Staatsgeheimnis Panzerexport?
Träfe das zu, könnte die Regierung sich ihrer politischen Verantwortlichkeit gegenüber dem Bundestag in heiklen Angelegenheiten entziehen. Sie müsste die Vorgänge nur für geheimhaltungsbedürftig erklären. Eine parlamentarische Demokratie wird aber in ihrem Lebensnerv getroffen, wenn Volk und Parlament die von ihnen gewählte und dadurch legitimierte Regierung nicht mehr kontrollieren können, weil diese sich auf den Geheimnisschutz beruft. Verantwortlichkeit setzt Transparenz voraus. Geheimnisse der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag kann es grundsätzlich nicht geben. Wäre das anders, könnte die Opposition weder inhaltliche Kritik am Regierungshandeln üben noch Alternativen aufzeigen. Ihre legitimen Chancen auf die Erringung einer Mehrheit bei den nächsten Wahlen wären beeinträchtigt. Die Abgeordneten könnten die Exekutive für politische Fehler nicht zur Rechenschaft ziehen und Konsequenzen einfordern. Schon aus diesem Grund spricht eine praktisch unwiderlegbare Vermutung in der parlamentarischen Demokratie gegen legitime Geheimhaltungsinteressen der Regierung gegenüber dem Parlament.
Was die Regierung für sich behalten darf
Die Regierung muss vielmehr ihre Geheimnisse im Prinzip mit dem Parlament teilen. Bestehen nachvollziehbare Gründe für einen Geheimnisschutz, kann die Regierung allerdings verlangen, dass das Parlament selbst effektive Vorkehrungen zum Schutz der Staatsgeheimnisse trifft. Dazu dient die Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages. Auf deren Beachtung kann die Regierung bestehen. Auf Geheimnisschutz gegenüber dem Parlament kann die Regierung sich aber nur insoweit berufen, als der Kernbereich ihrer Willensbildung betroffen ist. Zu diesem Kernbereich gehören die Diskussionen im Kabinett und Papiere aus dem Bereich der Regierung, die der Vorbereitung politischer Entscheidungen dienen. Nur wenn die Beratungen des Kabinetts vertraulich bleiben und Entscheidungsvorschläge nicht an die Öffentlichkeit dringen, sind die am Willensbildungsprozess beteiligten Politiker und politischen Beamten bereit und in der Lage, denkbare Handlungsalternativen ergebnisoffen zu erörtern. Dementsprechend schreibt die Geschäftsordnung der Bundesregierung vor, dass der Gang der Beratungen der Bundesregierung vertraulich ist. Insbesondere sind Mitteilungen über Ausführungen einzelner Bundesminister, über das Stimmenverhältnis und über den Inhalt der Niederschrift ohne besondere Ermächtigung der Bundeskanzlerin unzulässig. Welche Überlegungen welche Mitglieder der Bundesregierung in die Beratungen des Kabinetts eingebracht und wie sie abgestimmt haben (soweit es bei einer Kabinettssitzung überhaupt zu formellen Abstimmungen kommt) bleibt dem Bundestag ebenso verborgen wie der Öffentlichkeit.
Repräsentation setzt Transparenz voraus
Nicht unter den Geheimnisschutz fallen dagegen die Ergebnisse der Kabinettsberatungen. Die Bundesregierung muss vielmehr den Abgeordneten und dem Volk mitteilen, welche Entscheidungen sie getroffen hat. Das ist die Voraussetzung für die Kontrolle des Handelns der Regierung durch die Opposition und die öffentliche Meinung sowie für die Debatten im Parlament. Könnte die Bundesregierung ihre Entscheidungen nach politischer Opportunität geheim halten, hätten die Mitglieder des Bundestages keine Möglichkeit, das Regierungshandeln zu kritisieren und Alternativen aufzuzeigen. Die Wähler hätten keine Grundlage für ihre nächste Wahlentscheidung. Parlamentarische Repräsentation setzt Transparenz voraus. Das Volk kann nur durch seine Abgeordneten und die von ihnen gestützte Regierung repräsentiert werden, wenn es vom politischen Handeln seiner Repräsentanten Kenntnis erlangt.
