Viel rauchen und immer in Bewegung sein

Dirk Kurbjuweit hat seine Reportagen zu einer Klageschrift gegen das ubiquitäre Effizienzprinzip zusammenbinden lassen

Michel Houellebecq, der Autor der Elementarteilchen, möchte, so schreibt er, eigentlich nur eine Botschaft hinterlassen: dass da am Ende des Jahrtausends jemand einen monströsen und globalen Mangel verspürt hat, aber außer Stande war, ihn klar zum umreißen. Wie viele Menschen dieses diffuse Unbehagen teilen, zeigt der große Erfolg von Houellebecqs Büchern. Vielleicht erklärt sich sein Erfolg gerade dadurch, dass er den Mangel nicht klar umreißt, sondern einfach sagt: Etwas läuft schief in dieser Welt, und ich meine nicht die hohe Staatsverschuldung und die mageren Wachstumsaussichten fürs kommende Jahr.

Das Unbehagen am großen Ganzen

Menschen, die ihr ganz persönliches Unbehagen am großen Ganzen artikulieren, gibt es viele: Leitartikler tun es ständig, Wissenschaftler gelegentlich, Politiker sonntags. Aber sehr viel klarer als der Poet Houellebecq wird dabei kaum einer. Nun, im dritten Jahr des neuen Jahrtausends kommt wieder jemand und möchte die Mängel des modernen Lebens noch ein bisschen genauer ausforschen: Dirk Kurbjuweit. Kurbjuweit war Redakteur der Zeit, ist nun beim Spiegel und wurde für seine Reportagen mehrfach ausgezeichnet. Ist er der richtige Mann, um dem viel empfundenen, so schwer fassbaren Unbehagen endlich einen Namen zu geben?


Kurbjuweit nennt es McKinsey. Das Buch, das er jetzt vorgelegt hat, wollte er eigentlich Die McKinsey-Gesellschaft nennen, er durfte aber nicht, weil die Beratungsfirma McKinsey Titelschutz beansprucht hat. Das muss Kurbjuweit sehr geärgert haben, denn er widmet dem Titel-Streit eine Art Präambel. Nun heißt das Buch Unser effizientes Leben, und dieser Titel ist mindestens ebenso passend. Denn auf den knapp zweihundert Seiten möchte Kurbjuweit nur eines klarmachen - er will zeigen, dass "eine Welt, die unter der großen, alles beherrschenden Überschrift Effizienz steht, keine gute, besonders lebenswerte Welt ist".


Das Effizienzdenken beherrscht alles, seit der Kapitalismus in seine dritte Phase getreten ist. Im 19. Jahrhundert, analysiert Kurbjuweit, eroberte der Kapitalismus zunächst die Wirtschafts- und Arbeitswelt. Im 20. Jahrhundert stand er dann in Konkurrenz zum Sozialismus und hatte sich - auch sozial - als das bessere System zu erweisen. Nun, da scheinbar keine Alternative mehr zu ihm besteht, unterwirft der Kapitalismus sämtliche Bereiche des Lebens seinen Prinzipien. Das wichtigste dieser Prinzipien ist die Effizienz.

Der Prinzip McKinseyismus als Ideologie

Bei diesem kurzem Abriss der Wirtschafts- und Ideengeschichte lässt es Kurbjuweit bewenden, dann stürzt er sich mitten in die Jetztzeit, ins Hier und ins Heute. Er ist kein Philosoph, er ist Reporter. Er analysiert die Ökonomisierung der Lebenswelt nicht, er macht sie anschaulich. Begriffe werden bei ihm zu Namen und Namen zu Gesichtern. Nicht weniger als zwei Dutzend Menschen, mehr oder weniger effiziente, bevölkern sein Bändlein, arrangieren sich, jeder auf seine Weise, mit der "Diktatur der Ökonomie". Sicher, mit neuen Erkenntnissen kann Kurbjuweit nicht aufwarten, und die meisten Typen, die er skizziert, sind bekannt oder kommen einem so vor (vor allem wenn man seine Reportagen in Spiegel und Zeit gelesen hat). Aber die Leichtigkeit und Treffsicherheit seiner Skizzen machen die Lektüre des Buches zu einem lustvollen Erlebnis.


Als Propheten der Ökonomisierung hat Kurbjuweit die Unternehmensberater von McKinsey ausgemacht. Wie es ist, wenn sie auftauchen, liest sich bei ihm so: "Sie kommen in Teams, zwei, drei Leute mindestens, je nach Größe des Auftrags. Irgendwann sind sie da, erscheinen morgens in ihren dunklen Anzügen oder dunklen Kostümen in dem Betrieb, den sie beraten sollen. ... Während der Dienststunden beobachten sie, wie die Leute ihre Arbeit machen. Sie gucken oft auf die Uhr, gute, teure Uhren, immer die exakte Zeit. ... Dann stellen sie Fragen. Was machen sie da? Warum machen sie es? Warum machen sie es so? Die McKinsey-Menschen wollen alles ganz genau wissen. ... Aber sie sind freundlich, immerzu freundlich, gleichzeitig so selbstbewusst, dass es arrogant wirkt. Man hat bald das Gefühl, nicht flexibel, nicht mobil, nicht effizient, nicht leistungsfähig, nicht dynamisch zu sein. Denn sie sind das alles, sie strahlen eine Kraft aus, die einen bange werden lässt."


