In Wirklichkeit ganz nah beieinander
Das Verhältnis zwischen Großbritannien und Deutschland bereitet beiden Seiten stets aufs Neue Kopfschmerzen. In den achtziger Jahren pries man die „stille Allianz“, die nicht die Rituale und geschichtsschwangeren Gesten der deutsch-französischen Beziehungen benötige, um effektiv zu sein. Nach 1998 hofften Optimisten hüben wie drüben, es werde sich eine neue „strategische Allianz“ zwischen Berlin und London herausbilden. Das Gegenteil trat ein: Das Verhältnis ist in den vergangenen Jahren entschieden frostiger geworden.
Unterhalb der staatlichen und institutionellen Ebene aber brechen immer wieder Animositäten und Ressentiments auf, oft geschürt von den Medien beider Länder. Eine Erwartung, der sich diplomatische und akademische Zirkel gerne hingaben, erweist sich als Irrtum: Zeit heilt nicht automatisch die Wunden der Vergangenheit. Sie können leicht wieder aufreißen und die Sicht auch nachwachsender Generationen prägen. Gerade bei jüngeren Briten ist das deutsche Image miserabel. Kein Wunder, schließlich wuchsen sie mit einem Deutschlandbild auf, das vor allem um Nazis, den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg kreiste, ergänzt um Bier, Fußball und deutsche Urlauber, die nun einmal tatsächlich die Angewohnheit haben, sich raumgreifend die besten Plätze am Strand zu sichern.
Umso freudiger wurde die frohe Botschaft aufgenommen, die zum Jahresbeginn aus Großbritannien zu vernehmen war. Schluss soll sein mit der „Hitlerisierung“ des Geschichtsunterrichts. Fortan, so sieht es das neue nationale Curriculum vor, sollen britische Schüler auch etwas über das demokratische Deutschland erfahren, das nach 1945 erstand. Deutsche Diplomaten sind überglücklich über diese erziehungspolitische Wende. Hinter den Kulissen haben die Botschafter jahrelang darauf gedrängt. Der deutsche Botschafter Thomas Matussek hat Recht: Eine allzu obsessive Beschäftigung mit der Nazivergangenheit verstellt den Blick aufs moderne Deutschland – mit unerfreulichen Konsequenzen für die Beziehungen zwischen beiden Völkern. Eine Fülle anekdotischer Evidenz, etwa unangenehme Erfahrungen von Sprachschülern und Kindern aus deutsch-britischen Mischehen, belegt dies, und zahlreiche Untersuchungen weisen in dieselbe Richtung. Eine Umfrage unter 800 englischen Schulkindern Ende der neunziger Jahre erbrachte, dass sie Deutschland für das langweiligste, unattraktivste und ärmste Land Europas halten, ärmer noch als Bosnien, in das sie eher reisen würden als nach Deutschland. 78 Prozent der 10- bis 16-Jährigen fallen zu Deutschland nur der „Zweite Weltkrieg“ ein, 50 Prozent erwähnten „Hitler“ und 11 Prozent „Bier“. Daran dürfte sich wenig geändert haben.
Unbeliebt noch nach 60 Jahren Demokratie
Wir Deutschen leiden darunter, dass wir im Ausland einfach nicht geliebt werden. Obwohl wir doch 60 Jahre lang stabile Demokratie vorgelebt, uns nachhaltig als dezidiert unkriegerische Nation empfohlen und die Schandtaten der Vergangenheit ausführlich bereut haben. Wenn uns die Nachbarn den Spiegel vorhalten oder wenn sich gar herausstellt, dass es sich um einen Zerrspiegel handelt, reagieren wir enttäuscht und verärgert. Großbritanniens Presse scheint es besonders auf uns abgesehen zu haben. Kaum ein Monat verstreicht, in dem nicht irgendwer in Deutschland das Lied von den schrecklichen britischen Medien anstimmt, über die garstigen „tabloids“ wettert – und dabei oft genug selbst Klischees produziert oder perpetuiert.
