Lost in Existenzgründung
Im Februar 2003 fassten wir - Claudia Strackbein, Politikwissenschaftlerin, damals Mitarbeiterin eines Europaabgeordneten und Julia Baganz, Kommunikationswirtin und damals Geschäftsführerin der Kölner SPD - den Entschluss, uns selbstständig zu machen. Unsere Dienstleistung: Beratung für politische und gesellschaftliche Kommunikation. Keine einfache Branche, aber eine Branche mit hohem Beratungsbedarf und, vor allem, ein Wachstumsmarkt. enomia sollte unsere Firma heißen. Unser Finanzierungsbedarf: 20.000 Euro, gefördert über die Deutsche Ausgleichsbank (DtA).
In wenigen Wochen hochtouriger Arbeit entwickelten wir unser Konzept und erarbeiteten gleichzeitig in schriftlicher Form unsere Geschäftsidee, die Markt- und Konkurrenzanalyse sowie den Finanzierungsplan. Parallel dazu baten wir einen mir, Julia Baganz, persönlich bekannten und renommierten Existenzgründungsberater, uns professionell zu begleiten. Da wir aufgrund unserer beruflichen Tätigkeit über ein breites Netzwerk von Kontakten verfügten, konnten wir schon vor dem offiziellen Termin der Gründung unseres Unternehmens den ersten Kunden akquirieren. Dadurch sicherten wir uns bereits mit Beginn unserer Selbstständigkeit den ersten Auftrag, der sich über ein Jahr erstrecken wird. Im nächsten Schritt standen nun Termine bei Banken, dabei die Bürgschaftsbank Nordrhein-Westfalen, beim Arbeitsamt, bei der IHK und dem Amt für Wirtschaftsförderung an.
Und genau hier beginnt die Geschichte: Es ist die Geschichte zweier Existenzgründerinnen in einem Land, das in der wirtschaftlichen Krise steckt, einem Land, das mit dramatischen Arbeitslosenzahlen kämpft, einem Land, in dem Menschen aufgefordert werden, Eigenverantwortung zu übernehmen - beispielsweise indem sie sich selbstständig machen. Und in einem Land, in dem wir Unglaubliches erlebten, als wir genau das taten.
Unsere erste Station war die Stadtsparkasse Köln. Die wirbt mit dem Slogan "Die SK besitzt eine hohe Kompetenz in der Beratung, Finanzierung und Betreuung von Existenzgründern" für ihr hervorragendes Engagement auf dem Gebiet der Mittelstandsförderung. Unsere Erfahrungen mit der SK waren jedoch diametral anders: Beim ersten zuvor telefonisch vereinbarten Termin mit unserem persönlichen Berater war dieser angeblich nicht im Hause. Wir durften unser Konzept jedoch für ihn hinterlegen. Bereits nach zwei Tagen teilte er uns telefonisch die Absage der Bank mit. Obwohl seine Begründung lautete, dass die Stadtsparkasse die Marktentwicklung weniger positiv einschätze als wir, beendete er das Telefongespräch mit den Worten: "Lassen sie sich von unserem negativen Entscheid nicht unterkriegen, vielleicht finanziert sie ja eine andere Bank."
Daraufhin wandten wir uns an die Deutsche Bank 24. Der erste Kontakt war sehr freundlich und zuvorkommend. Wir wurden gebeten, unser Konzept und den Wunsch nach der DtA-Förderung postalisch auf den Weg zu bringen. Nach einer Woche kam auch hier die Ernüchterung. Die Deutsche Bank 24 teilte uns mit, dass für die Förderung unserer Existenzgründung keine ausreichenden Sicherheiten unsererseits vorhanden seien. Erwähnten wir bereits den Slogan, den sich die Deutsche Bank 24 zur Werbung ihrer Kunden zu Eigen macht? "Sowohl für Ihre beruflichen als auch für Ihre privaten Ziele bieten wir Ihnen die passenden Finanzierungslösungen", lautet er.
Zum ersten Mal allein mit einem Banker
Wir können der Bank jedoch konstatieren, dass ihre Lösungen wirklich gut passen - zumindest für die Bank selbst. Man unterbreitete uns nämlich den verblüffenden Vorschlag, Sicherheiten in Höhe von 20.000 Euro - bevorzugt in Form von Bargeld - mitzubringen. Unter dieser Bedingung war die Bank bereit, für uns die 20.000 Euro bei der DtA zu beantragen. Durch Recherchen erfuhren wir später, dass die Deutsche Bank bisher nie eine DtA-Förderung für Gründer beantragt hat. Dieser zweite Versuch, die richtige Hausbank zur Finanzierung unserer eigenen Firma zu finden, kostete uns zwei Wochen Kraft und wertvolle Zeit.
