Ich träumte von Iris Berben: Für eine neue Kultur der Kommunikation in Berlin



Als ich zu Beginn der neunziger Jahre nach Berlin kam, steckte ich voller Erwartungen. Ich hoffte, dass sich die alte und neue Hauptstadt günstig entwickeln würde. Etwa indem sich die in Bonn, dem kleinen Washington der achtziger Jahre, entwickelte Gesprächs- und Partykultur mit einer neuen, vibrierenden hauptstädtischen Szene vereinigen würde. Ich hoffte mit anderen Worten, am Abend nicht nur auf Franz Müntefering und Cornelia Pieper zu treffen, sondern auch auf Irene Dische und Iris Berben.


Daraus ist leider nichts geworden, und wenig spricht dafür, dass sich an diesem Zustand etwas ändern wird. An die Stelle einer neuen hauptstädtischen Kultur ist das Fernsehen getreten. Die Berliner Filmfestspiele finden im Februar leider im Saale statt, und die Stars bleiben zu kurz. Über den Rest des Jahres hinweg vereinigen zwei bis drei Fernsehmoderatorinnen und zwei ziemlich schnell sprechende ehemalige Sportreporter für ein bis zwei Stunden die deutsche Funktionselite in ihren Salons und unter anderen gläsernen Dächern, mit denen viele Innenhöfe in Berlin Mitte nach der Wende ausgestattet worden sind. Die Entstehung einer Gesprächskultur ist dabei nicht zu entdecken, mitunter mangelt es sogar an den Minimalanforderungen für Höflichkeit. Danach spritzt man auseinander, zum nächsten Termin, zum soundsovielten acte de présence, zum Sommerfest von Stern, Spiegel oder Focus.


Ich habe nichts gegen Tempo. Aber das ist mir alles viel zu flüchtig und viel zu schnell. Und immer wieder neu bin ich überrascht, wenn ich bei einer großen Veranstaltung, zuletzt der Eröffnung der neuen Berliner Ullstein-Repräsentanz unweit des Bahnhofs Friedrichstraße, herumrenne und kaum jemanden kenne. Es ist nur ein schwacher Trost, dass es den anderen kaum besser geht. Sehnsüchtig denke ich in diesen Augenblicken zurück an eine unvergessliche Nacht im Bohemian Club von San Francisco, wo sich die interessantesten Leute der Gegend, im Tagesgeschäft Rechtsanwalt, hoher Beamter oder Mediziner, als Sänger, Revuetänzer, Conferencier oder Barkeeper betätigten. Ich hatte zu Beginn der neunziger Jahre gedacht: So ein Club muss auch nach Berlin kommen. Da aus dem damals prognostizierten Zuwachs Berlins auf mindestens fünf Millionen Einwohner nichts geworden ist, fehlen fürs erste anscheinend die Mittler und kreativen Köpfe, die ein derartiges Unternehmen auf die Beine stellen könnten. Haben Sie noch Lust, Rolf Eden zu begegnen?

Nur Otto Schily hörte die ganze Zeit zu

Was ist zu tun? Ich glaube, ehrlich gesagt, dass die Organisation einer hauptstädtische Kommunikationskultur auch eine Sache der Politik ist. Es reicht nicht aus, wenn sich der Kanzler kurz vor und kurz nach Wahlen mit Intellektuellen trifft. Es muss in der Hauptstadt ein ständiges Gespräch geben. Es muss Diskussionsrunden ohne Fernsehen geben – über Literatur, die jüngsten politischen Biografien, über Außenpolitik und neueste gesellschaftliche Trends. Die Räumlichkeiten dafür sind ja schon da. Und die Politiker müssen Zeit mitbringen. Wer von ihnen bleibt heute noch über seinen 30-minütigen Redebeitrag hinaus bei einer eintägigen Tagung von Anfang bis Ende dabei? Otto Schily ist mir aus den letzten Jahren als Einzelfall in Erinnerung. Er kam zur Königswinter-Konferenz nach Cambridge, übernahm als wahrhaft Erster unter Gleichen den Vorsitz in einer Arbeitsgruppe – und blieb die gesamte Zeit.


Deutschland hat – auch infolge der Nazizeit – eine Institutionenschwäche. Wer einmal in der angelsächsischen Welt gelebt hat, weiß, was gemeint ist. Demokratie benötigt, wenn sie tief verankert sein will, kleine, aber feine Institutionen fern des Öffentlichen Dienstes. Sie braucht Rituale und Treffpunkte, an denen sich Menschen in Ruhe begegnen, wo sie zuhören und Argumente austauschen können. Fernsehen und Fernsehpräsenz ist zu flüchtig, zu unruhig. Das unter großem Reform- und Veränderungsdruck stehende Land braucht Ruhezonen, Plätze der Entschleunigung, Orte des Miteinanders und der Kontemplation, auch um etwas von dem Glück zu behalten, dass die deutsche und europäische Wiedervereinigung noch immer ausmacht. Ich bin ganz sicher, dass davon auch die fast untergegangene Debattenkultur im Parlament und am Ende die gesamte politische Kultur der Berliner Republik profitieren würde.

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