Kein Lob der Lobby
Wir lieben Bilder, sie machen unsere Aussagen bunter, plastischer und leichter nachvollziehbar. Hans Bellstedt verwendet in seinem Beitrag über Lobbyismus in der Berliner Republik 3/2007 zahlreiche Bilder. Der Spannungsbogen reicht von den Rittern der Finsternis, die transparent gemacht werden, bevor sie am Ende in Mies van der Rohes lichtem Tempel aus Glas ankommen. Sei’s drum, hier stolpert nicht zum ersten Mal ein Autor über seine eigenen Assoziationsketten. Das kommt davon, wenn man ein farbloses Thema mit aller Macht schönzureden versucht.
Denn Lobbyisten sind keine Ritter, weder der Finsternis noch des Lichts. Sie sind schlichte Sachwalter bestimmter Interessen. Natürlich gilt auch bei ihnen die Unschuldsvermutung: Lobbyarbeit ist legitim und demokratisch einwandfrei. Lobbyisten stellen sich der politischen Entscheidungsfindung auf zweierlei Art zur Verfügung. Zum einen überbringen sie wichtige Informationen, über die Abgeordnete oder Ministerialbeamte nicht verfügen, etwa weil die betreffenden Themen zu komplex, zu speziell oder zu partikular sind. Zum anderen helfen Lobbyisten dabei, die politischen Auffassungen der gesellschaftlichen Gruppen zu identifizieren, die sie vertreten. Das erlaubt Parlamentariern, einen Interessenabgleich mit der eigenen Klientel vorzunehmen. Gewählt wird der Abgeordnete ja nicht nur aufgrund seiner Kompetenz, sondern „vom Volke“. Kann der Souverän die Argumente der Lobbyisten nicht nachvollziehen, liegen sich Lobbyisten und Abgeordnete bald weinend in den Armen, weil letztere nicht wiedergewählt wurden.
Berater sehen das allerdings anders: „Aufgabe jedes Abgeordneten ist es, auf die richtige Balance zwischen Brancheninteressen und dem Gemeinwohl zu achten“, schreibt Bellstedt. So unverhohlen hat man das lange nicht mehr gehört, schon gar nicht von jemandem, der stolz darauf verweist, nicht dem bösen alten Bonner Lobbyismus, sondern der harmonischeren modernen Berliner Spielart zuzuneigen. Den Abgeordneten liegt in der Tat sehr am Gemeinwohl, aber da gibt es nichts zu wägen. Interessen werden abgeglichen – bringt man sie zur Deckung, ist alles gut. Passen Topf und Deckel nicht zusammen, nützt auch die Nummer mit dem Balanceakt nichts.
Vereinfachte Sachverhalte und Manipulation
Die Politikberatung weist genug handwerkliche Probleme auf, an denen sich die Agenturen abarbeiten könnten. Die Doppelrolle des Lobbyismus, die Übermittlung von Information und Meinung, mündet nämlich regelmäßig in einer doppelten Fehlfunktion. Drei Viertel der Interessenvertreter scheitern, weil sie die gleiche unerträgliche „Entscheiderfreundlichkeit“ an den Tag legen, die es auch in vielen Unternehmen gibt: Dieses Gruselwort bezeichnet die Vermischung von grob vereinfachten Sachverhalten und Manipulation, mit dem Ziel, jemandem eine Beschaffungsentscheidung abzuringen, die er bei klarem Verstand und umfassender Information so nicht treffen würde. Das mag funktionieren und im Einzelfall sogar wünschenswert sein. Warum nicht dem greisen, unkundigen Vorstand einer mittelständischen Firma ein neues „Content Management System“ für die Website unterjubeln, indem man es kurzerhand zum „Word fürs Internet“ erklärt? Die Politik aber reagiert auf einen solchen Mangel an Trennschärfe zwischen Information und Meinungsbildung zu Recht verärgert.
Wenn die Unternehmen und gesellschaftlichen Gruppen wüssten, wie aussichtslos ihre Agenten in Berlin agieren, wäre die Lobbyliste des Deutschen Bundestags um gut zwei Drittel kürzer. Aktuell umfasst sie 2.025 registrierte Lobbyisten – von der Bundesvereinigung Deutscher Apotheker bis zum Zweckverband Ostdeutscher Bauern. Einige davon, etwa der Verband zur Ausübung von Teilzeitwohnrechten oder der Verein für Computergenealogie, haben bestimmt nicht allzu viel zu tun. Zu den kleinen Verbänden kommen aber noch die vielen großen Unternehmen, die sich eigene politische Repräsentanzen in Berlin leisten sowie Think Tanks unterschiedlicher Herkunft und Stoßrichtung.
