Dokumentation: Offenlegung der Einkünfte von Abgeordneten

Antrag der Abgeordneten Peter Conradi, Norbert Gansel und andere (1995)

Zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD - Drucksachen 13/1825, 13/2340 Entwurf eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabgeordnetengesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:
In Artikel 1 wird folgende neue Nummer 7a eingefügt:
"7 a. § 44a (Verhaltensregeln) Abs. 2 wird wie folgt geändert:
1. Nummer 2 wird wie folgt gefasst:
"2. die Pflicht zur jährlichen Anzeige der Art und Höhe aller Einkünfte im Sinne des § 2 des Einkommensteuergesetzes, wenn ein festgelegter Mindestbetrag überstiegen wird;".
2. Nummer 5 wird wie folgt gefasst:
"5. die Veröffentlichung der Angaben nach den Nummern 1 bis 3 im Amtlichen Handbuch."
Bonn, den 19. September 1995

Begründung
1. Ziele
1.1 Ansehen des Parlaments


Die Sicherung des Ansehens des Parlaments und seiner Repräsentanten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 17. Juli 1984 (Flick-Untersuchungsausschuss) ausgeführt, die "Bundesregierung und die obersten Dienstbehörden haben schon um des öffentlichen Ansehens der Bundesrepublik Deutschland willen, (...) alles zu tun, um Zweifel an der ‚Lauterkeit von Regierungs- und Verwaltungsmaßnahmen‘ (...) zu zerstreuen." [BVerfGE 67, 100 (138)].

1.2 Unabhängigkeit des Abgeordneten

Eine Offenlegungspflicht wird die Unabhängigkeit des Abgeordneten stärken. Mit der Verhinderung von unzulässigen Bezügen wird der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, "gesetzliche Vorkehrung" gegen bestimmte Formen von Beraterverträgen und ähnliche Rechtsverhältnisse zu schaffen, entsprochen [BVerfGE 40, 296 (318 f.)]. Danach sind Bezüge unzulässig, die für eine Interessenvertretung im Deutschen Bundestag gezahlt werden und nicht als Gegenleistung für berufliche Tätigkeiten, die der Abgeordnete außerhalb des Parlaments tatsächlich erbringt.

1.3 Demokratieprinzip

Die Offenlegungspflichten dienen der Verwirklichung des demokratischen Prinzips. "Voraussetzung für die Ausübung eines demokratischen Rechts wie des Wahlrechts ist, dass der Wähler ausreichende Information über den Bewerber hat. Da hierzu auch die Kenntnis des Wählers gehört, ob und in welcher Weise der Abgeordnete persönliche Interessen bei der Ausübung seiner parlamentarischen Tätigkeit verfolgt, muss sich die Information auch auf entsprechende private Tätigkeiten erstrecken: sie lassen in bestimmtem Umfang Schlüsse auf sein parlamentarisches Verhalten zu (...). Wer in einem demokratischen Staat seine Interessen geltend machen und durchsetzen will, muss sich mit seinem Verhalten auf andere Interessenträger und den von ihnen auf den Abgeordneten ausgeübten Einfluss einstellen können. Daher verträgt das demokratische Prinzip aus diesem Grund keine Verheimlichung von politischem Einfluss auf den Abgeordneten." (Freund, Abgeordnetenverhalten: Ausübung des Mandats und persönliche Interessen, Frankfurt/Main 1986, S. 228)

Die Pflicht zur Offenlegung von Beraterverträgen hängt auch mit der Zurechenbarkeit der Wahlentscheidung zusammen. Die Folgen seiner Wahlentscheidung sind für den Wähler nur dann zurechenbar, wenn er bei der Stimmabgabe die für seine Entscheidung maßgebenden Umstände kennt. Zu diesen Umständen gehört das Vorhandensein von Beraterverträgen (Beraterverträge und freies Mandat, in: Festschrift für Scheuner, 1973, S. 431).

