More of the same

Das Papier "Zukunft in Arbeit" formuliert den Anspruch, neue Wege aufzuzeigen. Doch wie das geschehen soll, bleibt ziemlich im Dunklen. Konkret wird das Papier nur dort, wo es die Zukunft als Fortsetzung des Bestehenden beschreibt

Mit dem Papier "Zukunft in Arbeit" präsentieren Nina Hauer, Hubertus Heil, Christian Lange und Christoph Matschie ihre Vorstellungen eines zukünftigen sozialdemokratischen Weges zu Vollbeschäftigung und sozialer Teilhabe. Das Ziel ist hoch gesteckt: Es sollen die Grundlagen für eine Dekade der Vollbeschäftigung und sozialen Gerechtigkeit gelegt werden. Damit beziehen die Autoren im Hinblick auf eines der wichtigsten gesellschaftlichen Themen Position. Denn nach wie vor stellt Arbeit ein zentrales integratives Moment der Gesellschaft dar. Die formulierten Ziele sind begrüßenswert und lassen aufhorchen, doch bringen die daran anknüpfenden Ausführungen einige Probleme mit sich.

Plädoyer für die Angebotspoliitik

Da Beschäftigungspolitik vor allem Wachstumspolitik sei, müsse letztere weiterhin Vorrang haben, schreiben die Autoren. Sicherlich, in Wachstumszeiten entstehen günstige Bedingung für mehr Beschäftigung. Die Frage ist aber, welche Art der Wachstumspolitik man betreibt. Hauer, Heil, Lange und Matschie reden alternativlos der bisherigen Angebotspolitik das Wort, wenn sie erklären, von Seiten der Politik müsse nach wie vor alles für die Steigerung von privaten Investitionen und unternehmerischer Selbstständigkeit getan werden. So könnten Unternehmen neu entstehen und auf diese Weise mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, als an anderer Stelle abgebaut. Nachfrageorientierte Maßnahmen also, wie verbesserte Lohnentwicklungen im öffentlichen Sektor oder ein angemessenes Sozialleistungssystem, welches das Absacken von Löhnen unter eine bestimmte Untergrenze verhindert, finden nicht einmal Erwähnung. Diese Maßnahmen aber wären es gerade, die eine Trendwende in der Lohnentwicklung markieren und so die Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger stärken würden, und dadurch wiederum zu mehr Absatz, Wachstum und günstigen Bedingungen für Beschäftigung und vor allem zu einer gerechteren Verteilung gesellschaftlichen Reichtums führen könnten.

Die IT-Implosion muss zu denken geben

Diese Einseitigkeit ist mindestens in zweierlei Hinsicht befremdlich: Erstens bleibt in dem Papier vollkommen unbenannt, in welchen Bereichen denn Unternehmen entstehen sollen, die eine so große Beschäftigungsnachfrage mit sich bringen, dass diese den Beschäftigungsabbau in anderen Bereichen übertrifft. Im produktionsintensiven Branchen jedenfalls scheinen diese Potentiale weitgehend ausgereizt. Bleibt also zu vermuten, dass hier auf den viel beschworenen IT-Sektor abgestellt wird. Gewiss entstehen in diesem Bereich Arbeitsplätze. Jedoch hat die jüngste Implosion der IT-Branche und die damit zusammenhängende Entlassungswelle die Unsicherheit dieser Arbeitsplätze verdeutlicht. Davon abgesehen muss man sich aber auch im Klaren sein, dass gerade die in dieser Branche entwickelten Produkte, etwa verbesserte Maschinen-Software oder Datenverwaltungsprogramme, häufig den Abbau von Arbeitsplätzen im Produktionsbereich zur Folge haben. Das soll keineswegs ein Argument gegen technischen Fortschritt sein - Klarheit sollte jedoch über den Zusammenhang sowie die durch ihn entstehenden Probleme bestehen. Aber selbst wenn man unterstellt, Arbeitsplatzabbau könne durch die beschriebene Angebotspolitik überkompensiert werden, bleibt unklar, was daraus folgen würde. Die Autoren verschreiben sich zwar dem Ziel sozialer Gerechtigkeit, lassen zugleich aber völlig unausgeführt, wie eine gerechte Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums im Anschluss an eine solche Angebotspolitik denn gestaltet werden soll.

