Weiter! Zur nächsten Pressekonferenz!

Wie die Medien die CDU-Affäre bewältigen

Wir sind live dabei, 24 Stunden täglich, wenn sich Kameras in Politikergesichter bohren, wenn Wolfgang Schäuble mit merkwürdig versonnenem Lächeln in den Abgrund blickt und Angela Merkel ihre Mundwinkel in Nahaufnahme nach unten zieht, um die neuesten Schreckensmeldungen zu verkünden.

Rückhaltlose, brutalstmögliche Aufklärung heißt das Ritual, bei dem mal eine "Dummheit" (Koch), mal eine "Riesendummheit" (Kiep) zugegeben wird. Täglich gibt es Neues über Elf-Aquitaine, Schreiber, Wittgenstein oder Doerfert. Doerfert? Wer war das noch gleich? Wir verlieren allmählich den Überblick.

Die scheinbare Transparenz der CDU-Affäre erweist sich als tückisch. Wenn Phoenix oder n-tv stundenlange Pressekonferenzen von Angela Merkel und Roland Koch übertragen, sitzt die Nation staunend vor dem Bildschirm. Alles wird auf den Tisch gelegt, so lange, bis uns schwindlig wird.


Am 8. Februar monologisierte Roland Koch 48 Minuten lang über die Ereignisse der vergangenen Monate, bevor er zum entscheidenden Satz ausholte. Die ersten Kamerateams waren bereits mit dem Abbau beschäftigt, als der hessische Ministerpräsident mit emotionsloser Stimme von einem "Randaspekt" der Affäre sprach. Dann fielen jene schwer verständlichen Sätze über Wittgensteins angebliches Darlehen, die in den Fernsehnachrichten am Abend immer wieder zitiert wurden: "Juristisch war diese Darstellung möglicherweise korrekt, politisch war es falsch und unkorrekt genauso wie die Aufrechterhaltung dieser Darstellung zu einem Zeitpunkt, als längst klar war, dass es sich um Geld aus dem Weyrauchschen Kontensystem handelte."

Alles klar? Erst als ein Agenturjournalist den Begriff von der "Sternsingerlüge" prägte, wachten Journalisten und Zuschauer auf. Bei der Pressekonferenz jedenfalls zuckte kaum jemand. Nach dem Geständnis redete Koch zwei Stunden weiter, bis er die betäubten Pressevertreter ziehen ließ.

Dass die hessische CDU an diesem Nachmittag eine weitere Liechtensteiner Stiftung zugab, ging einfach unter. Unterlagen über die "Carpa"-Stiftung, die zur Tarnung der sogenannten Vermächtnisse gegründet worden war, wurden an die Pressevertreter verteilt, doch kaum jemand wollte Näheres wissen. Ein paar Tage früher wäre so etwas noch eine Sensation gewesen.

Drei Wochen nach dieser Pressekonferenz, am 1. März, benötigte Hessens Ministerpräsident für einen Pressauftritt nur noch einen Saal, der halb so groß war wie beim letzten Mal. Die Zahl der Kamerateams und der Reporter hatte sich glatt halbiert. Und statt zerknirschter Bekenntnisse präsentierte Koch offensiv Vorschläge für eine bessere Kontrolle der CDU-Finanzen.

Brutalstmögliche Aufklärung, bis keiner mehr hinhört: Die CDU hat erkannt, dass diese Form halbherziger "Offenheit" eine große Chance bietet: ein bisschen Aufklärung, bevor die Medien alles enthüllen. Als das ZDF im Januar immer bohrender nach den Spendern der CDU fragte, ging Wolfgang Schäuble in die Offensive und bekannte, die 100.000 Mark von Karl-Heinz Schreiber seien falsch als "sonstige Einnahme" verbucht worden. Schnell ein Bekenntnis, bevor alles rauskommt. Schäubles Pech, dass er sich dann in Widersprüche bei den Geldübergabemodalitäten verstrickte.

Die hessische CDU hatte mehr Glück: Als ein Spiegel-Reporter Staatskanzleichef Jung mit dem Verdacht auf geheime Auslandskonten konfrontierte, parierte die Partei die drohende Veröffentlichung mit einer Pressekonferenz: Manfred Kanther packte aus und trat vom Bundestagsmandat zurück. Roland Koch gab sich von da an als Aufklärer und nicht als vom Spiegel Ertappter.

Den TV-Magazinjournalisten bereitet diese Politik der partiellen Aufklärung durchaus Probleme: Sorgfältig recherchierte Hintergrundstücke, Enthüllungen über die Finanzaffäre, wandern in den Papierkorb, wenn die CDU auf Interviewanfragen mit einer Pressekonferenz reagiert und dem geplanten Bericht zuvorkommt. Dann rücken die Kollegen von der Tagesaktualität mit ihren Ü-Wagen an: Live auf Phoenix, zwei Stunden später in den Nachrichten - und dann ist die neueste Enthüllung schon wieder Schnee von gestern. Statt 10 Minuten Magazin-Hintergrund gibt es Einsdreißig, auf allen Kanälen. Kein Platz für Belege, Dokumente, Details: Weiter! Zur nächsten Pressekonferenz!

