SPD und PDS
Die Beziehungskiste zwischen der SPD und der PDS ist gerade deshalb so kompliziert, weil beide Parteien gemeinsame historische Wurzeln besitzen, über einen gemeinsamen Wertekanon verfügen und sich kulturell in vielerlei Hinsicht sehr ähneln.
Die Gründe, die zur Spaltung der SPD nach dem Ersten Weltkrieg führten, sind inzwischen entfallen. Aber nach 1918/19 haben sich im Verlaufe von Jahrzehnten programmatische, politische und kulturelle Unterschiede zwischen den Parteien entwickelt, die auch nach dem Erneuerungsprozess der PDS Bestand haben.
Nach wie vor spielen diese Unterschiede hinsichtlich der Kommunikation dieser beiden Parteien eine Rolle. So bleibt nachvollziehbar, dass viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten jenseits der aktuellen Tagespolitik die PDS mit tiefem Misstrauen begleiten. Es waren ja schließlich deutsche Kommunisten, die mit ihrer Sozialfaschismus-Theorie die SPD als ihren Hauptfeind betrachteten. Dieses Feindbild hatte in der damaligen Zeit verheerende Folgen, weil es den Blick für die wirklichen Gefahren, die Ende der zwanziger Jahre in der Weimarer Republik heraufzogen, einschränkte. Es war das gesamte stalinistische System, das die Gegner und Kritiker in den eigenen Reihen physisch liquidierte, darunter auch führende Bolschewiki der russischen Oktoberrevolution, und insgesamt mehr Kommunistinnen und Kommunisten umbrachte, als durch den Terror der Nationalsozialisten vernichtet wurden.
Auch die Gründung der DDR trug die Handschrift des Stalinismus; bei der Vereinigung der KPD und der SPD zur SED nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sich die Sozialdemokraten dem Avantgardeanspruch der KPD unterordnen. Dabei wurde nicht selten Zwang angewendet. Zu Beginn der fünfziger Jahre führte die SED einen regelrechten Feldzug gegen den so genannten "Sozialdemokratismus" in der eigenen Partei durch, und viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, aber auch Kommunistinnen und Kommunisten, fielen den ideologischen Säuberungen zum Opfer.
Darüber hinaus erwiesen die führenden Kommunistischen Parteien unter sowjetischer Hegemonie in den Zeiten des Kalten Krieges sich selbst Bärendienste. Der ′real existierende Sozialismus′ trug ja selbst maßgeblich zur Diskreditierung einer gesellschaftlichen Alternative jenseits der kapitaldominierten Gesellschaften durch einen Mangel an Demokratie, an Rechtsstaatlichkeit, an gesellschaftlicher Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger und an ökonomischer Effizienz bei, und bestätigte partiell leider den im Westen herrschenden Antikommunismus.
Unter diesen Bedingungen hatten es zumindest linke Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schwer, für einen demokratischen Sozialismus einzutreten, da sie allzu häufig in einen Topf mit den Stalinisten gesteckt wurden. Es sollten auch nicht die Wirkungen des Antikommunismus unterschätzt werden, den die Konservativen gerade in den fünfziger Jahren gegen die SPD gezielt einsetzten. "Alle Wege führen nach Moskau" - und auch später, als es um die Ostverträge und die Entspannungspolitik in der Ära Brandt ging, warnten die Konservativen vor einem "Ausverkauf" an "Moskau". So geriet die SPD permanent unter den Druck der Konservativen, und dieser veränderte sie auch.
Historische Fehler der SPD zu benennen, soll nicht meine Aufgabe sein, es sei hier nur auf die Bewilligung der Kriegskredite 1914, die Novemberrevolution und auf Noske verwiesen.
Auch wenn die Gründe der Spaltung der SPD nach 1918 heute nicht mehr gegeben sind, so existieren programmatische Unterschiede, die die politische Existenz beider Parteien, SPD und PDS rechtfertigen.
Die SPD hat die Dominanz von Kapitalverwertungsinteressen in Gesellschaften akzeptiert, aber war und ist ebenso bestrebt, dabei die sozialen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung mit einzubeziehen. Die "soziale Marktwirtschaft" Ludwig Erhards war so gesehen ein zutiefst sozialdemokratisches Projekt, bei dem wichtige Bereiche der gesellschaftlichen Infrastruktur dem privaten Markt entzogen blieben und die sozialstaatlichen Systeme vor Lebensrisiken einen Mindestschutz garantierten.
Spätestens seit Ende der siebziger Jahre dominieren nicht nur die Kapitalverwertungsinteressen, sondern als Pendant der Neoliberalismus, der an die Stelle des sozialstaatlichen und gesellschaftlichen Kompromisses die eindeutige Dominanz des Marktes zur Regelung nicht nur der wirtschaftlichen Austauschprozesse, sondern auch der gesellschaftlichen Beziehungen setzt. Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung - unter diesen Losungen wurde in einigen Ländern sehr resolut, in anderen Ländern eher abgeschwächt, den marktförmigen Beziehungen der eindeutige Vorrang eingeräumt.
