Die Sicherheit Europas und das Programm der Sozialdemokratie
Deutschlands Rolle in der Europäischen Union hat sich gewandelt. Ein Ausdruck dieser Veränderung ist die wachsende politische Verantwortung Deutschlands. Die Sicherheitspolitik ist hierfür exemplarisch. Eigenständige EU-Militäreinsätze auf dem Balkan und dem afrikanischen Kontinent mit substanzieller deutscher Beteiligung stellen die deutsche Sicherheitspolitik vor neue Herausforderungen. Diesen sollte die Bundesrepublik mutig begegnen. Und die SPD muss diese Entwicklungen in der Debatte über ihr künftiges Grundsatzprogramm aufgreifen.
Schon das vergangene Jahrzehnt war von Bemühungen um eine gemeinsame Europäische Sicherheitspolitik gekennzeichnet. Auch in den kommenden Jahren wird der Aufbau einer Europäischen Verteidigungsunion die Aufmerksamkeit deutscher Bundesregierungen beanspruchen. Dabei war die deutsche Europapolitik traditionell vom Primat der europäischen Einigung und einer außenpolitischen Kultur der Zurückhaltung geprägt. Sicherheitspolitisch trat Deutschland nicht in Erscheinung. Vor dem Hintergrund der Kriege des 20. Jahrhunderts war Europapolitik vor allem Friedenspolitik.
Deutschlands Verantwortung wächst
Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes und der erfolgreich vollendeten Wirtschafts- und Währungsunion aber stellt sich die Frage nach den Prinzipien deutscher Sicherheitspolitik in Europa neu. Das Fundament der Europäischen Union hat sich gewandelt; sie ist von einer wirtschaftlichen zu einer politischen Union zusammengewachsen. Das hat Konsequenzen für alle Mitgliedsstaaten. Deutschland muss dabei seiner ständig wachsenden Verantwortung in und für Europa gerecht werden und sich zu einer Führungsrolle in dieser neuen Union bekennen – nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in sicherheitspolitischer Hinsicht. Die Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Militäreinsätzen im vergangenen Jahrzehnt war die erste politische Konsequenz aus diesen Entwicklungen. Ihr müssen nun weitere Schritte folgen, vor allem in konzeptioneller Hinsicht.
Zum einen müssen die sicherheitspolitischen Instrumente der Bundesrepublik den neuen Anforderungen angepasst werden. Die Struktur der Bundeswehr wird im Zuge der notwendigen Transformation verändert und erneuert – die Armee wird zu einer Armee im Einsatz. Auch die Bedeutung ziviler Instrumente der Konfliktbearbeitung muss stärker berücksichtigt werden. Hier befindet sich die deutsche Politik auf einem guten Weg. Darüber hinaus muss Deutschland jedoch bei der Entscheidung über derartige europäische Einsätze sowie bei deren Planung größeren Gestaltungsspielraum beanspruchen. Wir haben bislang nur wenig an der Definition von Zielen mitgewirkt. Ein Verzicht Deutschlands auf die ihm innerhalb der Europäischen Union zufallende sicherheitspolitische Führungsrolle würde übrigens auch der EU selbst schaden. Die Bundesrepublik muss zwischen den Anforderungen, die sich an das größte Mitgliedsland richten, und ihrer traditionellen Politik der Zurückhaltung eine neue Balance finden.
Werte und Interessen neu vermessen
In ihrer Programmdebatte kommt die SPD daher nicht umhin, das Verhältnis zwischen Werten und Interessen neu zu vermessen. Die Partei muss das Militär programmatisch als legitimes Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik anerkennen. Der Einsatz militärischer Kräfte über einen längeren Zeitraum muss aber von einem Konsens innerhalb der Bevölkerung getragen werden. Er bedarf zudem einer völkerrechtlichen Legitimation durch die Vereinten Nationen. Auch muss er mit dem Einsatz ziviler Ressourcen einhergehen.
Im neuen Grundsatzprogramm sollten wir darüber hinaus festlegen, dass sich jeder Militäreinsatz an den Kriterien der Menschenrechte und der Humanität messen lassen muss. Interventionen müssen aber auch auf der Grundlage der Definition deutscher Interessen erfolgen. Diese leiten sich ab aus der strategischen Lage und der Bedeutung von Regionen für unsere Sicherheit und Lebensqualität.
Um Wirkungsmacht in Bezug auf die Gestaltung der Weltordnung zu gewinnen, müssen formulierte Interessen mit handlungsleitenden Werten verknüpft werden. Werte und Interessen als Grundlage des Einsatzes von Militär – beide Gesichtspunkte müssen in der Programmdebatte ausreichend berücksichtigt werden:
Deutschland hat in den vergangenen Jahren vielfach unter Beweis gestellt, dass es sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen kann. Weil die Bundesrepublik sich jedoch bei den strategischen Planungen und bei der Formulierung konsensfähiger Ziele noch nicht ausreichend einbringt, haben andere Staaten diese Lücke gefüllt. Die Grundsatzprogrammdebatte der SPD sollte sich der deutlichen Formulierung sicherheitspolitischer Ziele widmen.