Zweifel und Diagnose im offenen System
Das Zweifeln der Laien hat Gründe und Anlässe, viele sogar. Die zitierten "Aussagen" der Klimawissenschaft sind, gemessen am Maßstab des wissenschaftlich Üblichen, ungewöhnlich - und da die Wissenschaftler dazu neigen, das Übliche für das "Gesetz" der Wissenschaft auszugeben, ist es nach demselben Maßstab auch anstößig". Ich zähle fünf Steine des Anstoßes. Es handelt sich dabei
erstens nicht um Aussagen zu Fakten, sondern zur Zukunft - und zwar zu den nächsten 50 bis 100 Jahren, nicht etwa um den Zeitraum bis zur nächsten Eiszeit in etwa 30.000 Jahren.
zweitens um Aussagen zur Zukunft nicht eines Ensembles von Objekten, sondern zu der eines einzigen Objektes, der einen Erde beziehungsweise ihres Klimas. Also um historisch Einmaliges.
drittens um Aussagen zum "anthropogenen" Klimawandel, also um Aussagen nicht zum Klimawandel insgesamt, sondern nur zu einem Teil, nämlich dem, für den allein der Mensch in die Rolle der Ursache zu setzen ist. Es geht folglich um eine selbstbezügliche ?moralische" Aussage: "Der Räuber seid Ihr selbst!"
viertens um warnende Aussagen, das heißt um Aussagen, auf die das Prüfkriterium "Tritt das Prognostizierte ein?" in offensichtlicher Weise nicht angewendet werden kann.
fünftens um Aussagen mit Aufforderungscharakter. Sie sollen einen Handlungsimpuls auslösen, sind auf Interferenz mit der Gesellschaft hin angelegt und also nicht "objektiv".
Die Laien kann man bei ihrem Zweifel "abholen" - und trägt so zu ihrer Verwirrung bei. Das tut Krönig. Er selbst ist kein hilfsbedürftiger klimawissenschaftlicher Laie, er ist Profi. Er ist Journalist und damit ausgebildeter Rhetoriker. Jürgen Krönig stilisiert die Situation der Einsicht in das klimatische Geschehen so, dass beim Betrachter und Leser der Eindruck des Wirren, des Zweifelhaften entsteht. Mit diesem Stilmittel ist es möglich, an die alte Corpus-juris-Formulierung "Im Zweifel für den Angeklagten" zu appellieren. Aus dieser Konstellation heraus folgert er hinsichtlich einer zu verteilenden Beweislast: "Wer eine Politik fordert, die unseren Gesellschaften Wachtumsverzicht abverlangt, muss es sich gefallen lassen, dass seine Argumente genauestens geprüft werden." Auch bei bestwilliger Interpretation wird man Krönigs Text nicht als einen Beitrag ansehen können, in dem Argumente abwägend geprüft werden. Jürgen Krönig lastet denn auch die Beweisverpflichtung den Klimawissenschaftlern an und formuliert als Ergebnis: "Die Propheten der bedrohlichen Erwärmung sind die Beweise schuldig geblieben."
Auf die Leimrute, die damit ausgelegt ist, würde treten, wer der impliziten Aufforderung folgte und mit dem Versuch begönne, in das von Jürgen Krönig präsentierte Durcheinander Ordnung zu bringen, wer also jedem seiner Ingredienzien, von irrtümlichen Interpretationen gesäubert, seinen rechten Ort zuweisen wollte. Deshalb stellt sich zunächst die Frage, die von Jürgen Krönig nicht mehr gestellt oder geklärt wurde: Welche Verteilung der Beweislast ist wirklich legitim? Und was ist eigentlich das, was man hier sucht: ein Beweis? Dann werde ich den zentralen Grund der Vertrauenswürdigkeit der klimawissenschaftlichen Warnungen analysieren: deren Verwurzelung in der neuzeitlichen Physik. In einem Ausblick zeige ich, in welchen Grenzen die Verlässlichkeit dieser Wissenschaft dadurch aufgehoben wird, dass sie "lediglich" Grundlage einer wissenschaftlichen Diagnose eines offenen Systems ist. Das Ergebnis: Aus dieser Besonderheit ist bei dem heutigen Reifestand, nach 60 Jahren physikalischer Klimatologie, keine praktische Konsequenz zu ziehen.
Nun beweisen Sie mal was!"