Unsere weitere Suche führte uns schließlich zur Kölner Bank (Volksbank). Dort gelang es uns tatsächlich erstmals, einem Banker von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Auch hier erhielten wir nach einer Woche zunächst die telefonische Absage. Allerdings wollten wir die Gründe nun detailliert dargelegt bekommen. Auf unser Insistieren wurden uns mehrere Gründe genannt: Zu wenig Sicherheiten und - zu unserem Erstaunen - grundsätzlich keine Förderung über die Deutsche Ausgleichsbank. Es gelang uns dennoch, ein weiteres persönliches Gespräch mit unserem Berater zu vereinbaren. Der teilte uns mit, dass Banken generelle Vorbehalte gegenüber der Existenzgründungsförderung durch die DtA hegen. Die anschließende Begründung dafür leuchtete uns ein: Während die Bank den wesentlichen Anteil der administrativen Arbeit übernimmt, erstattet die DtA ihr nur einen minimalen Prozentsatz des entstandenen Aufwands. Demgegenüber entsteht der DtA kaum Aufwand, und damit kann sie auch noch Gewinn machen. Schließlich gelang es uns trotzdem, die Kölner Bank davon zu überzeugen, uns zu fördern. Zu unserer Überraschung verfügt die Kölner Bank sogar über ein bankeigenes Mittelstandsförderungsprogramm, dessen Konditionen sich sogar als besser erwiesen, als jene der DtA. "Wir machen den Weg frei" - der Slogan der Volksbanken war also der erste, der hielt, was er versprach.
Schon zwei Monate nach der Gründung ohne Geld
Der Kölner Bank und ganz besonders unserem Sachbearbeiter müssen wir großes Lob aussprechen, denn Flexibilität, Kulanz und Beratung sind hier wirklich keine Fremdworte. So erklärte sich die Kölner Bank bereit, uns ohne Sicherheiten, erhöhte Zinsforderungen oder großen Verwaltungsaufwand, 10.000 Euro zur Verfügung zu stellen. Und das, obwohl die Frage der Bürgschaft noch nicht eindeutig geklärt war. Der einzige Umstand, den die Kölner Bank dabei berücksichtigte, war unser Anliegen, endlich mit der Arbeit zu beginnen. Erst als wir den Rest der Darlehenssumme in Anspruch nehmen wollten, folgte auch hier die Ernüchterung.
Unser Sachbearbeiter bei der Bürgschaftsbank hatte eigenmächtig und ohne Rücksprache mit uns die Laufzeit für den Kredit von zehn auf fünf Jahre herabgesetzt und so in den Bewilligungsausschuss der Bürgschaftsbank eingebracht. Wir sind daher mit der Tatsache konfrontiert, dass der mit unserer Hausbank abgeschlossene Vertrag seine Gültigkeit verloren hat. Die Kölner Bank ist daher derzeit nicht bereit, uns die Restsumme unseres Existenzgründungsdarlehens auszuzahlen, geschweige denn, uns über den Kontokorrentkredit verfügen zu lassen. Zwei Monate nach Gründung unserer Existenz stehen wir finanziell komplett auf dem Trockenen und sind nicht in der Lage, unseren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen - eine durchweg ernüchternde Situation.
"Füllen Sie dieses Formular auch noch aus!"
Da nun alle unsere Bemühungen fehlgeschlagen waren, eine öffentliche Förderung für unsere Existenzgründung zu bekommen - obwohl ja vom Bundes- wie vom Landeswirtschaftsministerium intensiv mit dieser Unterstützung geworben wird -, wandten wir uns mit dem Wunsch der Übernahme unserer Bankbürgschaft an die Bürgschaftsbank Nordrhein-Westfalen - auf deren Homepage mit den Worten "Wir bürgen für Sie" geworben wird. Auf Anraten eines Mitarbeiters der Bürgschaftsbank füllten wir schließlich den fünfseitigen Antrag aus, ohne unseren Berater von der Kölner Bank zu konsultieren und sandten die geforderten Unterlagen einschließlich unseres Konzepts zur Bürgschaftsbank.
Bereits nach drei Tagen stellte sich in einem Telefonat heraus, dass die geforderten Unterlagen keineswegs ausreichten, um überhaupt einen Antrag bei der Bürgschaftsbank auf die Übernahme der Bürgschaft zu stellen - eine Erfahrung, die sich bis drei Werktage vor der Beratung des Bewilligungsausschusses der Bürgschaftsbank fortsetzen sollte: In der folgenden Zeit wurden wir wöchentlich aufgefordert, weitere Unterlagen nachzureichen.
Im ersten Telefongespräch mit unserem persönlichen Berater wurden wir dann auch zurechtgewiesen, dass es vollkommen unüblich sei, den Antrag auf Übernahme einer Bürgschaft persönlich auszufüllen. Dies werde normalerweise gemeinsam mit der Hausbank gemacht. Darüber hinaus wurden wir aufgefordert, eine DtA-Förderung abzurufen und auf das Angebot der Kölner Bank zu verzichten. Das Telefonat endete mit der Mahnung, doch noch einmal alles ordentlich nachzuarbeiten (an dieser Stelle sei erwähnt, dass die Kölner Bank keinerlei Beanstandungen an unserem Konzept gehabt und uns den Kredit bereits bewilligt hatte).
Bereits nach zwei Tagen kam ein erneuter Anruf der Bürgschaftsbank. Nochmals teilte man uns mit, dass unser Antrag weiterer Unterlagen bedürfe. Unser Sachbearbeiter von der Bürgschaftsbank erbat nun Absichtserklärungen unserer potentiellen Kunden - und zwar so viele wie möglich. Wir formulierten nun vorsichtig, dass es etwas unseriös klinge, Absichtserklärungen potentieller Kunden einzureichen, da potentielle Kunden nun einmal keine definitiven Kunden seien. Wir waren deshalb nicht bereit, dem Wunsch der Bürgschaftsbank nachzukommen.