Das Informationsrecht des Bundestages
So hat das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1986 entschieden, dass der Schutz der parlamentarischen Minderheit zwar nicht dahin geht, die Minderheit vor Sachentscheidungen der Mehrheit zu bewahren, wohl aber dahin, der Minderheit zu ermöglichen, ihren Standpunkt in den Willensbildungsprozess des Parlaments einzubringen. Nur aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes dürfen Abgeordnete von Informationen ausgeschlossen werden. Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat in einem Sondervotum zutreffend hervorgehoben, dass Belange des Geheimschutzes zwar als zwingende Gründe in Betracht kommen, dass die Sicherung dieser Belange aber zunächst auf dem Boden der Beteiligung des gesamten Parlaments gesucht werden muss und dass die Geheimschutzregelung des Parlaments ein dazu geeignetes Instrument ist. In diesem Sinne hat das Gericht im Jahr 2009 betont, dass aus dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie und aus der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten ein Informationsrecht des Bundestages gegenüber der Bundesregierung und deren Informationspflicht folgen. Allerdings unterliegt der Informationsanspruch Beschränkungen, soweit der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen ist. Auch soweit Umstände betroffen sind, die aus Gründen des Wohles des Bundes oder eines Landes geheimhaltungsbedürftig sind, stellt sich nach der Verfassungsrechtsprechung die Frage, ob und auf welche Weise dieses Anliegen mit dem jeweiligen parlamentarischen Informationsanspruch in Einklang gebracht werden kann.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Hürden für eine Verweigerung der Informationsansprüche des Parlaments zu Recht sehr hoch gelegt: Aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Bundestages zu erfüllen, folgt, dass sie die Gründe darlegen muss, aus denen sie erbetene Auskünfte verweigert. Die Bundesregierung muss den Bundestag in die Lage versetzen, seine Aufgabe der parlamentarischen Kontrolle des Regierungshandelns effektiv wahrzunehmen. Abgesehen von Fällen evidenter Geheimhaltungsbedürftigkeit kann das Parlament nach der Verfassungsrechtsprechung nur anhand einer der jeweiligen Problemlage angemessenen ausführlichen Begründung beurteilen und entscheiden, ob es die Verweigerung der Antwort akzeptiert oder welche weiteren Schritte es unternimmt, um sein Auskunftsverlangen ganz oder zumindest teilweise durchzusetzen. Der Bundestag muss demnach die Abwägungen betroffener Belange auf ihre Plausibilität und Nachvollziehbarkeit überprüfen können. Zudem ist nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen, dass der parlamentarische Informationsanspruch zwar auf die Beantwortung gestellter Fragen in der Öffentlichkeit hin angelegt ist, gegebenenfalls aber Formen der Informationsvermittlung zu suchen und realisierbar sind, das Informationsinteresse des Parlaments unter Wahrung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Regierung zu befriedigen. Dazu gehört die Anwendung der Geheimschutzregelung des Bundestages.
Geschäftsordnung als Verschlusssache?
Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ist weder einzusehen, warum die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates geheimhaltungsbedürftig sein sollte, noch gibt es einen allgemeinen Grund dafür, warum dem Bundestag die Ergebnisse der Beratungen des Rates über die Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien vorenthalten werden dürften. Die Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates regelt dessen Organisation und Verfahren. Sie ist damit Teil des Staatsorganisationsrechts. Soweit der Bundessicherheitsrat Entscheidungen trifft, sind seine Mitglieder dem Parlament und den Wählern demokratisch verantwortlich. Diese Verantwortlichkeit kann nur verwirklicht werden, wenn dem Volk als Souverän und dem Parlament als seinem Repräsentanten zumindest bekannt ist, wer in welchem Verfahren an den Entscheidungen dieses Kabinettsausschusses beteiligt ist und dafür zur Verantwortung gezogen werden kann. Warum dem Souverän diese grundsätzlichen Informationen über die Organisation und das Verfahren des Bundessicherheitsrates vorenthalten werden sollten, ist weder von der Bundesregierung begründet worden, noch ist es sonst ersichtlich. Die Einstufung der Geschäftsordnung des Bundessicherheitsrates als Verschlusssache ist folglich verfassungswidrig.
Selbstverständlich hindert die von ihr selbst beschlossene Geschäftsordnung ihres Ausschusses die Bundesregierung auch nicht daran, die Ergebnisse der Beratungen des Rates bekannt zu geben. Soweit die Geschäftsordnung vorschreibt, dass die Sitzungen des Rates geheim sind, bezieht sich das nur auf das Verfahren. Insoweit gilt nichts grundsätzlich anderes als für die Vertraulichkeit der Sitzungen der Bundesregierung. Dem Geheimnisschutz unterfallen die Äußerungen der Mitglieder des Rates und die Papiere, die seinen Beratungen zugrunde liegen. Die Geschäftsordnung sagt aber nichts darüber aus, ob und in welcher Form die Entscheidungen des Bundessicherheitsrates publik gemacht werden dürfen. Selbst wenn das anders wäre, könnte sich die Bundesregierung jedenfalls über die Geschäftsordnung als das von ihr selbst geschaffene Satzungsrecht hinwegsetzen. Ein Grund für eine Bindung an von ihr selbst geschaffenes Innenrecht besteht nicht.
