscheidungsprozesse – in demokratischen Gesellschaften haben sich mithin fundamental verändert. Sie sind Wellness- und Wohlfühlgesellschaften bei „diskursivem Schongang“ (Bernd Ulrich).
Die SPD müsste aber, über ihre umtriebigen Netzpolitiker hinaus, offen sein gegenüber einer fragmentierten und sich diffus präsentierenden Öffentlichkeit. Putinesk anmutende Belangbarkeitsfantasien gegenüber unbequemen Journalisten taugen da nicht als Denkanstoß. Im Gegenteil: Sie eröffnen Geisterdebatten in die falsche Richtung und könnten eine Partei mit ihrer Freiheitstradition in ein schiefes Licht rücken.
Vorsicht ist geboten. So hat Bernhard Pörksen im Deutschlandfunk beschrieben, wie zum Beispiel die Putin-Gang im Kreml über RT Deutsch das Schüren von Medienverdrossenheit als journalistisches Programm verkauft. Dabei handelt es sich um ein besonders perfides Exempel an gelenkter Öffentlichkeit: „Es geht darum, das Monopol, wie es heißt, der angelsächsischen Medien zu brechen durch RT Deutsch und durch die anderen Ableger dieser Sender. … Also es braucht … sozusagen eine neue Form der kritischen Partnerschaft mit dem eigenen Publikum. … Hier sucht staatlich gelenkte Öffentlichkeit den Schulterschluss mit der Gegenöffentlichkeit der Medienverdrossenen. Also es ist die Inszenierung von Staatsöffentlichkeit als Gegenöffentlichkeit und die Entdeckung von aktueller Medienverdrossenheit als publizistische Marktlücke.“ Es wäre ein Treppenwitz, wenn unsere frustrierten Manipulationstheoretiker ausgerechnet der hässlichsten Fratze von medialer Manipulation auf den Leim gingen: Putins maliziöser Propagandamaschine.