Rush Limbaughs Welt

Amerikanischer Konservatismus als Vorbild für Deutschland

Was ist heute konservativ?" titelte Der Spiegel im Februar und deutete damit an, dass der ideologische Unterschied zwischen den beiden großen Volksparteien in der Bundesrepublik weiter verschwimme. Die immer besser in Gang kommende sozialdemokratische Regierung mit ihren Erfolgen im wirtschaftlichen und fiskalischen Bereich nimmt der konservativen Opposition zusehends eine ihrer wichtigsten politischen Kampfparolen - nämlich dass Sozis nicht mit Geld umgehen könnten.

Diszipliniertes Haushalten, Sparen und Nicht-über-seine-Verhältnisse-Leben taugten nicht mehr zum identitätsstiftenden Kriterium, das die Konservativen verbinden und sie gleichzeitig vom politischen Gegner abheben würde. Der Spendenskandal erweckt zusätzlich den Eindruck, dass die CDU jede seriöse Beziehung zum Geld verloren hat.

Das Interessante an der Spiegel-Fragestellung ist, dass die Konservativen nun einholt, was die Sozialdemokraten bereits nach dem Zusammenbruch des Ostens begonnen haben: eine Diskussion um die wertegebundenen Grundlagen des eigenen politischen Handelns. In linken Kreisen ging es zunächst darum, was Sozialismus nun noch sei, und wie man ihn so umdeuten könne, dass er auch in einer ganz kapitalistisch gewordenen Welt weiter seine Daseinsberechtigung habe. Auf dem Weg zur Regierungsverantwortung hat sich diese Sozialismus-Diskussion in Richtung "Neue Mitte" und "New Labour" verschoben, und ist damit, wenn man so will, pragmatischer oder realitätsnäher geworden.

Damit ist die Sozialdemokratie den Konservativen mehrere Schritte voraus, sowohl politisch als auch in der Frage, wie man innerhalb einer Partei solche Debatten führen kann. Gerhard Schröder hat mit seiner Feststellung, dass es nicht mehr im traditionellen Sinne auf rechts oder links, sondern eher auf modern oder unmodern ankomme, die Situation auf den Punkt gebracht.


Was konservativ ist, ist zur Zeit in Deutschland - vielleicht mit der Ausnahme Bayerns - schwer auszumachen. Einen interessanten Vergleich liefern die USA, wo anlässlich der Präsidentschafts-Vorwahlen viel von Konservatismus die Rede war und ist.

Die politische Landschaft der USA ist bekanntlich nicht ganz einfach mit der deutschen zu vergleichen. Im Zweiparteiensystem mit gelegentlichen politischen Ausreißern sind Republikaner und Demokraten die vertrauten Antagonisten. Grob kann man beiden Richtungen die Etiketten conservative und liberal anheften - was nicht heißt, dass etwa die Konservativen nicht auch liberal wären. Liberalismus in den USA geht näherungsweise eher in eine sozialdemokratische, Konservatismus eher in eine national-liberale Richtung, ohne dass - wie gesagt - Deckungsgleichheit zu entsprechenden europäischen Strömungen herrschte.

Der Wahlkampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur zwischen George W. Bush, Sohn des Clinton-Vorgängers und Gouverneur von Texas, und dem Senator und Vietnamveteranen John McCain war auch ein Kampf darum, wer für sich reklamieren konnte, im wahrsten Sinne des Wortes konservativ zu sein. So erfolgreich die Clinton-Administration acht Jahre lang gearbeitet hat, so groß ist der Hass des politischen Gegners auf die Regierung. Mangels Masse orientiert sich diese Abneigung nicht so sehr an politischen Inhalten - der Präsident hat die meiste Zeit mit einer republikanischen Kongressmehrheit regiert, was die Zuordnung von gesetzgeberischen Ergebnissen auf politische Lager häufig erschwert - sondern an der Person Bill Clintons selbst. Die Lewinski-Affäre lieferte einen eindrucksvollen Beweis, mit welchem Nachdruck Teile der Opposition die Diskreditierung des ungeliebten Präsidenten betrieben.


