Verschwörung der nervösen Wichtigtuer
Bücher über den politischen Journalismus haben Konjunktur. Der Kommunikationsbetrieb hat ziemlich genau zwei Jahre gebraucht, um das Ende der rot-grünen Ära in Buchlänge zu verarbeiten und einen kritischen Blick auf den „neuen“ Berliner Journalismus zu werfen. Drei Autoren tun dies aus einer ähnlichen Perspektive: Sie alle arbeiten journalistisch, wenn auch in unterschiedlichen Funktionen. Gerhard Hofmann, langjähriger Chefkorrespondent von RTL, schreibt als handelnder Akteur, ebenso wie Tissy Bruns, Politikredakteurin des Tagesspiegel. Sie nimmt aber – nicht zuletzt als ehemalige Vorsitzende der Bundespressekonferenz – eine stärker reflektierende Sicht ein. Lutz Hachmeister schließlich ist als Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik externer Beobachter. Aufgrund dieser unterschiedlichen Zugänge lassen sich der vergleichenden Lektüre interessante Aspekte abgewinnen, die über die weithin bekannten Schlagwörter – Kommerzialisierung und Beschleunigung der Medienproduktion, Theatralisierung von Politik und deren Verschränkung mit der journalistischen Sphäre – hinausgehen.
Die Neuwahlentscheidung war der Sündenfall
Die umfangreichste Arbeit liefert Hofmann mit seiner Verschwörung der Journaille zu Berlin. Der Band ist als politisches Tagebuch angelegt, das mit der Ankündigung der Neuwahlen am 22. Mai 2005 beginnt und mit der Bildung der Großen Koalition im Oktober endet. Kurzweilig lässt Hofmann diese aufgeregte Periode Revue passieren. Stark an der damaligen Tagesaktualität orientiert, führt er zahlreiche journalistische Quellen an, oft mit seitenlangen Zitaten und insgesamt 791 (!) Fußnoten. Das chronologische Prinzip sorgt für eine spannende Lektüre. Hofmanns Tagebuch spiegelt die Kurzatmigkeit des journalistischen Betriebs in Berlin wider: Vieles, was an einem Tag nach Skandal und Aufregung roch, versinkt in der Rückschau im Meer der Belanglosigkeit.
Zu einigen Fragen hätte man sich gern noch mehr Details oder eine ausführlichere Argumentation gewünscht. So erwähnt Hofmann en passant, dass im Vorfeld der von Gerhard Schröder gestellten Vertrauensfrage die Selbstauflösung des Bundestages erwogen wurde. Ebenso kurz streift der Autor Paul Kirchhofs Vorschlag, eine „flat tax“ einzuführen. Die subjektiven Wertungen sind bei einem politischen Tagebuch nicht zu kritisieren, allerdings lässt sich die geschichtliche Entwicklung nicht immer vollkommen nachvollziehen. Kritik am rot-grünen Gespann taucht auf den 470 Seiten kaum auf, mit einer Ausnahme: im Hinblick auf die Ankündigung der Neuwahl selbst. Sie stellt für den Autor den rot-grünen Sündenfall dar; in seinem Tagebuch hofft er, Seite um Seite, dass Bundestag, Verfassungsgericht oder Präsident die verhängnisvolle Entscheidung noch aufhalten mögen. Er geißelt die Entscheidung als verfassungswidrig, argumentiert und wettert dagegen.
Mit der damaligen Opposition geht der Autor hingegen harsch ins Gericht. Interne Zwistigkeiten gibt er raumgreifend wieder, besonders den wankelmütigen Edmund Stoiber nimmt er aufs Korn. „Das Drama Stoiber hat ... schon jetzt mehr Akte, als das Publikum ertragen kann“, notierte er bereits im Juni 2005. Allerdings kommt die Stoiber-CSU im Vergleich zur Westerwelle-FDP sogar noch glimpflich davon. Diese nimmt Hofmann als eine Mischung aus Ennui und Ungeheuerlichkeit wahr. Warum die Partei dann bei der Bundestagswahl so gut abschnitt, muss vor diesem Hintergrund rätselhaft bleiben.