Einen Spitzenplatz in der deutschen Dämonologie nimmt immer noch die Sun aus dem Hause Rupert Murdoch ein. Dabei ist das größte Massenblatt des Landes längst viel zivilisierter geworden und hat xenophobische Tendenzen weitgehend abgelegt, wenngleich es gelegentlich nicht der Versuchung widersteht, die zarte deutsche Seele durch ein paar deftige Scherze zu verstören. Wirklich giftige Aussagen liest man eher in Blättern, die sich bürgerlich wohlanständig oder liberal geben. So schalt vor einiger Zeit eine Kolumnistin des linksliberalen Observer ausgerechnet die Sun der übertriebenen „politischen Korrektheit“, weil das Blatt den Deutschen aus falscher Rücksichtnahme nicht mehr den Holocaust vorhalte.
Der deutsche Buhmann als Dauergast
Nun lässt sich schwerlich bestreiten, dass die Briten ihren lange Zeit einsamen, letztlich erfolgreichen Widerstand gegen Hitlerdeutschland gerne und ausgiebig feiern. Der deutsche Buhmann ist dabei zwangsläufig als Dauergast geladen. Seine Anwesenheit verschönt jede Party und lässt die eigene historische Leistung in noch hellerem Glanz erstrahlen. Doch für uns Deutsche unangenehmer ist, dass es sowohl in linksliberalen wie in konservativen Kreisen Großbritanniens eine durchaus nicht unwesentliche Minderheit von Zeitgenossen gibt, die keine besonders erbaulichen Gefühle für unsere Nation hegen. Nicht wenige glauben gar, die Deutschen seien spezifisch anfällig für das Böse schlechthin. Über den „instabilen, schwer berechenbaren deutschen Wesenszug“ schrieben die britischen Gazetten in den neunziger Jahren, als überall in Europa die Furcht vor dem wiedervereinigten Deutschland grassierte. Die Autorin Martha Gellhorn brachte es auf den einprägsamen Nenner, die Deutschen hätten offenbar „ein Gen locker“.
Viele in Europa mögen unserer friedlichen Metamorphose nicht so recht trauen. Das kann man bedauern oder gar empörend finden. Doch sollten wir nicht übersehen, dass in Deutschland ähnliche Zweifel ganz und gar nicht unbekannt sind. Das Projekt der europäischen Integration, von den deutschen Eliten mit einem manchmal beängstigend naiven Enthusiasmus betrieben, entsprang nicht zuletzt der Absicht, die unruhige Nation in der Mitte des Kontinents, einem Gulliver gleich, fest in ein Netzwerk von supranationalen Verträgen einzubinden. Sicher ist sicher.
Mit Grass und Thatcher gegen die Einheit
Bezeichnend war, dass sich ein Teil des linken Milieus in Deutschland gegen die Wiedervereinigung stemmte und immer wieder Selbstzweifel an der eigenen Nation äußerte. Sie gipfelten in dem Ruf „Nie wieder Deutschland“, der in der „autonomen“ Szene Berlins erklang, aber in milderer Variante auch anderswo zu vernehmen war. Günter Grass führte gegen die deutsche Einheit fast dieselben Argumente an wie Margaret Thatcher. Im Extremfall wirken solche Zweifel an der mentalen Stabilität der eigenen Nation wie eine bizarre Umkehrung des Wahns vom auserwählten Volk. Die Nazi-Ideologie hatte uns zur überlegenen Spezies verklärt; manche linken Zeitgenossen drohten ins andere Extrem zu verfallen und erklärten uns zu einem besonders garstigen Stamm.
Die Briten mit ihrer Tradition der Meinungsfreiheit und einer besonders freien, oft zügellosen Presse, sprechen nur aus, was viele unserer Nachbarn denken. Um Deutschland herum leben etliche Nationen, die uns misstrauen und nicht sonderlich schätzen. Ganz gleich, ob unser Sündenfall, der Nationalsozialismus und der Holocaust, spezifischer nationaler Disposition entsprang, die sich aus Geografie und Geschichte ableitet, oder ob die dunkelste Phase unserer Vergangenheit durch die human condition, die menschliche Natur in Kombination mit ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren zu erklären ist, die auch andere Völker verführen könnten – wir müssen lernen, mit dem Ballast der Geschichte zu leben.
