Nicht Gäste, sondern zukünftige Fachkräfte
Deutschland hat sich – von der Öffentlichkeit kaum bemerkt und ganz ohne Zuwanderungsgesetz – in den vergangenen Jahren für ökonomisch motivierte Einwanderung weit geöffnet – und davon wirtschaftlich profitiert. Die Menschen, die seit Einführung der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit und einer liberalisierten Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten neu auf den deutschen Arbeitsmarkt gekommen sind, haben wesentlich zu den jüngsten Beschäftigungsrekorden beigetragen und damit auch die öffentliche Finanzlage verbessert. Diese Erfahrung zeigt: Der deutsche Arbeitsmarkt ist grundsätzlich in der Lage, eine große Zahl von Zuwanderern aufzunehmen. Allerdings steht die Arbeitsmarktintegration der derzeit ankommenden Flüchtlinge unter anderen Vorzeichen.
Das gesamtwirtschaftliche Umfeld für die Schaffung neuer Arbeitsplätze entwickelt sich wegen der anhaltenden konjunkturellen Erholung in Deutschland und der Eurozone zwar günstig. Viele der jetzt aus humanitären Gründen aufgenommenen Menschen dürften aber merklich schlechtere Voraussetzungen für eine zügige Integration in den Arbeitsmarkt mitbringen als diejenigen, die zuvor zum Zweck der Erwerbstätigkeit nach Deutschland gekommen sind. So fehlen bislang zuverlässige Informationen zum Qualifikationsprofil der Asylsuchenden, die in den vergangenen beiden Jahren nach Deutschland gekommen sind. Das, was bekannt ist, legt aber den Schluss nahe, dass ein hoher Anteil der Flüchtlinge – gemessen an den hohen Anforderungen des deutschen Arbeitsmarkts – nur geringqualifiziert ist. So verfügen gemäß den Ergebnissen einer 2013 begonnenen Längsschnittstudie, der SOEP-IAB-Migrationsstichprobe, nur 13 Prozent derjenigen, die seit 1995 als Asylsuchende nach Deutschland gekommen sind und noch hier leben, über einen akademischen Abschluss. Dagegen haben 58 Prozent keine abgeschlossene Berufsausbildung. Auch wenn damit das berufliche Qualifikationsniveau der Asylsuchenden wegen der schwierigen Vergleichbarkeit ausländischer Bildungsabschlüsse möglicherweise unterschätzt wird: Der oft beschworene syrische Arzt repräsentiert sicher nur eine Minderheit der Flüchtlinge.
Fehlende berufliche Qualifikationen und die zu überwindenden sprachlichen Hürden bergen das Risiko, dass die Arbeitsmarktintegration der Betroffenen nur schleppend vorangeht. Dies unterstreichen die Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit. Wie Auswertungen der Migrationsstichprobe durch das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufs-forschung (IAB) zeigen, war von den seit 1995 nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen fünf Jahre nach Zuzug nur jeder zweite beschäftigt. Zum Vergleich: Bei allen anderen Zuwanderern lag die Beschäftigungsquote fünf Jahre nach Zuzug bei gut 70 Prozent. Erst nach etwa 15 Jahren Aufenthaltsdauer fallen die Beschäftigungsquoten der beiden Gruppen ähnlich aus. Doch selbst dann weisen die Flüchtlinge immer noch einen deutlichen Rückstand beim erzielten Einkommen auf. Denn infolge ihrer in Deutschland niedrig bewerteten Qualifikationen sind sie überproportional in Wirtschaftszweigen mit niedrigem Lohnniveau anzutreffen. Nach Angaben des IAB arbeitet allein ein Viertel der abhängig beschäftigten Ausländer aus Kriegs- und Krisenländern im Hotel- und Gastgewerbe. Dabei stellt dieser Sektor nur vier Prozent aller Beschäftigten in Deutschland. Auf der anderen Seite sind die Beschäftigten aus Kriegs- und Krisenländern im verarbeitenden Gewerbe und im Gesundheitssektor deutlich unterrepräsentiert, obwohl es in diesen Bereichen momentan einen hohen Bedarf an Fachkräften gibt.