Keine Medienallianz gegen Rot-Grün
Das abschließende Kapitel dreht sich um das Verhältnis von Politik und Journalismus. Der Autor setzt sich mit der These auseinander, die Medien hätten Rot-Grün von der Macht weggeschrieben und -gesendet, das Bündnis sei mithin einer journalistischen Verschwörung zum Opfer gefallen. Hofmann führt umfangreiches Material an, das auf eine insgesamt kritische Grundstimmung in den Medien hindeutet, auf journalistische Fehlinterpretationen und sogar auf den Kampagnenwillen einzelner Blätter (dies sehen auch die beiden anderen Buchautoren so). Die Beweiskette reicht von den Medienirrtümern, die Stefan Niggemeier kurz vor der Wahl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auflistete, über die CDU-freundliche Berichterstattung von Bild, Stern und Spiegel bis hin zur zweifelhaften Deutung des Fernsehduells zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder durch die Journalisten. Selbstkritisch räumt Hofmann ein, er und seine Kollegen hätten sowohl die Bedeutung des telemedialen Showdowns, als auch die Leistung des Kanzlers unterschätzt. Dennoch war all dies, wie der Autor meint, keine Medienallianz gegen Rot-Grün. Dieses Fazit konterkariert nun allerdings den verkaufsfördernden Titel des Buches. Dieser sei, wie Hofmann im Vorwort zur zweiten Auflage betont, „ironisch“ gemeint. Hier hätte man sich angesichts des wuchtigen Deckblatts dann doch mehr erwartet. Überdies hätte es dem kurzen Schlusskapitel gut getan, wenn sich der Autor hier vom stark zitatlastigen Stil seiner Chronik verabschiedet hätte. Denn so fällt es schwer, seine Kernargumentation aufzudröseln.
Deutlich knapper als Hofmanns „Verschwörung“ kommt Tissy Bruns Republik der Wichtigtuer daher: 224 Seiten, angeordnet in 12 Kapiteln. Bruns beschreibt die Veränderungen des politischen Journalismus seit seiner Migration nach Berlin. Der Abstand von Journalisten und Politikern zum „echten Leben“ sei mittlerweile noch größer als im guten, alten „Raumschiff Bonn“. Neben der Alltagsferne unterminierten eine Reihe weiterer Trends die politische Arbeit: die zahlreichen und erfolglosen Kommunikationsberater, die Ranking- und Hitlistengläubigkeit sowie die Hintergrundkreise. Als weitere negative Einflüsse macht Bruns die zunehmende Personalisierung der Politik und den Berlin-spezifischen Bekanntheitswahn aus. All dies trage dazu bei, die unterschiedlichen Prozesszeiten von Politik und Journalismus weiter zu entsynchronisieren.
Die Stärke dieses Buches liegt in seiner Praxisnähe: Hier wird aus erster Hand berichtet, ohne dass darüber die Ebene der Reflexion vernachlässigt würde. So wird die Veränderung der Recherchetechniken auf Seiten der Journalisten ebenso aus nächster Nähe beschrieben wie die Umfragegläubigkeit oder der neue Typ Politiker, der in Talkshows sozialisiert werde und den Geruch von Altersheimen aus Wahlkreisbesuchen nicht mehr kenne. Sehr aufschlussreich ist zudem der Blick auf die Medienmacher selbst, die ihren Einfluss in der Regel überschätzten, so dass der frühere Bundeskanzler mit Recht von einer Anmaßung der Medien gesprochen habe.
Politiker und Journalisten bekommen bei Tissy Bruns gleichermaßen ihr Fett weg. Indem sie auf vermeintlich goldene Zeiten zurückblickt, entzaubert sie zudem einige „Früher war alles besser“-Mythen. Zudem betont Bruns viele wichtige Aspekte der Medienwelt, die fachkundigen Betrachtern freilich nicht ganz neu sein dürften, etwa der Ansehensverlust der Medien und der Journalisten oder die alles dominierende Rolle des Fernsehens.