Der Aufschwung war nicht hausgemacht

Man mag gegen all diese Argumente ins Feld füh-ren, der konjunkturelle Aufschwung der letzten Jahre und der damit einhergehende Beschäftigungszuwachs seien doch Beweise genug für mehr Reichtum und Beschäftigungsmöglichkeiten und damit für den Erfolg dieser Angebotspolitik. Jedoch ist zum einen sehr zweifelhaft, ob dieser Aufschwung tatsächlich Ergebnis der bisherigen Politik der Bundesregierung gewesen ist. Viel deutet jedenfalls darauf hin, dass das Wachstum vor allem auf den Aufschwung der US-Wirtschaft und die Euroschwäche zurückzuführen war - Faktoren also, die relativ unabhängig von der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik sind. Hierfür spricht erstens, dass das bundesdeutsche Wachstum wesentlich von den gestiegenen Exporten getragen wurde und zweitens, dass die aktuelle Schwächung des bundesdeutschen Wachstums mit der Abschwächung der Konjunktur in den Vereinigten Staaten und der Stabilisierung des Euro zusammenfällt.


Zum anderen ist mittlerweile nicht nur eine Stagnation auf dem Arbeitsmarkt eingetreten, es offenbart sich auch, dass die bisherige Arbeitsmarktpolitik der Regierung vorrangig auf die quantitative Senkung der Arbeitslosenzahlen fixiert gewesen ist und sich nicht an der Qualität der Beschäftigungsverhältnisse - also an angemessener Entlohnung und sozialer Sicherheit - orientierte. Nur in geringem Maße sind tatsächlich qualifizierte, abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Vorwiegend resultiert der Anstieg der Beschäftigung aus der Zunahme von Teilzeitarbeit und prekären Beschäftigungsverhältnissen, die sich obendrein zum Großteil in niedrigen Qualifikationsbereichen vollzog. Beides garantiert in der Regel weder ein existenzsicherndes Einkommen noch eine Risikoabsicherung im Hinblick auf Arbeitslosigkeit, Krankheit und Altersarmut. Festzuhalten ist im Übrigen, dass im Falle der neuen Bundesländer mitnichten von einer verbesserten Beschäftigungssituation gesprochen werden kann. Vielmehr ist die verbesserte Arbeitslosenquote im wesentlichen auf einen Rückgang der Arbeitslosigkeit in den alten Bundesländern zurückzuführen, während die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland weiterhin dramatisch und doppelt so hoch ist wie in den alten Bundesländern.

Weiter so statt Innovationen

Im Ergebnis hat die bisherigen Politik der Bundesregierung daher eher zu einer Verschärfung der Spaltung der Gesellschaft beigetragen als zu mehr sozialer Gerechtigkeit - und zwar ebenso im Hinblick auf das Verhältnis zwischen "abgesicherten Besserverdienenden" und "nicht-abgesicherten Schlechterverdienenden" wie auf das Verhältnis zwischen Ost und West. Mit ihren Vorschlägen haben Hauer, Heil, Lange und Matschie dieser Politik nur wenig entgegenzusetzen. Ja, die angeführten Innovationen lesen sich sogar wie eine Fortsetzung des Bisherigen. So wird zwar der Anspruch formuliert, möglichst viele gering Qualifizierte zu höher qualifizierten Beschäftigungen zu befähigen. Konkrete Vorschläge, in welchen Bereichen dies fruchtbar sein könnte, bleiben jedoch aus.