Da unter den spezifischen Rahmenbedingungen der amerikanischen Verfassung das politische Alltagsgeschäft ein ständiges tit for tat, ein Kuhhandel zwischen Abgeordneten, Regierungsmitgliedern und den allgegenwärtigen Lobbyisten ist, kommt es in Wahlkampfzeiten ganz besonders darauf an, zu verdeutlichen, wo man grundsätzlich politisch steht. Die amerikanischen Konservativen haben in diesen Fragen ein besonderes Sendungsbewusstsein. Sie wenden sich an eine politische Klientel, die für sich in Anspruch nimmt, das "wahre" Amerika zu sein. Eine Mischung aus provinziellem law-and-order-Glauben, religiöser Orthodoxie und Misstrauen gegenüber allem Fremden verbindet diesen Teil der (man möchte sagen unaufgeklärten, aber wer ist schon aufgeklärt?) amerikanischen Bevölkerung. Angeheizt von der Demagogie politischer Außenseiter, einiger Journalisten und Radio- und Fernsehgrößen hat sich im konservativen Spektrum ein stimmungsmäßiges Milieu gebildet, dass von einem Präsidentschaftskandidaten bedient werden muss, wenn er eine Mehrheit im nicht-demokratischen Teil der Bevölkerung zusammenbringen will.

Ben Hur alias Charlton Heston als Präsident der National Rifle Organization, der mächtigen Verbindung der vornehmlich weißen amerikanischen Waffenbesitzer, ist einer der Multiplikatoren konservativer Grundstimmungen. Rush Limbaugh, landesweit gesendeter Radio-Talker, ein weiterer. Sie kämpfen gemeinsam um die Bewahrung eines als uramerikanisch identifizierten Lebensstils. Ihre Grundwerte sind im wesentlichen die, welche die europäischen Einwanderer aus dem vorigen Jahrhundert bereits gehabt haben mögen: ein Freiheitsglaube, der von einem fast uneingeschränkten Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit getragen wird. Des weiteren und damit zusammenhängend eine furiose Abneigung gegenüber allen, die an den Ressourcen teilhaben möchten, auf denen das eigene Streben und das eigene Wohlleben aufgebaut ist, oder die diesen gemeinsamen Kuchen lediglich vor dem endgültigen Verzehr bewahren wollen. Deutlich wird dies in den Feindbildern, die von den amerikanischen Konservativen geschaffen und transportiert werden.

Wenn beispielsweise ihr freiheitlicher Lebensstil auf der ungehinderten Nutzung der Umwelt beruht (freie Fahrt für freie Bürger!), sind ökologische Bestrebungen als politisch feindlich einzustufen. Rush Limbaugh hämmert seiner täglichen Hörergemeinde ein, dass "das Ökosystem der Erde nicht zerbrechlich" sei. Der philippinische Vulkan Mount Pinatubo "spuckt mehr als tausendmal die Menge an Ozon-schädigenden Chemikalien in einer einzigen Eruption aus als all die schlimmen, teuflischen und unsensiblen Wirtschaftsunternehmen jemals Flurchlorkohlenwasserstoffe produziert haben", verbreitet Limbaugh. Leute, die dennoch behaupten, menschliches Handeln zerstöre die Ozonschicht oder produziere den Treibhauseffekt, seien environmental wackos, "klotzköpfige Alarmisten und Propheten des Untergangs".

Eine andere gesellschaftliche Gruppe, von der sich der ultrakonservative Teil Amerikas bedroht fühlt, sind Frauenrechtlerinnen. Limbaugh: "Feminismus kam auf, damit unattraktive Frauen Zugang zum Mainstream der Gesellschaft erhalten." Ideologische Schlachten in den USA werden mit härteren Bandagen als anderswo geschlagen.