Normalen Menschen fehlt für Politik die Zeit
In der Bewertung der jüngeren Zeitgeschichte stimmt Bruns mit Gerhard Hofmann weitgehend überein: Kanzler Schröder habe über das Fernsehen direkt mit den Bürgern kommuniziert, und gerade das TV-Duell vor der Bundestagswahl sei von den Journalisten gehörig unterschätzt worden. Insgesamt, so Bruns, fehle den heutigen Medien jedoch der Wille zur Kampagne, zumindest im Vergleich mit der „Lagermentalität“ der Bonner Republik.
Schließlich hebt Bruns auch die Verantwortung der Politiker hervor: Den Widerspruch zwischen abstrakter Reformbejahung und konkreter Reformablehnung könnten nur Politiker überwinden. Allerdings gebe es in der Politik ein Rekrutierungsproblem: „Normale“ Menschen mit Familie und Beruf hätten keine Zeit für Politik. Ein Grund mehr, den Politikern auf die Finger zu schauen – dies könne im Endeffekt aber nur „echter“ Journalismus leisten. Die Handlungsempfehlungen bleiben dann recht allgemein: Bruns fordert zum einen Entschleunigung, zum anderen eine größere Bereitschaft der Journalisten und der politischen Klasse, direkt mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen.
Die Bücher von Hofmann und Bruns profitieren von der täglichen, journalistisch-praktischen Erfahrung ihrer Autoren. Der Kommunikationswissenschaftler Lutz Hachmeister geht mit Nervöse Zone anders an die Sache heran. Er will die Veränderungen im deutschen Journalismus auf der Grundlage von Interviews mit zentralen Akteuren der Berliner Journalistenszene, eigener Beobachtungen und kommunikationswissenschaftlich-historischer Erkenntnisse beschreiben. Im ersten Kapitel kartografiert er das Terrain der „nervösen Zone“ und verortet diese in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Nach dem lesenswerten Auftakt handelt Hachmeister die naheliegenden Themenkomplexe ab: die rot-grünen Jahre, die Bundestagswahl 2005, die Rolle Sabine Christiansens und ihres „Ersatzparlaments“. Es folgen Kapitel über den „publizistischen Beweger“ Frank Schirrmacher, die mediale Rolle von „Super-Horst“ Köhler und die „Deutschwerdung“.
Hachmeister diagnostiziert, durchweg pointiert und gut zu lesen, einen grundlegenden Rechtsschwenk unter den deutschen Leitmedien wie Spiegel, Stern und Süddeutsche Zeitung. Die Journalisten als spätkapitalistische und bourgeoise Klasse befänden sich „in einer Elitenkonstellation mit Politikern und Industriellen“, die angesichts des rasanten technologischen, wirtschaftlichen und geopolitischen Wandels, „auf Verteidigung und Bewahrung gegründet ist, eine Art geistige Nato“. Zukünftig stelle sich nicht mehr die Frage nach Medienmacht oder -manipulation. Vielmehr sei zu diskutieren, in welcher Form der Journalismus noch ein Agent der Aufklärung sein könne. Damit schließt sich der Kreis zu den beiden anderen Bänden. Die Frage nach der Zukunft des Journalismus bleibt vorerst offen.
Gerhard Hofmann, Die Verschwörung der Journaille zu Berlin, Bonn: Bouvier Verlag 2007, 470 Seiten, 29 Euro
Tissy Bruns, Republik der Wichtigtuer: Ein Bericht aus Berlin, Freiburg: Herder Institut 2007, 224 Seiten, 19,90 Euro
Lutz Hachmeister, Nervöse Zone: Politik und Journalismus in der Berliner Republik, München: Deutsche Verlags-Anstalt 2007, 288 Seiten, 16,95 Euro