Das Feld wurde zumeist von den Konservativen bestellt, aber die europäischen Sozialdemokratien vollzogen auch hier den Anschluss, indem sie die neoliberalen Prämissen im Grundsatz für sich akzeptierten, aber im Konzept ihres Dritten Weges soziale Korrekturen vornahmen oder auch vornehmen mussten, da sie im Unterschied zu den Konservativen auf wichtige Wählerschichten und gesellschaftliche Institutionen wie Gewerkschaften oder die Wohlfahrtsverbände Rücksichten zu nehmen hatten - nicht zuletzt auch gegenüber vielen SPD-Mitgliedern an der Basis.
Demgegenüber strebt die PDS eine Gesellschaft an, in der die sozialen Interessen die Entwicklungsrichtung angeben und sich die Kapitalverwertungsinteressen einbetten und unterzuordnen haben. Daraus ergibt sich auch - in Abkehr von der eigentumsfixierten Terminologie ihrer Vorgängerin und Vorgänger - dass es weniger auf die Lösung der so genannten Eigentumsfrage ankommt, sondern ob und wie Eigentümerinteressen sich an gesellschaftlichen Vorgaben sozialen und ökologischen Inhalts orientieren und diese auch für sich akzeptieren können. Es liegt auf der Hand, dass sich die sozialen Interessen einer Gesellschaft nicht per Dekret, sondern nur in einem demokratischen Ringen definieren und umsetzen lassen, wofür ein Mehr an Demokratie erforderlich wäre.
Nicht ganz zu Unrecht, so sei am Rande vermerkt, wies der Liberale Sir Ralf Dahrendorf in einer Kritik am Dritten Weg Tony Blairs und Gerhard Schröders auf den "autoritären Streifen" hin, der diesen Weg als Alternative zum Neoliberalismus à la Reagan oder Thatcher durchziehe (Foreign Affairs, Oct. 1999).
Es dürfte zwischen beiden Parteien nicht streitig sein, dass die SPD als eine der beiden großen "Volksparteien" immer bestrebt sein wird, gesellschaftlich mehrheitsfähig zu sein. Sie strebt daher an, die so genannte "Mitte" oder auch "neue Mitte" zu vertreten, was dazu führt, dass sie das potenziell linke und linksliberale Spektrum in einer Gesellschaft nicht mehr voll integrieren kann und auch gar nicht will, um nicht in der "Mitte" zu verlieren.
Im Grunde genommen müsste es der SPD diesbezüglich ganz Recht sein, dass es links von ihr ein soziales Korrektiv gibt, das nachdrücklich für mehr soziale Gerechtigkeit und Solidarität eintritt, denn erst dadurch kann sich die SPD als "Partei der Mitte" gerieren. Allerdings beheimaten die "Volksparteien" zugleich ein höheres Risiko, nicht mehr zwischen Partei und Gesellschaft zu unterscheiden oder unterscheiden zu können. Mitunter ist die Versuchung groß, den Meinungspluralismus in einer Gesellschaft schon als die eigene Politik zu vereinnahmen und die Partei mit der Gesellschaft zu verwechseln. Dabei unterliegt sie der Gefahr der politischen Beliebigkeit und Unkenntlichkeit.
Zweifellos bestehen diese Gefahren auch für die PDS in den neuen Bundesländern, denn dort ist sie weit mehr als ein soziales Korrektiv zur SPD, dort ist auch sie "Volkspartei".
Aus bundesdeutscher Gesamtsicht verortet sich die PDS als ein linkes, soziales Korrektiv, das die SPD ab und zu an ihre eigenen Grundwerte und auch an ihre heftigen Kritiken an der Kohl-Regierung erinnert und mahnt, den versprochenen Politikwechsel einzulösen, statt sich auf eine Politik des Neoliberalismus light festzulegen.
Seit die SPD mit den Grünen regiert, folgt die PDS einer differenzierten Oppositionsstrategie. Immer dort, wo die Bundesregierung Maßnahmen neoliberalen Zuschnitts beschließt, stößt sie auf den entschiedenen Widerspruch der PDS. Das gilt etwa für die Teile der Steuerreform, die massive Steuerentlastungen für Großunternehmen und Vermögende beinhalten; andererseits hat die PDS selbstverständlich die steuerlichen Entlastungen bei den unteren und mittleren Einkommen unterstützt.
Die SPD muss auch dort mit einer Gegnerschaft der PDS rechnen, wo sie zum direkten Systembruch nach neoliberaler Handschrift übergeht. Das bezieht sich vor allem auf die geplante Rentenreform, in dem mit der Teilprivatisierung und der Einführung eines so genannten Ausgleichsfaktors das Rentenniveau gesenkt und aus dem geltenden Umlagesystem der Ausstieg eingeleitet werden soll. In diesem Bereich macht die PDS der SPD ihr traditionelles Terrain streitig, denn große Teile der Gewerkschaften kritisieren die Rentenreform der Bundesregierung aus einer ganz ähnlichen Sicht wie die PDS.
