Steuern für den Sozialstaat?



In den Leitlinien für die SPD-Programmdebatte wird für die stärkere Steuerfinanzierung des Sozialstaats plädiert. Diese Aussage ist allerdings keine neue Programmatik, sondern eine politische Notwendigkeit. Programmatik wäre etwas anderes, nämlich ein Systemwechsel zum steuerfinanzierten Sozialstaat. „Mehr Steuergeld in den Sozialstaat“ – für vom Sparen und Verändern gereizte Sozialpolitiker mag das wunderbar klingen. Alle Probleme der abgabefinanzierten Systeme wie Rente oder Krankenversicherung scheinen gelöst. Von der demografischen Entwicklung und den Beschäftigtenzahlen wäre man künftig weniger abhängig, der Faktor Arbeit würde weniger belastet, höhere Einkommen und Vermögen hingegen stärker beteiligt.

Was neu ist an diesem Vorhaben? Nichts. Der Einstieg in den steuerfinanzierten Sozialstaat hat längst stattgefunden: Fast ein Drittel des Bundeshaushaltes geht bereits heute als Zuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die gesetzliche Krankenversicherung erhält Steuermittel aus dem Bundeshaushalt. Und das Arbeitslosengeld II ist gar eine komplett steuerfinanzierte Sozialleistung – mit steigenden Kosten.

Die Grundrente geistert durchs Feuilleton

Wofür genau brauchen wir also „mehr Steuergeld in den Sozialstaat“? Für eine steuerfinanzierte Grundrente wie sie immer wieder durch das politische Feuilleton geistert? Dagegen spricht eine einfache Rechnung: Eine steuerfinanzierte Grundrente in Höhe von 400 Euro bei derzeit 22 Millionen Rentnern würde den Bundeshaushalt jährlich um über 105 Milliarden Euro zusätzlich belasten. Und das bei einem Gesamthaushalt von heute rund 260 Milliarden Euro!

Dafür müssten wir also die Steuern erhöhen. Im Gegenzug könnte man die Beiträge zur Rentenversicherung abschaffen. Dabei gibt es jedoch ein Problem: Aufgrund des Äquivalenzprinzips in der Rentenversicherung – den Beiträgen muss eine angemessene Leistung gegenüberstehen – ist es rechtlich kaum möglich, die Leistungen für die heutige Rentnergeneration auf eine Grundrente zu beschränken. Auch politisch können wir das nicht wollen.

Die Höhe der Steuereinnahmen ist abhängig von der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung. Die daraus resultierenden Risiken vermag nur ein kapitalgedecktes System auszugleichen, weil es den internationalen Kapitalmarkt nutzen kann. Für den Bundeshaushalt kommt eine Kapitaldeckung jedoch nicht in Frage. Dazu kommt: Der Haushalt unterliegt immer wieder aufs Neue der politischen Mehrheitsentscheidung. Was jeweils aus dem Steuersäckel für den Sozialstaat ausgegeben wird, ist daher variabel.

Genau hier liegt der Hauptunterschied zum steuerfinanzierten System: Weil unser Sozialstaat auf den Abgaben der sozialversichert Beschäftigten beruht, ist das Sozialsystem in sich weitgehend geschlossen. Am deutlichsten kommt diese Geschlossenheit in der umlagefinanzierten Rentenversicherung zum Tragen: Trotz Fremdfinanzierung, Steuerzuschuss und aller Reformen bleibt es ein System der abhängig Beschäftigten untereinander.

Die Erwerbsarbeit steht im Mittelpunkt. Sie ist das Kernmotiv des deutschen Sozialstaats: Die erwerbstätigen Menschen sollen abgesichert werden gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder im Alter. Sicher, auch Nicht-Erwerbstätige können zu dieser Sicherung beitragen und von ihr profitieren. Somit können auch hohe Einkommen, Vermögen und Kapitalgewinne für den Sozialstaat herangezogen werden.

In anderen Sozialmodellen führt dies jedoch dazu, dass nur noch eine Grundversorgung für alle sichergestellt werden kann. Wenn alle Einkommensarten aller Bürger zur Finanzierung der Sozialsysteme beitragen, müssen diese Beitragszahler auch alle versorgt werden. Die Folge: weniger Sozialleistungen für alle.

Ohnehin ist unser Sozialstaat mit seiner Lebensstandardgarantie ins Hintertreffen geraten – und das nicht nur aus finanziellen Gründen. Das Anspruchsäquivalent bevorzugt Biografien, wie es sie heute nur noch in Ausnahmefällen gibt. Über die Jahre hat es sich zudem als regelrechte Blockade für eine Reintegration in den Arbeitsmarkt erwiesen. Dennoch: Wer Steuerfinanzierung durch alle will, muss Leistungssenkungen in Kauf nehmen.

Reicht der Mut zum Paradigmenwechsel?

Die enge Bindung unseres Sozialstaates an den Faktor Arbeit hatte ursprünglich aber weniger soziale als ökonomische Gründe: Die Erwerbsarbeit ist die Quelle der allgemeinen Wertschöpfung und die Grundlage unseres Wohlstands. Warum sonst bemühen wir uns, Frauen (besonders Mütter), Ältere und Jüngere ins Arbeitsleben zu integrieren? Weil es sonst weniger gesellschaftlichen Zusammenhalt gäbe.

Letztlich muss die Politik entscheiden, ob sie sich den echten Paradigmenwechsel zum steuerfinanzierten Sozialstaat zutraut. Und besonders die SPD muss sich klar darüber werden, ob sie den Sozialstaat jetziger Prägung in seinem Kern verändern will. Dafür könnte auch aus sozialdemokratischer Sicht einiges sprechen. Die Befürchtung, anders das bestehende System nicht mehr verändern und zukunftsfest machen zu können, sollte allerdings nicht dazu gehören.

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