Großmacht der erneuerbaren Energien?
Seitdem der russische Konzern Gazprom im Januar 2005 mit dem Segen des Kreml der Ukraine für kurze Zeit den Gashahn abgedreht hat, ist das europäisch-russische Verhältnis in schweres Fahrwasser geraten. War diese Beziehung schon seit Anfang 2006 belastet, so kamen seitdem weitere Gründe hinzu. Dazu gehört die kalte Enteignung westeuropäischer Investoren in Russland, allen voran des britischen Energiekonzerns BP.
Auch Mitgliedsstaaten der EU haben inzwischen zu spüren bekommen, wie es sich anfühlt, wenn Russland seine dominierende Stellung beim Öl- und Gasimport in die Länder der EU als politische Waffe nutzt. Sowohl Litauen als auch die Tschechische Republik waren für Monate von ihren vertraglich garantierten Öllieferungen aus Russland abgeschnitten. Tschechien befand sich in der glücklichen Lage, dass die aus „technischen Gründen“ seit zwölf Monaten unterbrochenen Lieferungen (mit Hilfe einer Anfang der neunziger Jahre errichteten Pipeline über Ingolstadt) durch Öl aus Nordafrika ersetzt werden konnten. Litauen dagegen ist eine der von der Europäischen Kommission so genannten Energieinseln, bei denen weder das Stromnetz noch Öl- und Gaspipelines mit Westeuropa verbunden sind. Was die Infrastruktur angeht, gehören die baltischen Staaten weiterhin zum postsowjetischen Raum und nicht zum EU-Energiebinnenmarkt. Der neue, am 12. November 2008 veröffentlichte Strategic Energy Review der Europäischen Kommission schlägt deswegen vor, die baltischen Staaten sowohl über Polen als auch über Finnland an die so genannten transeuropäischen Netze anzubinden. Die von einem russisch-deutsch-niederländischen Konsortium unter Vorsitz von Altbundeskanzler Gerhard Schröder geplante Ostseepipeline lässt die baltischen Länder jedoch weiterhin links liegen.
Russland bleibt unser wichtigster Nachbar
Die Vollendung des Energiebinnenmarkts und der Ausbau der transeuropäischen Energienetze sind Grundvoraussetzungen dafür, dass die Staaten der EU von gegenseitiger Solidarität in Fragen der Energiesicherheit nicht nur reden, sondern diese auch ausüben können. Dennoch kann die Energieversorgung Europas nicht autark organisiert werden. Auf absehbare Zeit bleibt Russland unser wichtigster Nachbar und der bedeutendste Energieexporteur in die EU. Diese Partnerschaft ist auch deshalb wichtig, weil sie Russland wichtige Einnahmequellen für seinen wirtschaftlichen Wiederaufstieg und Europa einen bedeutenden und wachsenden Exportmarkt für moderne Technologien und Serviceleistungen bietet.
Seit dem russisch-georgischen Krieg vom Sommer 2008 hat das gegenseitige Verhältnis jedoch einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die schon angelaufenen Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen wurden vorerst eingefroren und können nur einstimmig wieder aufgenommen werden.
Auch wenn der russisch-georgische Krieg aus geostrategischen und ethnischen Gründen ausbrach und deswegen fairerweise nicht als Ressourcenkrieg bezeichnet werden kann, spielt im Hintergrund die strategische Rolle des südlichen Kaukasus als Energietransitzone eine entscheidende Rolle. Der südliche Kaukasus ist eine der wichtigsten Energietransitwege im eurasischen Raum. Über den Kaukasus und die Türkei führen die einzigen Versorgungsstränge zu den Öl- und Gasfeldern Zentralasiens, die weder russisches noch iranisches Territorium berühren. Seit einigen Jahren versorgt eine Pipeline vom aserbeidschanischen Baku über das georgische Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan den Westen mit Öl aus Aserbeidschan und Kasachstan. Die nach einer Verdi-Oper benannte Nabucco-Pipeline soll den Europäern außerdem Zugang zu den Gasvorräten aus dem kaspischen Raum und aus Zentralasien verschaffen. Mit der neuen Instabilität in südlichen Kaukasus ist die Zukunft dieses von der EU massiv unterstützten Pipelineprojekts jedoch unsicher. Die Energieversorgung Europas lässt sich auf absehbare Zeit eben nicht gegen oder unter Ausschluss von Russland organisieren.
