Personalpolitik für Mütter und Väter

Über Chancengleichheit in einer familienfreundlichen Arbeitswelt

Bei allen Befragungen nach den wichtigsten Lebenszielen der Deutschen rangiert die Familie mit an der Spitze. Die Mehrzahl der jungen Leute will eine gute Partnerschaft und Kinder haben. Denn geglückte Lebenswege werden nicht nur durch eine erfolgreiche Erwerbsbiographie beschrieben, sondern auch durch ein verlässliches und stabiles Familienleben. Aber wenn es darum geht, Erwerbstätigkeit und Familienarbeit miteinander zu vereinbaren, bleibt von dieser Überzeugung wenig bestehen: Die Männer sehen sich in der Regel nicht in der Lage, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Für Frauen hat die Verwirklichung des Familienwunsches nach wie vor einen folgenschweren Einschnitt in ihre Erwerbsbiographie zur Folge.

Eine Gesellschaft aber, in der die Männer als Väter in den Familien ausfallen und die Frauen nicht die Möglichkeit haben, ihr Know-how in die Unternehmen einzubringen, beschneidet sich selbst ihrer Möglichkeiten.

Dies gilt insbesondere für ein Land wie Deutschland, dessen wichtigster "Rohstoff" die Menschen mit ihrer Kreativität, ihren Ideen und ihrer Leistungsfähigkeit sind, dessen demographische Entwicklung der letzten Jahrzehnte jedoch ein kollektives Altern verzeichnet. Die Zukunft der Familie ist aber unmittelbar verknüpft mit der Zukunft der Arbeit.

Das Ziel einer überzeugenden Gleichstellungspolitik kann nur lauten: Chancengleichheit in einer familienfreundlichen Arbeitswelt. Ebenso wie es möglich sein muß, daß Frauen aufgrund ihrer Qualifikation Führungspositionen in Unternehmen übernehmen, so muß es eine Selbstverständlichkeit werden, daß Männer ohne das Gespött ihrer Vorgesetzten und Kollegen Familienaufgaben übernehmen.


Chancengleichheit - dies haben immer noch viel zu wenige begriffen - ist nicht identisch mit "Frauenförderung"! Um Chancengleichheit in der Wirtschaft zu verwirklichen, reichen Programme zur Frauenförderung allein nicht aus, weil sie das beschriebene Problem nur einseitig angehen. Echte Gleichstellung spricht Frauen wie Männer an und benötigt Rahmenbedingungen und Unternehmensstrategien, in denen Frauen wie Männer sowohl gute Mütter und Väter wie auch erfolgreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein können.

Immer mehr Unternehmen erkennen, daß eine erfolgreiche Personalpolitik auch die familiären Situationen und privaten Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu berücksichtigen hat. Denn eine familienbewußte Personalpolitik bringt auch wirtschaftliche Vorteile für die Unternehmen.

Innovationsfähigkeit, Kreativität, Wissen und Erfahrung, Engagement und Leistung gewinnen in der Dienstleistungsgesellschaft an Bedeutung. All diese Faktoren sind personengebunden; Beschäftigte werden somit zum wichtigsten Kapital für die Sicherung des Unternehmenserfolgs. Eine familienbewußte Personalpolitik trägt maßgeblich dazu bei, Beschäftigte mit diesen Fähigkeiten für das Unternehmen zu gewinnen und diese Beschäftigten im Unternehmen zu halten. Auch in einer Familienphase bleiben bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kontakt zum Arbeitsplatz und das Interesse am Betrieb bestehen.

Gesucht wird eine tragfähige Balance zwischen Unternehmenszielen, Kundenwünschen und den Belangen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Doch wie läßt sich ein solches Balance-Ziel tatsächlich erreichen? Konzepte gibt es genug. Gleichwohl mangelt es an der Entschlossenheit, diese Modelle in die betriebliche Praxis umzusetzen.