2. Gesetzentwurf

Der Gesetzentwurf ändert das Abgeordnetengesetz (Verhaltensregeln) und schreibt künftig eine Erklärung über "Einkünfte im Sinne des § 2 des Einkommensteuergesetzes" vor. Eine solche Erklärung würde nur Einkünfte des Abgeordneten, nicht aber solche des Ehegatten umfassen. Zu erklären wären die Bruttoeinkünfte der Einkunftsarten nach der Einkommensteuererklärung. Eine derartige Regelung zur Offenlegung der Einkünfte könnte ohne Änderung des Grundgesetzes im Abgeordnetengesetz vorgenommen werden. Sie wäre verfassungsrechtlich unproblematisch.

In den USA geben die Mitglieder des Kongresses ihre Einkünfte in einer Erklärung an. Dabei werden die persönlichen Einkünfte, getrennt nach Quelle, Art und Betrag, sowie Besitzanteile und Verbindlichkeiten erfasst.

3. Alternative

Die gelegentlich in die Diskussion gebrachte Alternative einer Offenlegung des Einkommensteuerbescheids wird aus den nachstehenden Überlegungen nicht weiter verfolgt:

3.1 Steuergeheimnis

Ein Gesetz, welches die Mitglieder des Bundestages verpflichten würde, ihre Einkommensteuerbescheide zu veröffentlichen, wäre verfassungsrechtlich nicht bedenkenfrei. Zwar hat das in § 30 der Abgabenordnung (AO) normierte Steuergeheimnis keinen Verfassungsrang. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch im sogenannten Flick-Untersuchungsausschuss-Urteil ausgeführt: "Das Recht auf Wahrung des in § 30 AO gesetzlich umschriebenen Steuergeheimnisses ist als solches kein Grundrecht. Die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse, deren Weitergabe einen Dritten auf den Steuerpflichtigen oder private Dritte erkennbar werden lässt, kann indessen durch eine Reihe grundrechtlicher Verbürgungen (...) geboten sein. Die Angaben, die ein Steuerpflichtiger aufgrund des geltenden Abgaberechts zu machen hat, ermöglichen weitreichende Einblicke in die persönlichen Verhältnisse, die persönliche Lebensführung (bis hin beispielsweise zu gesundheitlichen Gebrechen, religiösen Bindungen, Ehe- und Familienverhältnissen, oder politischen Verbindungen) und in die beruflichen, betrieblichen, unternehmerischen oder sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse." [BVerfGE 67, 100 (142)]

3.2 Informationelle Selbstbestimmung

Eine gesetzliche Regelung über die Veröffentlichung von Einkommensteuerbescheiden der Abgeordneten wäre auch im Hinblick auf den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel 2 Abs. 1 und Artikel 1 Abs. 1 GG) und das Gebot der Gleichbehandlung problematisch. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden; es beinhaltet ebenso die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen: Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" [BVerfGE 65, 1 (42, 43)]. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Der einzelne muss Einschränkungen dieses Rechts im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen.
Ob das Allgemeininteresse die Offenlegung des Einkommensteuerbescheids eines Bundestagsabgeordneten erfordert, erscheint zweifelhaft.

3.3 Verhältnismäßigkeit

Eine gesetzliche Regelung zur Veröffentlichung von Einkommensteuerbescheiden wäre auch am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Die Regelung müsste mit sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls begründet werden. Das "eingesetzte Mittel muss geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Das Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder doch weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte wählen können." [BVerfGE 30, 292 (316)].
Das in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagene Mittel einer Erklärung über steuerpflichtige Einkünfte ist ein solches weniger fühlbar einschränkendes Mittel.

3.4 Ehegatten

Bei unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten würden bei der Veröffentlichung des Einkommensteuerbescheids auch die Einkünfte des Ehepartners mit erfasst. Man könnte zwar argumentieren, der Abgeordnete müsse die Offenlegung im Interesse der genannten Ziele hinnehmen; eine derartige Regelung für den Ehepartner wäre aber nicht hinnehmbar. Der Hinweis, der Abgeordnete könne statt der gemeinsamen die getrennte steuerliche Veranlagung wählen, überzeugt nicht, weil dadurch nicht nur dem Abgeordneten, sondern auch dem Ehepartner steuerliche Nachteile erwüchsen.

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