Eine weitere Woche später folgte dann die Bitte, unser Konzept zusätzlich bei der IHK einzureichen. Langsam wunderten wir uns über dieses Verfahren, tröpfchenweise Unterlagen bei uns einzufordern. Schon drei Tage später wurden wir erneut aufgefordert, weitere Unterlagen nachzureichen, diesmal aber nicht auf postalischem Weg. Vielmehr seien diese zu einem persönlichen Gespräch in Neuss mitzubringen.
Ein Gespräch, das sich als ausgesprochen abenteuerlich erweisen sollte. Hier eine kleine Kostprobe der Fragen unseres Sachbearbeiters:
- Frau Strackbein, Sie waren Krankenschwester? Warum haben Sie denn nicht gleich studiert?
- Wenn Sie schon bei einem Europaabgeordneten gearbeitet haben, hätte ich ja jetzt zumindest erwartet, dass Sie ein paar Aufträge von dem in der Tasche haben.
- Ich kann ja sowieso nicht verstehen, warum Sie ihre sicheren Jobs aufgeben. Gerade Sie, Frau Baganz, Sie haben ja mehr verdient als ich.
- Sie müssen ja auch verstehen, dass die Leute im Aufsichtsrat Ihre Sachen zur Prüfung nur quer lesen, die haben schließlich viel zu tun.
- Na ja, wenn Sie dann in ein paar Jahren als expandierendes Unternehmen wiederkommen und Hilfe brauchen, werden wir Sie spätestens unterstützen.- Ich kann Ihnen sagen, was ich hier mache, mache ich nicht für jeden und ich bin übrigens noch der Netteste hier.
- Und eines kann ich Ihnen auch noch sagen: Jetzt, nachdem Sie hier waren, wird die Kölner Bank Ihren Antrag auch noch mal ganz genau prüfen und mal sehen, was die dann sagen.
- Der Zeitplan? Also, Entscheidungen fallen immer nur dienstags. Aber diesen Dienstag fällt die Sitzung aus, der nächste geht auch nicht, aber Anfang Juni könnten wir dann eventuell über ihren Antrag beraten. Das geht hier nämlich sehr schnell, wissen Sie.
Wir versuchten klar zu machen, dass wir die rasche Entscheidung der Bürgschaftsbank brauchten, da unsere potentiellen Kunden aufgrund der bevorstehenden Kommunalwahlen bereits jetzt über ihre Etats zu entscheiden hätten. Dies interessierte unseren Sachbearbeiter aber leider herzlich wenig. Lapidar stellte er fest, dass wir beginnen sollten, fleißig Akquisition zu betreiben. Unser Einwand, dass wir genau dazu aber eine funktionstüchtige Infrastruktur benötigten war leider vergebens. Unser Termin bei der Bürgschaftsbank endete mit dem Satz unseres Sachbearbeiters: "Füllen Sie doch bitte dieses Formular auch noch aus und machen sie eine Preisliste für Ihre Dienstleitungen, dann werden wir weiter sehen."
"Ich habe immer noch nicht genau verstanden ..."
Nach zwei Wochen folgte ein weiterer Anruf der Bürgschaftsbank. Man müsse uns leider mitteilen, dass der Antrag nun doch erst Mitte Juni im Ausschuss behandelt werden könne. Aber wo man sich gerade schon mal spreche: "Es wäre sehr hilfreich, wenn neben der bereits bestehenden Preisliste auch noch mal die Musterkalkulation für ein Angebot erstellt werden könnte" - und zwar umgehend, schließlich wolle man ja in der folgenden Woche in den Ausschuss. Selbstverständlich ließen wir der Bürgschaftsbank auch diese Unterlagen zukommen, allerdings nicht ohne uns die folgende Frage zu stellen: Dürfen wir von der Bürgschaftsbank nicht dasselbe professionelle und kaufmännische Wissen erwarten, wie diese von uns? Wie effizient ist das wöchentliche Fordern von Unterlagen? Und da laut Aussage der Bürgschaftsbank jeder Antrag gleich behandelt wird, unabhängig davon, ob es sich um 18.000 oder eine Million Euro handelt, dürfte doch eigentlich eine gewisse Routine vorausgesetzt werden.
Wieder eine Woche später erfolgte ein erneuter Anruf, verbunden mit der Frage, ob uns mittlerweile neue Absichtserklärungen potentieller Kunden vorlägen. Wir waren erstaunt - und zwar nicht nur, weil wir bereits gesagt hatten, dass uns so etwas ausgesprochen unseriös erscheine. Vielmehr hätte unser Antrag mittlerweile eigentlich bereits behandelt sein müssen. Doch unser Sachbearbeiter belehrte uns, dass er uns nie einen definitiven Termin zugesagt habe. Wir durften also wieder eine Woche warten, bis unser Antrag möglicherweise behandelt würde. Und obwohl wir mittlerweile intensive Erfahrungen mit der unorthodoxen Art des Kundengesprächs unseres Sachbearbeiter gesammelt hatten, gelang es ihm erneut, mich, Julia Baganz, mit den Worten zu verblüffen: "Ich habe hier gerade gelesen, dass Sie Geschäftsführerin der Kölner SPD geworden sind, weil Sie sich in der Zeit der Aufklärung der Parteispendenaffäre in der Kölner SPD profiliert haben? Ja, besetzt die SPD denn solche Stellen nach Leistung?"
