Ohne Kampfhunde und Angezoppel
Thadeusz kommt mit dem Fahrrad. Er lebt seit einem guten halben Jahr in Zehlendorf und hat das Corso Italia als sein Lieblingslokal gewählt. Wir treffen uns an einem warmen Wochentag im Sommer. Jetzt am Mittag sind nur ein paar Tische besetzt. Das Corso Italia sei „nah“, „unproblematisch“ und er habe hier „noch nichts gegessen, was mir nicht geschmeckt hat“, sagt Thadeusz. „Außerdem werde ich hier in Ruhe sitzen gelassen“ – und nicht so „angezoppelt“ wie im „Borchardts-Scheiß“. Ich finde, das ist eine ausreichende Begründung für ein Lieblingslokal und frage, ob wir auf der Terrasse bleiben können – wegen des Rauchens. „Gerne, ich rauche aber erst abends.“
Das Corso Italia ist einer der nur noch wenigen echten italienischen Familienbetriebe. Signore Torrisi ist seit 1968 in Berlin, macht aber einen ungebrochen jugendlichen Eindruck. Elf Jahre hat er in Pankow gelebt. Seine Frau organisiert den Service. Torrisi ist bekannt für seine selbstgemachten Nudeln, sein Bruder macht die Pizza. Seine Schwägerin arbeitet auch mit. Und im Sommer gibt es Eis im Straßenverkauf. Ich fühle mich wohl hier.
Jörg Thadeusz ist nach Zehlendorf gezogen, „weil ich hier laufen kann und weil es keine Kampfhunde gibt wie in Pankow“. Auch er lebte vorher dort. Ich gerate schnell in eine Situation, in der ich über die Berliner Republik und die SPD interviewt werde und nicht ihn befrage.
Wir bestellen. Thadeusz nimmt Nudeln in einer Variation, die nicht auf der Karte steht (Nudelgerichte 5,70 bis 8,90 Euro). Er ist zufrieden. Später höre ich, dass die selbst gemachten Nudeln hier zu den Spezialitäten zählen. Mein Saltimbocca alla Romana (13,80 Euro) schmeckt ebenfalls prima. Die Karte ist klassisch, die Einrichtung der zwei Gasträume gemütlich und der Service sehr freundlich.
Als Hobby gibt Thadeusz „Kochen“ an. Auf seiner Homepage beim rbb kokettiert ein Text mit seiner „Neigung zum Übergewicht“. Gegenüber, auf der Clayallee, zeigt er auf sein Fitnessstudio. Und er erzählt von Dimitrius, seinem Fitnesstrainer in Amerika, der sage „I make a tiger out of a pussycat“. Thadeusz grinst – vielleicht, weil ihm das permanente Wechselspiel zwischen Essen und Bewegung gefällt?
Auf die Frage, wie er sich politisch verorte, kommt als erstes die Antwort: „entwurzelt.“ Dann: „liberal-konservativ“. Er wisse beispielsweise nicht, wie lange man Atomkraftwerke laufen lassen solle. Allerdings komme für ihn die CDU nicht infrage, solange sie von Leuten wie Roland Koch oder Stefan Mappus repräsentiert werde. Dafür kann er sich die CDU-Bundestagsabgeordnete und Kulturausschussvorsitzende Monika Grütters als Regierende Bürgermeisterin von Berlin vorstellen. Die Linkspartei hingegen finde er „geschmacklos“, ergänzt Thadeusz, und verweist auf zwei besonders anti-israelische Repräsentantinnen der Partei.
