Vom Spielfeld auf die Zuschauertribüne
Dieses Restaurant ist für Michael Glos wie ein zweites Büro. „Ich finde es hier so praktisch. Das Lokal liegt gleich beim Reichstag. Und innerhalb einer Viertelstunde bekommt man etwas zu essen.“ Tatsächlich. An einem Dienstagmittag in einer Sitzungswoche des Deutschen Bundestages können wir im Quarré nicht nur ungestört reden, sondern auch der Service ist perfekt. Ein idealer Ort für diskrete Gespräche bei gutem Mittagessen. Glos schwärmt zudem von der Terrasse des Restaurants mit Blick über den Pariser Platz. „Früher habe ich immer nur davon geträumt, das Brandenburger Tor von dieser Seite zu sehen – jetzt ist der Traum wahr geworden.“
Eigentlich isst Michael Glos mittags nicht viel: „Ein voller Bauch studiert nicht gern.“ Und wenn er etwas zu sich nimmt, dann meistens Fisch. So auch heute. Als Vorspeise bestellt er schottischen Graved Lachs mit Rösti und Pommerysenf, als Hauptgang gibt es eine gratinierte Mittelmeerfischpfanne und Baby-Spinat. Ich nehme einen Hummerbisque mit Estragon und als Hauptgang Kalbspaillard, Polenta und Zucchini. Inklusive Softgetränk und Kaffee werden beide Gänge als Business-Lunch für 22 Euro angeboten. Für wenige Euro mehr hätten wir noch ein Dessert dazu wählen können. In manchen anderen Restaurants Unter den Linden speist man zu solchen Preisen lauter und qualitativ deutlich schlechter! Ich bin wahrlich erstaunt.
Wie war das, als er nach der Bundestagswahl im Jahr 2005 zum Wirtschaftsminister ernannt wurde? „Darauf war ich mental nicht vorbereitet“, sagt Michael Glos, „Ich wusste nicht einmal, wo in Berlin sich das Wirtschaftsministerium befindet.“ Dass sich Edmund Stoiber entschieden hatte, doch nicht als Superminister nach Berlin zu gehen, kam damals für viele überraschend. Auch für Glos: „Ich hatte damit niemals gerechnet.“
Im Wirtschaftsministerium betrat der gelernte Müllermeister Neuland. Gut 40 Jahre hatte die Union keinen Wirtschaftsminister mehr gestellt, und von der CSU hatte es noch überhaupt keinen gegeben. Eine deutsche oder gar bayerische Flagge habe er dort nicht vorgefunden, so Glos. Auch schien niemand daran interessiert zu sein, die Erinnerung an Ludwig Erhard wachzuhalten – was sich mit Glos bald ändern sollte. Hinzu kam, dass er sich auf eine vollkommen neue Presse-Szenerie einstellen musste. „Die Wirtschafts- und Finanzredakteure sind eine eigene Kaste.“
Heute ist Glos Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages und kümmert sich vor allem um das Thema Außenhandel. Aus aktuellen Diskussionen hält er sich weitgehend heraus. Denn: „Wenn man mal Minister war, sollte man sich nicht in jedes kleine Geplänkel einmischen.“ Aus genau diesem Grund lässt er sich auch bei der CSU-Landesgruppe nur noch sporadisch blicken.
Das Gespräch kommt auf die aktuelle Regierungskoalition. Zu ihr hat Michael Glos eine klare Meinung, die er in witzigen Sprachbildern ausdrückt. Dazu soll ich aber nichts schreiben. Dafür lobt Glos, während der Finanzkrise seit 2008 habe die damalige Große Koalition „schnelle Entscheidungen innerhalb von ein paar Tagen getroffen“. Mit staatlichen Bürgschaften, dem Kurzarbeitergeld und der Abwrackprämie habe die Regierung die nötige Sicherheit vermittelt. Die Große Koalition habe anknüpfen können an „richtige Reformen, die Schröder gemacht hat“, etwa diejenige, die „Lebensarbeitszeit in Schritten zu erhöhen“. Überhaupt, die Sozialdemokraten. „Es gibt schlimmere Geburtsfehler“, scherzt er und erzählt von der inhaltlich guten und verlässlichen Zusammenarbeit mit dem damaligen wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD, Rainer Wend. „Die Wähler haben die SPD für die Große Koalition zu stark abgestraft“, sagt Glos. Aber nach ihrem letzten Parteitag habe die Partei ja „wieder Tritt gefasst“. Allerdings sei Merkel stärker denn je. Aus Glos’ Sicht ist es vollkommen ausgeschlossen, dass Rot-Grün nach der nächsten Bundestagswahl die Regierung bildet.
Nicht nur politisch, auch ökonomisch blickt Glos optimistisch in das Jahr 2012: „Die deutsche Wirtschaft ist die einzig starke in Europa, Deutschland zieht Europa mit.“ Allerdings müsse darauf geachtet werden, dass die Maßnahmen zur Stabilisierung der Eurozone wirklich durchgesetzt werden. Welche Fehler wurden in der Eurokrise bisher gemacht, frage ich. Glos überlegt ein wenig. „Es hat zu lang gedauert, bis man Griechenland die Daumenschrauben richtig angesetzt hat.“ Aber dann lehnt er sich plötzlich zurück und erinnert daran, dass er sich nicht mehr auf dem Spielfeld befinde, sondern auf der Zuschauertribüne.
Kein Zweifel, Glos spricht lieber von früher als von heute. Als seine „interessanteste Zeit“ bezeichnet er seinen Posten als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe. Als er damit begann, musste er Helmut Kohl stützen. In der Opposition hatte er dann alle Freiheiten, schließlich gab es nur ein Ziel: „Die ungeliebte rot-grüne Regierung wieder zu Fall zu bringen.“ Es folgte die Große Koalition, in der die CSU weniger Einfluss gehabt habe, weil sie bei Abstimmungen für die Mehrheit weniger relevant war. Ganz anders heute: „Die CSU wird wieder gebraucht!“
Michael Glos ist zufrieden, dass er immer selbst bestimmt hat, wann er ein Amt aufgab. „Man muss wissen, dass alles in der Politik auch ein Rollenspiel ist.“ Natürlich war sein Leben früher anders, als er noch einen Dienstwagen mit Chauffeur hatte und sich um viele Dinge des Alltags nicht selbst kümmern musste. „Jetzt ist es aber auch schön, nicht mehr überall hinspringen zu müssen.“ Als junger Mensch habe man stets das Gefühl, etwas zu versäumen. Er hingegen freue sich daran, „einfach in der Stadt herumzulaufen“ oder „auch mal länger zu schlafen“.
„Ich habe mich immer für verzichtbar gehalten“, sagt Glos mit der ihm eigenen Ironie. Seine Frau hat ihm – Papst Johannes XXIII. zitierend – den Rat gegeben: „Giovanni, nimm Dich nicht so wichtig.“ Er hat ihn befolgt. „Ich habe versucht, Distanz zu halten zwischen mir als Mensch und meinem Amt“, so Glos. Und: „Wenn ich etwas zu 50,1 Prozent für richtig halten konnte, war ich schon glücklich. Die Gabe, etwas hundertprozentig zu wissen, hatte ich nicht.“ Man nimmt es ihm ab. Auch dass er eine „liberale und tolerante Person“ ist, wie er sich selbst beschreibt. Uns wird in die Mäntel geholfen, und Michael Glos empfiehlt beim Hinausgehen noch „den Franz“, den Barkeeper des Adlon – „der ist echt nett.“ So aufmerksam, wie wir im Quarré behandelt wurden, glaube ich ihm auch das sofort.