Dieser Feststellung allerdings folgte ein Detail, welches uns geradezu fassungslos machte. Denn nachdem der Bürgschaftsbank unser 24-seitiges Konzept nunmehr sieben Wochen vorlag, ein persönliches Gespräch über annähernd drei Stunden geführt worden war, wir jede Woche zahlreiche Telefonate geführt und Unmengen an nachgefordertem Papier produziert hatten, traf unser persönlicher Berater von der Bürgschaftsbank tatsächlich folgende Feststellung: "Ich habe ja immer noch nicht so genau verstanden, wer Ihre potentiellen Kunden sein sollen und was Sie wem überhaupt anbieten möchten."
Heitere Ratespiele mit dem Sachbearbeiter
Nach acht Wochen war es dann endlich soweit: enomia hatte es auf die Tagesordnung des Bewilligungsausschusses der Bürgschaftsbank geschafft, und unser Antrag wurde einstimmig bewilligt. Unser Sachbearbeiter entließ uns aus der mehr als fragwürdigen Zusammenarbeit, indem er ein heiteres Ratespiel aufführte und uns tatsächlich aufforderte zu raten, wie unser Antrag beschieden worden sei. "Und sehen Sie zu, dass Sie uns jetzt keinen Ärger machen", lauteten seine Abschiedsworte.
Aber abgeschlossen war das Kapitel Bürgschaftsbank mit der positiven Entscheidung des Bewilligungsausschusses dennoch nicht. Denn nachdem die Bürgschaftsbank zwar die anfallende Bearbeitungsgebühr zügig abgebucht hatte, konnte keine weitere Aktivität verzeichnet werden. Wir räumten der Bürgschaftsbank insgesamt großzügige drei Wochen ein, sich mit unserer Hausbank in Verbindung zu setzen. Zur Freistellung der gesamten Kreditsumme benötigte diese notwendigerweise die Bürgschaftsurkunde der Bürgschaftsbank. Da sich mittlerweile die finanziellen Forderungen kleiner und mittelständischer Unternehmen angesammelt hatten, nahmen wir telefonischen Kontakt zu unserem Berater auf. Dabei stellt sich zufällig heraus, dass dieser willkürlich und nach eigenem Dünken die Laufzeit der Bürgschaft von zehn auf fünf Jahre herabgesetzt hatte. Darüber hinaus berichtete er, er habe unserer Hausbank vor drei Wochen sämtliche notwendigen Unterlagen zugesandt. Im übrigen könne er nichts für uns tun.
Im folgenden Telefonat mit dem Berater unserer Bank stellte sich jedoch heraus, dass die Bürgschaftsbank in Wirklichkeit keinen Kontakt mit ihm aufgenommen hatte. Umgehend nahmen wir wieder Verbindung mit der Bürgschaftsbank auf. Daraufhin räumte unser Sachbearbeiter ein, tatsächlich keinen Kontakt zu unserer Bank gesucht zu haben. Zudem stellte er fest, dass ihm weitere Unterlagen fehlten, ohne die das Verfahren nicht abzuschließen sei. Diese Unterlagen waren bei uns jedoch nie angefordert worden.
An bunten Broschüren herrscht kein Mangel
Nachdem wir uns mit unserem Sachbearbeiter bei der Kölner Bank beraten hatten, boten wir der Bürgschaftsbank an, sämtliche geforderten Unterlagen persönlich nach Neuss zum Sitz der Bürgschaftsbank zu bringen, um das Verfahren auf diese Weise zu beschleunigen.
Während des dritten Telefongespräches mit unserem Berater bei der Bürgschaftsbank stellte sich ein weiteres Mal heraus, dass dieser schlechterdings nicht im Stande war, die existenziellen Notwendigkeiten und Sachzwänge eines frisch gegründeten Unternehmens zu verstehen. Vielmehr orakelte er über einen Zeitbedarf von zwei bis drei Wochen, bevor die Bürgschaftsurkunde überhaupt ausgestellt werden könne.
Uns reichte es nun gänzlich, und wir forderten ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten. Dieser wiederum versicherte uns, sich umgehend mit unserem Fall vertraut zu machen und noch am selben Tag bei uns zurückzurufen. Dies geschah auch prompt. Er versprach uns, sich persönlich mit unserer Bank in Verbindung zu setzen, damit diese ihm die notwendigen Unterlagen rasch per Fax zukommen lassen würde. Obwohl das Ergebnis dieser Intervention noch aussteht, war dies unser erster Kontakt mit der Bürgschaftsbank, bei dem wir spürten, wie es hätte sein können, von Anbeginn einen kompetenten und engagierten Berater an unserer Seite zu haben.
