Grundrecht Wohnen
Das Recht auf eine angemessene und bezahlbare Wohnung ist ein soziales Grundrecht. Deshalb ist der Staat verpflichtet, im Rahmen eines sozial ausgestalteten Mietrechts in die Rechtsbeziehung zwischen Mieter und Vermieter einzugreifen, wenn das Gleichgewicht in dieser Beziehung nicht mehr stimmt. Dies ist auf dem Mietmarkt der deutschen Großstädte eindeutig der Fall.
Demgegenüber ist Tobias Just der Auffassung, Spekulation stelle in Deutschland kein Problem dar. Dabei zeigt ein Blick in die Innenstädte rapide Mietsteigerungen bei Neuvermietungen: 20 Prozent im bisher günstigen Berlin, 27 Prozent in Hamburg und selbst im sowieso bereits teuren München sind es noch 13 Prozent. Das sind Alarmzeichen, die klarmachen, dass es eben nicht ausreicht, die Knappheit von Wohnraum allein durch Neubau zu beheben. Der Vertreibung der angestammten Bevölkerung aus ihren Quartieren, wodurch die soziale Durchmischung in den Vierteln abnimmt, muss umgehend mit gesetzlichen Maßnahmen begegnet werden. Verzichtet man hingegen, wie von Tobias Just befürwortet, auf den „gut gemeinten, aber falschen Ansatz“ einer Kappung der Mietsteigerung, so stellt man die Weichen für eine Verlagerung gesellschaftlicher Probleme an den Stadtrand, wo dann, bereits heute absehbar, die sozialen Brennpunkte von morgen entstehen werden. Und das Problem betrifft nicht nur die Wohnnutzung. Es steigen auch die Gewerbemieten, was für viele Einzelhändler das Ende ihrer Geschäfte bedeutet. Gesichtslosigkeit in den Vierteln ist eine Folge dieser Entwicklung.
Wenn heute 44 Prozent der Haushalte über ein Einkommen von weniger als 1.500 Euro pro Monat verfügen, sind weitere Kostenbelastungen nicht tragbar. Schon jetzt geben die 21 Millionen Mieter in Deutschland durchschnittlich 34,7 Prozent ihres Budgets für die Miete aus. In den unteren Einkommensschichten handelt es sich schnell um 40 oder 50 Prozent. Ein Polizist oder eine Krankenschwester können sich unter diesen Bedingungen keine Wohnung mehr in einer Stadt wie München leisten. Das soziale Gleichgewicht in den Städten gerät so in eine dramatische Schieflage, ganz zu schweigen von den sekundären Effekten der Verdrängung an den Stadtrand: Mit der zusätzlichen Belastung durch Pendler entsteht ein weiteres Problem, wie andere europäische Metropolen täglich beweisen, die sich schon jetzt nahe am Verkehrskollaps befinden.
Deshalb muss Vorsorge getroffen werden. Die SPD-Bundestagsfraktion hat in der Debatte um das Mietrechtsänderungsgesetz solange Druck ausgeübt, bis zumindest die CDU/CSU Wirkung zeigte. Sie hat dem herzlosen Gesetzentwurf aus dem FDP-geführten Justizministerium eine Last-Minute-Korrektur aufgenötigt: Mit einer Kappungsgrenze im Bereich der Bestandsmieten auf eine Mieterhöhung von 15 statt 20 Prozent in drei Jahren beruhigt die Union ihr soziales Gewissen.
Das reicht nicht aus. Wer jetzt nicht konsequent zupackt, darf sich über die drohende Verödung der Innenstädte und zugleich die Verelendung der Randbezirke nicht mehr wundern. Wir wollen deshalb bei Neuvermietungen eine Kappungsgrenze von 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete einführen. Unsere Initiativen im Bundesrat soll Gemeinden im Rahmen ihrer eigenen Satzungen ermöglichen, Gebiete mit einer bestimmten Miethöhe festzusetzen – bei Überschreitung um mehr als 20 Prozent griffe dann der Mietwucherparagraf des Wirtschaftstrafrechts.
Dass gesetzliche Regelungen zur Begrenzung allein nicht helfen, wenn auf dem Wohnungsmarkt die Nachfrage das Angebot übersteigt, wissen wir. Wir sind bekanntlich dabei, nach Jahren des Stillstands kräftig zur Behebung des Problems beizutragen. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz weist (ebenfalls in der vorigen Ausgabe der Berliner Republik) darauf hin, dass in seiner Stadt 2012 bereits 8 700 Baugenehmigungen erteilt wurden, und Berlin folgt auf dem Fuße mit 38 000 neuen Wohnungen, die kurz- und mittelfristig gebaut werden. Aber das heißt nicht, dass wir bis zur Fertigstellung des neuen Wohnraums dort auf gesetzliche Regulierung verzichten könnten, wo das soziale Gefüge der Städte akut bedroht ist.
Der Spekulation, die Tobias Just nicht erkennen kann, leistet die Bundesregierung Vorschub. Unter dem Vorwand der Klimawende höhlt sie das bisherige Mietrecht aus. Der Mietminderungsausschluss, der bei energetischer Gebäudesanierung gelten soll, kippt das dem Vertragsrecht grundsätzlich zugrundeliegende Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung zugunsten des Vermieters. So sinnvoll die energetische Gebäudesanierung ist, darf sie doch nicht allein den Mietern aufgebürdet werden. Wir wollen eine Reduzierung der Umlage von 11 auf 9 Prozent. Vorstellbar ist auch, die Umlageanteile auf die turnusgemäßen Mieterhöhungen anzurechnen. Auch die Einarbeitung des energetischen Zustandes des Gebäudes in den Mietenspiegel und die ortsübliche Vergleichsmiete ist in der Diskussion.
Damit Investitionssicherheit hergestellt werden kann, bedarf es einer Verstetigung der öffentlichen Förderung. Denn dass die Sanierung der Gebäude unter Klimaschutzgesichtspunkten sinnvoll ist, bestreitet niemand: 85 Prozent des Altbaubestandes sind energetisch nicht saniert und 40 Prozent unseres gesamten Energieverbrauchs werden für Heizung beziehungsweise Wärmebedarf aufgewendet. Das alles sind Gesichtspunkte, die bei der Debatte um Wohnraum-Spekulation und Mietsteigerungen berücksichtigt werden müssen.