Jedem Feind des aufrechten Konservativen, ob Umweltschützer oder Feministin, Gewerkschaftler oder Minderheitenaktivist, jedem liberal wird der Kampf angesagt. Wenn die Demokraten als eine der beiden staatstragenden Parteien die Administration stellen, wandelt sich der konservative Kampf gegen einzelne Gruppen schnell in eine Antipathie gegenüber allem Organisatorischen oder Staatlichen an sich.

Die amerikanischen Liberalen brächten immer neue staatliche Institutionen hervor, um ihre eigene Position gegenüber denjenigen in der Gesellschaft zu verbessern, die es aus eigener Kraft zu etwas gebracht hätten, hat Limbaugh erkannt. "Diese Leute wollen so viel Government und Abhängigkeit wie möglich schaffen - nicht weil sie glaubten, dies würde die Lebensbedingungen verbessern oder sei im besten Interesse unserer Nation, sondern weil es sie selbst mächtiger macht." Zu diesem Zweck redeten sie dem Durchschnittsamerikaner ein, er "sei ein Idiot - dumm, ignorant, uninformiert, unintelligent, unfähig zu wissen, was gut für ihn, was gut für die Gesellschaft, was gut und böse ist."

Aus diesen Beispielen ergibt sich andeutungsweise ein Bild, was in den USA heute konservativ sein könnte. Konservatismus stützt sich auf bestehende gesellschaftliche Konstellationen, die ein mindestens zufriedenstellendes Auskommen für die eigene Person ermöglichen. Gegenüber Änderungen von außen besteht eine tiefe Abneigung, weil unterstellt wird, es handle sich um einen Angriff auf eigene Besitzstände. Auch die Berufung auf traditionelle Werte, die sich in den jeweiligen kleinen geographischen oder kulturellen Milieus gebildet haben, dient der Abschottung gegenüber äußeren Einflüssen. Dies geht so weit, dass die eigenen Lebensgrundlagen durch solche Blockadehaltung aufgezehrt werden können. Negativ formuliert: Konservativ heißt begrenzt, egoistisch und rückwärtsgewandt.


Doch lässt sich eine konservative Haltung auch positiv umschreiben. Je nachdem welchen Betrachtungsrahmen man wählt, ist Wertebewusstsein ein wichtiger Anker in Zeiten übergroßer Beliebigkeit. Christliche Werte als einendes Fundament eignen sich dazu ganz ausgezeichnet - wenn sie nicht von religiösen Eiferern vertreten werden.

Positiv kann auch das Verhältnis Individuum-Staat von Konservativen formuliert werden: Staatliche Institutionen wie Bürokratie oder politische Parteien unterliegen aus konservativer Sicht einer Tendenz, sich permanent zu vergrößern. Der gesamte Staatsapparat dehne sich beständig aus, schon allein deshalb, weil ein progressives Steuersystem bei wachsender Wirtschaft einen großen Teil des Bruttosozialprodukts in den Staatssektor lenkt. Daneben liege es im ureigenen rationalen Interesse der Handlungsträger innerhalb staatlicher Strukturen, ihren Einflussbereich zu vergrößern. Ein Konservatismus, der diesen Tendenzen ein politisches Gegengewicht setzt, und sich zum Anwalt der Eigeninitiative macht, ist wichtig für die Gesellschaft als Ganzes.

Es ließen sich viele andere Anknüpfungspunkte für die deutsche Debatte finden. Ideengeschichtliche und philosophische Aspekte, wie beispielsweise die Rückführung politischer Ideologie auf unterschiedliche Menschenbilder, wären für eine abschließenden Betrachtung grundlegend. Der Blick auf das amerikanische Verhältnis zwischen Konservativen und Liberalen liefert lediglich eine zusätzliche Perspektive. Es zeigt sich Abschreckendes wie Anregendes. Der Union in Deutschland ist zu wünschen, dass sie die Debatte darüber, wofür sie als konservative Partei zukünftig steht, mit Bedacht führt.

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