It’s the ecology, stupid!
Erstens hat die wirtschaftliche Globalisierung mit ihren vielfältigen Auswirkungen auf die nationalen Wirtschafts- und Sozialsysteme die Arena des Wirtschaftens verändert. Neue globale Konkurrenten stellen erhebliche Anforderungen an Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Zweitens haben wir unseren Planeten an die Grenzen seiner Belastbarkeit getrieben: Klimawandel, Ressourcenknappheit, Verlust von Artenvielfalt. Die Auswirkungen dieser Megatrends wirken gleichsam als ökonomischer und ökologischer „Bumerang-Effekt“ auf Wirtschaft und Gesellschaft zurück. Drittens sind die Erwartungen an Unternehmen enorm gewachsen und es ist ökonomisch relevant geworden, sich gesellschaftlich verantwortlich zu verhalten und zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Sie können sich unmittelbar auf den Absatz oder mittelbar auf den Markenwert auswirken. Die Frage lautet nicht mehr, wie Unternehmen die Gesellschaft prägen, sondern wie die neuen, dynamischen Rahmenbedingungen und wie die gesellschaftlichen Erwartungen unternehmerisches Handeln prägen. Unternehmen stehen heute also vor einer doppelten strukturellen Herausforderung: der Wirtschafts- und Umweltkrise. Beide erfordern neue Antworten und eine Modernisierung des Managements.
Der Begriff „Globalisierung“ bezeichnet die Internationalisierung von Absatzmärkten, Produktionsstätten, aber auch von Anteilseignern. Darüber droht die nationale, regionale und lokale Verwurzelung besonders von Großunternehmen verloren zu gehen. Die weltwirtschaftliche Verflechtung verändert auch die Lieferketten grundlegend. Komplexe Lieferketten machen Unternehmen für fehlerhafte Überprüfungen und unterlassene Kontrollen bei Arbeitsbedingungen und Umweltschutz verletzlich. Weltweit tätige Unternehmen stehen vor der Entscheidung, welche Umwelt- und Arbeitsstandards sie an Standorten in Entwicklungs- und Schwellenländern einhalten wollen: Wird überall der höchste Standard verwendet? Oder wird er an die gültigen Gesetze in den jeweiligen Ländern angepasst? Konsumenten müssen sich auf die Anwendung ökologischer und sozialer Standards verlassen können, zum Beispiel bei Kinderspielzeug oder Lebensmitteln.
Der disruptive Wandel
Mit den Entscheidungen, die wir heute treffen, präjudizieren wir zunehmend die Art und Weise, wie künftige Generationen leben werden. Dies gilt auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt: So konnte die Politik teilweise mit dem Tempo wirtschaftlicher Verflechtung nicht Schritt halten; auf europäischer und erst recht auf internationaler Ebene sind „marktschaffende“ Maßnahmen weiter fortgeschritten als die Entwicklung eines Ordnungsrahmens. Unternehmerische Verantwortung im Sinne einer sozial-ökologischen Marktgestaltung kann eine Antwort auf staatliche Steuerungsdefizite sein.
In den nächsten Jahren werden sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter erheblich verändern. Gerade die Umweltzerstörung entfaltet enorme Wirkungen: Erhebliche externe Kosten, zeitlich enger werdende Ursache-Wirkungsmechanismen sowie „Kippschalter“ (sprich systemische, weitgehend irreversible Veränderungen durch menschlichen Einfluss) fordern ihren Tribut. Differenzen in der regionalen und sozialen Betroffenheit, Wissen oder Unwissen über die Folgen zum Zeitpunkt des Tuns und unterschiedliche Anpassungsfähigkeit tun ihr Übriges. Das Problem besteht auch darin, dass sich der Wandel nicht kontinuierlich vollzieht. Er vollzieht sich disruptiv.