Was folgt daraus? Als erstes sollten wir die illusionäre Hoffnung aufgeben, 60 Jahre seien eine lange Zeitspanne, nach der wir wegen unseres demonstrierten Wohlverhaltens nun das Vertrauen und die Zuneigung der Welt verdient hätten. Geschichtlich handelt es sich um eine kurze Zeitspanne. Die Vorstellungen von Völkern übereinander, im Guten wie im Schlechten, formen sich über Jahrhunderte, verfestigen sich zu Stereotypen und Klischees, die häufig einen wahren Kern enthalten. Hinzu kommt: Große Nationen werden von ihren Nachbarn nur selten geschätzt. Wir Deutschen haben wegen unserer Mittellage in Europa besonders viele Nachbarn, die schlechte Erinnerungen an uns hegen – Erinnerungen, die im globalen Diskurs eher präsenter geworden sind, anstatt zu verblassen.
Den Franzosen ist es egal, ob man sie mag
Wir sollten aufhören, so dringend geliebt werden zu wollen. Zuneigung lässt sich nicht erzwingen, enttäuschte Hoffnungen schaffen am Ende nur Frustration – was uns am Ende nur noch unattraktiver macht. Besser wäre, von den Franzosen zu lernen. Die scheren sich wenig darum, ob man sie mag oder nicht. Selbst wenn wir so weit nicht gehen können wie unsere selbstbewussten gallischen Nachbarn: Wir sollten gelassener werden, zumal die Zahl der Gedenktage, die an unsere Vergangenheit erinnern, gewiss nicht abnehmen wird.
Gerade weil wir so empfindsam und verletzt reagieren, werden die britischen Medien weiter sticheln, dem ironischen Motto „Don’t mention the war“ folgend unaufhörlich den Krieg erwähnen und auf unsere Kosten ihre gelegentlich geschmacklosen Scherze machen. Eine Kostprobe lieferte vor ein paar Wochen der Kolumnist und Fernsehmoderator Jeremy Clarkson, der bekannt ist für sein loses, politisch stets inkorrektes Mundwerk. In der populären BBC-Motorsportsendung Top Gear, bedachte er den unter deutscher Regie gefertigten neuen Mini mit Hitlergruß und der Bemerkung, in das Auto sei wahrscheinlich ein automatisches Lenksystem eingebaut, das nach Polen führe. Was Clarkson offenbar ebenso als Kompliment verstanden wissen wollte wie den Hinweis, der Keilriemen werde wohl tausend Jahre halten. Das Publikum bog sich vor Lachen.
Gelten für Deutsche andere Maßstäbe?
Nicht jeder mochte einstimmen. David Marsh, britischer Unternehmensberater und vormaliger Deutschlandkorrespondent der Financial Times, nahm Anstoß. Die Führung der BBC wehrte seine Beschwerde zunächst mit Repliken ab, die teils gestelzt bürokratisch, ein bisschen herablassend oder einfach nur burschikos daherkamen. Es habe sich doch bloß um einen Scherz, um „Schuljungenhumor“ gehandelt – selbst Schuld also, wer nicht mitlachen mochte. Dabei ist der öffentlich-rechtliche, gebührenfinanzierte Sender sonst durchdrungen von Gutmenschentum, achtet penibel auf politische Korrektheit und wohlwollende Behandlung aller ethnischen und religiösen Minoritäten. Gerade erst hat die BBC eine hochoffizielle Entschuldigung ausgesprochen, nachdem ein Moderator einen Witz über Zigeuner gerissen hatte. Das legt die Frage nahe, ob für den Umgang mit den Deutschen andere Maßstäbe gelten – eine Frage, die David Marsh in einem Brief an den Generaldirektor der BBC denn auch ganz unverhüllt stellte. Dies hat die BBC inzwischen dazu bewogen, doch noch eine „Untersuchung“ des Vorfalls anzuberaumen. Auch diese Episode enthält eine Lehre: Schnoddrige Fernsehmoderatoren besitzen bei Jugendlichen allemal höhere Autorität als ernsthafte Geschichtspauker. Auch der nun in Kraft tretende neue Lehrplan wird daran nichts ändern und sich bestenfalls auf sehr, sehr lange Sicht positiv auswirken.
