Hürdenlauf für Frauen

Kommunalpolitik im ländlichen Raum

Die politische Partizipation von Frauen auf der Ebene der Kommunen ist im ländlichen Raum - zum Beispiel in Rheinland-Pfalz - von einigen Merkmalen geprägt, die sich aus frauenpolitischer Sicht als problematisch darstellen.

Zum einen treten viele Wählergruppen zur Kommunalwahl an. Diese Wählergruppen sind im Gegensatz zu den Parteilisten der Bündnisgrünen, SPD und CDU an keine Quoten oder Quoren gebunden. Sie sind noch nicht einmal unverbindlich angehalten, Kandidatinnen aufzustellen. Dem gegenüber sind die traditionellen Parteien theoretisch verpflichtet, Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen aufzustellen. Die Praxis zeigt aber, dass dem theoretischen Anspruch nicht immer Rechnung getragen wird.


Zum anderen gilt es für kommunalpolitisch interessierte Frauen, die in Zukunft zu den aktiven Kommunalpolitikerinnen zählen wollen, zwei weitere Hürden zu nehmen: 1. müssen die Frauen auf den Listen der Wählergruppen und Parteien als Kandidatinnen aufgestellt werden und 2. müssen sie mittels Panaschieren und Kumulieren auch gewählt werden.

Die Erfahrung zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler von dieser Möglichkeit des Panaschierens und Kumulierens ausgiebig Gebrauch machen. Gerade bei den Gemeinderäten, also in einer sozialen Struktur, bei der fast "jeder jeden kennt", kann die Liste der KandidatInnen erheblich von den tatsächlich gewählten Ratsmitgliedern abweichen.

Schon lange vor den Wahlen fahnden die (potenziellen) Listenführer nach Mitstreitern. In Gesang- und Sportverein, im Bekannten- und Verwandtenkreis wird gesucht, und mann wird fündig. Herr Müller ist Vorsitzender des Männergesangvereins, Herr Meier ist im Vorstand des Fußballvereins, und Herr Schmidt war Meinungsführer bei der Anliegerversammlung ... "Für die kommunale Ebene gilt, dass sich die Auswahl weniger an parteipolitischen Kriterien orientiert. Das mit Abstand wichtigste Selektionskriterium dürfte auf dieser Ebene der individuelle Bekanntheitsgrad sein, der üblicherweise auf einer aktiven Vereinsmitgliedschaft bzw. Vereinsführung oder aber auf einer aktiven beruflichen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeit innerhalb der Gemeinde beruht."1

In der Tat ist die Nichtanwesenheit von Frauen bei der Bürgerversammlung ebenso groß wie die Abwesenheit von Vätern beim Elternabend des Kindergartens. Und weil der Listenführer nicht beim Elternabend im Kindergarten war, hat er das engagierte Auftreten von Frau Schulze nicht erlebt. Ihre Energie verpufft demnach in einem überwiegend von Frauen geprägten Rahmen und findet keinen Weg in die lokale, männerdominierte Politszene. Die Abwesenheit der Männer in vermeintlichen Frauenbereichen wie Kindergarten oder Schulelternbeirat zwingt Frauen dazu, diese fraglos wichtigen Themen unter sich zu bearbeiten und führt in der Folge zur Unterrepräsentanz von Frauen in anderen, öffentlichkeitswirksameren Gremien. Durch ihre Arbeit an unpopulären Themen erreichen sie nicht den für eine gute Platzierung auf der Kandidatenliste erforderlichen Bekanntheitsgrad. Ein Mechanismus, der von der weit verbreiteten Doppelbelastung durch Erwerbs- und Familienarbeit noch verschärft wird.

Diese Doppelbelastung schränkt die zeitliche Verfügbarkeit von Frauen deutlich ein und stellt damit ein weiteres k.o.-Kriterium bei der Rekrutierung potenzieller Mandatsträgerinnen dar, zieht doch die Übernahme eines politischen Ehrenamtes zahlreiche Termine - offizielle und inoffizielle - nach sich. Zu den eher "inoffiziellen" Heide Simonis (SPD): "Die politische Karriere beginnt im Ortsverein, denken die meisten. Aber in Wirklichkeit beginnt sie im Hinterzimmer, in den Kreisen, die dort noch beim Bier zusammenbleiben. Es hat keine zwei Monate gedauert, bis ich gemerkt habe, dass man nach der Versammlung am Abend mit Beschlüssen auseinander geht, die am nächsten Morgen ganz anders lauten. Keine zwei Monate, und ich bin auch noch zum Bier geblieben. Das war noch viel spannender."2


Das Hemmnis vieler Frauen, in der (vor-)politischen Szene nicht präsent zu sein - sei es aufgrund familiärer Verpflichtungen oder wegen grundsätzlicher Ablehnung informeller "Thekenabsprachen" - wirkt sich bereits auf die Zusammensetzung der Listen aus. Von Frauen erwartete Tugenden wie Bescheidenheit, Freundlichkeit und Zurückhaltung, die nicht zum althergebrachten Profil des Politikers passen und in Männerdomänen eher hinderlich sind, tun ein übriges.