Beim Versuch, an der politischen Entscheidungsfindung teilzuhaben, pendeln die Lobbyisten zwischen zwei Polen: den Interventionsdrohungen und den Kooperationsgewinnen. Den ersten Weg beschreitet zum Beispiel die Schar der Kassenärztlichen Vereinigungen, Marburger Bünde und anderer Mitwirkender am Gesundheitswesen. Was uns im Vorfeld der Gesundheitsreform vorgeführt wurde, war in mehrfacher Hinsicht beeindruckend. Erstens: Wer glaubt, er könne frei gewählte Abgeordnete durch den Ring treiben, indem er pro Wahlkreis drei Ärzte nominiert, die alle am selben Tag nach Berlin kommen und den versammelten Mandatsträgern auf die Pelle rücken, bringt selbst den wohlwollendsten Politiker gegen sich auf. Zweitens: Man sollte Politiker nicht für beratungsresistent halten, bloß weil sie sich den am lautesten vorgetragenen Argumenten verschließen. Wir halten uns nur die Ohren zu, wenn wir vor lauter Blechbläsern den Rest des Orchesters nicht mehr hören. Wir werden schließlich immer noch von Patienten gewählt, nicht von deren Ärzten. Das gilt zumindest für die meisten der im Bundestag vertretenen Abgeordneten.
Für dumm verkauft wird die Politik nicht gerne
Drittens: Wenn eine Anhörung zur Gesundheitsreform von denselben Leuten boykottiert wird, die noch kurz zuvor darüber geklagt haben, sie würden nicht angehört, verkommt der politische Beratungsprozess endgültig zur Farce. Der Referentenentwurf zur Gesundheitsreform umfasste 581 Seiten, die gegenüber den lange vorher zugänglich gemachten Arbeitsentwürfen kaum Neues enthielten. Warum es dann unmöglich sein soll, binnen vier Tagen eine Stellungnahme abzugeben, verstehe ich nicht.
Die Alternative zur Drohgebärde ist der Kooperationsgewinn. Wo Schnittchen zum Powerpoint-Vortrag gereicht werden, ist der Tatbestand des „win-win“ allerdings noch nicht erfüllt. Als Studenten sind wir früher samstags auf Vernissagen gegangen, um uns mal wieder richtig satt zu essen. Heute kann man sich in Sitzungswochen des Bundestages problemlos von einem parlamentarischen Abend zum nächsten durchfuttern – aber korrumpiert uns das? Wie man’s nimmt: Der Wein in den Galerien hat damals zwar nicht unseren Kunstgeschmack beeinflusst. Aber vielleicht hat er uns in Einzelfällen nachsichtiger gestimmt.
Kein Politiker kennt alle rationalen Handlungsalternativen. Doch sind wir darin geübt, Handlungsempfehlungen unabhängig von ihrer Herkunft auf Mehrheitsfähigkeit abzuklopfen. Einen echten Proporz der Meinungen wird es nie geben, im Zweifel muss sich der Lobbyist einer anderen Fraktion zuwenden. Ungehalten reagiert die Politik auf allen Flügeln aber, wenn sie für dumm verkauft wird. So lobt Bellstedt den kurz vor Weihnachten 2006 abgehaltenen „IT-Gipfel“ in Potsdam. Dazu würden sich öffentlich nicht einmal die handverlesenen Teilnehmer dieses eigentümlichen Events versteigen. Den meisten dürfte sowohl die Veranstaltung als auch die völlige Abwesenheit brauchbarer Ergebnisse eher peinlich gewesen sein. Der überwiegende Teil der betroffenen Branche fand zwar auch, dass dies der Gipfel war, allerdings nur deshalb, weil Unternehmen mit weniger als gefühlten 100.000 Mitarbeitern gar nicht erst eingeladen waren. Der Bundesdatenschützer übrigens auch nicht. Auch keine Parlamentarier. Von den Verbänden war nur der Bitkom geladen – auch nicht gerade die Speerspitze des Mittelstands.
Haben Lobbyisten nicht den Auftrag, bei solchen Gelegenheiten zu verhindern, dass sich ihre Geldgeber ins Knie schießen? Dankbar wäre man ja schon, wenn zur Abwechslung auch mal jemand aus der Beraterbranche darauf hingewiesen hätte, dass der Kaiser mitnichten in hübschen Kleidern daherkam, sondern splitterfasernackt war. Allein mit mehr Transparenz, wie sie Hans Bellstedt als Mittel gegen das Misstrauen gegenüber der Lobbyistenzunft empfiehlt, ist es jedenfalls nicht getan. Wer bloß durchsichtig sein will, wird noch viel weniger gebraucht.