Die Einsicht, dass die Energiemärkte im eurasischen Raum unter Einschluss von Russland gestaltet werden müssen, findet auch unter den traditionell russlandskeptischen Mitgliedsstaaten der EU, namentlich Großbritannien und den Ländern Mittel- und Osteuropas, immer mehr Anklang. Daher wird das Thema Energie eine zentrale Rolle bei der Aushandlung eines neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens mit Russland spielen. Das bestehende Abkommen ist Ende 2007 ausgelaufen und wurde stillschweigend verlängert. Das Abkommen spiegelt aber schon lange nicht mehr die gewachsene politische und wirtschaftliche Bedeutung der europäisch-russischen Zusammenarbeit seit Beginn des 21. Jahrhunderts wider.
Wo sich Gemeinsamkeit herstellen lässt
Ein Hauptinteresse der EU ist es, Elemente aus der Anfang der neunziger Jahre verabschiedeten Europäischen Energiecharta vertraglich zu verankern. Die Energiecharta legt europaweit Regeln für Investitionen, den Handel und die umweltfreundliche Nutzung von Energie fest. Sie bestimmt außerdem ein Verfahren zur Lösung politischer und wirtschaftlicher Konflikte. Die russische Staatsduma hat die Charta allerdings nie ratifiziert, weswegen dieser bitter benötigte Schiedsmechanismus während der Konflikte der vergangenen Jahre in keinem Fall zur Geltung kam. Weil die russische Seite wesentliche Elemente des Vertrages, vor allem zum Schutz gegenseitiger Investitionen, jedoch bisher ablehnt, werden sich diese Verhandlungen auch im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens nicht notwendigerweise einfacher gestalten als im Rahmen der Energiecharta. Deswegen ist es notwendig, Themen zu identifizieren, bei denen Gemeinsamkeiten schon existieren oder sich leichter herstellen lassen. So könnte die starre Frontstellung in der energiepolitischen Auseinandersetzung aufgebrochen werden. Der Klimadialog eignet sich dafür auf hervorragende Weise.
Im Gegensatz zur Energiecharta ratifizierte die russische Duma vor einigen Jahren das Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz. Russlands Ratifizierung war entscheidend dafür, dass dieses weltweite Abkommen zum Klimaschutz in Kraft treten konnte, nachdem sich die Vereinigten Staaten unter Führung von Präsident Bush aus dem schon unterzeichneten Vertrag zurückgezogen hatten. Russlands Parlament stimmte der Ratifizierung damals aus zwei Gründen zu. Erstens wird Russland keine Schwierigkeit haben, das gesetzte Ziel einer Stabilisierung des Treibhausgasausstoßes von 1990 bis 2005 zu erreichen. Die russischen Emissionen sind seit dem Zusammenbruch der sowjetischen Schwerindustrie um fast 30 Prozent gesunken. Außerdem hofft die russische Wirtschaft, in den kommenden Jahren Emissionsrechte an diejenigen Länder zu verkaufen, die ihre in Kyoto gesetzten Ziele wohl nicht erreichen werden. Dazu gehören beispielsweise Spanien, Österreich, Japan und Australien.
Kein Freifahrtschein für Moskau
Zukünftig allerdings kann es keinen klimapolitischen Freifahrtschein für Russland mehr geben. Wegen der wachsenden Wirtschaft zuhause und steigender Exporte von Öl und Gas steigen die Emissionen zurzeit wieder massiv an. Außerdem muss Russland im Rahmen der Kyoto-Nachfolgeverhandlungen, die in Kopenhagen mit einem neuen weltweiten Klimaschutzabkommen Ende 2009 ihren Abschluss finden sollen, einen höheren Beitrag leisten. Nur dann kann auch anderen Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien vermittelt werden, dass sie eigene Klimaschutzanstrengungen unternehmen müssen.
Trotz dieser drängenden Fragen und obwohl Russland der drittgrößte Emittent von Kohlendioxid weltweit ist, ist der europäisch-russische Klimadialog noch unterwickelt. Einzelnen guten Projekten – unter anderem finanziert über die Klimaschutzinitiative des Bundesumweltministeriums – steht kein strategischer Dialog über die klimapolitische Zusammenarbeit, wie beispielsweise zwischen der EU und China, gegenüber. Die anstehenden Verhandlungen über das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen bieten dafür eine politische Chance.
Russlands Elite hofft auf wärmeres Wetter
Grundvoraussetzung für konsequentes klimapolitisches Handeln ist, dass die russische Führung die Bedrohlichkeit des Klimawandels endlich anerkennt. Immer noch glauben vereinzelte russische Wissenschaftler sowie wesentliche Teile der politischen Elite, dass der Klimawandel Russland wirtschaftliche Vorteile bringen wird. Dies ist ein gigantischer Trugschluss. Russland wird eines der ersten und größten Opfer des Klimawandels sein. Bei steigenden Temperaturen wird im russischen Norden die gesamte auf Permafrost errichtete Infrastruktur (unter anderem zu Energiegewinnung und -transport) im Schlamm versinken. Wegen veränderter Niederschlagsverhältnisse drohen der Landwirtschaft in Russlands Süden gigantische Ernteverluste. Die Wasserwege in Russlands Arktis werden auch bei höheren Temperaturen nur wenige Wochen eisfrei sein. Ein kontinuierlicher Schiffsverkehr wird schon deswegen nicht möglich sein, weil dieser durch losbrechende Eisberge bedroht werden wird.