"Seit den 70er Jahren hat sich einerseits das gesellschaftliche Klima als Schubkraft für politisch aktive Frauen ingesamt positiv ausgewirkt. Andererseits ist die Politik, angefangen von Organisationsstrukturen über Kommunikationsformen und Versammlungsstile bis hin zu machtvollen Positionen, nach wie vor fest in männlicher Hand."3


Auf derartigen, von Männern gebahnten Schleichwegen gehen viele interessierte und potenziell aktive Frauen der Kommunalpolitik verloren. Leider ist es kein Einzelfall, dass aus dem 25-prozentigen Frauenanteil bei den Kandidaturen nur noch neun Prozent Frauen unter den Ratsmitgliedern übrig bleiben. In vielen Gemeinden und Städten liegt der Frauenanteil der Ratsmitglieder unter dem Frauenanteil der MandatsbewerberInnen. Hieraus ergeben sich zwei wesentliche Fragen.

Erstens: Wie ist der Frauenanteil zu erhöhen, wenn Präsenz und Popularität, die von Frauen nicht im gleichen Maße wie von Männern erbracht werden können, zunehmende Bedeutung für die Wahlentscheidungen erhalten?

Zweitens: Was geschieht politisch mit den Kandidatinnen?

Jene Frauen, die parteipolitisch eingebunden sind, können auch ohne politisches Mandat innerhalb ihrer Parteiorganisation politisch arbeiten. Frauen, die sich jedoch nicht parteipolitisch binden wollen, können zwar mittlerweile auch in den Parteien mitarbeiten, was jedoch für die überwiegenden Zahl eher ein theoretischer Zugang zur Politik sein dürfte.

Es bedarf folglich politischer Foren für Frauen. Zum einen, um diese Ressource für die Kommunalpolitik nicht ungenutzt zu lassen, und zum anderen, um gegenüber der männlichen Präsenz und Popularität eine Alternative zu bilden.

Die Lokale Agenda 21 mit ihrem Ansatz, Leitbilder und Handlungsperspektiven für eine nachhaltige Entwicklung der Menschheit zu entwickeln, bietet sich hier als alternatives Forum an. Denn gerade der Agenda-Prozess fordert die Beteiligung von Frauen auch außerhalb der Gremien und traditionellen Strukturen. Parteien sind hierbei sicher zu den traditionellen Strukturen zu zählen.

In Rheinland-Pfalz ist die Stärkung der politischen Partizipation von Frauen erklärtes Ziel. Lokale Agenda-Frauengruppen werden und wurden seitens des Ministeriums für Kultur, Jugend, Familie und Frauen unterstützt. Die Erfahrung zeigt, dass auf dem "neutralen" Boden von Gleichstellungsstelle und Agenda-21-Prozess Frauen die Entwicklung ihrer Region in die Hand nehmen wollen und können. In diesen Gruppen spielt das politische Spiel der Parteien und Ämter keine Rolle. Vielleicht ist dies der Grund, dass das motivationstötende Diktat des finanziellen Drucks auf das reduziert wird, was es für politische Menschen sein sollte: der finanzielle Rahmen der Machbarkeit.

Dennoch bleibt für frauenpolitisch engagierte Menschen die Frage offen, warum die letztlich doch, trotz aller Widrigkeiten kandidierenden Frauen nicht gewählt werden. Offensichtlich wählen weder Wählerinnen noch Wähler in ausreichendem Maße Frauen. Denn zweifelsfrei könnten die BürgerInnen mit der Möglichkeit des Panaschierens und Kumulierens "ihre" Frau wählen.

Trotz Quotendiskussionen und öffentlicher Debatten über Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligung und Ämterhäufung ist es nicht gelungen, ein alternatives PolitikerInnen-Profil zu etablieren. Im Gegenteil zeigen die Ergebnisse des Panaschierens und Kumulierens, dass die "negativen" und oft bis hin zum Vorwurf der Profilneurose kritisch betrachteten Eigenschaften kommunaler Politiker "alter Schule" mit Wahlerfolgen belohnt werden.

Dabei bieten nicht nur die aktuellen politischen Krisenerscheinungen auf allen Ebenen Anlass, über eine intensivere Beteiligung von Frauen in der Politik nachzudenken. Spendenaffären und Günstlingswirtschaft charakterisieren strukturelle Mißstände, und auch inhaltlich werden viele politische Lösungsansätze drängenden Problemen nicht mehr gerecht.

Das ganzheitliche und weniger macht- als sachorientierte Politikverständnis von Frauen könnte dazu beitragen, die vorherrschende politische Kultur zu bereinigen, neue Impulse zu geben und innovative Wege zu beschreiten. Denn die häufig vorgeschobene These "Frauen haben ein gestörtes Verhältnis zur Politik" - unter anderem auch vom Institut für Demoskopie Allensbach als Fazit einer Nichtwählerinnen-Studie ähnlich formuliert - wird auch durch ständige Wiederholung nicht wahr. Richtig ist vielmehr: "Die traditionelle Politik hat ein gestörtes Verhältnis zu Frauen."4

1 Beate Hoecker: Politische Partizipation von Frauen, Opladen 1995
2 Heide Simonis (SPD) in: Kahlweit, Cathrin: Damenwahl. Politikerinnen in Deutschland, München 1994
3 Birgit Meyer in: M. M. Jansen, S. Baringhorst, M. Ritter (Hg.): Frauen in der Defensive, Münster 1995
4 Birgit Meyer in: aaO

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