Vielmehr kann und muss die Bundesregierung über die Veröffentlichung sowohl ihrer eigenen Entscheidungen als auch über die des Bundessicherheitsrates als ihres Ausschusses nach den gleichen Maßstäben unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Vorrangs des Informationsrechts des Parlaments befinden. Sieht sie ausnahmsweise einen Grund dafür, eine Entscheidung des Bundessicherheitsrates geheim zu halten, muss sie dennoch regelmäßig das Parlament informieren. Sie kann dann verlangen, dass der Bundestag seine Geheimschutzregelungen anwendet, wenn es hinreichende und nachvollziehbare Gründe dafür gibt, dass eine Entscheidung des Bundessicherheitsrates im Parlament nicht öffentlich zu diskutieren ist. Den Abgeordneten dürfte eine Entscheidung des Bundessicherheitsrates nur in dem schwer vorstellbaren Fall vorenthalten werden, dass selbst unter Beachtung des Geheimschutzes des Bundestages das Geheimnis nicht mit den Repräsentanten des Volkes geteilt werden kann, weil das dem Wohl des Bundes oder eines Landes widerspräche. Selbst in diesem außergewöhnlichen Fall wird jedoch das Staatswohl der Information eines ausgewählten Kreises von Abgeordneten – regelmäßig zumindest der Fraktionsvorsitzenden – nicht entgegenstehen.
Keine Regierungsgeheimnisse vor dem Parlament
Dem Prinzip der parlamentarischen Demokratie und dem verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten widerspräche es jedoch, wenn die Regierung versuchte, Entscheidungen aus Gründen politischer Opportunität geheim zu halten, die sie selbst oder der Bundessicherheitsrat als ihr Ausschuss getroffen hat. Die Regierung kann ihre Informationspflichten gegenüber dem Parlament und gegenüber der Öffentlichkeit nicht dadurch begrenzen, dass sie Entscheidungen in den Bundessicherheitsrat verlagert, statt sie selbst zu treffen. In beiden Fällen sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe gleich. In beiden Fällen besteht regelmäßig ein Informationsanspruch der Abgeordneten wie der Wähler. Nur ausnahmsweise und mit überzeugenden Gründen kann die Regierung vom Parlament verlangen, dass es eine Regierungsentscheidung oder eine Entscheidung des Sicherheitsrates geheim hält. Fälle, in denen die Regierung sogar berechtigt ist, nicht alle Abgeordneten über ihre eigenen Entscheidungen oder die ihres Ausschusses zu informieren, obwohl das Parlament seine Geheimschutzregelungen anzuwenden bereit ist, sind kaum vorstellbar. Anders als in einer konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert sind in der parlamentarischen Demokratie Geheimnisses des Staates immer Geheimnisse von Regierung und Parlament, nicht Geheimnisse der Regierung gegenüber dem Parlament. Die Volksvertretung ist nicht weniger geheimniswürdig als die Exekutive. Geheimnisse des demokratischen Staates vor dem Volk, das allein das staatliche Handeln zu legitimieren vermag, kann es nur in außergewöhnlichen Fällen geben. Sie bedürfen einer überzeugenden Begründung, deren Tragfähigkeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann.
Verschweigen dient dem Staatswohl nicht
Welcher Grund sollte es also rechtfertigen, die Entscheidung über die Lieferung von Panzern nach Saudi-Arabien vor dem Volk oder sogar vor den Abgeordneten geheim zu halten? Die Regierung hat keine Gründe genannt. Die Berufung auf die geheime Geschäftsordnung des geheim tagenden Bundessicherheitsrates trägt nicht. Andernfalls könnte die Regierung nach politischem Gutdünken Vorgänge der Erörterung im Parlament und in der Öffentlichkeit entziehen und sich so von ihrer politisch-demokratischen Verantwortlichkeit befreien. Da die Regierung entgegen ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung keine inhaltlichen Gründe für die Geheimhaltung ihrer Entscheidung über die Panzerlieferung nannte, hatte sie schon aus diesem Grund gegen ihre verfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen. Unabhängig davon sind aber auch keine inhaltlichen Gründe für die Geheimhaltung der Entscheidung ersichtlich. Israel als möglicherweise betroffener Nachbar war über die Entscheidung informiert. Dass die Panzerlieferungen anderen Staaten der Region nicht bekannt werden würde, wird auch die Bundesregierung nicht behaupten wollen. Dass sie über die Entscheidung, Panzer an einen Staat wie Saudi-Arabien zu liefern, die auch in inneren Auseinandersetzungen einsetzbar sind, in denen die Beachtung der Menschenrechte eingefordert wird, nicht gern sprechen möchte, ist zwar politisch nachvollziehbar, dient aber nicht dem Staatswohl. Die Bundesregierung war und ist also in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes von Verfassungs wegen verpflichtet, die Öffentlichkeit und das Parlament über die Entscheidung des Bundessicherheitsrates zu informieren. «