Kleinere Unternehmen tun sich oft noch schwer
Damit die Arbeitsmarktintegration bei den neu angekommenen Flüchtlingen günstiger verläuft, brauchen sie mehr aktive Unterstützung als in der Vergangenheit. Obwohl viele Unternehmen in Deutschland heute über Schwierigkeiten klagen, offene Stellen und Ausbildungsplätze zu besetzen, und die Engpässe am Arbeitsmarkt aufgrund der demografischen Entwicklung bald noch zunehmen könnten, dürften es viele Neuankömmlinge nicht von selbst schaffen, in die sich auftuenden Lücken vorzustoßen. Die Integration der Flüchtlinge in die Belegschaften bedeutet für die Unternehmen im Vergleich zu anderen Anpassungsmöglichkeiten einen hohen Aufwand, und Umfragen zeigen, dass die Rekrutierung und Förderung ausländischen Personals als Instrument zur Sicherung der Fachkräftebasis in den Köpfen vieler Personalverantwortlicher sehr weit hinten rangiert. Nur eine kleine Minderheit betreibt ein aktives Management von Diversität, um aus bunteren Belegschaften Kapital für das Geschäft zu schlagen und die Fachkräftebasis zu sichern. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen tun sich wegen fehlender Vernetzung oft schwer, die besonderen Herausforderungen bei der Entwicklung von Personal aus dem Ausland durch überbetriebliche Lösungen zu meistern.
Man sollte sich deshalb auch nicht von den zahlreichen Initiativen täuschen lassen, mit denen Unternehmer wie Belegschaften momentan gesellschaftlich Verantwortung übernehmen und die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen voranbringen. Um die Einwanderer in großer Zahl im deutschen Arbeitsmarkt unterzubringen, muss die Rechnung für die Unternehmen letztlich betriebswirtschaftlich aufgehen. Hier werden die Jobcenter eine tragende Rolle spielen. Sie müssen Unternehmen, die Flüchtlingen eine Chance geben, verlässlich entlasten und den Integrationsprozess über längere Zeit kontinuierlich begleiten.
Am schnellen Spracherwerb hängt alles weitere
Um Neuankömmlingen rasch erste berufliche Perspektiven zu eröffnen, sollten die Jobcenter Asylsuchende bereits intensiv ansprechen, bevor sie in den Rechtskreis des SGB II und damit formal in ihre Zuständigkeit eintreten. Ein solcher Ansatz wurde im Pilotprogramm „Early Intervention“ mit wenigen ausgesuchten Flüchtlingen grundsätzlich erprobt und zeigte in der Tendenz positive, wenn auch nicht allzu große Wirkungen. Bei einer frühen Intervention muss es um mehr gehen als um Arbeitsmarkt- und Berufsorientierung: Vorhandene formale Berufsqualifikationen müssen anerkannt werden, noch wichtiger aber ist es, nicht dokumentierte berufliche Fähigkeiten und Kompetenzen zu erfassen und nach einem für die Arbeitgeber aussagekräftigen Standard zu zertifizieren. Auf dieser Basis ließen sich Integrationsvereinbarungen treffen, die einen konkreten individuellen Qualifizierungs- und Entwicklungsplan enthalten und die Mitwirkungspflichten der beteiligten Parteien festlegen.
Zu den ersten Qualifizierungsmaßnahmen für eine elementare Beschäftigungsfähigkeit gehört die Vermittlung von Grundkenntnissen der deutschen Sprache. Dies verzögert sich jedoch momentan vielerorts wegen fehlender Kapazitäten bei den Bildungsträgern, und auch das große ehrenamtliche Engagement kann dieses Defizit nicht wettmachen. Es wäre zweifellos gut investiertes Geld, hierfür mehr finanzielle Mittel bereitzustellen. Nachdem eine Basis gelegt ist, sollte die weitere Sprachförderung berufsorientiert angelegt und mit Phasen praktischer Arbeitserfahrung verzahnt sein. Zwar erfordert soziale Teilhabe am Ende mehr, als sich am Arbeitsplatz verständigen zu können. Die Interaktion mit einheimischen Kollegen im Betrieb ist jedoch ein effektiver Weg, gezielt sprachliche Kompetenzen zu entwickeln, die auch die Aufnahme beruflicher Qualifikationen beschleunigen.
