Und das ganze andere Gedöns
Mit dem Beginn der neuen sozialdemokratischen Ära in Deutschland schien der Weg zur Geschlechterdemokratie gesichert. Immerhin übernahm eine rot-grüne Koalition die Verantwortung. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Das machte der Bundeskanzler mit der Bezeichnung "Frauen und Gedöns" bereits 1998 unmissverständlich deutlich. Frauenpolitik blieb eine zugestandene, nicht ernst genommene Extrawurst. Zugestanden, weil die politische Korrektheit dies so gebietet. Anders im Wahlkampf 2002. Es wurde deutlich, dass dem Kanzler und seinen männlichen Strategen eines klar ist: Auch Frauen wählen. Nicht zuletzt deshalb wurden zunächst die Frauenpolitik, später die Familienpolitik zu Wahlkampfthemen gekürt.
Dass die formale Gleichberechtigung in Deutschland bereits seit Jahren erreicht ist, gilt als unbestritten. Ungleich ist zuweilen noch immer das Lohnniveau, was aber auch damit zusammenhängt, dass sich Frauen und Männer nicht für die gleichen Jobs entscheiden. Immerhin gibt es kein Gesetz mehr, in dem Frauen unmittelbar ungleiche Rechte hätten, im Gegenteil sind ihre Rechte verfassungsmäßig geschützt. In erstaunlichem Kontrast zu diesem Erfolg stehen jedoch die empirischen Daten zum Macht-Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Sei es die Nutzung von Familienzeit, Teilzeitarbeit oder der Anteil von Frauen in der Politik. Auch in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien spielen Frauen bestenfalls in den unteren Rängen mit.
Frauentage, Frauenbeauftragte, Weltfrauenkonferenzen zementieren diese Marginalisierung. Eine Marginalisierung der halben Weltbevölkerung, die sich selbst wie eine schützenswerte Gruppe mit Sonderrechten geriert. Das Zugeständnis dieser Sonderrolle hat bei den Männern das Gefühl verankert, sie täten was für die Frauen. Vor allem mit ausgeschriebenen Quoten - bei der Besetzung von Posten bis hin zur Aufteilung von Projektinhalten - kann jeder darauf verweisen, dass in puncto Frauenförderung oder Gender etwas unternommen werde. Aber anders als in ihren Bereichen schauen Männer beim Thema Frauen oder Gender wenig auf den Inhalt. Evaluationen finden kaum statt. Wichtig ist, das Thema wird besetzt. Irgendwie.
Wer weiß eigentlich, was Mainstreaming ist?
Die empirische Auseinandersetzung mit den Positionen und der Macht von Frauen in anderen Bereichen als der Politik ist durch die existierenden Quoten in den politischen Parteien völlig eingelullt worden. Marke: 30 Prozent im Parlament - das reicht! Früher gab es die Einschätzung, durch mehr Frauen in allen Bereichen werde sich die Politik automatisch verändern. Sie müsse dann nicht mehr durch Sondergesetze korrigiert werden. "Nichts ist so entscheidend für den Anstieg des Frauenanteils, wie dieser selbst", hat die Nobelpreisträgerin Nüsslein-Vollhardt einmal gesagt. Doch diese Einsicht scheint vergessen.
Um die Isolation der Frauenpolitik zu überwinden, wurde 1995 auf der Vierten Weltfrauenkonferenz der Begriff des "Gender Mainstreaming" kreiert. Die Idee war gut: Auch Männer sollten für die Frauensache geworben werden. Im Mainstreaming nämlich sind alle Politikbereiche - nicht nur Familie und Soziales - auf ihre geschlechtsspezifische Wirkung hin zu überprüfen. Was Gender Mainstreaming jedoch nicht kennzeichnet, ist ein inhaltlicher Ansatz. Vielmehr besteht ein rein organisationspolitischer Anspruch. Überall sollen Frauenanliegen nicht mehr in isolierten Zuständigkeiten, sondern als Querschnittsaufgaben verfolgt werden. Dass dies logisch zwingend zur Auflösung des Bundesfrauenministeriums führen müsste, fand bisher allerdings keine Beachtung.
