Politik als Businessplan
Die Autoren sind Praktiker, die ihr berufliches Handwerkszeug als Unternehmensberater, Investmentmanager und Investitionsentwickler nutzen, um die ökonomischen und sozialen Chancen Deutschlands in Form einer auf 25 Jahre bezogenen Investitionsrechnung darzustellen. Dabei betrachten sie die in Deutschland lebende Wohnbevölkerung (also auch die in Deutschland lebenden Ausländer) als Investoren, die bis 2033 ein Investitionsvolumen von 10.800 Milliarden Euro aufbringen, also 450 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Investition bedeutet für sie, mehr Lebenszeit in besseren Schulen, besserer Ausbildung, besseren Berufen und besserer Arbeit zu verbringen.
An den Menschen vorbei?
Die Autoren lassen sich auf ein bemerkenswertes Gedankenexperiment ein, das besonders in der aktuellen Situation leicht zu reflexartiger Kritik führen kann. Haben nicht die angeblich so professionellen Mess- und Steuerungsinstrumente von Bankern und Investmentmanagern soeben auf ganzer Linie versagt? Haben sich nicht jene Methoden gründlich diskreditiert, die gesellschaftliches Handeln nach betriebswirtschaftlichen Kriterien beurteilen wollen? Favorisiert nicht ein Großteil der Bevölkerung ein neues Primat der Politik? Die aktuelle Lage macht es möglichen Kritikern daher leicht, den Ansatz der drei Autoren als neoliberales Denken "an den Menschen vorbei" zu diskreditieren.
Aber schauen wir genauer hin. Die Autoren führen in ihren "Geschäftsplan" die Kategorie des Humanvermögens ein. Darunter verstehen sie die Summe aller Fähigkeiten, mit denen ein Mensch für sich und andere Sinn stiftet. Das Humanvermögen ist für sie das einzige Geschäftsmodell, in dem Deutschland international erfolgreich ist. Deshalb müsse unsere Gesellschaft genau hier Ressourcen Zeit und Geld investieren. Die Ressource Zeit sollte zum Lernen und Arbeiten aufgebracht werden. Die Verwendung von Zeit zum Lernen baut Humanvermögen auf, während die Zeit zum Arbeiten das Humanvermögen für den Einsatz auf dem Arbeitsmarkt mobilisiert.
Die Investitionen in Form von Geld würden vor allem für Kapazitätsausweitungen der Schulen und Hochschulen sowie für deren laufenden Betrieb anfallen. Laut "Geschäftsplan" steigt das investierte Humanvermögen pro Erwerbstätigen von heute 249.000 Euro auf 406.000 Euro im Jahre 2033, während die Zahl der erwerbstätigen Personen von 39 auf 50 Millionen zunimmt. Funktionieren kann das, weil nach dieser Logik die Größe Zeit nicht nur produktiv, sondern auch konsumtiv verbraucht werden kann.
Der Verzicht auf Freizeit ist demnach eine Investition, die sich lohnt, weil die zukünftigen Wohlstandsgewinne den heutigen Wert dieser Freizeit übersteigen. Den Kritikern dieser Annahme setzen die Autoren entgegen, dass ohnehin nicht alle Freizeit selbst gewählt ist: Viele Menschen sind gegen ihren Willen von einer Teilnahme am Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder würden lieber mehr Zeit in Weiterbildung und Arbeit investieren.
Weniger Mythen, mehr Fakten
Praktisch soll das wie folgt funktionieren: Um das investierte Humanvermögen bis 2033 um 4.505 Milliarden Euro zu steigern und damit den Lebensstandard gegenüber der heutigen Ausgangslage zu verdoppeln, müssten deutlich mehr (rund 14 Millionen gegenüber heute 1,5 Millionen) der über 60-Jährigen, mehr Mütter in Vollzeit sowie mehr Geringqualifizierte am aktiven Erwerbsleben teilnehmen. Wenn sich die Politik konsequent auf dieses Ziel ausrichten würde, könnten nicht nur die kalkulierten (materiellen) Wohlstandsziele erreicht werden, sondern auch das in weiten Teilen nicht quantifizierbare Ziel von mehr und besseren Chancen auf Lebensverwirklichung für jene, die heute strukturell ausgeschlossen sind oder nur mit halbherzigen, nachhaltig nicht wirksamen Mitteln gefördert werden.
Das Buch ist ein intelligenter und in manchen seiner Annahmen heftig diskutierbarer Beitrag, der zur Debatte darüber anregt, in welche politischen Handlungsfelder unsere Gesellschaft investieren soll, um langfristig Wohlstandsgewinne zu erwirtschaften. Dazu gehört, die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen dieser Investitionsentscheidungen messbar und transparent zu machen, um den politisch Verantwortlichen bessere Entscheidungs- und Steuerungsmöglichkeiten zu geben. Diskussionen über politische Ziele und ihren Preis könnten zukünftig anders verlaufen: weniger Mythen, mehr Fakten. Den Folgen der damit verbundenen Entscheidungen müssten sich die Verantwortlichen allerdings stellen. Nämlich bei der nächsten Wahl - anders als mancher Manager.