Eine einheitliche Strategie für die EU
Doch wer glaubt, Europa könne Russlands Handeln nicht beeinflussen, der verkennt das tatsächliche Potenzial der EU als größter Wirtschaftsraum der Welt. Klar ist: Eine militärische Option existiert zur Klärung des zukünftigen Verhältnisses zu Moskau nicht. Allein darüber nachzudenken verbietet sich, da dies eine Rückkehr zu veralteten Denk- und Handlungsmustern bedeuten würde, die in der heutigen Zeit keine Antworten liefern, sondern nur noch mehr Fragen aufwerfen. Als wirksamer und zielgerichteter dürfte sich dagegen die ökonomische Dimension erweisen. Wer Angst davor hat, dass Russland über seine Hand am Öl- und Gashahn politischen Druck auf die europäischen Länder ausüben könnte, der unterschätzt, welcher Hahn im Gegenzug der Russischen Föderation abgedreht werden würde: der Geldhahn.
Russland braucht den europäischen Markt
Zwar kommen gut 40 Prozent der Erdgasimporte der EU aus Russland, womit die EU de facto von den Energielieferungen aus Russland abhängig ist. Dies entspricht aber gleichzeitig zwei Dritteln der gesamten Gasexporte der Russischen Föderation. Ein Wegbrechen des europäischen Marktes für den Export würde die russische Wirtschaft somit auf Dauer nicht verkraften. Gerade im Zuge der weltweiten Finanzkrise und einer drohenden Rezession sind die wirtschaftlichen Auswirkungen solcher Konstellationen gegenseitiger Abhängigkeiten auch in Russland zu spüren. Der Rohölpreis ist in der Folge fallender Wirtschaftswachstumsprognosen von einem historischen Höchststand vor der Krise im August 2008 auf inzwischen den tiefsten Stand seit 20 Monaten gesunken.
Dass die politische Landschaft und die geostrategischen Rahmenbedingungen nach dem Ende des Kalten Krieges komplizierter geworden sind, war schon vor dem Konflikt in Georgien offensichtlich. Ebenso zeichnete sich bereits seit längerer Zeit eine Verkomplizierung des Verhältnisses nicht nur zwischen der EU und Russland, sondern auch zwischen den einzelnen EU-Staaten und Moskau ab.
Die Ratspräsidentschaft mit einem starken französischen Präsidenten hat jedoch bewiesen, dass man sehr wohl als eine Union der 27 Staaten Ergebnisse erzielen kann und auch Russland auf Forderungen eingeht, wenn die Interessenlage übereinstimmt. Russland hat sich aus den unumstritten georgischen Gebieten zurückgezogen, ermöglichte somit die Beobachtermission der EU und nimmt ebenso an den Gesprächen in Genf zur endgültigen Beilegung des Georgien-Konflikts teil. Zudem wurde am 14. November auf dem EU-Russland-Gipfel in Nizza beschlossen, die Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland wieder aufzunehmen. Diese waren im Zuge des Ausbruchs des Georgien-Konflikts vertagt worden.
Um das wirtschaftliche und (sicherheits-)politische Potenzial der EU voll ausschöpfen zu können, und um der Prägnanz europäischer Überzeugungskraft in internationalen Verhältnissen mehr Nachdruck zu verleihen, müssen alle Mitgliedsstaaten die Leistungsfähigkeit der EU fördern und stärken. Anschließend gilt es, die Verhandlungen mit Russland über ein neues Partnerschaftsabkommen effektiv fortzuführen. Dabei darf es nicht zu unkoordinierten Aktionen einzelner Mitgliedsstaaten kommen, da diese einen erfolgreichen Abschluss der Gespräche gefährden könnten.
Ein Europa, dem die Russen zuhören
Daher braucht die Europäische Union eine gemeinsame Strategie, um auf solche und andere Krisen angemessen reagieren zu können. Dazu gehört sicherlich auch eine gemeinsame Energiepolitik, wie Jan Techau sie fordert, aber das kann nur ein Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Handeln und Verhandeln mit Russland sein.
Einen wesentlichen Meilenstein auf diesem Weg stellt die Verwirklichung der Bestimmungen des Vertrags von Lissabon dar: Ein auf zweieinhalb Jahre gewählter Ratspräsident und ein „Hoher Repräsentant der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ würden der EU das notwendige Gewicht verleihen, das sie benötigt, um von Russland ernst genommen zu werden. Ein zuvor festgelegter Grundkonsens der Mitgliedsstaaten würde langwierigen Entscheidungsfindungen und uneinheitlichem Aktionismus vorbeugen. Denn nur wenn die EU auch auf Dauer mit einer Stimme spricht, wird Russland zuhören.