Bloß reagieren reicht nicht
Die globalen Megatrends und die gewachsenen gesellschaftlichen Erwartungen bergen für Unternehmen erhebliche Risiken: Das Kostengefüge der Unternehmen wird sich durch steigende Preise für Energie und Rohstoffe erheblich verändern. Staatliche oder überstaatliche Regulierung, die den Wirtschaftsrahmen in Reaktion auf Marktversagen anpasst (zum Beispiel die Einpreisung von Kohlendioxid), wirkt sich auf unternehmerisches Handeln aus. Ein rein reaktives Verhalten der Unternehmen wird weder von Shareholdern noch von Stakeholdern honoriert werden. Strategisch notwendig ist deshalb vorausschauendes Agieren oder zumindest Verhalten, angepasst an den Ordnungsrahmen einer modernen Industriepolitik. Unternehmen mit mangelnder Transparenz und eingeschränkter Dialogbereitschaft gegenüber ihren Stakeholdern setzen ihre Reputation aufs Spiel, gefährden den Markenwert und erschweren damit nicht zuletzt die Gewinnung und Bindung qualifizierten Nachwuchses.
Bereits heute zeigt sich, welche wirtschaftlichen Risiken für Geschäftsmodelle bestehen, die die ökologische Problematik ignorieren, etwa in der Automobilindustrie. Wachsender „compliance“-Druck durch Regulierungen für den Klimaschutz wird den Spielraum für Unternehmen erheblich einschränken. Der Klimawandel wird als übergeordnetes globales Problem alle Wirtschaftssektoren treffen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität: neue, wachstumsstarke Branchen ebenso wie klassische Wirtschaftszweige, die Industrie gleichermaßen wie den Dienstleistungssektor. Klimaschutz, die Senkung des „carbon footprint“ und Kohlendioxid-arme, energieeffiziente Produkte werden zunehmend bedeutsamer für die Märkte. Gleiches gilt für den „schlafenden Riesen“ Rohstoffeffizienz mit seinem enormen ökonomischen und ökologischen Potenzial für Unternehmen und die Umwelt. Unternehmerisches Handeln ohne ökologischen Kompass wird keine profitable Zukunft mehr haben. Umwelt- und Klimaschutz sind nicht mehr nur Kostentreiber, sondern müssen als potenzielle Kostensenker und Zukunftsinvestitionen für mehr Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden.
Die Märkte der Zukunft sind grün
Kurzum: Unternehmen müssen beim Klima- und Ressourcenschutz rasch geeignete Übergangs- und Anpassungsstrategien entwickeln. Dabei bergen die Megatrends nicht nur Risiken, sondern auch erhebliche wirtschaftliche Chancen: Erstens entstehen neue Märkte für Güter und Dienstleistungen. „Die Märkte der Zukunft sind grün“ – diese Äußerung stammt von Prinz El Hassan Bin Talal, dem ehemaligen Präsidenten des Club of Rome. Umwelttechnik verbindet ökologische Orientierung mit wirtschaftlichem Erfolg. Der weltweite Markt besaß bereits im Jahr 2007 ein Volumen von 1.400 Milliarden Euro und wird bis zum Jahr 2020 auf annähernd 3.300 Milliarden Euro angewachsen sein. Es lassen sich heute mindestens sechs Leitmärkte der grünen Technologien erkennen: umweltfreundliche Energieerzeugung, Energieeffizienz, Rohstoff- und Materialeffizienz, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Wasserwirtschaft und nachhaltige Mobilität. Das sind die sechs grünen Märkte der Zukunft.
Zweitens entscheiden Ressourcen- und Klimaschutz zunehmend über die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Energie- und Rohstoffeffizienz ist der Schlüssel einer strategischen Unternehmensführung. Nicht unwahrscheinlich, dass die traditionell bei den Arbeitskosten ansetzenden Unternehmen auf die falsche „roadmap“ setzen. Nach Angaben der Deutschen Materialeffizienzagentur (demea) könnten deutsche Unternehmen über Maßnahmen für mehr Materialeffizienz jährlich bis zu 100 Milliarden Euro einsparen. Ein Beispiel ist der Stromverbrauch von Servern und Rechenzentren, der sich in Deutschland seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt hat. Allein die Rechenzentren in Deutschland könnten ihre Stromkosten in den kommenden Jahren um 3,6 Milliarden Euro senken.
Milton Friedmans Diktum stimmt: „The business of business is business.“ Allerdings muss Friedman vom Kopf auf die Füße gestellt werden, denn unter fundamental veränderten Rahmenbedingungen können Unternehmen die ökologische und soziale Verantwortung nicht negieren, sie wird zunehmend zum „business case“. Eine unternehmensstrategische Antwort darauf wird zu einem ökonomischen Erfordernis im Wettbewerb um die Märkte – auch für vermeintlich von der Globalisierung getriebene Firmen. Ohne diesen Kompass kommt es zu Fehlentwicklungen im Unternehmen. Existenz gefährdend sind Unternehmensautismus, die mangelnde Einbindung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit all ihren Fähigkeiten und nicht zuletzt die Vernachlässigung von Nachhaltigkeit und Megatrends im Kerngeschäft.
