In der Mitte ein Loch
Eine fundamental andere Politik als zuvor hat es in den letzten dreieinhalb Jahren natürlich nicht gegeben. Niemand wird in Deutschland durch Regierungswechsel einen radikalen Politikwechsel durchsetzen können. Dafür fehlen in Deutschland alle institutionellen Bedingungen; hierzulande wird es weder jähe "Aufbrüche" noch dramatische "Wenden" geben, außer in der dröhnenden Rhetorik. Kurzum: in der Steuer- und Rentenpolitik hat die Regierung Schröder in etwa das gemacht, was die alte Regierung auch vorhatte, aber gegen die Lafontaine-SPD nicht durchsetzen konnte. Die "neue Mitte" ist, nochmals, eine neue nachchristdemokratische Generation mit einem eher sozialliberal geprägten kulturellen Lebensgefühl, das sich irgendwann seit den achtziger Jahren schon gesellschaftlich durchgesetzt hat. Und die Regierung Schröder-Fischer hat diesen kulturellen Wandel, diese Generationsprägungen gewissermaßen noch in Gesetzesform gegossen, besonders markant im Falle der Homoehe. Insofern, gleichsam auf der Ebene des Schröderschen "Gedöns", war Rot-Grün schon "neumittig", in den harten politischen und ökonomischen Fragen eher nicht, sieht man - immerhin - von der Ökosteuer ab.
2 Das Bündnis für Arbeit wie überhaupt die Konsensrunden waren Merkmale der Politik der Neuen Mitte. Ist dieses Konsens-Modell gescheitert?
Es ist ja schon häufig gesagt worden: Deutschland gehört zu den Ländern mit den in der Innenpolitik am meisten institutionell gefestigten und legitimierten Vetomächten der Welt. Eine Regierung, die sich brachial gegen die Phalanx dieser Vetomächte hinwegsetzen wollte, würde ganz furchtbar scheitern. Eine Politik des Nicht-Konsens, also der harten Konfrontation, schafft erst recht Blockaden, Stillstand, Stagnation. Nur wenn die zweite, die nichtregierende Volkspartei so von der Rolle ist, wie die Union in und nach der Kohl-Parteienfinanzierungs-Affäre, kann ein geschickter Kanzler sie überrumpeln. Aber das wird ihm in den nächsten Jahren nicht mehr gelingen; die Young Boys von der Christdemokratie haben einfach hinzugelernt, lassen sich nicht mehr über den Tisch ziehen. Ich weiß, das ist auch und gerade unter Journalisten nicht sehr populär: Aber eine gründliche Entstrukturierung betonierter Verhältnisse schaffen Sie in den nächsten Jahren nur, ja, bei einer Großen Koalition, natürlich: begrenzt, auf Zeit, bei einer wachen Öffentlichkeit. Eine neu-neue Mitte Westerwelles mit einer alt-neuen Mitte Schröders jedenfalls kann außer einer Menge Regierungsstreit und Medienspektakel nicht so furchtbar viel bewirken.
3 Wie wird eine Politik der Neuen Mitte in Zukunft aussehen?
Sie wird paradoxerweise weniger "mittig" daherkommen als jetzt. 2002 wird Höhe-, aber auch Wendepunkt der Mitte-Rhetorik sein. Politik und Parteien der Mitte sind thematisch unscharf, undeutlich, eben nach allen Seiten offen, inhaltlich daher blass. Dadurch verliert Politik natürlich an Substanz, Kraft, auch an emotionalen Bindungen, an Anhängerschaft. Die Partei spüren das ja schon jetzt und werden es in den nächsten Monaten bitter erleben, wie wenig Lust ihre Mitglieder und Anhänger auf Wahlkampf haben werden. Wofür sollen sie sich einsetzen? Mitte schafft Löcher an Sinn und Perspektive. Und so werden wir die Paradoxie erleben: die Generation Schröder fing sehr ideologisch an und ist heute nur noch pragmatisch und mittig. Die Nachfolger waren gleich von Beginn an mittig und pragmatisch, aber ihr Held und Leitwolf wird in den nächsten Jahren derjenige werden, der schärfer konturiert, ein Ziel vor Augen hat, Richtung weisen kann. Einfach schon aus Gründen des Wettbewerbsvorteils wird sich einer unter den Nachwuchspolitikern finden, der in diese Lücke stößt. So war′s bislang stets und immer in der modernen Parlaments- und Parteiengeschichte. So wird es auch diesmal kommen.