Politik als Theater
1. Das Fernsehen ist das Leitmedium der politischen Kommunikation. Dort werden Bilder als Botschaft beziehungsweise als Zeichen und nicht nur zur Illustration eingesetzt.
2. Sowohl Journalisten als auch Politiker nutzen diese Möglichkeit der Inszenierung, weil Journalisten komplexe Sachzusammenhänge in prägnanter, für den Zuschauer interessanter und damit oftmals dramatisierter Form darstellen müssen, und Politiker sich der Wichtigkeit und Wirkungskraft dieser Art Darstellung bewusst sind und sich diesem Standard selbst immer mehr anpassen.
3. Inszenierungen in und durch die Massenmedien verändern den Zeichengebrauch, verstärken die Präsenz symbolischer Handlungen durch die Politik und führen zu neuen Sendeformen in den und durch die Medien.
4. Auch der Zuschauer passt sich diesen Veränderungen an und erwartet eine gute Inszenierung, verändert also seine Kommunikations- und Rezeptionshaltungen.
Nach Klärung dieser Grundlage werden zwei Fragestellungen für die Untersuchung formuliert. Welche Strategien benutzen Journalisten bei der Inszenierung politischer Themen in Bild und Wort? Und wie verhalten sich diese unterschiedlichen theatralischen Diskursformen zu dem Anspruch der Medien, zu informieren und zu argumentieren? Die Studie greift auf 809 Zeitungsartikel und 1214 Fernsehbeiträge zurück.
Kameras, die alles einfangen, und Interviewer, die einen bewusst bedrängenden und offensiven Stil pflegen, wie einst Friedrich Küppersbusch bei ZAK, versetzen den Politiker in eine Situation, in der seine gesamte Mimik, Gestik und Sprache ständig beobachtet wird. Die Autoren skizzieren das Phänomen von Scheinwirklichkeiten, die traditionelle Deutungsmuster herausfordern. Dies kann mit der nichtssagenden Kombination von Begriffen wie "Neue Mitte" oder auf visueller Ebene mit der Kombination bisher unvereinbarer Zusammenhänge, wie der von Mode und Schreckensbildern in der Benetton-Werbung, geschehen.
In den Rahmenanalysen werden die Politmagazine Frontal, Kontraste, Spiegel-TV und ZAK, die Nachrichtensendungen von ARD, ZDF, n-tv, RTL und SAT 1, sowie die Tagesthemen, der Presseclub und Talk im Turm betrachtet. Zunächst wendet sich die Untersuchung dem Format des politischen Magazins zu. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war festzustellen, dass die Magazine zunehmend konfrontativen Charakter bekommen, der sich bereits in Titeln wie Frontal, Explosiv oder Akut äußert.
Sechs der vierzehn qualitativ untersuchten Sendungen haben einen guten bis sehr guten Informationsgehalt. Erstaunlicherweise kommen die Autoren zu dem Schluss, dass dabei der Grad der Inszenierung wenig über diesen Informationsgehalt aussagt. Sie äußern die Vermutung, dass hierfür vielmehr Kompetenz, Absichten und objektive Möglichkeiten der Journalisten ausschlaggebend sind.
Das Fazit der Autoren: "Theatralität und Informativität lassen sich weitgehend vereinbaren, auch wenn in der bisherigen, überwiegend medialen Inszenierungspraxis der politische Informationsgehalt theatraler Inszenierungsformen oft fragwürdig bleibt; Theatralität und Argumentativität stehen hingegen in einem prinzipiell problematischen Verhältnis zueinander."
Die Inszenierung des Politischen beeindruckt durch den guten Überblick, den der theoretische Teil über die Grundlagen der Studie gibt. Das Buch bricht zudem den normativen Bann, der in der populären Medienkritik auf Inszenierungsaspekten zu liegen scheint. Meyer, Ontrup und Schicha stellen fest, dass rezeptionsfreundliche Inszenierungen nicht zwangsläufig im Widerspruch zum demokratischen Anspruch an Informativität und Argumentativität stehen.
Thomas Meyer/Rüdiger Ontrup/Christian Schicha: Die Inszenierung des Politischen. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000, 337 Seiten, 68 Mark