Information und Entscheidung
Aus der Sicht des gewählten Politikers stellt sich niemals nur die Frage, ob eine politische Maßnahme in der Sache funktioniert. Stets geht es auch darum, ob sie in kommunikativer, emotionaler und traditioneller Hinsicht mit der Lebenswelt der betroffenen sozialen Gruppen vereinbar ist. Es ist die Trias von Folgerichtigkeit, Anschlussfähigkeit und (nicht zuletzt kommunikativer) Erfolgsperspektive an der sich politische Strategieentwicklung messen lassen muss.(1)
Sie ist der beständige Versuch, Strategien der Problemlösung mit Strategien des Machterhalts in Einklang zu bringen.(2) Dieses Spannungsfeld ist zugleich das Dilemma jedes politischen Ratgebers: Er muss stets für sich beantworten, inwiefern er sich tatsächlich an der zweckrationalen "Max-Weber-Welt"(3) ausrichten will, oder inwieweit sein Adressat der einzelne Politiker ist. Wo das zentrale Kriterium das Akteursinteresse des Beratenen ist, wäre es ein Gebot der Redlichkeit, das Etikett "Politikerberatung" anstelle des Wortes "Politikberatung" zu verwenden.(4)
Auf welchen Grundlagen findet politische Planung und Entscheidung statt? Welchen Einfluss haben persönliche oder administrative Faktoren? Wie wird den Anforderungen der Vermittelbarkeit politischen Handelns in der Praxis Rechnung getragen? Solchen Gretchenfragen des politischen Geschäfts widmet sich der sehr beachtenswerte Band der Herausgeber Gerhard Hirscher und Karl-Rudolf Korte, der in diesen Tagen unter dem Titel Information und Entscheidung - Kommunikationsmanagement der politischen Führung im Westdeutschen Verlag erscheint. Das Erkenntnisinteresse gilt den formellen und informellen Strukturen der Abläufe bei Spitzenpolitikern, in den Parteizentralen und in den Fraktionen.
Der Sammelband fasst auf insgesamt 299 Seiten Analysen zu Kommunikationsstrategien von Bundeskanzleramt, Bundespresseamt, Bundestagsfraktionen, Staatskanzleien, zur Organisation interner und externer Politikberatung und zur Entwicklung der politischen Öffentlichkeitsarbeit in den sich dynamisch entwickelnden Mediendemokratien Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten zusammen. Dabei ist es den Herausgebern gelungen, unter den 19 Autorinnen und Autoren für eine attraktive Mischung aus Hochschullehrern und Praktikern zu sorgen: Raumgreifende analytische Konzepte der Regierungslehre und hellsichtige theoretische Reflexionen der Legtimationsforschung werden auf ganz Praktisches herunter gebrochen.
Die ungeliebten Machtmakler
Da ist von den Büroleitern und Pressesprechern die Rede, die ihre Spitzenakteure vom routinierten Alltag ihrer Apparate fernhalten, die als Wasserträger mit "Maklermacht" die Lageanalysen und Problemdeutungen der Führung weitgehend konstituieren. Plastisch beschreibt Karl-Rudolf Korte, wie die Korridore der Macht neben den formellen Dienstwegen informelle Zugänge eröffnen. Anhand der Morgenlagen des aktuellen Bundeskanzlers und seiner Vorgänger zeigt er auf, wie durch die Festlegung des Kreises der Berater, ein Filter für die Auswahl von Informationen an die Spitze stattfindet und Entscheidungen vorgezeichnet werden.
Ob nun vom "Kleeblatt", der kleinen Lage unter Helmut Schmidt, oder dem lebend-legendären "Steinmeier-Kreis" die Rede ist: Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg, berichtet anschaulich, wie das Prestigebedürfnis der "Höflinge" befriedigt wird, wie Karrieresprünge des Spitzenakteurs entsprechende Karrieresprünge seiner Machtmakler nach sich ziehen - und wie sie dafür aber auch die Rolle des Blitzableiters und Seelentrösters spielen müssen. Der Autor verschweigt nicht, dass die dauernden Versuche, den Entscheidungsträger abzuschirmen, fast zwangsläufig die eigene Popularität der Machtmakler innerhalb des Hauses beschädigen und sie zu einer relativ einsamen Kaste werden lässt.
Der Journalist als Stadtneurotiker
Stefan Raue, ZDF-Redaktionsleiter der Sendung blickpunkt, kokettiert auf amüsante Weise mit den Schwächen des eigenen Berufsstandes. Das Journalistenleben sei geprägt durch Eitelkeit und Gier, Größenwahn, Nervosität und Einsamkeit. Zur Illustration kolportiert Raue eine Reihe von Journalistengeschichten, die die Medien als "giftiges, gärendes Milieu mit fast irrationalen Temperaturschwankungen, schnellen Emotionalisierungen, überraschenden Riesenwellen, Themenerruptionen, Phasen erschöpfter Lethargie, geschwächter Chefs, unideologischer Dauerhysterie gegenüber allem und jedem" zeichnen.