Die Suche nach einem Beweis und ihre Tücken: Die Klimawissenschaft weist ihr Kriterium für die Güte des Wissens, dem sie entsprechen will, mit balance of evidence aus. Balance of evidence ist auf balance zu betonen. Balance of evidence bedeutet die Verabschiedung des Mottos "Im Zweifel für den Angeklagten" - zumindest wenn man es in dem Sinne hört: Wenn es nur ein einziges unklares Indiz gebe, dann sei ein vermuteter Täter freizusprechen. An dieses Rechtsempfinden appellieren die Klimaskeptiker. Es wird der Eindruck erweckt, als ob der Mensch mit seinem Konzept der Industriegesellschaft auf der Anklagebank in einem Strafprozess sitze, die Klimawissenschaft hingegen die Rolle eines Staatsanwalts übernommen habe - während sich Jürgen Krönig in der Rolle des Strafverteidigers zurücklehnt, in der Haltung: "Nun beweisen Sie meinem Mandanten mal etwas, Herr Staatsanwalt." Das aber ist ein abwegiges setting der ausgezogenen Analogie.
Vielmehr besagt die strafrechtliche Analogie: Bei den klimawissenschaftlichen Warnungen handelt es sich um Bemühungen, bislang ungeschehene beziehungsweise noch nicht wirksam gewordene Straftaten zu verhindern. Der Mensch tritt auf beiden Seiten der potentiellen Straftat auf: als Täter wie als Opfer. In diese Analogie transformiert lautet Krönigs Position nicht einmal: Solange nicht zweifelfrei bewiesen ist, dass das Opfer Schaden erleiden wird, solle dem Täter zugestanden werden, zu rauben. Seine Position ist vielmehr: Dem potentiellen Täter solle seine intendierte Tat erlaubt sein, solange nicht zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens ist zweifelsfrei erwiesen, welchen Schaden das Opfer erleiden wird; zweitens hat eine Güterabwägung erwiesen, dass der Schaden des Opfers höher sein wird als der Schaden für den Täter, der ihm aus dem Verzicht auf die Tat erwächst.
Mit den logischen Beweisen ist es nichts
Das Ergebnis einer solchen korrekt ausgezogenen Analogie zeigt: Ein einheitliches Beweisverständnis kann es nicht geben. Das gilt schon innerrechtlich. Der naturwissenschaftliche Musterprozess, der Contergan-Prozess, hat andersherum gezeigt, dass das Strafrecht eine andere Vorstellung davon hat, was unter dem "Beweis" einer Tatsache zu verstehen ist, als die Naturwissenschaft. Aber auch die Vorstellung, die Wissenschaften insgesamt - oder allein die Wissenschaften von der Natur und damit auch die Klimawissenschaft - hätten ein einheitliches Beweisverständnis, dem sie sich unterwerfen, hält der Überprüfung an der Realität der Wissenschaften nicht stand.
Seit Karl Raimund Poppers epochalem Buch Logik der Forschung weiß die interessierte Öffentlichkeit, dass es in den Naturwissenschaften keine logischen Beweise einer Theorie gibt. (Poppers Behauptung, dass man naturwissenschaftliche Theorien wenigstens logisch widerlegen könne, wurde ihrerseits von Joseph D. Sneed vor 25 Jahren widerlegt.) Mit den logischen Beweisen ist es also nichts, zumindest in den Naturwissenschaften.
Aber selbst in der Mathematik, der Königsdisziplin des "Beweisens" seit der Antike, ist es damit nicht so klar bestellt, wie Laien (oder auch naive Mathematiker) gerne glauben. Die Grundlagenkrise der Mathematik im 20. Jahrhundert wurde bekanntlich durch die Frage ausgelöst: Was ist überhaupt ein mathematischer Beweis? Im Zusammenhang mit dem Gödelschen Satz entdeckte man, dass es in der Mathematik mehr "wahre" Behauptungen gibt, als man beweisen kann. Darüber hinaus ergab die neuere mathematikgeschichtliche Forschung, dass bedeutende Sätze der Mathematik seit zwei Jahrhunderten regelmäßig neu bewiesen wurden - bewiesen werden mussten! Zugespitzt, aber treffend kann man sagen, das Sätze oberhalb einer gewissen Mindestkomplexität in der Mathematik zwar "ewig" und wahr sind, die zugehörigen Beweise aber sterblich! So überraschend das auf den ersten Blick erscheint - wenn man es einmal begriffen hat, ist es weitgehend trivial: Der erste Schritt in einem mathematischen Beweis ist notwendigerweise festzulegen, welche Teilbehauptungen zunächst zu beweisen sind, bevor sich alles zu einem Gesamtbeweis zusammenfügen lässt. Diese Teilanforderungen - eben das, was im Einzelnen "zu zeigen" ist - ändern sich im Laufe des mathematischen Fortschritts. Die "alten" Beweise sind später nicht einfach falsch, sie sind bloß im Lichte der neueren Forschungen "unvollständig", "heuristisch" - oder wie auch immer das dann genannt wird.