Latzhose und Yoga-Workshop? Das ist vorbei
Aber ob es nun der unübersetzbare Anglizismus war oder nicht - Gender Mainstreaming blieb eine Frauensache. Allerdings sind dafür auch die deutschen Frauen selbst verantwortlich, die sich, anders als jene in anderen Ländern, vehement gegen männliche Genderexperten aussprechen. Vielleicht haben sie es einfach immer noch nicht kapiert: Ohne die aktive Einbeziehung der Männer bleibt die Geschlechterdemokratie ein schöner Traum.
Betrachtet man die Protagonistinnen der deutschen Frauenpolitik, so wird klar, dass der Frauenpolitik eine Verjüngung gut zu Gesicht stünde. Aber für die Generation der jungen Frauen sind all die Begrifflichkeiten der klassischen Frauenpolitik eher ein Albtraum - in Lila.
Sie, die Töchter der Generation Lila, können mit Begriffen wie "Frauenbewegung" und "Feminismus" wenig anfangen, bestenfalls und vielleicht ungerechterweise, denken Sie dabei an Latzhosen und Yoga-Workshops. Abgeschreckt sind die jungen Frauen vor allem von der Betroffenheitskultur der Frauenbewegung der Siebziger, die den Opferstatus von Frauen noch immer als Kern weiblichen Selbstverständnisses ikonisiert. Sie, die Jüngeren, wollen sich nicht mit der Beschneidung von Frauen in Afrika auseinandersetzen und nehmen wenig Anteil am Frauenhandel in Südostasien. Ein Grund dafür ist, dass das Interesse für Not leidende Gesellschaften am anderen Ende der Welt à la Nicaragua-Hilfe die Jugend kaum mehr interessiert. Für junge Frauen gilt aber auch: Sie wollen sich nicht mehr mit Objekten von Unterdrückung identifizieren, sondern selbst als Subjekte agieren.
Auch der Mann als Feindbild schlechthin passt nicht in das Denken der neuen Frauen. Er ist vielleicht Konkurrent im Job, aber nicht per se der Unterdrücker. Die Fossile der Bewegung Lila halten es jedoch wie eh und je. Ein Beispiel vom 8. März 2002, dem Weltfrauentag, verdeutlicht dies: Solange Männer, die so mutig sind, auf Veranstaltungen zum 8. März teilzunehmen und sich gar zu Wort melden, nach dem ersten Wort ausgebuht werden, macht die lila Frauenpower weiterhin deutlich, dass es ihr nicht wirklich um gleichberechtigte Teilhabe geht. Stattdessen feiern sie das ewige Gefühl "Wir Frauen sind doch die besseren Menschen." Übrigens taucht dieses Credo des Altfeminismus erschreckenderweise in einem Buch dieses Jahres von Eva Rühmkorff und Ute Vogt wieder auf, das den Titel Wir sind die Besseren trägt.
Der generation gap ist deshalb so groß, weil die Töchtergeneration ganz selbstverständlich von den Errungenschaften ihrer Mütter- und Großmüttergeneration profitiert. Ihr selbstverständliches Gefühl ist: Ich werde nicht diskriminiert. Diese Einstellung ist, genau genommen, ein Erfolg der lila Bewegung.
Die Decke nach oben ist panzerverglast
Dass die Warnung der Mütter jedoch noch immer ihre Berechtigung hat, merken junge Frauen durchaus auch heute noch. Nur: deutlich später im Leben. Denn als Schülerinnen (jedes dritte Mädchen macht Abitur) und im Studium (45 Prozent der Studierenden sind Frauen) fallen sie höchstens durch bessere Leistungen auf. Auch auf dem Arbeitsmarkt sind gut ausgebildete, junge Frauen derzeit so en vogue, dass sie geradezu händeringend gesucht werden. Erst wenn sich frau für eine Karriere in den höheren Etagen entscheidet, macht sie die Erfahrung, dass die männlichen Kollegen den Aufstieg meist schneller und weiter schaffen. Die Decke nach oben ist in Deutschland im internationalen Vergleich panzerverglast.
Problematisch ist, dass die jungen Frauen den Grund für ihre Schwierigkeiten nicht in den weiterhin bestehenden männlich-dominierten Strukturen suchen. Ein solches Gedankengerüst haben sie ja als altmodisch abqualifiziert. So geben sie die Schuld sich selbst. Wer es wirklich ernst meint, greift zu einem der vielen Karriereratgeber und wird zur Einzelkämpferin. Nicht von ungefähr bezeichnet das Orakel der alten Frauenbewegung, Alice Schwarzer, diese Karriere-Bücher als Nachfolger der feministischen Selbstfindungsliteratur der siebziger Jahre.