Später erzählt er mir, dass er 1998 Schröder gewählt habe, damit glücklich war und dass er „ihn auch heute wieder wählen würde“. Warum? „Meine Freundin sagt: Der hat die richtige Sackigkeit.“ Von Steinmeier ist er auch begeistert: „Der ist wahnsinnig klug. Und hat sich wirklich für uns interessiert.“
Für Politik interessierte sich Jörg Thadeusz, seit er 15 Jahre alt ist. Als Jugendlicher arbeitete er bei der Schülerzeitung mit und wollte damals Auslandskorrespondent werden. Das klappte aber nicht, weil Thadeusz zum einen sein Studium nicht zu Ende brachte und zum anderen ein Volontariat dazwischen kam. „Erstmal ordentlich Steine tragen“ musste er dann beim WDR. „Und schließlich habe ich die Faxenkopflaufbahn eingeschlagen. ... Ach, Sie drehen mir eine? Sehr nett!“
Heute ist Thadeusz Moderator, Journalist und Buchautor. Seine Fernseh- und Radiosendung Thadeusz, in der er einen Gast eine halbe Stunde lang höchst intensiv interviewt, ist sein Markenzeichen. „Ich habe nicht die Illusion, Leute zu knacken. Ich will sie vorstellen – so gut es in einer halben Stunde eben geht.“ Und dann spricht er von Fairness: „Wir sind zwar im Fernsehen, aber wir behandeln die Leute trotzdem gut.“ Das scheint unüblich im Fernsehgeschäft, und der 42-Jährige will es anders machen. Als Gäste kann er sich alle möglichen Menschen vorstellen, „außer Nazis oder manche Leute von der Linkspartei, die über die Stasi schreiben: ‚Das habt ihr alles toll gemacht‘“.
Jörg Thadeusz wirkt jetzt engagiert, fast echauffiert. Wie nahezu alle Fernsehmenschen wird Thadeusz übrigens von einer Agentur betreut. „Meine Eitelkeit ist am Größten, genau deshalb stehe ich bei allem im Mittelpunkt.“ Die Auswahl der Gäste diskutiert er aber in der Gruppe: „Wen wollen wir haben?“ Thadeusz geht es jedoch nicht nur um die Namen der Gäste. Er will wachrütteln. Aus diesem Grund engagiert er sich beispielsweise im Verein „Gesicht zeigen“. Überhaupt kein Verständnis habe er für Menschen, die „apathisch Steuern zahlen und nicht danach fragen, was mit dem Geld passiert“. Wichtig ist ihm, dass wir eine Wertegemeinschaft bleiben. In seiner Heimat in Dortmund übernahm er die Schirmherrschaft für ein Projekt „Schule ohne Rassismus“.
Über Vorbilder will Jörg Thadeusz nicht so richtig reden. „Vielleicht Ferdinand von Schirach: Adjektive weg und trotzdem kraftvoll.“ Ansonsten spricht er lieber von klugen Kollegen, zum Beispiel von Hadnet Tesfai: „Von der werden Sie noch viel hören.“ Distanz zu Kolleginnen und Kollegen verpackt Thadeusz in Ironie oder kleine Geschichten. Zwischenzeitlich rauchen wir immer wieder.
Auf die Frage, wie er trotz seiner Prominenz die Bodenhaftung behält, erzählt Thadeusz von seinen zwei Jahren im Rettungsdienst. Und von seinem Vater. Und von einem einwöchigen Praktikum bei einem Friseur im vergangenen Jahr: „Waschen durfte ich nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Kunden. Ansonsten musste ich viel Fegen.“ Was er denn nach dieser Erfahrung vom Mindestlohn hält? „Ich weiß es nicht. Die Experten sind sich ja auch nicht einig. Wer arbeitet, sollte davon Leben können. Ich leite daraus aber nicht sofort eine politische Forderung ab.“
Ich frage, ob auf ihn – Karriere hin, Karriere her – meine
Lieblingskombination „faul und intelligent“ zutrifft. „Der entscheidende Funke Ehrgeiz fehlt mir.“ Thadeusz denkt nach. „Manche Genügsamkeit ist vielleicht geschäftsschädigend.“
Dann drängt der Terminplan. Vorbereitungen für ein paar Aufzeichnungen. Eine letzte, sechste Zigarette noch. Jörg Thadeusz schwingt sich wieder auf sein Fahrrad. Den Grappa trinke ich alleine. «