Wer kommt? Und wohin?
D eutschland schrumpft und wird älter. Deshalb fehlen uns zunehmend Fachkräfte. Was liegt da näher, als junge, qualifizierte Fachkräfte in die Bundesrepublik zu holen? Nicht nur würde der Bevölkerungsrückgang geringer ausfallen. Auch dürfte der Zuzug jüngerer Menschen zu einem günstigeren Verhältnis der Generationen führen. Und dank ihrer Qualifikationen könnten sie einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten. Aber ist es wirklich so einfach?
Seit dem Jahr 2003 nimmt die Bevölkerung in Deutschland beständig ab, und sie wird weiter abnehmen. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass bei uns im Jahr 2060 nur noch 70 Millionen Menschen leben werden. Ende 2008 waren es noch etwa 82 Millionen. Auch die 70-Millionen-Grenze erreichen wir nur, wenn jedes Jahr 200 000 Personen aus dem Ausland zuwandern. Im Jahr 2011 wurde diese Marke erreicht, auch in diesem Jahr stehen die Chancen dafür gut. Besonders die Zuwanderung aus den stark von der Finanz- und Schuldenkrise betroffenen EU-Staaten ist deutlich angestiegen. Allerdings haben in den Jahren 2008 und 2009 mehr Menschen das Land verlassen, als zugewandert sind. Dass auf Dauer wirklich 200 000 Menschen pro Jahr hinzukommen, ist also keineswegs sicher.
Der harte Wettbewerb um die Qualifizierten
Ferner stellt sich die Frage, wer zuwandert. Deutschland ist vor allem an Fachkräften interessiert, schließlich wird in den kommenden Jahren eine ganze Generation gut ausgebildeter Fachkräfte das Rentenalter erreichen. Hier sieht sich die Bundesrepublik aber in harter internationaler Konkurrenz; andere Länder stehen vor ähnlichen Problemen. Zwar lag der Anteil der Zugewanderten mit Hochschulabschluss 2010 bei 44 Prozent und damit doppelt so hoch wie im Jahr 2000. Und Schätzungen zufolge wird dieser Anteil weiter steigen. Zeitgleich wandern aber viele Hochqualifizierte aus Deutschland ab. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration stellt in seinem Jahresgutachten 2011 fest, dass gerade junge Spitzenkräfte Deutschland verlassen, darunter auch hier aufgewachsene junge Menschen mit Migrationshintergrund. Das Wanderungssaldo Hochqualifizierter dürfte daher trotz ansteigender Zuwanderung relativ niedrig sein.
Eine weitere wichtige Frage lautet, wohin die Migranten innerhalb Deutschlands ziehen. Denn auch wenn die gesamtdeutsche Diagnose eindeutig für eine Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung spricht, so ergibt sich im innerdeutschen Vergleich ein sehr unterschiedliches Bild. Während bestimmte Regionen noch einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen, müssen sich andere Gegenden schon jetzt mit einem starken Bevölkerungsrückgang und einer massiven Alterung der Bevölkerung auseinandersetzen. Gerade hier könnte Zuwanderung die demografische Situation verbessern.
Eine von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Studie der GEBIT Münster ist dem Zusammenhang von Migration und demografischem Wandel nachgegangen. Grundlage der Untersuchung waren die Daten zum demografischen Aufbau und zur demografischen Entwicklung, die die Bertelsmann-Stiftung im „Wegweiser Kommune“ für alle Kommunen ab 5 000 Einwohnern in Deutschland zusammengestellt hat.
Die Studie zeigt zunächst, dass der Altersaufbau der Bevölkerung eng mit dem Ausländeranteil zusammenhängt. In Kommunen mit einem hohen Ausländeranteil ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen an der Bevölkerung höher und das Durchschnittsalter niedriger. Dementsprechend stellt sich auch die künftige demografische Entwicklung günstiger dar. Es stimmt also: Zuwanderung kann die Folgen des demografischen Wandels abmildern.
Allerdings zeigt die Studie auch, dass die Einwanderer vor allem in diejenigen Regionen gehen, die ohnehin eine bessere Ausgangslage im demografischen Wandel haben. Dies sind besonders die sozial heterogenen Zentren der Wissensgesellschaft wie Stuttgart oder München, aber auch Städte in deren Umland. Dort gibt es ein großes und vielfältiges Arbeitsplatzangebot, gerade für Hochqualifizierte, das sowohl Zuwanderer als auch Deutsche aus anderen Regionen anzieht.
