Heißer Sand und ein verlorenes Land

Wird am Strand von Berlin die Große Koalition vorbereitet?

Es ist Sommer. Im Sommer gibt es Löcher, so genannte Sommerlöcher, oder man verbringt die Zeit am Strand: Jene erkennen, dieses machen - das wollen wir dieses Mal. Im politischen Berlin ist viel zu tun: Gesundheit und Rentensysteme in Ordnung bringen, Wachstum und Beschäftigung fördern, den Sozialstaat auf Vordermann bringen. So viel auf einmal ist das, dass ein ehemaliger Staatsminister bereits schrieb, das politische Berlin dürfe diesmal keinesfalls eine Sommerpause machen. Selbst die Opposition darf in diesem Jahr nicht in den Urlaub fahren, sondern soll voll mitmachen beim Deutschlanderneuern. Es riecht nach Großer Koalition. Wir wollen wissen, was die Menschen dort von der Sache halten.

 

 

In der StrandBar tummeln sich - an Wochenenden - bis zu 1.000 Menschen. Sie fläzen sich dann nachts auf den Liegestühlen, sitzen auf Strandbänken, liegen im aufgeschüttem Sand unter ein paar Palmen und trinken Cocktails (zu 4 bis 7 Euro) oder Bier (0,33 Liter für 2,50 bis 3 Euro). Das Wasser sieht nur, wer über die Brüstung guckt. Nachts wird die Spree angestrahlt und spiegelt sich romantisch auf den Planen des gegenüberliegenden Baugerüsts.

Ein Mann im hellen Anzug, vielleicht Mitte dreißig, reagiert mit der hier angesagten Coolness auf unsere Frage. "Große Koalition? Was ist das?", fragt er knapp, klopft den Sand von seiner Aktentasche, dreht sich weg und geht. Marita sitzt noch da, aber das hilft auch nicht: "Sorry, only English. And no politics". Die Recherche kann ja heiter werden.

Auf zur nächsten Gruppe. Hier wird Dosenbier getrunken - offensichtlich Kosten sparend mitgebracht. Wir fragen Sibylle, was von einer Großen Koalition zu halten sei. Sibylle schweigt. Dafür antwortet Martin: "Das funktioniert nicht. Die SPD weiß nicht was sie will, und die CDU ist nur dagegen. Es gibt keinen kooperativen Führungsgeist, nur das Interesse für die eigene Partei". Eigentlich solle die SPD mal lieber mit der FDP was machen - schließlich habe der Struck auch schon mal mit dem Genscher geredet. Und Sibylle? "Ich stimm dem zu." Okay.

Von oben sieht die Szenerie wie ein Ameisenhaufen aus, dessen Arbeitstiere durstig an die Selbstbedienungstheke krabbeln um dort den Nachschub für die eigene Bezugsgruppe zu organisieren. Obwohl viele gestylte Menschen hier sind, hat das Ganze doch irgendwie einen proletarischen Chic. Trotzdem wurden hier abends schon Staatssekretäre gesichtet, allerdings nur in Begleitung aus eigenen Kreisen.

"Ich bin für die große Revolution!"

Noch einmal unsere Frage. Ole, Student und auf einem Kongress für Entwicklungszusammenarbeit in Berlin, lacht: "Mir ist die Frage "Schröder oder Merkel′ völlig egal. Ich bin für die große Revolution!" Ute, die VWL studiert, steht daneben: "Ich halte gar nichts von der Großen Koalition. Da fehlt der Gegenpol". Eigentlich will sie ein anderes Steuersystem, mehr Bildung und keinen Abbau des Sozialstaates. "Bei Rot-Grün sind die Reformen nicht gut aufgehoben", findet sie. "Ich weiß aber auch keine Alternative".