Parallel zu aller Aktivität rund um die Finanzierung unserer Existenzgründung nahmen wir Kontakt zum Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Köln auf, um in Erfahrung zu bringen, ob es öffentlich geförderte Büroräume für Existenzgründer gebe und wir diese in Anspruch nehmen könnten. Wir berichteten über den Stand unserer Gründung - fertiges Konzept, Businessplan, Hausbank et cetera - und unsere Vorstellungen hinsichtlich unserer künftigen Büroräume. Nach zwei Wochen erhielten wir neben einer Vielzahl von Broschüren ("Wie schreibe ich einen Businessplan?" oder "Frauen in der Selbständigkeit") die Angebote. Wir waren zunächst erstaunt, denn die Büros entsprachen weder im Hinblick auf ihre Lage noch auf ihre Größe unseren Angaben - so bot man uns unter anderem ein Büro mit 250 Quadratmetern an. Vor allem aber handelte es sich ausschließlich um Maklerangebote.
Auf einmal muss alles ganz schnell gehen
Da hier offensichtlich ein Missverständnis vorlag, riefen wir beim Amt für Wirtschaftsförderung an, um es aufzuklären - und wurden aufgeklärt: Bei den Angeboten der Stadt Köln handelt es sich ausschließlich um die Zusammenstellungen von freien Räumen in Köln. Diese sind auf dem freien Markt jedermann zugänglich. Da zudem in jedem Fall eine Maklercourtage angefallen wäre, stellten diese Angebote überhaupt keine Förderung im eigentlichen Sinne dar. Man fragte uns noch, ob wir uns in der IT-Branche selbständig machen wollten. "Nein, zum Glück nicht", antworteten wir. "Dann haben sie leider keinen Anspruch auf geförderte Büroräume." Aha.
Eine weitere Zwischenstation zur Selbständigkeit war die IHK Köln. Mit der hatten wir eigentlich nur wegen unseres Antrags bei der Bürgschaftsbank Kontakt aufnehmen müssen, da sie laut Bürgschaftsbank ein Garant für objektive Stellungnahmen zu Gründungskonzepten ist. Also schickten wir unser Konzept auch dorthin. In einem beigefügten Brief baten wir darum, unser Manuskript zeitnah zu bearbeiten, da wir bereits in den Startlöchern stünden und nur noch das Verfahren mit der Bürgschaftsbank in der Schwebe sei. Da sich die IHK nicht bei uns zurückmeldete, nahmen wir an, alles sei Ordnung.
Wir hatten die IHK schon fast vergessen, als nach ungefähr vier Wochen ein Anruf von ihr kam. Man forderte für den kommenden Tag ein Gespräch über unsere Gründung mit uns. Wir stutzten ein wenig darüber, dass sich die IHK so viel Zeit gelassen hatte und nun so unvermittelt einen Termin forderte. Am gleichen Tag stellte sich jedoch heraus, dass die Bürgschaftsbank in der kommenden Woche den Antrag behandeln würde, was ohne die Stellungnahme der IHK natürlich nicht möglich sein würde. Wir machten uns selbstverständlich auf den Weg zur IHK. Unsere Sachbearbeiterin begrüßte uns frohgemut mit dem Hinweis, dass sie so gut wie auf dem Sprung sei, schon am kommenden Tag werde sie in den Urlaub aufbrechen. Nun konnten wir den plötzlichen Arbeitseifer natürlich nachvollziehen und waren beinahe dankbar: Wer weiß, wann die Stellungnahme ohne diesen Urlaub gegeben worden wäre. Das Gespräch mit der IHK dauerte ungefähr zwei Stunden und war wiederum sehr aufschlussreich im Hinblick auf die Arbeit der Bürgschaftsbank. Wir hatten angenommen, dass die Bürgschaftsbank die IHK über die aktuellen Entwicklungen unserer Gründung auf dem Laufenden gehalten hatte, da sonst schließlich - aus unserer Sicht - keine angemessene Stellungnahme getroffen werden konnte. Doch weit gefehlt. Die IHK hatte keine Ahnung davon, dass wir unterdessen eine Bank hatten, ein Büro, einen Kunden, dass ein Teil des Kredits bereits ausgezahlt worden war und wir bereits zu arbeiten begonnen hatten. Man darf sich also wirklich fragen, wie eine objektive Stellungnahme aussehen soll, wenn die Bürgschaftsbank solche Informationen nicht an die IHK weiterleitet.
Die Ahnungslosen von der IHK
Die Prüfung der IHK beschränkte sich auf die Abfrage unserer Lebensläufe, unser bisheriges berufliches Leben, die Umstände, unter denen wir uns kennen gelernt hatten sowie die Abfrage unserer Kenntnisse im kaufmännischen Bereich. Ich, Julia Baganz, gab an, in welcher Größenordnung ich Etats bei früheren Arbeitgebern und der SPD verantwortet hatte. Alles wurde ordentlich mitgeschrieben - aber nicht nachgeprüft. Ich hätte wahrscheinlich auch sagen können, ich hätte bei DaimlerChrysler ein Projekt in Höhe von zwei Millionen Euro verwaltet; auch dies wäre dann so notiert worden. Das ist schon merkwürdig. Denn die Stellungnahme der IHK ist mit ausschlaggebend für den Antrag auf Übernahme einer Ausfallbürgschaft durch die Bürgschaftsbank. Doch die IHK wird weder über sich verändernde Sachverhalte durch die Bürgschaftsbank informiert, noch prüft der jeweilige Sachbearbeiter selbst, ob die Angaben der Antragssteller der Wahrheit entsprechen. Als wir darüber nachdachten, dass die Stellungnahme der IHK einen wesentlichen Beitrag zur Beurteilung unseres Antrages bei der Bürgschaftsbank leistet, bekamen wir ein ungutes Gefühl im Bauch.