Dass sich Politiker um die Instrumentalisierung der Journalisten und ihrer Schwächen bemühen, ist zwar einer der am besten gehüteten Allgemeinplätze der Republik,(5) Stefan Raue zeigt jedoch in seinem Buchbeitrag, wie wenig dieses Vorhaben in den real existierenden Regierungsvierteln gelingt: Anders als man auf den ersten Blick meinen könnte, bereitet die psycho-soziale Verfassung der Medienarbeiter den Spin-Doktoren und grauen Eminenzen der medialen Agenda gerade kein leichtes Spiel. Vielmehr entziehe sich das verachtete, tiefzerstrittene Mediensystem der rationalen Bearbeitung im Sinne systematischer Vorfeldarbeit und strategischer Kampagnenplanung.(6)
Verzagte Ärsche auf beinharten Bänken
Dem Politikmanagement der Fraktionsführungen widmen sich zwei weitere Beiträge der Anthologie: Erhard Kathmann und Peter Kuleßa, beide aus dem Büro des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers Wilhelm Schmidt, liefern auf nicht einmal vierzehn Buchseiten die umfassende und aktuellste Antwort auf die Frage "Wie funktioniert die SPD-Bundestagsfraktion?". Besticht ihr Aufsatz durch die Polity-Perspektive auf die Fraktionsorganisation und die in ihr abgebildeten Koordinationsaufgaben, so setzt sich Michael Eilfort in seiner Analyse der politischen Führung der Unionsfraktion ganz mit dem Politics-Geschäft auseinander.
Der Büroleiter von Friedrich Merz plaudert aus dem Nähkästchen über die Neigung der Oppositionsparlamentarier, sich "recht gemütlich durch Pflege kleiner Biotope einzurichten". Die Bereitschaft, im Interesse der Geschlossenheit der Fraktion eigene inhaltliche Ansichten oder persönliche Interessen zurückzustellen, tendiere zuweilen gegen null, wobei der Oppositionsführung praktisch jedes Disziplinierungsmittel fehle. Kleinmut, Resignation und Selbstbezogenheit könnten für längere Zeiten zum Schicksal der Union werden, "gemäß dem Lutherischen Diktum, dass aus einem verzagten Arsch kein fröhlicher Furz komme".(7) Eilfort fürchtet, dass der Oppositionsrolle eine eingebaute Tendenz innewohne, sich zu verfestigen. Ob dies im Falle der Merz-und-Merkel-Truppe wirklich bedauerlich wäre, liegt freilich im Auge des Betrachters.
Kurt Beck als "Mr. Chefsache"
Wie man es richtig anfasst, zeigt wieder einmal Gerd Mielke, der das Privileg besitzt, als Abteilungsleiter in der Mainzer Staatskanzlei für Grundsatzfragen, politische Planung und internationale Beziehungen zuständig zu sein. Sein kleiner Katechismus der politischen Planung kommt im Grunde mit drei einfachen Geboten aus:
- Du sollst deine Politik so planen, dass sie zu den historischen Wahrnehmungs- und Bewertungstraditionen anschlussfähig bleibt, weil langfristige sozialstrukturelle und kulturelle Bestimmungsfaktoren größeres Gewicht haben, als es dir deine PR-Agentur einflüstern will.
- Du sollst auf Gremien und vorgesehene Verfahren Rücksicht nehmen, weil nur die Beteiligung aller relevanten Akteure substantielle Rationalität und Legitimation sichert.
- Du sollst deine Politik nach dramaturgischen Erfordernissen maßvoll inszenieren, um nicht als langweiliger Anachronist daher zu kommen und lediglich Desinteresse zu ernten.
Anhand des Einsatzes "seines" Ministerpräsidenten Kurt Beck für bürgerschaftliches Engagement liefert Gerd Mielke einen erhellenden Werkstattbericht über die praktische Anwendung dieser Prinzipien. Er beschreibt, wie das Thema Ehrenamt mittels "Chefsache"-Prinzip popularisiert wurde und welche Anforderungen derartige Übergriffe des Ministerpräsidenten in die Zuständigkeit der Fachressorts im Hinblick auf eine rechtzeitige und sensible Abstimmung stellen.(8)
Die Verdienste der Anthologie liegen auf der Hand: Die Autoren widmen sich dem neuralgischen Punkt des politischen Kommunikationsmanagements und dessen Einbindung in die Planungs- und Führungsprozesse. Dieses Thema hat die Regierungsforschung bisher aus falscher Scheu all zu oft gemieden. Der Sammelband ist nicht zuletzt das Produkt einer offenbar hoch produktiven Zusammenarbeit der Forschungsgruppe Regieren der Universität Duisburg mit dem Centrum für Angewandte Politikforschung (C.A.P.) in München und der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung, die den Mitherausgeber Gerhard Hirscher als Grundsatzreferenten beschäftigt. Man darf getrost unterstellen, dass die Bayrische Staatskanzlei ihren Nutzen aus diesem wissenschaftlichen Austausch über praktische Machtfragen zieht. Hoffentlich nicht nur sie.
(1) Tobias Dürr, Brandenburg und das finnische Modell, erscheint demnächst in: perspektive 21. Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik , Jg. 2004
(2) Gerhard Hirscher und Karl-Rudolf Korte, Einführung des besprochenen Bandes, S. 7.
(3) Michael Felder und Dieter Grunow, Das administrative Kommunikationsmanagement: Von der Implementations- zur Entscheidungsvorbereitung, S. 29 ff., hier S. 32.
(4) Susanne Cassel, Politikberatung und Politikerberatung: Zum Dilemma wissenschaftlicher Politikberatung in Deutschland, S. 146 ff., hier 152 ff.
(5) Michael Mertes, Bundeskanzleramt und Bundespresseamt. Das Informations- und Kommunikationsmanagement der Regierungszentrale, S. 52 ff., hier S. 55.
(6) Stefan Raue, Die Grenzen der spin-doctors: Was können Politik und Politikberatung überhaupt von uns Journalisten lernen?, S. 224 ff., hier S. 231.
(7) Michael Eilfort, Politische Führung in der CDU/CSU Bundestagsfraktion: Beratung und Information für den Fraktionsvorsitzenden, S. 93 ff., hier S. 102.
(8) Gerd Mielke, Politische Planung in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz: Ein Werkstattbericht, S. 122 ff.
Gerhard Hirscher und Karl-Rudolf-Korte (Hrsg.), Information und Entscheidung, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2004, 299 Seiten, 34,90 Euro