Abschließende Evidenz mit anderen Mitteln
Wenn es also keine logischen Beiweise in der Naturwissenschaft gibt, so heißt das gleichwohl nicht, dass nicht andere Formen abschließender Evidenz existieren. Der Schlüssel hierzu liegt in der so genannten Duhem-Quine-Behauptung. Die besagt: Wer etwas widerlegen oder bestätigen will, muss immer das Ganze der diesbezüglichen Sätze kennen. Das entspricht in etwa dem, was die Klimatologen balance of evidence nennen.
Vielleicht sind Krönigs überaus anrührende Bemühungen, etwas zu suchen, das es nicht geben kann - nämlich einen elementaren Beweis für eine nicht-elementare Behauptung -, das Ergebnis einer Verführung aus dem Geometrie- und Physikunterricht auf dem Gymnasium. Dort beschränkt man sich, schulgerecht, auf elementare Probleme, bei denen dann auch elementare Formen von Beweisen möglich sind. Das damit heraufbeschworene Pennälerfazit lautet: Alles, was wahr ist, ist auch elementar beweisbar! Bei allen Problemen jenseits einer gewissen Minimalkomplexität - und Klimaforschung handelt von einem höchst komplexen Bereich - führt dieser Kinderglaube in die Irre. Wie das Exempel zeigt: Jürgen Krönig findet keinen ihm einleuchtenden Beweis für die drohende Klimaerwärmung. Wie sollte er auch? Er versteht ja gar nichts von der Sache.
Das Vertrauen in die Physik ist unteilbar: Das Entscheidende an der Überzeugungsmacht der Warnungen der Klimawissenschaft liegt darin, dass diese ihre Gründe in der Physik hat. Diese Gründe blendet aus, wer die Fakten bereits für die ganze Wirklichkeit hält. Fakten sind nur das in der Vergangenheit und im Hinblick auf diese Festgestellte - mehr nicht. Die Wirklichkeit dagegen sind die Strukturen, die zeitlos beziehungsweise überzeitlich, immer und überall wirken: in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Wirklichkeit der Natur ist beschrieben durch die Gesetze der Natur, sie sind der Inbegriff dessen, wovon die Physik handelt. Die neuzeitliche Physik folgt nicht der Aristotelischen Tradition der deskriptiv-empirischen quantitativen Naturwissenschaft, sie ist vielmehr platonisch-konstruktiv. Das macht ihren spezifischen Sinn von Erfahrung aus. Das auch ermöglicht ihr erst die Akkumulation von Erfahrung und macht damit ihre größte Stärke aus, ihre Sicherheit: Das erste Grundgesetz dieser Physik, das Trägheitsgesetz, ist eben deshalb nicht faktengetreu, nicht empirisch im Sinne von "phänomengetreu". Empirische (Natur-)Wissenschaft der Neuzeit lernt somit nicht einfach in dem Sinne aus Erfahrung, dass sie Phänomene gleichsam abliest - sie setzt vielmehr ein kontra-empirisches Konzept als Ausgangspunkt von "Erfahrung" - nun im neuzeitlich-sicherheitsakkumulierenden Sinne. In diesen Rahmen baut sie fortschreitend ihre experimentell gewonnenen Ergebnisse ein. Sie sucht sie aktiv, und bringt so mit der Zeit die Rekonstruktion der natürlichen Phänomene immer genauer fertig.
Alltagserfahrung ist nicht genug
Es ist dieses Netz von kumulierter und zugleich geordneter Erfahrung, welches es unmöglich macht, dass Einzelnes aus dem "Erfahrungsschatz des Alltags", mit dem Jürgen Krönig argumentiert, in der Lage sein könnte, den Erfahrungsbezug der Klimawissenschaft, die seit den 1950er Jahren zu einer modernen, physikalischen Wissenschaft "umbasiert" wurde, zu erschüttern. Carl Friedrich von Weizsäcker hat mit Hinblick auf das Trägheitsgesetz die Erfahrung mit dem Erfahrungsbezug moderner Naturwissenschaft einmal so zusammengefasst: "Das Trägheitsgesetz hat seine einzige Rechtfertigung in der Erfahrung. Aber eben diese Erfahrung ist nicht in einem Einzelfall streng nachweisbar. Der empirische Beweis des Gesetzes liegt nur im Vergleich der Theorie der Mechanik als Ganzer mit dem Bereich mechanischer Experimente als Ganzem."