Für eine bedarfsorientierte berufliche Qualifizierung müssen die Flüchtlinge ihre Praxiserfahrungen auf realen Arbeits- oder Ausbildungsplätzen sammeln. Damit die Arbeitgeber diese Plätze auch in ausreichender Zahl schaffen, dürften angesichts des Aufwands bei Personalgewinnung und -entwicklung zusätzliche Anreize notwendig werden. Hierfür bedarf es allerdings keiner grundlegend neuen Ansätze; im Instrumentenkasten für Langzeitarbeitslose finden die Jobcenter geeignete Hilfen, etwa die Organisation sozialer Unterstützungsangebote oder degressiv gestaffelte Lohnkostenzuschüsse (bis zu 100 Prozent). Flüchtlinge mit Arbeitsmarktzugang wie Langzeitarbeitslose zu behandeln, erscheint angesichts der starken Vermittlungshemmnisse für beide Gruppen sachlich durchaus gerechtfertigt und wird zum Beispiel auch im jüngsten Jahresgutachten des Sachverständigenrats angeregt. Eine solche Lösung könnte zudem politisch attraktiv sein: Die Diskussion um spezielle Ausnahmeregelungen beim Mindestlohn für Flüchtlinge ließe sich damit ebenso entschärfen wie der Vorwurf, Flüchtlinge würden besser behandelt als Einheimische mit besonderen Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt.
Auf die Flüchtlinge angewendet, könnten die Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik aber stumpf bleiben, falls die administrativen und aufenthaltsrechtlichen Prozeduren nicht integrationsfreundlicher werden. Der Königsteiner Schlüssel, nach dem die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt werden, gibt der Arbeitskräftenachfrage zu wenig Gewicht und bringt Neuankömmlinge nicht gezielt in die Arbeitsmarktregionen mit der günstigsten Beschäftigungsdynamik. Weiterhin halten rechtliche Unsicherheit, intransparente Zuständigkeiten und Ungewissheit beim Aufenthaltsstatus offensichtlich viele Arbeitgeber davon ab, Asylsuchenden eine Chance zu geben.
Warum Wartefristen kontraproduktiv wirken
So hat die vor einem Jahr vorgenommene Verkürzung der Beschäftigungswartefrist auf drei Monate den Zugang der Asylsuchenden zum Arbeitsmarkt zwar formal erleichtert. In der Praxis schafft die oft lange behördliche Prüfung, ob nicht andere Erwerbslose in Europa für die zu besetzende Stelle verfügbar wären, aber eine hohe Hürde, die viele Unternehmen allein durch ihre Existenz abschreckt. Das Beste wäre, auf diese Vorrangprüfung ganz zu verzichten und stattdessen die Beschäftigungsbedingungen der Flüchtlinge zu kontrollieren, um Lohndumping auszuschließen. Lässt sich ein solch weitgehender Schritt nicht durchsetzen, könnten verbindlich kurze Bearbeitungszeiten und die Beschränkung der Prüfung auf die Erwerbslosen aus der Region den Arbeitsmarkt für Flüchtlinge zumindest ein Stück weiter öffnen.
Unternehmen, die Flüchtlinge einstellen und in ihre Ausbildung oder Qualifizierung investieren, benötigen die Sicherheit, dass sie die Früchte ihres Engagements auch ernten können. Um Asylbewerber leichter in anspruchsvolle betriebliche Ausbildungen zu bringen, müsste die Aufenthaltsberechtigung nicht wie bisher nur bis zum Ausbildungsende, sondern von vornherein auch für eine längere Nachbeschäftigungsphase gesichert werden. In ähnlicher Weise könnten Unternehmen, die Flüchtlingen mit Arbeitsmarktzugang eine Beschäftigung geben und dabei nachweislich für eine gute berufliche Weiterqualifizierung sorgen, durch den Anspruch auf eine angemessene Zeit der Nachbeschäftigung gefördert werden. Noch weiter gedacht führen diese Ansätze bis zur Möglichkeit eines Spurwechsels: Asylsuchende, die sich für die Tätigkeit in einem durch Engpässe gekennzeichneten Arbeitsmarktsegment qualifizieren, bekämen damit eine Chance, vom humanitären in den ökonomischen Zuwanderungskanal zu wechseln.
Bloß nicht die alten Fehler wiederholen
Diese Ansätze, um die nicht einfache Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge durch großzügigere Aufenthaltsregeln voranzubringen, stehen in einem diametralen Gegensatz zu jüngsten Plänen aus dem Innenministerium, Asylsuchenden häufiger einen nur subsidiären Schutz zu geben und damit den Aufenthalt immer nur für kurze Zeit zu sichern. Damit würden Neuankömmlinge in Deutschland zu Gästen – und schon einmal begangene integrationspolitische Fehler wiederholt.