Ja, jovial sind sie, die McKinsey-Menschen. Doch wehe, wenn sie wiederkommen. Dann haben sie blaue Mappen dabei und darin stecken allerhand Vorschläge zur Effizienzsteigerung. Das ist manchmal gut für das Unternehmen, aber fast immer bedeutet es das Aus für Mitarbeiter, für solche nämlich, die nicht effizient sind.

Die Propheten sind längst überall

Das alles ist freilich noch nicht besonders bemerkenswert. Genau dort, in Unternehmen, vermutet man McKinsey-Menschen, und genau dort, ist man versucht zu sagen, gehören sie ja auch hin. Aber nun sagt Kurbjuweit: Sie sind längst überall. Man trifft sie in der Politik, in der Wissenschaft, sogar in der Religion: Sie arbeiten zwar nicht für McKinsey, aber sie denken genau so.


Wenig originell erscheint es indes, wenn Kurbjuweit einem dann DaimlerChrysler-Chef Schrempp als Prototyp des McKinsey-Managers vorstellt. Oder Friedrich Merz als den typischen McKinsey-Politiker. Für Merz bestehe die Welt nur aus Wirtschaft, Zahlen, harten Fakten, er sei ein Ökonomist in Zeiten des Ökonomismus. Aber haben Spiegel-Leser und Sozialdemokraten das nicht schon immer gewusst? Interessant wird es schon eher, wo Kurbjuweit den Strahler auf die vermeintlichen Nebendarsteller richtet. Auf den bayrischen SPD-Mann Paul Gantzner etwa, der kritische Genossen im Ortsverein mit der Parole abbügelt, es gehe doch vor allem darum, "das Produkt Sozialdemokratie zu verkaufen".


Die Lehre, dass Politik ein Produkt sei, das verkauft werden müsse, hat sich mittlerweile über alle Parteigrenzen verbreitet. Keine Partei glaubt noch auf die Dienste professioneller Politikverkäufer, so genannter spin doctors, verzichten zu können. Kurbjuweits Portrait des prototypischen spin doctor ist die vielleicht gelungenste Passage im ganzen Buch. Eine kurze Leseprobe lässt keine Zweifel, wer da Modell gestanden hat: "Er raucht viel. Er ist nervös, immer in Bewegung. Er neigt dazu, andere für dumm zu halten, weil sie nicht wissen, wie die Welt tickt. Er weiß es."


In den entscheidenden Momenten, den Wahlkämpfen nämlich, setzen die Parteien auf "Macher" vom Schlage eines Matthias Machnig. Ihnen traut man zu, Stimmungen einzufangen, "Gewinnerthemen" aufzuspüren und die Kandidaten in Szene zu setzen. Dabei sollte es doch eigentlich andersherum sein: Die Parteien stehen für bestimmte Prinzipien, die Politiker leiten daraus konkrete Vorschläge ab und versuchen die Bürger dafür zu begeistern. Warum tun sie es nicht? Die Politik hat eben ihre McKinsey-Lektion gelernt. Wenn es zählt, vertrauen Politiker eher der Effizienz des Marketing als der Kraft ihrer Argumente.


Darin besteht Kurbjuweits Meisterschaft: mit wenigen Pinselstrichen die Landgewinne des Ökonomismus präzise zu kartografieren. Aber er schildert auch Reservate, die noch unberührt sind vom Diktat der Effizienz. Eines ist eine Amtstube im afghanischen Peshawar. Keinen Computer, keinen Aktenschrank, keine Hängeregistratur gibt es dort, es herrscht eine Atmosphäre heiterer Gelassenheit. Und doch bekommt Kurbjuweit den gewünschten Passierschein innerhalb nur einer halben Stunde. Ein anderes Idyll findet er im RJ′s, einer Kneipe in Detroit, die von DaimlerChrysler-Arbeitern frequentiert wird. Das RJ′s ist "eine dunkle Bar ohne Fenster, eine Welt von zehn mal zehn Metern", aber "das Bier im RJ′s ist eiskalt, und die Bedienung trägt ‘nen verdammt kurzen Rock. Was soll′s also, fuck Mercedes". Sind das nun die Inseln des wahren Lebens?

Leben wie in Afghanistan? Das lieber nicht

Einen überzeugenden Gegenentwurf zum effizienten Leben hat Kurbjuweit nicht anzubieten und deshalb bleibt seine Haltung auch immer ambivalent. Die Dominanz ökonomischen Denkens missfällt ihm, aber leben wie in Afghanistan möchte er natürlich auch nicht. Die McKinsey-Welt sieht er kritisch, aber er findet, "dass nicht jede Kürzung im Sozialbereich eine Katastrophe ist".


Kurbjuweit hat dem monströsen, globalen Mangel, den mancher verspürt, mit einfachen Mitteln Konturen gegeben. Wie man ihm abhelfen kann, sagt er nicht, er versucht es nicht einmal. Ist das ein Mangel dieses Buches? Gewiss, aber ein verzeihlicher. Kurbjuweit ist kein Politiker, er ist Reporter. Und zwar ein guter.

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