Am Ende des Gesprächs wurden wir schließlich noch gefragt, wovon wir denn leben wollten, solange die Firma noch keine Gewinne abwerfe. Wir berichteten vom Arbeitsamt, der Inanspruchnahme von Überbrückungsgeld und erwähnten, dass ich, Claudia Strackbein, dieses allerdings noch beantragen müsse. Daraufhin beglückwünschte unsere Sachbearbeiterin mich mit den Worten: "Oh, da müssen Sie sich aber beeilen. Obwohl, Sie sind ja Akademikerin, dann geht das schneller. Sie müssen nämlich nicht an den gleichen Schalter wie das Fußvolk."
Neunzig Minuten, sieben Formulare
Wie erwähnt, gehörte auch das Arbeitsamt zu unseren Stationen. So bin ich, Julia Baganz, am 3. April zum ersten Mal zum Arbeitsamt gegangen, um mich zunächst ab dem 1. Mai arbeitslos zu melden. Sobald die Finanzierung der Existenzgründung geregelt wäre, wollte ich dann Überbrückungsgeld beantragen. Ich war gespannt, schließlich gilt das Kölner Arbeitsamt, als eines der modernsten Job-Center in Deutschland. Zunächst bekam ich ein vierseitiges Formular ausgehändigt. Auf eine Seite mit persönlichen Angaben folgten drei Seiten, auf denen ich nichts anderes eintragen konnte als Gründe, warum ich nicht arbeiten könne. Die Ich-möchte-gern-und-schnell-wieder-arbeiten-Spalte, existierte nicht. Die persönlichen Arbeitsvermittler sind so persönlich, dass ich als Kunde weder den Namen noch die Dienstnummer erfahren habe. Nach insgesamt 90 Minuten und sieben verschiedenen Formularen wusste ich zwar nicht genau, wie es mit mir weitergehen werde, dafür aber, dass Uschi aus der Leistungsabteilung demnächst in die Telefonabteilung versetzt werden würde und der Schrecken meiner Vermittlerin und ihres Kollegen grauhaarig, dick und offenbar ihr Chef ist.
Bei meinem zweiten Gang zum Arbeitsamt wusste ich bereits, dass die Selbstständigkeit klappen würde und erbat - nachdem ich mir einen Vortrag über die Rechte und Pflichten von Arbeitslosen angehört hatte - das Formular zur Beantragung von Überbrückungsgeld. Dies wurde mir verweigert, denn erst musste ich bei meinem Vermittler vorsprechen - der aber leider nicht da war. Es folgte der dritte Gang, bei dem ich die sieben Formulare vom vorletzten Mal in der Leistungsabteilung abgab und versuchte einen Termin bei meinem Vermittler zu bekommen, damit dieser mir das Antragsformular für das Überbrückungsgeld aushändigen würde. Diesmal hörte ich von dem jungen Mann am Infoschalter: "Bevor Sie mit ihrem Vermittler sprechen, damit der ihnen das Formular zum Antrag auf Überbrückungsgeld gibt, müssen Sie erst mal an einem Existenzgründungsseminar teilnehmen." - "Guter Mann", erwiderte ich, mittlerweile leicht gereizt, "ich habe seit acht Wochen einen Berater, ich habe eine Bank, ich habe ein Büro und einen Kunden, und ich würde unheimlich gern mit der Arbeit beginnen." Er zeigte sich flexibel und wir einigten uns darauf, dass ich den Beleg meiner Existenzgründungsberatung vorlegen und unterdessen auf die schriftliche Einladung meines Vermittlers warten werde. Diese kam nach einer Woche. Der Inhalt: Die Einladung zu einem Existenzgründungsseminar! Mir reichte es. Erst nach einer Beschwerde bei der Führungsebene des Arbeitsamtes sowie durch Kontakte aus meiner SPD-Tätigkeit bekam ich einen Termin bei einem Vermittler und dort erhielt ich dann nach zehn Minuten endlich den Antrag auf Überbrückungsgeld. Das Ganze hatte mich vier Wochen Zeit gekostet.
Leistungen? Welche Leistungen?
Nun konnte ich nur hoffen, dass dieser Antrag auch bewilligt werden würde, was wiederum vier Wochen dauern sollte. Allerdings erst, wenn die Höhe meines Arbeitslosengeldes bekannt wäre, was nach mehreren Wochen immer noch nicht der Fall war. Vielmehr kam - nachdem ich vier Wochen zuvor sämtliche Unterlagen abgegeben hatte - ein Brief, der mit dem Satz begann: "Wenn Sie sich nicht bis zum 31. Mai zurückmelden, werden Ihre Leistungen gestrichen." - "Welche Leistungen?", fragte ich mich. Das Arbeitsamt wollte von mir wissen, warum ich das Beschäftigungsverhältnis mit meinem ehemaligen Arbeitgeber aufgelöst hätte. Verwirrt rief ich dort an, um zu erklären, dass dies nicht der Fall gewesen, der Vertrag vielmehr befristet gewesen sei. Nach zehn Minuten Warteschleife erfuhr ich, dass ein Versehen vorlag. Das Arbeitsamt wollte vielmehr wissen, warum ich vor einem Jahr ein befristetes, mittelmäßig bezahltes Beschäftigungsverhältnis aufgelöst hätte, um ein anderes, wesentlich besser bezahltes, ebenfalls befristetes Beschäftigungsverhältnis anzunehmen (bevor ich Geschäftsführerin der Kölner SPD wurde, hatte ich als Mitarbeiterin der Kölner MdBs gearbeitet). Zur Aufklärung musste ich wieder ein vierseitiges Formular ausfüllen, dessen Bearbeitung weitere zwei Wochen dauern sollte.