Wir wechseln zum BundesPresseStrand. 120 Tonnen Ostseesand und Sonnenschirme machen das Flair bei gutem Wetter perfekt. Hier ist das Publikum aus Journalisten, Politik und Wirtschaft in seiner Zusammensetzung politischer, die Atmosphäre insgesamt entspannter. Rund 100 Meter lang zieht sich der Strand mit kleinen Holzbänken und Tischen, verschiedenen Buden (Grill-Boulette 2 Euro, Crêpes 2 bis 3 Euro, Cocktails) mit Blick auf den Reichstag vor der Bundespressekonferenz auf einem schmalen Streifen. Die Liegestühle sind edler, leihweise gibt es sogar Handtücher. Am Abend spielt lebendige Musik, und man sitzt direkt am Wasser.

Wir treffen Heiko. Heiko arbeitet bei der CDU. Heiko glaubt nicht an die Große Koalition und sagt, er finde "das auch nicht gut". Er fragt sich, ob sich tatsächlich was verändern würde. Schließlich wäre dies "nur ein Administrieren der Krise. Das Beste wäre aber gewesen, wenn die Wahlen anders ausgegangen wären". Auch Thomas, der bei der SPD arbeitet, möchte die Große Koalition nicht, "obwohl wir die durch Bundesrat und Bundestag ja schon fast haben." Er will, dass Schröder Kanzler bleibt. Außerdem mache die Große Koalition "nur die Ränder stärker".


Während das Spreewalder Pils (der halbe Liter zu 3 Euro) fließt, schaltet sich Sebastian in das Gespräch ein. Er ist Student, macht derzeit ein Praktikum in einem FDP-Büro und sieht in der Großen Koalition "die einzige Chance, das sich überhaupt etwas bewegt - zumal die Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Bundestag nicht klappt". Bei einer Großen Koalition hingegen wäre die Umsetzung gewährleistet und es kämen Gesetze raus. Und was wird aus der FDP? Die Band im Hintergrund spielt As time goes by.

"Ob eine Große Koalition arbeitsfähig wäre" bezweifelt auch Benjamin, "weil die Diskrepanzen zwischen den Parteien zu groß sind. Dazu sind wir im falschen Land mit der falschen Gesellschaft. Das klappt nicht." Auch Rene meint, dass das Land "a bisserl in der Scheiße ist" und die Agenda 2010 für Wirtschaft und Wachstum nicht ausreiche. Insofern sei die Große Koalition eigentlich 2004 notwendig, falls die Wirtschaft bis dahin nicht angezogen habe. Allerdings bezweifelt er, dass SPD und CDU ihrer Klientel wirklich Weh tun würden: "Beide müssten sowohl den Gewerkschaften als auch der Wirtschaft ins Knie ficken. Das passiert aber nicht" - so notwendig es wäre. Schließlich stünden Landtagswahlen an, und in den Parteien komme Parteiräson vor Staatsräson. Große Koalition? "In der Theorie: Ja - in der Praxis: Nein."

"Hier zahlt auch mal die CDU die Zeche"

Volker, Mitarbeiter bei der CDU, hat sich gerade aus dem Liegestuhl gewuchtet und sieht die Sache pragmatisch: "Die Große Koalition ist die Kneipe, die ich hier machen möchte - vielleicht zusammen mit demWahlkreis. Frank wiederum, Unterstützer des Projekts BundesPresseStrand, erzählt, wie am Bundespressestrand die "große Kooperation" bereits verwirklicht ist: "Hier zahlt auch mal die CDU die Zeche für die Sozis - je nachdem, wer gerade Bier holen geht". Dabei soll es - möglichst - noch bis zum 3. Oktober bleiben. "Dann tanzen wir Tango im Schatten des Reichstages" - eng und elegant. Vielleicht sogar fruchtbar, wie man hinzufügen möchte.

* mit freundlicher Recherche-Unterstützung von Anne Sophie Petersen

STRANDBAR MITTE im Monbijoupark, Monbijoustrasse 1, Berlin-Mitte, Eingang an der Monbijoubrücke
BUNDESPRESSESTAND - Schiffbauerdamm 40 Ecke Rheinhardtstrasse, an der Kronprinzenbrücke

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