In den neuen Bundesländern liegen Erfahrungen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen der SPD und der PDS vor; zunächst auf kommunaler Ebene, dann - seit 1994 - in Form einer von der PDS tolerierten SPD-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt, die nach 1998 fortgesetzt wurde. Und seit 1998 ist die PDS direkt an der SPD-geführten Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern beteiligt. Die indirekte und direkte Beteiligung der PDS an den Landesregierungen war und ist in beiden Parteien nicht unumstritten.
In der SPD gab es Auseinandersetzungen darüber, ob die PDS in Regierungsbeteiligung eher gestärkt oder eher "entzaubert" würde; in der PDS gab es Befürchtungen, sie würde auch für Maßnahmen der Landesregierungen haftbar gemacht, die ihr Profil beschädigen.
Dennoch, es setzte sich in beiden Parteien die Entscheidung zugunsten einer indirekten bzw. direkten Regierungsbeteiligung durch; maßgeblich bei der SPD war das machtpolitische Kalkül, aus dem Zwangskorsett der Großen Koalitionen mit der CDU in den Drei-Parteien-Systemen Ostdeutschlands auszusteigen und zwei Handlungsoptionen zu besitzen, mit denen sie die jeweils andere Partei politisch disziplinieren kann. Und es gab in vielen Bereichen, angefangen von der Bildungspolitik bis hin zur Arbeitsmarktpolitik, auch mehr inhaltliche Übereinstimmungen zwischen SPD und PDS. Für die PDS war ausschlaggebend, dass sie sich nicht als Selbstzweck begriff, sondern vor der Wahl stand, ihre politischen Ziele in der Landespolitik im Interesse der Bürgerinnen und Bürger wenigstens partiell in konkretes Regierungshandeln umzusetzen, oder aber ihren Wählerinnen und Wählern zu erklären, weshalb sie einer Großen Koalition den Vorzug geben würde. Letzteres wäre unglaubwürdig und auch unpolitisch gewesen.
Hinsichtlich der Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern war außerdem der Aspekt maßgeblich, dass der Bann über die PDS gebrochen werden konnte. Über Mecklenburg-Vorpommern hinaus konnte die PDS beweisen, dass sie gestaltungsfähig und verantwortungsbewusst an der Seite der SPD Einfluss auf die Entscheidungen der Landeregierung nimmt.
Die Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern ist ein nicht unwichtiger Beitrag im Streben der PDS, sich als eine "normale" Partei im bundesdeutschen Parteiensystem links von der SPD zu etablieren und die gerade in den alten Bundesländern vorhandenen Ressentiments und dem nach wie vor tief sitzenden Antikommunismus entgegen zu wirken.
Sowohl das "Magdeburger Modell" als auch die SPD/PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern haben Befürchtungen innerhalb der SPD abgetragen; die Signale aus Sachsen-Anhalt, dort nach 2002 eine Koalition mit der PDS einzugehen, sind deutlich hörbar. Auch in Brandenburg und selbst in Berlin wird offen über "rosa-rote" Koalitionen diskutiert.
Eine künftige Zusammenarbeit, ja eine Koalition zwischen SPD und PDS auf Bundesebene gestaltet sich wesentlich komplizierter. Zunächst einmal dürfen die tief sitzenden Ängste vieler Bürgerinnen und Bürger vorwiegend in den alten Bundesländern, die aus dem jahrzehntelangen Antikommunismus resultieren, nicht außer acht gelassen werden. Die PDS wird eben bei einem großen Teil der Bürgerinnen und Bürger in Westdeutschland (noch) nicht als eine "normale" Kraft im bundesdeutschen Parteiensystem akzeptiert, wie das bei den anderen kleineren Parteien wie den Grünen, der FDP oder der CSU der Fall ist. Vor diesem Hintergrund dürfte es auch maßgebliche Kräfte in der westdeutschen SPD geben, die einer SPD-PDS-Konstellation auf Bundesebene ablehnend gegenüber stehen.
Die PDS hat erklärt, dass sie eine "Mitte-Links-Option" auch auf Bundesebene anstrebt, was nicht mit einer Koalitionsaussage verwechselt werden sollte. "Option" heißt zunächst, dass in der Gesellschaft ein Klima vorhanden sein muss, das einer solchen Möglichkeit reale Chancen einräumen würde. Gesellschaftliche Institutionen wie die Gewerkschaften, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, andere außerparlamentarische Bewegungen müssten erst den gesellschaftlichen Druck für eine solche Reformalternative erzeugen. Aber auch die Verbände der Arbeitgeber, des Handwerks und des Mittelstands bis hin zu den Liberalen und Konservativen müssen davon überzeugt werden, dass eine Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene keine nationale Katastrophe und nicht den Untergang des Abendlandes bedeutet. Von einer solchen Bewegung, von einem solchen gesellschaftlichen Klima sind wir derzeit noch zu weit entfernt.
Die politische Tragfähigkeit einer künftigen Mitte-Links-Option ergibt sich aus der Unterscheidbarkeit beider Parteien. Erst dadurch könnte eine wesentlich engere Zusammenarbeit möglich werden, die beitrüge, dafür auch eine gesellschaftliche Mehrheit zu gewinnen.