Telefonische Auskunft? Völlig ausgeschlossen!
Ein unglaublicher Zeitplan: Nach vier Wochen kam die erste, ziemlich merkwürdige Rückfrage des Arbeitsamtes. Und da es im besten Fall zwei Wochen bis zur Festlegung der Höhe des Arbeitslosengeldes dauern würde und dann wieder vier Wochen, bis ich erführe, ob der Antrag auf Überbrückungsgeld bewilligt werden würde, hätte ich - um zum Zeitpunkt der Selbständigkeit alle Stationen durchlaufen zu haben - im Januar erstmalig beim Arbeitsamt vorstellig geworden sein müssen. Das Problem dabei: Im Januar wusste ich überhaupt noch nicht, dass ich mich selbständig machen würde. Doch dann, am 14. Juni, wurde mir das Überbrückungsgeld bewilligt - nach insgesamt 11 Wochen.
Nun, auch ich, Claudia Strackbein, durfte intensive Erfahrungen mit der konsequent negativen Haltung des Arbeitsamtes gegenüber seinen Kunden machen. Nachdem auch ich mich bemüht hatte, einen telefonischen Termin zu vereinbaren, teilte mir eine Mitarbeiterin des Arbeitsamtes mit, dass dies nicht möglich sei. Auch auf die Frage, welche Unterlagen ich mitbringen müsse, um Überbrückungsgeld zu beantragen, wurde mir gesagt, dass mir dies telefonisch nicht mitgeteilt werden könne. Dafür lobte die Dame den Service des Arbeitsamtes, der es allen Berufstätigen erlaube, donnerstags zwischen 14 und 16 Uhr außerhalb der üblichen Zeiten zu einer Beratung ins Amt zu kommen. Als ich mich schließlich an einem Donnerstag um viertel vor zwei dort einfand, teilte mir der Mitarbeiter am Serviceschalter mit, dass der Andrang von Kunden es heute nicht mehr erlaube, zu der Sachbearbeiterin vorzudringen. Auf mein Beharren hin ließ er sich jedoch überzeugen, dass ich ausnahmsweise noch vorgelassen werden könne. (Übrigens wurde allen Arbeitssuchenden, die nach mir eintrafen mitgeteilt, man könne sie heute nicht mehr beraten; wer sich als beharrlich genug erwies, bekam schließlich den gewünschten Termin, während die anderen direkt wieder verschwanden.) Ich erhielt das obligatorische Formular, in dem ich angeben musste, worin meine Qualifikationen bestehen und aus welchen Gründen es mir nicht möglich sei zu arbeiten. Ein Formular zur Beantragung von Überbrückungsgeld existierte angeblich nicht.
Nach fast zwei Stunden gelang es mir schließlich, zu der Mitarbeiterin vorgelassen zu werden, die die Formulare bearbeitete; diese hatte den Andrang von etwa 30 Leuten übrigens allein zu bewältigen. Nachdem ich mein Anliegen vorgetragen hatte, begann sie meine Daten in den Computer zu übertragen. Danach teilte sie mir mit, dass es überhaupt nicht möglich sei, Überbrückungsgeld zu beantragen, ohne zuvor als arbeitssuchend registriert worden zu sein. Also wurde ich dementsprechend in den Computer des Arbeitsamtes eingetragen - womit sich mir sofort die Frage stellte, ob ich nun als weitere Arbeitslose in der Statistik auftauchen würde, obwohl ich ja weder arbeitslos noch arbeitssuchend war.
"Na so was Schönes, eine junge Frau"
Danach wurde ich zu meinem eigentlichen Berater vorgelassen. Dieser begrüßte mich mit den Worten, dass es doch mal etwas Schönes sei, eine junge Frau auf dem Stuhl gegenüber sitzen zu haben - sonst werde einem ja so allerlei Negatives als Gegenüber zugemutet. Nachdem ich diese Bemerkung verbal als etwas überflüssig qualifiziert hatte, sagte mein Berater: "Sozialversicherungsnachweise". Nach etwa einer Minute teilte er mir mit, ich besäße keinerlei Anspruch auf Überbrückungsgeld, da ich nur acht Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätte. "Das war′s", erklärte er mir sodann, "für Sie kann ich nichts tun." Ich teilte ihm mit, dass ich in meinem vorherigen Arbeitsleben bereits sieben Jahre (von 1987 bis 1993) Beiträge zur Arbeitslosenversicherung eingezahlt hätte. Daraufhin meinte er, von Menschen mit abgeschlossenem Studium der Politikwissenschaften dürfe man erwarten, dass sie über die geltenden Gesetze informiert seien.