Nun sind Klischees und Vorurteile nicht allein auf britischer Seite zu finden. Auch das deutsche Bild von Großbritannien hat sich in den vergangenen Jahren zum Schlechteren verändert. Der „hässliche Angelsachse“, unsozial, kalt und kriegerisch, wird im Diskurs von Deutschlands politischer und medialer Klasse gerne und häufig beschworen, wie der vergangene Wahlkampf unterstrich. Nachdem Blair an der Seite von George Bush in den Irak-Krieg gezogen war, mutierte der Premier in einem Gutteil der deutschen Medien beinah zur Karikatur, galt fortan halb als christlicher Fundamentalist, halb als „durchgedreht“. Gerade auch die bilateralen Beziehungen zwischen der deutschen Sozialdemokratie und der britischen Labour Party wurden vom Frost beeinträchtigt, der sich über die Beziehungen zwischen Berlin und London gelegt hat.
Als Tony und Gerd ein Traumpaar waren
Es ist noch nicht lange her, da waren Tony und Gerd das politische Traumpaar Europas. Gemeinsam stimmten sie die Hymne sozialdemokratischer Modernisierung an, zusammen beschritten sie den Dritten Weg, der Deutschland in die Neue Mitte führen sollte. Vor sechs Jahren erst präsentierten Kanzler und Premier ein ökonomisches Reformpapier, das ihre Namen trug. Nach seinem ersten Wahlsieg im Jahr 1998 brach Schröder sogar demonstrativ mit der Gepflogenheit deutscher Bundeskanzler und flog zuerst nach London statt nach Paris. Doch die Tony-und-Gerhard-Show war schon lange vor Schröders Abgang von der Bühne vorüber. Beim EU-Gipfel in Hampton Court am Ende der britischen Ratspräsidentschaft nahmen die beiden ihren offiziellen Abschied voneinander. Doch keiner der beiden dürfte dem anderen eine Träne nachweinen. Ihr Verhältnis war am Ende zerrüttet, politisch wie menschlich. Sie glichen einem Ehepaar, das einst tiefe Zuneigung verband, sich dann zerstritt und fortan mit Abneigung beäugte.
Für das Ende dieser Freundschaft war der Irak-Krieg nicht einmal der entscheidende Faktor. Blair hatte Schröder im Wahlkampf 2002 sogar noch ganz unverblümt Schützenhilfe geleistet, obgleich ihm schon damals missfiel, wie entschlossen sein Freund Gerhard die antiamerikanische Karte ausspielte. Wer Wahlen gewinnen wolle, hieß es verständnisvoll in Blairs Umgebung, der müsse schon mal zu rabiaten Mitteln greifen. Beide Regierungschefs gaben sich eine zeitlang alle Mühe, den Eindruck zu erwecken, dass nichts ihr harmonisches Verhältnis trüben könnte – nicht der bittere Zwist über Notwendigkeit und Legalität des Krieges, auch nicht die tiefen Differenzen über die Rolle der Hypermacht Amerika. Am Ende aber reichte die persönliche Chemie nicht, um die tiefen Gegensätze zu überspielen. Schröders Mannschaft und sympathisierende Journalisten ließen sich abfällig aus über Blair, den „willigen Pudel“ von Georg Bush. Ob man den gewaltsamen Regimewechsel in Bagdad nun für falsch, gar für verhängnisvoll hält oder für notwendig und langfristig segensreich – auf jeden Fall handelte Tony Blair aus Überzeugung. Lange vor dem Einzug von George Bush ins Weiße Haus war er überzeugt, dass Saddam Hussein eine wachsende Gefahr sei, die gebannt werden müsse. In Blairs Umgebung mokierte man sich gerne über Gerhard Schröders Mangel an strategischem Verständnis angesichts der Herausforderungen des totalitären Islamismus und transnational operierender Terrorgruppen.
Szenen einer scheiternden Beziehung
Doch war es das Thema Europa, das zum offenen Bruch führte. Wobei es ironischerweise anfangs gerade auf diesem Feld so ausgesehen hatte, als wollten Tony und Gerhard an einem Strang ziehen. Es kam anders. Blair vermochte Schröder nicht aus der Umarmung Chiracs zu lösen. Schröder wiederum bezichtigte Blair, das Versprechen nicht eingelöst zu haben, Großbritanniens europäischen Zwiespalt zu überwinden. Auch schob der Bundeskanzler dem Briten die Schuld am Scheitern der europäischen Verfassung zu, weil Blair durch die Ankündigung eines britischen Referendums Frankreich indirekt zu der fatalen Verfassungsabstimmung gezwungen habe. Beim Streit um den EU-Haushalt, den Britenrabatt und die Agrarsubventionen fiel Schröder ins Lied vom geizigen, unsolidarischen Britannien ein, das Chirac angestimmt hatte, um Blair zu isolieren. Blairs Konzept zur weiteren Liberalisierung werde das europäische „Sozialmodell“ untergraben. Europa brauche „Wettbewerb, aber kein Sozialdumping“, schrieb Gerhard Schröder dem Briten ins Stammbuch – Sätze, die in 10 Downing Street mit tiefem Ärger vernommen wurden.