Nachhaltigkeit wird weiter unterschätzt
Bei allen Fortschritten, die Unternehmen in den vergangenen Jahrzehnten im Umweltschutz und nachhaltigen Wirtschaften erzielt haben, wird der „business case“ für Nachhaltigkeit in den Unternehmenszentralen, aber leider auch auf den Finanz- und Kreditmärkten, häufig noch verkannt. Es fällt schwer, die Geschäftsrelevanz von komplexen – teilweise qualitativen – Umwelt- und Sozialaspekten für das eigene Unternehmen systematisch zu identifizieren. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind vielfach noch in der „Reparaturabteilung“ verortet, obwohl sie sich eigentlich längst in der „Planungsabteilung“ befinden müssten. Entscheidend für den langfristigen Unternehmenserfolg ist es, die Megatrends und gesellschaftlichen Bewertungen anzuerkennen, in nachhaltige Strategien zu „übersetzen“ und operativ umzusetzen. So ist eine „corporate green recovery“ möglich.
Entscheidend ist kreative Zerstörung
Ein intelligenter staatlicher Ordnungsrahmen in Form einer modernen, ökologischen Industriepolitik wird allein nicht ausreichen: Konzepte der Corporate Social Responsibility, also die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen, können eine Antwort auf diese komplexen Herausforderungen an Unternehmen sein. Aber nur dann, wenn dieses Konzept aus dem Dunstkreis der Philanthropie und des Reputationsmanagements entfliehen kann und seine integrierenden Potenziale für eine moderne Unternehmensstrategie erkannt werden. Durch win-win-win-Lösungen kann public value erzeugt werden: Gewinn für das Unternehmen, für die Umwelt und die nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Unternehmen müssen den Sprung vollziehen zu einem „Management für das 21. Jahrhundert“ (Gary Hamel). Entscheidend ist, dass das Unternehmensmanagement die „kreative Zerstörung“ provoziert. Es muss anpassungsfähig, effizient und innovativ handeln:
- Nicht kurzfristige Rendite sollte das Ziel sein, sondern eine langfristige Perspektive mit Antworten auf die gesellschaftlichen und ökologischen Fragen. Die Krisen erfordern weitsichtiges, konzeptionelles und verantwortungsvolles Handeln.
- Energie- und Rohstoffeffizienz sind strategische Faktoren der Unternehmensführung geworden. Wer sparsam mit Energie und Rohstoffen umgeht, steigert die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit – und kann angemessene Löhne zahlen und zukunftsfähige Beschäftigung schaffen.
- Die ökologischen Herausforderungen und veränderten Rahmenbedingungen können zur Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsfelder, aber auch zu neuen Zielen, Kooperationen und fairen Partnerschaften führen. Die Megatrends erfordern also nicht nur Anpassungen in der Organisation von Unternehmen, sondern auch bei den Wertschöpfungsketten und den angebotenen Produkten und Leistungen. Dies lässt sich etwa an der steigenden Zahl von Unternehmensneugründungen und an den Diversifizierungen ablesen. Ein gutes Beispiel sind die Energieversorger, die sich mit Energiespardienstleistungen neue Geschäftsfelder eröffnen.
- Die Menschen sehnen sich nach Vorbildern, Glaubwürdigkeit und Nachhaltigkeit, auch und gerade in der Unternehmensführung. Unternehmen sollten zur Lösung von lokalen wie globalen Problemen beitragen – und nicht selbst Teil des Problems werden. Sie müssen als „corporate citizen“ wieder Teil der Gesellschaft werden. Es bedarf einer Rückbesinnung auf ein reales Wirtschaften, letztlich einer Renaissance des ehrbaren Kaufmanns.
- Unternehmen brauchen den Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen – um gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden, aber auch, um wertvolle gesellschaftliche Informationen für Entscheidungen im Kerngeschäft zu gewinnen. Der Shareholder value als entscheidender Maßstab unternehmerischen Handelns reicht nicht – schon deswegen, weil Märkte hoch unsicher sind, Informationen unvollständig vorliegen und Einpreisung nicht immer vollständig funktioniert.