Um das Gespräch auf eine weniger persönliche und unqualifizierte Ebene zu bringen, fragte ich ihn, wie ich meine Existenz ohne Überbrückungsgeld sichern könne. Seine Antwort lautete: "Weiß ich doch nicht". Als ich dann genau wissen wollte, worin seine Tätigkeit im Arbeitsamt bestehe, teilte er mir mit, dass er Berater sei. Woraufhin ich sagte: "Gut, dann beraten sie mich doch jetzt bitte!" Dazu war er nicht bereit, gab mir aber mit auf den Weg, dass ich aus seiner Sicht überhaupt keinen Anspruch auf irgendwelche Leistungen hätte. Außerdem solle ich doch bitte bedenken, dass mich niemand gezwungen habe, meinen bisherigen Job aufzugeben, wie mich auch niemand zur Gründung einer Firma gezwungen habe. Ich verabschiedete mich mit Dank für die außergewöhnlich unqualifizierte Dienstleistung, die mir an diesem Tage durch die Mitarbeiter des Arbeitsamtes zuteil geworden sei.
Das Selbstmitleid der Migränekranken
Frustriert und wütend verließ ich das Arbeitsamt. Die Sicherung meiner Existenz war vollkommen ungeklärt. Als Mensch, der bereitwillig die Verantwortung für seine persönliche Zukunft übernommen hatte, schien ich keinerlei Unterstützung in Deutschland zu erhalten. Wäre ich ohne Arbeit, könnte ich - wegen der Fehlzeiten bei der Einzahlung in die Arbeitslosenversicherung - allein Sozialhilfe beantragen. Für mich als Mensch, der sich seit 1987 vollkommen eigenständig finanziert hat und niemals Hilfe durch die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik in Anspruch genommen hat, eine unglaubliche Erfahrung.Fazit. Als wir kürzlich den ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und heutigen Bundespräsidenten, Johannes Rau, im Interview hörten, sagte dieser, er habe das Gefühl, bei den Deutschen handele es sich um ein Volk Migränekranker. Das machte uns hellhörig: Genau diesen Eindruck haben wir in den vergangenen Monaten ebenfalls gewonnen. Im Zentrum des kollektiven Selbstmitleids stehen die Diskussionen um Steuern und Abgaben, um Rezession oder die Probleme der Weltwirtschaft, wogegen Selbstverantwortung und persönliches Engagement weitgehend ausgeklammert werden. Besonders negativ sind uns dabei unsere intensiven Kontakte zu Verwaltungen und Behörden in Erinnerung. Deren Strukturen, Arbeitsweisen und Servicevorstellungen sind in keiner Weise mit den Erfordernissen einer modernen Wirtschaftsnation in Einklang zu bringen. Permanent zwang sich uns der Eindruck auf, kafkaeske Situationen zu erleben, die mit gesundem Menschenverstand nicht nachzuvollziehen waren. Wir sind daher zu der Überzeugung gelangt, dass Deutschland nicht an den mangelnden Visionen seiner Politiker krankt, sondern daran, dass diejenigen, die Visionen in die praktische Tat umsetzen sollten, in Kategorien arbeiten und denken, die mit den Anforderungen unserer Dienstleistungsgesellschaft nicht zusammenpassen.
Unmoderne Institutionen in einer modernen Welt
Uns ist klar, dass eine Sachbearbeiterin mit der Betreuung von etwa 800 Arbeitssuchenden vollkommen überlastet ist und somit den Nutzen von Konzepten nicht erkennt, die in den Führungsebenen der Bundesanstalt für Arbeit entwickelt werden. Aus unserer Sicht kann die tatsächliche Verwirklichung von "Hartz" oder anderen notwendigen Reformen nur dann gelingen, wenn diejenigen Behördenmitarbeiter, die im täglichen Kundenverkehr stehen, den Sinn der Veränderungen dank gezielter Qualifizierungsmaßnahmen selbst erfassen.
Ähnliches gilt für Institutionen wie IHK, die Bürgschaftsbank und Banken im Allgemeinen. Nach unserem Eindruck leisten diese Institutionen aufgrund ihrer Unbeweglichkeit einen erheblichen Beitrag zu der gegenwärtigen Schwäche unserer Wirtschaft. Wir durften ausgiebigste Erfahrungen damit machen, wie sich diese Institutionen darum bemühten, uns in unserer Existenzgründung die Unterstützung zu verweigern, und wir haben dies als ausgesprochen demotivierend und inkompetent empfunden.
Als moderner Wirtschaftsstandort wird sich Deutschland aus unserer Sicht tatsächlich nur dann behaupten können, wenn alle dafür notwendigen Teile unserer Gesellschaft bereit sind, konzertiert an seiner Verbesserung mitzuarbeiten. Allein der Unterstützung unseres persönlichen Existenzgründungsberaters und der Kölner Bank sowie unserem Glauben an uns selbst, an unsere Fähigkeiten und unsere Gründungsidee verdanken wir es, dass wir unsere Firma trotz allem gründen konnten. Die enomia existiert seit dem 1. Juni 2003.