Um Unternehmen bei ihren Bemühungen zu unterstützen, wurde auf Initiative und im Auftrag der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung das "Audit Beruf & Familie®" entwickelt. Das Audit Beruf & Familie® ermöglicht Unternehmen, das Spektrum ihrer Personalmaßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit zu erfassen, weiterführende Ziele zu bestimmen und die Umsetzung zu kontrollieren. Dabei wird darauf geachtet, daß die vom Unternehmen angebotenen Maßnahmen sowohl Frauen als auch Männern offen stehen und auch von allen wahrgenommen werden.

Es geht darum, die Verwirklichung von Chancengleichheit in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozeß einzubinden und nicht lediglich darum, die Familienfreundlichkeit zu einem Zeitpunkt x zu prämieren. Deshalb spricht das Audit Beruf & Familie® nicht nur Unternehmen und Institutionen an, die sich bereits als familienfreundlich profiliert haben, sondern auch diejenigen, die mit der Umsetzung einer familienbewußten Personalpolitik erst beginnen und hierfür Unterstützung in Anspruch nehmen möchten.

Das Audit Beruf & Familie® erfaßt 130 Einzelmaßnahmen, die in allen klassischen Bereichen der Personalpolitik ansetzen: vom Aufbau flexibler Arbeitszeitmodelle, der familiengerechten Gestaltung von Arbeitsabläufen und der Einführung von Telearbeit, über die Verbesserung der Informations- und Kommunikationsabläufe sowie der Führungskompetenz, Fragen der Personalentwicklung und der Gewährung von geldwerten Leistungen, bis hin zum Angebot eines flankierenden Betreuungs- und Beratungsservices für Familien.

Wichtig ist die Tatsache, daß die Umsetzung einer familienbewußten Personalpolitik nicht zwangsläufig mit hohen Investitionen in Infrastruktur und Sozialbudget verbunden ist. So stehen beispielweise im Bereich der Kinderbetreuung statt eines kostenintensiven "Betriebskindergartens" vielfältige andere Angebote zur Verfügung: von der Vermittlung von Tagesmüttern über die Unterstützung von Elterninitiativen und den Erwerb von Belegplätzen bis hin zur Organisation eine Kinderbetreuung in Notsituationen und der Einrichtung von Eltern-Kind-Zimmern. Auch die Absprache mit bestehenden Einrichtungen zur Anpassung der Öffnungszeiten bringt spürbare Entlastung.

Im Mittelpunkt einer familienbewußten Personalpolitik stehen die Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Regelungen des neuen Teilzeitgesetzes und die erweiterten Möglichkeiten im Rahmen der "Elternzeit" bieten neue Chancen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit. Anders als in der Diskussion vielfach dargestellt, zeigt die Praxis, daß Maßnahmen für eine verbesserte Chancengleichheit sowohl in Großunternehmen als auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen praktikabel sind. Gerade kleinere Unternehmen haben aufgrund ihrer flacheren Strukturen den Vorteil, für einzelne Beschäftigte individuell maßgeschneiderte Lösungen entwickeln zu können.

Alle Maßnahmen werden - zusammen mit Links zu beispielhaften Unternehmen - ausführlich im Internet unter www.beruf-und-familie.de vorgestellt und kontinuierlich ergänzt. Mittlerweile haben rund 40 namhafte Unternehmen das Audit Beruf & Familie® erfolgreich durchgeführt: Großunternehmen genauso wie kleine und mittelständische Unternehmen, Unternehmen aus der Industrie, aus dem Handel und dem Dienstleistungssektor, Unternehmen der Privatwirtschaft und Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung. Allgemeine Patentlösungen werden dabei nicht umgesetzt. Das Audit Beruf & Familie® bietet die Möglichkeit, unternehmensspezifische Lösungen zu erarbeiten und belegt auf diese Weise immer wieder neu, daß Familienorientierung und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sein müssen.

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