Der Rückzug von Spüle und Spannbetttuch
Das alles betrifft freilich nur diejenigen Frauen, die keine Familie gründen. Die Mehrheit der Frauen, jene, die Kinder wollen, müssen sich mit der Rolle der Hausfrau, oder neudeutsch: Familienmanagerin, abfinden. Kindergartenplätze sind immer noch rar, besonders in jenen Kindergärten, die nicht um 13 Uhr mittags schließen. Die gesetzlich gesicherte Elternzeit wird bislang erst von zwei Prozent der Männer wahrgenommen. Der Grund hierfür ist, dass Männer immer noch als Haupternährer der Familie fungieren. Weil Männer in der Regel deutlich mehr verdienen als ihre Frauen, trägt auch das derzeitige Ehegattensplitting dazu bei, dass die Hausfrauen-Ehe nicht nur als günstigste Konstellation propagiert wird. Sie ist es auch. Im Haushalt helfende Männer sind nach wie vor rar. Der abspülende Mann scheint eher ein Lebensabschnittsphänomen zu sein. Das Geschirrhandtuch ist ein Teil des deutschen Balzrituals. Untersuchungen zeigen, dass sich Männer aus der Sphäre von Spüle, Spannbetttuch und Spielzeug zurückziehen, sobald aus einem Paar drei oder gar vier Menschen geworden sind.
Diejenigen Frauen, die mit - oder trotz - Kindern berufstätig bleiben, entscheiden sich oft für Teilzeitjobs: 87 Prozent aller Teilzeitjobs werden von Frauen ausgeübt. Andere Frauen gehen ungeschützte Arbeitsverhältnisse ein. Damit verhärtet sich die Diskrepanz zwischen dem Familienernährer-Mann und der Familienbetreuerin-Frau.
Klar wird, dass heute wie ehedem die Phase der Familiengründung der Knackpunkt in der bundesdeutschen Gleichstellungspolitik ist. Genau genommen wird damit ein eigentlich familienpolitisches Thema, jenes der Kinderbetreuung, zum frauenpolitischen Thema Nummer eins. Jedoch nicht im Sinne des derzeit propagierten Familienimages, dass allein die Frau zur Sorge für Kinder und Alte verpflichtet. Das Problem der familiär nicht anwesenden Männer, auch "vater morganas" genannt, bleibt weitgehend unbeachtet. Genderpolitik kann also nur dann erfolgreich sein, wenn sie nicht allein die Frauen als Adressaten familienpolitischer Maßnahmen sieht. Schwerpunkt einer neuen Geschlechterpolitik muss der Rollenwandel im familiären Bereich sein. Nur wenn Männer hier zunehmend ihre Rolle wahrnehmen, können neue Spielräume für Frauen im Erwerbssystem geöffnet werden. Dass dies bisher noch undenkbar ist, zeigt sich zum Beispiel daran, dass der Aktionsplan der Bundesregierung von 1999 "Frau und Beruf" völlig logisch erscheint. Wie denkbar wäre stattdessen eine Aktion "Väter und Erwerbsarbeit"?
Keine Frauenpolitik ohne die Männer
Gleichberechtigte Erwerbsarbeit ist nicht nur deshalb sinnvoll, weil es sich Deutschland nicht mehr lange leisten kann, gut ausgebildete Frauen in den Hobbyraum zu verweisen. Sondern auch, weil eine Demokratie der Gleichberechtigung nur dann entstehen kann, wenn zahlen- und statusmäßig an allen Stellen beide Geschlechter gleichwertig vertreten sind. Frauen- oder Genderpolitik kann sich heute nicht mehr wie in den siebziger Jahren gegen Männer wenden. Im Gegenteil: Der Mann als Adressat und Subjekt einer sinnvoll verstandenen Genderpolitik ist die einzige Erfolg versprechende Perspektive.