Labour und SPD sind nicht weit auseinander
Die negativen deutschen Urteile über den Zustand des britischen Sozialstaates ignorierten die Erfolge der Labourregierung im Kampf gegen Armut – und die beachtliche Umverteilung, die sie binnen acht Jahren erreicht hatte. Zugleich kursierte auch in der SPD die Auffassung, die wirtschaftliche Erholung des einstigen „Kranken Mannes“ von Europa werde sich wegen hoher Verschuldung und aufgeblähtem Immobilienmarkt als „Blase“ erweisen, die schon bald platzen werde. Auch befreundeten Nationen und ihren Regierungen sind Gefühle der Rivalität nicht unbekannt. Großbritannien ist in der jüngeren Vergangenheit oft genug zwischen Sorge, Neid und dann wieder Schadenfreude hin und her geschwankt, je nach der eigenen wirtschaftlichen Lage. Angesichts der eigenen ökonomischen und sozialen Krise wiederum ist in Deutschland die Neigung gewachsen, den Zustand anderer Länder schwärzer zu malen: „Uns mag es schlecht gehen, aber woanders sieht es noch düsterer aus.“ Diese Tendenz hat ihren Niederschlag nicht nur in den Medien gefunden, sie spielte auch in den Dialog zwischen SPD und Labour hinein.
Es sollte indes nicht allzu schwierig sein, die Bruchlinie im Verhältnis der beiden größten sozialdemokratischen Parteien Europas zu kitten. Dies setzt die Bereitschaft zu neuer Sachlichkeit voraus, die offenbar wieder zunehmend vorhanden ist. Gerade erst hat der neue SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck eingeräumt, „dass im Schröder-Blair-Papier Dinge standen, die zu diskutieren sich gelohnt hätte. Uns hat damals der nötige Mut gefehlt.“ Tatsächlich liegen die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Reformvorstellungen der beiden Parteien sehr viel näher beieinander, als es die Kontroversen jüngeren Datums vermuten lassen. Die Reformer bei SPD und Labour haben ihre engen Kontakte, nicht zuletzt im Rahmen des Policy Network, selbst in stürmischeren Zeiten des bilateralen Verhältnisses zwischen den Regierungen ohnehin nie abreißen lassen.
Labour und SPD verfolgen nicht nur eine Reformpolitik, die mehr Gemeinsames als Trennendes aufweist. Beide stützen sich darüber hinaus auf eine antitotalitäre Tradition, für die Namen wie Schumacher, Schmidt und Brandt ebenso stehen wie Attlee, Bevin und Wilson. Großbritanniens Labourregierung war nach 1945 eine treibende Kraft bei der Gründung der Nato, die Amerika und das demokratische Europa zusammenschweißte; umgekehrt war es Helmut Schmidt, der Anfang der achtziger Jahre auf die Nachrüstung drängte, um eine Abkopplung Europas von Amerika zu verhindern.
Der britisch-deutsche Dialog wird wichtiger
In der Welt des 21. Jahrhunderts, mit neuen Supermächten, Bevölkerungswachstum und Energieknappheit, dürfte das Konzept des Westens bedeutsamer werden und die Träume von einer europäischen Gegenmacht zu den Vereinigten Staaten nochmals fragwürdiger erscheinen lassen. Das deutsch-britische Verhältnis dürfte in einer erweiterten EU an Bedeutung gewinnen. Politiker und Regierungen sollten nicht vergessen, dass es nicht nur die Medien sind, die vernünftige Beziehungen zu unterminieren vermögen. Auch die Politiker stricken mit an dem Bild, dass sich ihre Völker voneinander machen.