Nach der Idylle: Die Berliner Republik als alter Freund in neuem Gewand



Blickt man heute zurück auf die Bundesrepublik vor fünf Jahren, so könnte man meinen, ein gänzlich anderes Land vor sich zu haben. Damals wurden die Deutschen noch aus einer gemächlichen Stadt am idyllischen Rheinufer regiert. Das Land war noch viel stärker geprägt von einer politischen Nachkriegstradition, in der Stabilität oft Vorrang vor Dynamik hatte.

Kaum ein anderes Ereignis charakterisiert den alsbald erfolgten Wandel so treffend wie der Regierungsumzug in das kantige, oft rebellische und stets faszinierende Berlin. Von diesem Regierungssitz aus baut die Berliner Republik seither an einem neuen Deutschlandbild, das sich so gar nicht in die Kontinuität ihrer Bonner Vorgängerin einreihen will.

In konjunktureller Hinsicht kreuzten sich zur Zeit des Regierungsumzugs die Wege Deutschlands und Finnlands – allerdings in entgegengesetzter Richtung. Finnland war nach äußerst schwierigen Strukturreformen gerade einer gravierenden Wirtschaftskrise entstiegen und befand sich in einer Aufschwungphase, die entscheidend durch den IT-Boom getragen wurde. In Deutschland hingegen konnte der IT-Boom gerade noch die Anzeichen der heftigen Strukturkrise verschleiern, die durch Verkrustungen des Rheinischen Kapitalismus, die vereinigungsbedingten Sonderlasten und den verschärften internationalen Wettbewerb ausgelöst worden war.

Fünf Jahre später ist der finnische Staatshaushalt ausgeglichen und Finnland zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren zum weltweit wettbewerbsfähigsten Land gewählt worden. Bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie ist Finnland heute führend unter allen EU-Staaten, und das finnische Bildungssystem erhält in internationalen Vergleichsstudien regelmäßig Spitzennoten. Allerdings mussten erst schmerzhafte Maßnahmen erfolgen, um die Krise zur Chance umzumünzen. Von zentraler Bedeutung war die Erkenntnis, dass der Sozialstaat auf längere Sicht nur dann etwas zu verteilen hat, wenn er nicht schon heute die Ressourcen von morgen aufzehrt. Wer sich unbehaglichen, aber notwendigen Maßnahmen heute verwehrt, wird morgen noch Unbehaglicheres hinnehmen müssen.

Ohne gesunde Staatsfinanzen ist alles nichts

Ein nachhaltig belastbarer Sozialstaat ist auf eine gesunde Volkswirtschaft angewiesen. Das setzt zwingend die Konsolidierung der Staatsfinanzen voraus. Es dürfen keine Zweifel an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Staates aufkommen. Anderenfalls weigern sich die Verbraucher, Geld auszugeben. Selbst Steuersenkungen regen dann nicht mehr die Nachfrage an, sondern erhöhen nur die Sparquote.

In Deutschland stellen sich jetzt viele ähnliche Herausforderungen, wie wir sie in der finnischen Wirtschaftskrise der neunziger Jahre überwinden mussten. In dieser Situation mögen die Erfolge der finnischen Reformpolitik ermutigen, da sie beweisen, dass wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und ein leistungsfähiger Sozialstaat keine Gegensätze sind. Vielmehr bedingen sie einander.

Aber auch in Finnland stellen sich jetzt Herausforderungen, die den Deutschen vertraut klingen dürften: Uns macht eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit zu schaffen, die wir trotz mehrjährigen Wirtschaftswachstums über dem EU-Durchschnitt noch nicht bewältigt haben. Die Lage unserer kommunalen Haushalte, die steigenden Kosten im Gesundheitswesen sowie die Alterung der Bevölkerung bereiten uns ebenfalls zunehmend Sorgen. Viele dieser Aufgaben werden wir in Europa nur solidarisch meistern können. Die konsequente Umsetzung der Lissabon-Strategie, eine zielgerichtete Förderung der neuen EU-Mitgliedstaaten sowie eine europäische Einwanderungspolitik sind von zentraler Bedeutung.

Als größter und wirtschaftsstärkster Mitgliedstaat der Union hat Deutschland stets eine besondere Verantwortung für die europäische Integration getragen. In Finnland bleibt die deutsche Unterstützung der finnischen Beitrittsbemühungen unvergessen. Seit dem Fall der Berliner Mauer bringt Deutschland außerdem immense Anstrengungen für die Wiedervereinigung auf, deren Gelingen im gesamteuropäischen Interesse liegt. Vor diesem Hintergrund verdienen die deutschen Bemühungen um einen ausgeglichenen Haushalt die besondere Anerkennung aller EU-Länder.

Mit ihrem zielstrebigen Reformkurs hat die Bundesregierung großen Mut bewiesen, zumal kurzfristig wenig öffentliche Unterstützung und viel Ablehnung zu erwarten gewesen ist. Doch schon jetzt zeigt sich, dass die Notwendigkeit der Reformen allmählich akzeptiert wird. In dieser Situation würde die Vollendung des europäischen Binnenmarktprojekts wichtige Impulse für Deutschland, Finnland und die gesamte EU liefern. Dabei nimmt der Handel mit Dienstleistungen eine immer wichtigere Rolle ein. Gerade Deutschland und Finnland als exportorientierten Nationen mit starken Dienstleistungssektoren muss besonders daran gelegen sein.

Die Rezepte von gestern gelten nicht mehr

Eine weitere Übereinstimmung deutscher und finnischer Interessen besteht in der Ostseepolitik, in der nördlichen Dimension der EU sowie in den Beziehungen der EU zu Russland. Beiden Ländern kommt in diesen Bereichen eine Schlüsselrolle zu. Für beide steht aber auch besonders viel auf dem Spiel.

Finnland hat stets viel nach Deutschland geschaut, schließlich sind unsere Länder schon lange enge Freunde. Unsere historischen Bindungen sind tief verwurzelt und unsere vitalen Interessen miteinander verflochten. Für Finnland ist es von zentraler Bedeutung, dass die Berliner Republik an den Erfolg ihrer Bonner Vorgängerin anschließt. Dabei lassen sich die Erfolgsrezepte von gestern nicht einfach auf heute über tragen. Stattdessen wird die Berliner Republik in einer neuen Zeit ihre eigene Erfolgsgeschichte schreiben.

Das Potenzial dazu hat die Berliner Republik ohne jeden Zweifel. Den Mut, dieses Potenzial zu nutzen, stellt die Bundesregierung gerade unter Beweis. Die Zuversicht, dass Deutschland es auch dieses Mal schaffen wird, lässt sich schon aus historischer Erfahrung schöpfen. Zum Fünfjahresjubiläum der Berliner Republik die besten Wünsche an einen alten Freund in neuem Gewand.

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