Die neue Frauengeneration befindet sich also wieder einmal im Kampf zwischen Küche und Karriere. Aber anders als in den siebziger Jahren werden junge Frauen heute in ihrer Rolle als potentielle Mütter von der Politik umworben. Problematisch an der neuerlichen sozialdemokratischen Betonung familiärer Werte ist nicht diese Konnotation an sich. Sie gibt nur Anlass zu der Befürchtung, dass viele junge Frauen zu spät entdecken, dass sie als "nur Mütter" wenig abgesichert sind. Deshalb entscheiden sich immer mehr Frauen gegen Kinder.
Auch die Erwartungshaltungen der neuen Zielgruppe haben sich verändert. Die jungen Frauen wollen sich nicht mehr ausschließlich mit Opferthemen auseinandersetzen und die patriarchalen Strukturen für alles verantwortlich machen. Deshalb sind sie politisch besonders unauffällig. Zugegeben, politisches Engagement ist unter jungen Menschen heute generell gering. Weil jede Art von langfristigem Engagement out ist. Aber auch weil die verzopften Strukturen in Ortsvereinen oder anderen Klubs nicht wirklich zur Mitarbeit einladen. Politisches Engagement ist für junge Menschen aber auch bereits deshalb ein Gräuel, weil es für ihre Elterngeneration ein absolutes Muss war. Derzeit verliert übrigens auch die gern verbreitete These ihre Plausibilität, dass der Nachwuchs stets politisch links beginnt und mit zunehmenden Alter in die Mitte driftet. Heute sind es oft genug die Jungen Liberalen, die mit Schlips- und Aktenkofferimage, Wahlerfolge in den jungmännlich dominierten Asten der Universitäten feiern.
Doch haben die Frauen bei den Bundestagswahlen von 2002 mehrheitlich gezeigt, was sie davon halten. Sie haben die Parteien gewählt, die sie nicht vor die Entscheidung zwischen Kind und Karriere stellen - neben den Grünen auch die SPD. Trotzdem: Viele junge Frauen wählen gar nicht erst. Der Quasi-Selbstausschluss junger Frauen aus der Politik, als Aktive und als Wählerinnen, hat Folgen. Vertreterinnen institutionalisierter Fraueninteressen bleiben dadurch de facto immer noch die Aktivistinnen der Generation Lila. Und die sind weich. Denn, auch wenn Ausnahmen alibihaft die Regel bestätigen: Das Gros der weiblichen Politiker agiert noch immer auf den weichen Feldern der Politik. Vor allem auf kommunal- und landespolitischer Ebene tummeln sich Frauen in der Frauen-, Familien- und Sozialpolitik. Aber auch in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages finden sich Frauenmehrheiten nur dort, wo es um die "wWs" geht: die weichen Weiberthemen Soziales und Familie.
Adressaten der bisher nur als frauenpolitischer Themen verstandenen Domäne müssen zunehmend Männer werden. Familienpolitik ist keine Frauenaufgabe. Auch häusliche Gewalt, Kindesmissbrauch, Mobbing oder Gender Mainstreaming sind keine reinen Frauenthemen. Gender Mainstreaming bedeutet eigentlich, auch mal andersherum zu denken: Nicht allein die weibliche Sicht der Dinge ist in "männliche oder harte" Themen einzubringen, sondern ebenso die männliche Sicht in "weibliche oder weiche" Themen.
Einer Demokratie der Gleichberechtigung zu erreichen ist nicht ausschließlich Frauenaufgabe. Männer müssen aktive Beteiligte der Genderpolitik werden und dies auch als ihren Aufgabenbereich begreifen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass ihnen Frauen anders als bisher üblich Kompetenz für diesen Bereich zutrauen. Diese Kompetenzvermutung sollte zunehmend auch bei Stellenbesetzungen deutlich werden.
Aber auch die jüngere Generation von Frauen sollte sich mehr einmischen. Dass ihnen die Befreiung der Frau aus der patriarchalen Unterdrückung nicht mehr als wichtigste politische Doktrin erscheint, schadet wenig. Doch wenn sich die Generation jüngerer Frauen nur zögerlich an politischen Debatten beteiligt, bleiben die zweifellos bestehenden Machtstrukturen erhalten. Genderpolitik also, nicht als Politik für Frauen, sondern als Politik von Frauen und Männern - das ist mehr als Gedöns. Es ist eine der größten Aufgaben moderner Politik.