Auf der anderen Seite stehen schrumpfende Kommunen mit besonderem Anpassungsdruck, vor allem – aber nicht nur! – in Ostdeutschland. Eine starke Abwanderung und ein entsprechender Bevölkerungsrückgang finden bereits statt. Die Alterung der Bevölkerung ist weit fortgeschritten. Der Ausländeranteil in diesen Kommunen ist äußerst gering. Ein vielfältiges Arbeitsplatzangebot gibt es nicht.
Daten des Mikrozensus bestätigen, dass die Bevölkerung mit Einwandererbiografie in ländlichen Gebieten zurückgeht, in Agglomerationsräumen aber ansteigt. Dies wird weitere Folgen für das zukünftig zur Verfügung stehende Arbeitskräftepotenzial in diesen Regionen haben. Ein geringer Anteil an Einwanderern und eine negative demografische Entwicklung sind Trends, die sich gegenseitig verstärken.
Gelingt es in Zukunft tatsächlich, höher qualifizierte Arbeitskräfte für eine Zuwanderung nach Deutschland zu gewinnen, dann wird sich diese Tendenz noch verstärken. Die Schere zwischen Regionen mit günstiger und ungünstiger demografischer Ausgangslage könnte sich weiter öffnen, denn Zuwanderung aus dem Ausland wird vor allem dorthin erfolgen, wo die Bevölkerungszusammensetzung demografisch sowieso schon günstiger ist. Umgekehrt werden diejenigen Städte und Gemeinden, die schon heute stark vom demografischen Wandel betroffen sind, kaum von dem Zuzug profitieren – obwohl er gerade für sie besonders wichtig wäre.
Aus diesen Gründen ist Zuwanderung kein Allheilmittel gegen die negativen Folgen des demografischen Wandels. Von seinen positiven Effekten wird Deutschland nicht gleichmäßig profitieren. Denn es wird kaum möglich sein, die Einwanderer in Regionen umzulenken, in denen die Bevölkerung schrumpft und stark altert. Warum sollten gerade hochqualifizierte Zuwanderer in Gegenden ziehen, aus denen bereits die deutsche Bevölkerung abgewandert ist? Viele vom Bevölkerungsrückgang betroffene Kommunen versuchen, sich gegenüber der Konkurrenz in der Nachbarschaft zu profilieren und die wenigen jungen Familien anzuziehen, die noch „auf dem Markt“ sind. Die Erfolge solcher Versuche dürften eher mäßig ausfallen, denn dieser „Markt“ ist zunehmend leergefegt. Selbst wenn die Geburtenrate steigen würde – es gibt immer weniger potenzielle Mütter, so dass die bereits entstandene Lücke auch dann nicht wieder aufgefüllt werden könnte, wenn die Frauen in Deutschland wieder mehr Kinder bekommen. Eine steigende Geburtenrate ist aus vielen Gründen ohnehin nicht in Sicht. Gerade für diese Regionen ist es daher wichtiger denn je, sich aktiv mit dem demografischen Wandel und seinen Folgen auseinanderzusetzen. Und sich von den Illusionen zu verabschieden, die vielfach noch existieren.
Einwanderung ist aber auch deshalb kein Allheilmittel, weil sich in demografisch besser dastehenden Regionen mit hohem Zuwandereranteil die Frage der Integration stellt. Dass hier Defizite bestehen, ist bekannt. Auch in den Zentren der Wissensgesellschaft gibt es eine Gruppe von sozial schwächeren Migranten. Dringend notwendig sind weitere Anstrengungen im Bildungssektor, selbst wenn künftig tatsächlich mehr hochqualifizierte Ausländer zuwandern sollten. Um den Fachkräftemangel in Deutschland abzumildern, wird es nicht reichen, neue Zuwanderer zu gewinnen. Sondern wir müssen auch den schon lange bei uns lebenden Einwanderern bessere Bildungschancen verschaffen, um sie für eine qualifizierte Erwerbsbeteiligung zu gewinnen.