Was Russland braucht, ist eine Studie über die ökonomischen Kosten des Klimawandels – ähnlich dem Bericht des Weltbankökonomen Nicholas Stern für die G8, der nachwies, dass die Kosten des Nichthandelns um ein Vielfaches über denen einer konsequenten Klimapolitik liegen. Ein solches Klimafolgenszenario für Russlands Ökonomie könnten Europäer und Russen gemeinsam anstoßen und finanzieren. Schon in der Auseinandersetzung mit China ist der politische Dialog dem vermeintlich unpolitischen wissenschaftlichen Austausch eng gefolgt.
Ist diese Einsicht einmal gewonnen, so wäre der nächste Schritt, die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Europa und Russland auch auf die Felder der Energieeffizienz und des Ausbaus von erneuerbaren Energien zu übertragen. Wie beim Öl und Gas kann Europa sowohl mit Technologien als auch mit gut ausgebildeten Fachkräften und einer Vielzahl international erfahrener und flexibler mittelständischer Unternehmen helfen. Russland dagegen schöpft seine Möglichkeiten sowohl auf dem Gebiet der Energieeffizienz als auch bei den erneuerbaren Energien noch nicht ansatzweise aus. Es könnte seinen Status als Energiegroßmacht auf diese Weise weiter festigen.
Russlands ungenutzte Energieeffizienzpotenziale betreffen Energieförderung und -transport, Industrie und private Haushalte gleichermaßen. Ein wichtiger Grund dieses Zustands sind die subventionierten Energiepreise auf dem Inlandsmarkt. Russlands Energiewirtschaft verdient ihr Geld bisher nur im Export. Der einheimische Markt ist bestenfalls aufkommensneutral. Weil diese Einnahmen fehlen, werden wichtige Investitionen in die einheimische Infrastruktur nicht getätigt. Bessere Energieeffizienz könnte aber gerade dazu führen, dass mehr Öl und Gas exportiert werden können. Da Russlands Reserven schon jetzt zur Neige gehen, während gleichzeitig neue Kunden aus Ost- und Südasien auf den Markt drängen, ist die Nutzung dieser schlummernden Effizienzreserven zuhause von entscheidender Bedeutung.
Eine Großmacht der erneuerbaren Energien
Langfristig hat Russland die Chance, zu einer Großmacht der erneuerbaren Energien zu werden. Die Wasserkraft der großen Ströme im Norden und Osten des Lands ist noch weitgehend ungenutzt. Eine effizientere Nutzung landwirtschaftlicher Flächen im Westen und Süden könnte Russland zum Exporteur von Bioenergie machen. Brachliegende Potenziale für die Nutzung von Windenergie finden sich an der Ost- und Schwarzmeerküste. In Kamtschatka existiert eines der weltweit größten Potenziale für Geothermie. Der Süden des Landes bietet sich für verschiedene Techniken der Nutzung von Sonnenenergie an.
Neben Öl und Gas könnte Russland deswegen zukünftig Strom aus erneuerbaren Energien und Biotreibstoffen exportieren. Funktionieren wird das nur, wenn die transeuropäischen Energienetze über die Grenzen der Union hinaus nach Osten erweitert werden können. Durch eine solche Diversifizierung der Energieversorgung kann auch das Risiko politisch oder wirtschaftlich motivierter Engpässe verkleinert werden – vor allem dann, wenn die EU parallel ihre Energienetze Richtung Südosteuropa und Nordafrika ausweitet.
Schon heute profitiert Russland davon, dass seine überschüssigen Emissionsrechte auf dem vom Kyoto-Protokoll geschaffenen weltweiten Kohlenstoffmarkt bares Geld wert sind. Der größte Kohlenstoffmarkt der Welt ist allerdings das europäische Emissionshandelssystem. Falls Russland im Rahmen eines Kyoto-Folgeabkommens, so wie es momentan verhandelt wird, ernsthafte Verpflichtungen zur Reduktion seines Treibhausgasausstoßes unterschreibt, sollte der europäische Energiemarkt, genauso wie das Emissionshandelssystem, für unsere Nachbarn im Osten – neben Russland die Ukraine, Belarus und Moldawien – geöffnet werden. Über den Emissionshandel werden langfristig gewaltige Investitionsströme dorthin geleitet werden, wo das Geld für den Klimaschutz am besten eingesetzt ist.