Und: Die immer dramatischeren Enthüllungen haben uns verwöhnt. Als die Union im Dezember 1999 zitterte, ob der korrigierte Rechenschaftsbericht die Gnade des Bundestagspräsidenten finden würde, da galt jeder Nachweis einer nicht korrekt verbuchten Spende über 20.000 Mark noch als journalistischer Coup. Heute gähnen die Redakteure, wenn ein Reporter 100.000 falsch verbuchte Mark im Finanzsystem der CDU entdeckt. Die Fraktionsgelder, die in bar in die CDU-Kassen geschleust wurden? Im Januar noch ein Skandal, der Fraktionsgeschäftsführer Hörster ins Schwitzen brachte. Heute: Peanuts!

Trotzdem: Vergleicht man die jetzige Berichterstattung über Lügen, Schmiergeld und schwarze Kassen mit der Affärenaufarbeitung früherer Jahre, kommt Erstaunliches zutage. In den achtziger Jahren erschütterte der Skandal um die "Staatsbürgerliche Vereinigung" zwar die Republik, doch nicht das Fernsehen. Keine Sondersendung, keine Live-Schalte: Der Spiegel kämpfte einsam an der Enthüllungsfront. Damals ging es immerhin um über 200 Millionen Mark, die CDU und FDP illegal über Liechtenstein in die Parteikassen geschleust hatten. Helmut Kohl kostete sein "Black Out" vor dem Mainzer Untersuchungsausschuss 1985 fast die Kanzlerschaft. Doch am Bildschirm war vom Drama kaum etwas zu sehen. Keine täglichen Enthüllungen, nur ein einziges Mal ein paar Sekunden Schnittbilder, als Kohl in Mainz zur Aussage antrat. "Ihr wollt doch nur irgendeine Geschichte hochziehen", raunzte der Kanzler im Blitzlichtgewitter in die Mikrofone. Eine Szene, die sich heute wieder fast wortgleich abspielt - nur dass wir sie jeden Tag aufs Neue sehen können: Immer, wenn der Ex-Kanzler grummelnd seine Berliner Wohnung verlässt ("Ihnen geht′s doch gar nicht um Aufklärung"), gehen die Kameras an. Wer nichts sagen will, muss sich die fürsorgliche Belagerung gefallen lassen. Vielleicht lohnt sich das Warten, vielleicht fällt dann doch irgendwann ein sendefähiger Satz.

Damals, vor 15 Jahren, waren die wenigsten Journalisten so hartnäckig. Niemand fuhr nach Liechtenstein, um die Verwalter der Geldwaschanlagen mit der Kamera zu stellen. Kein Reporter wühlte im Handelsregister von Panama, um die geheimen Geldflüsse zu ergründen. Die schwarzen CDU-Kassen gab es schon in den achtziger Jahren - wurden sie erst jetzt bekannt, weil damals zu wenige Journalisten nachhakten?

Das Interesse an der täglichen Bilderflut aus Bimbesland ist heute groß, und auch die politischen Magazine freuen sich über gute Einschaltquoten. Die Zuschauer wollen nicht nur Roland Koch in Echtzeit auf Phoenix, sie wollen auch Hintergrund und Enthüllung. Die öffentlich-rechtlichen Sender wetteifern allwöchentlich um die beste investigative Geschichte. Monitor jagt Schreiber und die CSU, Frontal deckt die Liechtenstein-Connection auf. Noch ist das Medienaufgebot groß, wenn der Berliner Untersuchungsausschuss zusammentritt. Doch in wenigen Wochen können diese Bilder ihren Reiz verloren haben. Dann wird wohl nur noch eine Handvoll Reporter die Sitzungen des Ausschusses mitverfolgen. Nicht nur, weil Zuschauer und Leser der Affären überdrüssig werden, sondern weil in den Redaktionen die Angst umgeht, nicht mehr genug Neues in Sachen CDU bieten zu können.

Das Personalkarussell an der Spitze von Unionsfraktion und Partei erscheint vielen Journalisten plötzlich interessanter als eine mühsam recherchierte Geschichte über Details der Leuna-Affäre. Wer fragt dann noch nach Helmut Kohls Spendern, wer will Klarheit über den Finanzskandal der rheinland-pfälzischen CDU?

Horst Weyrauch, der Herr der schwarzen Kassen, wurde wochenlang von Reportern belagert, vor Garagen und in Hauseingängen um O-Töne angebettelt. Er sagte nichts, und sein Schweigen wurde zur besten Sendezeit ausgestrahlt. Als er Anfang März ausführlich auspackte, versteckte der WDR das Interview, das kurz zuvor noch für eine Sondersendung im Ersten getaugt hätte, im 3. Programm, kurz vor Mitternacht.

Die Schlüsselfiguren der Finanzaffäre - werden sie demnächst unerkannt und ungefilmt in die Katholische Akademie in Berlin-Mitte huschen, wenn der Untersuchungsausschuss sie zur Zeugenaussage ruft?

Die Medienschlacht um die CDU-Affäre kann schon zu Ende sein, bevor der Bundestag die ersten Akten der Staatsanwaltschaft überhaupt gesichtet hat. Dann hätten die selbsternannten Aufklärer von der Union einen wichtigen Sieg davongetragen. Die totale Öffentlichkeit, die totale Transparenz hat uns erschöpft - Reporter wie Zuschauer. Aber: Wir waren live dabei.

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