Wowi, Rütli, BKA
Wenn gerade nicht Fußball gespielt wird, wird irgendwo gewählt. In Berlin ist es im September wieder so weit. Wir wollen wissen, wer Wowi wählt und fahren Richtung Treptow und Neukölln.
Die Traditionsgaststätte Zenner liegt tief im Treptower Park, unweit der Spree. Das Schankrecht nutzte die damalige „Spreebudike“ bereits im Jahr 1727. Vor der Wende feierten die de Maizières hier deutsch-deutsche Familienfeste. Heute läuft mittwochs Country und sonntagnachmittags tanzt im Sommer draußen die Generation 60 plus zu Schlagern von Carpendale, Kaiser und Gott.
Im Biergarten treffen wir die Ostberliner Wolfgang, Monika und Uwe, alle schon ältere Semester. Monika arbeitet in einem „Unterwäschegeschäft“. Thematisch dominiert die Fußballweltmeisterschaft. „Wir hätten so kleene jrüne Netze mit Faden in schwarz-rot-jelb und Fussball vorne druff anschaffen können“, sagt Monika – und meint String-Tangas. Aber wenn Deutschland im Achtelfinale ausgeschieden wäre, „wärn wa druff sitzen jeblieben“. Die Fußballshirts von 1998 tragen die drei heute noch im Garten ab.
„Der Partywowi ist gut für die Stadt“
Wowi werde auf jeden Fall wiedergewählt, sagen sie. „Der Partywowi ist eigentlich ein bisschen merkwürdig mit seiner Feierlaune“, findet Wolfgang. „Aber er ist gut für Berlin, alle reden von der Stadt.“ Uwe sorgt sich um die SPD: „Die war ja ma Arbeiterpartei, aber was die jetzt machen...“ Bloß: „Die können ja eigentlich auch nüscht machen, die Kassen sind ja leer.“ Schnell wird’s bundespolitisch. Monika schüttelt den Kopf über die Große Koalition: „Det passt ja nich, und jetzt rutschen se zusammen.“
Westlich des Treptower Parks liegt das Elsenstein, Stammrestaurant des BKA. Heute abend sitzt hier nur ein Gast. „Der Rest guckt Fußball oder arbeitet im WM-Lagezentrum“, erzählt der Wirt. Die Nudeln mit den Filetspitzen sollen spitze sein. Aber uns dürstet nach mehr.
„Klar war mal einer von der SPD hier“
„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“, hat Helmut Schmidt gesagt. Wir entscheiden uns für den Club der Visionäre an der Grenze zwischen Treptow und Kreuzberg. Unmittelbar am Wasser und zum Teil auf Pontons finden wir viele junge Visionäre, Augustiner Bräu und Chillout vom Plattenteller. Alles ist fast wie gegenüber im Freischimmer. Politik ist hier fehl am Platz. Mit den Visionären hätten wir uns maximal über das Layout der Wahlwerbung unterhalten können. Wir wollen zurück ins klassisch sozialdemokratische Milieu, vorbei am Antiterror-Zentum des BKA fahren wir rüber nach Neukölln ins Brückeneck, eine zünftige Berliner Eckkneipe am Kiehlufer.
Frank, der 39-jährige Kneiper, leidet an der Stadt, am Zerfall des Viertels und an seinem Bezirksbürgermeister Buschkowsky: „Buschkowsky hat zwar Recht mit dem, was er über die Zuwanderung sagt.“ Aber ändern würde der auch nichts. „Doch, klar war mal einer von der SPD hier. Der hat’n Weizen draußen vor der Tür getrunken. Dem haben ‘se im Saarland den Lappen abgenommen – stand so in der Bild oder BZ, hat Gottfried erzählt.“ Gottfried sitzt in seiner Ecke und liest. In den Siebzigern lebte er noch in Nordhessen und war bei den Jusos. Seitdem wählt er SPD. „Das fällt mir aber zunehmend schwer, bei dem was ich so lese.“
Rubi, Marinas Hund, ist neu im Kiez. Die Promenadenmischung ist ein Mitbringsel des letzten Spanienurlaubs. Frank sagt, dass Rubi ganz gut nach Neukölln passt: „Der is ooch Migrant.“ Klar haben Marina, Manuela und Marco gewählt: die Reps, die PDS und die Frauengewerkschaft. „Wir haben irgendwas gewählt, was nicht dran kommt – aber unsere Stimmen nicht den Arschlöchern gegeben.“
Wer es sich leisten kann, zieht von Neukölln nach Rudow. Ganz Deutschland redet von der Rütli-Schule, nur die Neuköllner nicht. Vor kurzem war eine sechsköpfige Gruppe aus Rheinland-Pfalz im Brückeneck. „Das erste, was die in Neukölln sehen wollten, war die Rütli-Schule und dann die Stelle wo se den Polizist erschossen haben“, erzählt Gast Gisbert, der sein ganzes Leben in Rixdorf lebt und sich immer fremder fühlt im eigenen Kiez. Marina meint, am wichtigsten seien Handyverbote an den Schulen und Schuluniformen. „Heute biste doch ohne Nike nix.“
Im Lido treffen wir Phillipp Köster, Chefredakteur der alternativen Fußballzeitschrift Elf Freunde. Was denkt er über die Wahlen in Berlin? „Schreibt, was Ihr wollt, macht nur keine Vergleiche mehr zwischen Fußball und Politik. Die Wieczorek-Zeul hat wenigstens zugegeben, dass sie keine Ahnung von Fußball hat, in diesen Zeiten ist das ehrlich und mutig.“
„Der Berliner brauch’ halt manchmal“
Das letzte Bier unserer Tour nehmen wir im Oberbaumeck, der Traditionskneipe an der Ecke Bevernstraße/Oberbaum. Früher war hier der letzte Winkel des freien Westens. In drei Himmelsrichtungen stand die Mauer. Volker ist sich sicher: „Wowi wird das Ding im Herbst gewinnen.“ Volker kennt eine Frau, die den Kandidaten von der CDU kenne – „sonst kennt den keener."
Auf dem Weg nach Hause meint der Taxifahrer: „So schlecht macht der Wowi dett jar nich.“ Wir fahren durch den neuen, leeren Tunnel unter dem Tiergarten. Auch tagsüber fährt hier kaum jemand durch. „Der Berliner brauch halt manchmal, bis er merkt, wat er hat“, sagt der Taxifahrer.
ZENNER – Biergarten & Restaurant – Alt Treptow 14-17
ELSENSTEIN – Stammgaststätte des BKA – Am Treptower Park 75
CLUB DER VISIONÄRE – Bar – Am Flutgraben 1
BRÜCKENECK – Kneipe – Kiehlufer 55
LIDO – Biergarten & Veranstaltungen – Cuvrystraße 7
OBERBAUMECK – Kneipe – Bevernstraße, Ecke Oberbaumstraße