Umso konkreter sind die Vorstellungen darüber, wie gering Qualifizierte in im Bereich der einfachen, personen- und haushaltsbezogenen Dienstleistungen, wie etwa im Hotel- und Gastronomiegewerbe oder im Reinigungssektor, untergebracht werden können. Diese Ideen entsprechen voll und ganz der derzeit praktizierten Beschäftigungspolitik der Regierung und stellen in diesem Sinne keine Innovation dar. Vor allem handelt es sich aber bei diesen Beschäftigungen eben gerade in hohem Maße um solche, die sich durch unabgesicherte, extrem belastende und schlecht bezahlte Arbeit auszeichnen. Das soll wohl auch nach Meinung der Autoren so sein, weisen sie doch explizit darauf hin, dass die Arbeitskosten in diesem Bereich gering bleiben müssen. In diesem Fall aber werden derartige Beschäftigungsmaßnahmen einen Teil der Gesellschaft weiterhin immer stärker vom Hauptstrang der Entwicklung abschneiden und die gesellschaftliche Spaltung verschärfen. Das spezifische Problem der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern bleibt in dem Papier gar gänzlich unerwähnt.


Auch auf dem Feld der Sozialpolitik bringt das Papier nichts Neues. Hier zeichnet sich die jetzige Regierung bisher dadurch aus, dass sie die Politik einer repressiven Arbeitsförderung ihrer konservativen Vorgängerregierung fortgesetzt und mitnichten die Wende hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit gerade für die sozial Schwachen vollzogen hat. Auch hinter den schon seit geraumer Zeit kursierenden rot-grünen Formeln vom "aktivierenden Staat" und vom "Fördern und Fordern" stehen vor allem Überlegungen zur Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen für Bezieher sozialer Leistungen oder der Kürzung der Bezugsdauer von Sozialleistungen.

Der neue Kurs lässt auf sich warten

Das von Hauer, Heil, Lange und Matschie präsentierte Papier lässt nicht nur eine Kritik an dieser Sozialpolitik vermissen. Die ausschließlich positive Bezugnahme eben gerade auf Formeln wie "aktivierender Staat" oder "Fördern und Fordern" ohne weitergehende konkrete Ausführungen lässt leider gar befürchten, dass auch hier von den aufstrebenden Abgeordneten kein alternativer Kurs zu erwarten ist. Sollte sich hinter den gleichlautenden Formeln doch ein alternatives Sozialpolitikkonzept verbergen, liegt der Mangel des Papiers zumindest darin, dies nicht deutlich zum Ausdruck zu bringen. Das Plädoyer für die öffentliche Förderung der Beschäftigung von Beziehern sozialer Leistungen reicht da noch nicht aus.

Nicht nur weil diese bereits in der Probephase befindlichen Kombilohn-Modelle Probleme mit sich bringen (gerade im Hinblick auf die Etablierung eines Niedriglohnsektors), sondern weil auch hier gilt, dass jede Form von angebotener Beschäftigung für den Leistungsbezieher zumutbar sein soll und bei Ablehnung Leistungsentzug droht. Sollten die Autoren dies ändern wollen, wäre es erwähnenswert gewesen. Aber auch hier deutet das Eintreten für eine Kopplung von Rechten und Pflichten eher auf eine Fortsetzung des jetzigen Kurses hin.

Es fehlt ein normativer Begriff des Problems

Indem die Autoren den Fokus ihrer Betrachtung ausschließlich auf den quantitativen Aspekt von Beschäftigungspolitik verengen, geht ihnen letztlich - das ist das eigentliche Dilemma - der normative Begriff verloren. Es fehlt eine qualitative Betrachtung von Arbeit, der zu schaffenden wie der bereits vorhandenen, es fehlt, kurzum, eine normative Idee von Gesellschaft. Eine solche gilt es aber gerade bei angeblich schlechten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu entwickeln, denn wenn Politik darin besteht, Prioritäten zu setzen, dann sollten es doch die richtigen sein.


Eine Beschäftigungspolitik jedoch, die, flankiert von einer repressiven Sozialpolitik, darauf abzielt, den Preis der Ware Arbeitskraft immer weiter zu senken und eine neue Klasse von Domestiken zu schaffen, ist sozial ungerecht. Das Insistieren auf "soziale Gerechtigkeit" reicht allein nicht aus. Des Begriffs der materialen und materiellen Gleichheit entkernt, ist es nicht mehr als eine Phrase.

zurück zur Ausgabe