Jeder Beweis ist immer relativ
Die Weizsäckersche Beobachtung ist ein Spezialfall der so genannten Duhem-Quine-Behauptung, einer Beobachtung der linguistischen Logik. Duhem war ein physikalischer Chemiker im Bordeaux des späten 19. Jahrhunderts; Willard van Orman Quine, ein Schüler Rudolf Carnaps, war der vielleicht einflussreichste Logiker am Ende des 20. Jahrhunderts. Die Duhem-Quine-These besagt, dass gerade nicht möglich ist, was Jürgen Krönig sucht: Es ist nicht möglich, einen einzelnen Satz, eine einzelne Behauptung, isoliert zu widerlegen oder zu bestätigen. Jeder Beweis oder auch jede Widerlegung ist immer relativ zu einem ganzen Netz von anderen Sätzen. Wer etwas widerlegen oder bestätigen will, muss immer das Ganze der diesbezüglichen Sätze kennen.
Die Krönigsche Frage: ?Führt die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu einer Erhöhung der Treibhausgaskonzentration und in der Folge zu einer Erwärmung der Erdatmosphäre?" ist deshalb präzise zu beantworten. Sie ist zwar grammatisch im Präsens formuliert, sie zielt aber auf die physikalischen Verhältnisse, auf die "Wirklichkeit" der Strukturen, also auf die Physik. Klimawissenschaftlich übersetzt wird nach dem Effekt "im Gleichgewicht" gefragt, genauer nach einem Vergleich von zwei Zuständen der modellmäßigen Repräsentation des Klimasystems im Gleichgewicht. Das ist eine relativ einfache Frage - komplex wird es erst, wenn man nach einer Erklärung des festgestellten Faktischen fragt, nach der Erhöhung der atmosphärischen Erdmitteltemperatur zu Beginn des 21. Jahrhunderts gegenüber dem Zustand von 1860 um 0,7 Grad Celsius. Die Antwort auf letztere Frage, das heißt die Rekonstruktion durch eine vollständige Faktorzerlegung mit exaktem Bezug zur Zeitachse, ist aber für die Beurteilung der Warnungen der Klimawissenschaften zum Glück unerheblich.
Gegenstand der Klimawissenschaft ist, zunächst einmal, das Klimageschehen im physikalischen Sinne - nach dem "zunächst einmal" hat es allerdings weiter zu gehen. Sverdrup war es, der die Klimatologie im engeren Sinne als Zusammenspiel der geophysikalischen Parameter "Strahlungshaushalt", "Wärmehaushalt" und "Wasserhaushalt" konzipierte. Im Rahmen der so genannten physikalischen Klimamodelle werden die Erhaltungssätze für Impuls, Energie, Masse und Wasserdampf genutzt, um an jedem Gitterpunkt der Erde die Wind-, Temperatur-, Druck-, und Feuchteverteilung zu errechnen.
Kohlendioxid und Treibhausgase
Mit Hilfe ihrer rekonstruierenden Modelle des Faktischen kann die Klimawissenschaft die Ursachen der aktuell festgestellten Erwärmung (plus 0,7 Grad Celsius), die nur etwa die Hälfte des ihren bereits gesetzten Ursachen entsprechenden Wertes im Gleichgewicht (plus 1,5 Grad Celsius) beträgt, gemäß dem Verfahren der Faktorzerlegung eruieren. Dabei ergibt sich, dass überwiegend der vom Menschen zu verantwortende Anstieg von Kohlendioxid (zwei Drittel) und einiger anderer Treibhausgase (ein Drittel) in der Atmosphäre zu Buche schlägt. Der ebenfalls bestehende natürliche Anteil an der Temperaturzunahme durch erhöhte solare Einstrahlung entspricht in etwa einem Abkühlungseffekt durch anthropogen emittierte Aerosole. Für eine Betrachtung des anthropogenen Effekts im Gleichgewicht eines physikalischen Klimamodells sind vor allem zwei Sachverhalte entscheidend: erstens die Tatsache, dass der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung um ein Drittel, von 280 auf 370 ppmv angestiegen ist. Ursache für diesen Anstieg der CO2-Konzentration ist hauptsächlich (Größenordnung zwei Drittel) die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas), daneben (Größenordnung ein Drittel) spielt die Verlagerung rezenter Biomasse in die Atmosphäre (Abholzung der Wälder in allen Klimazonen seit der Zeit des europäischen Imperialismus bis heute und eine immer intensiver werdende Landwirtschaft) eine nicht unerhebliche Rolle.
Den Treibhauseffekt gab es schon immer
Der zweite Sachverhalt: Die Eigenschaft von Kohlendioxid und den anderen Treibhausgasen, die von der Erdoberfläche ausgehende Wärmestrahlung zu absorbieren und dadurch die Luft zu erwärmen. Diese ist seit bald 150 Jahren, seit Tyndalls Experimenten im Jahre 1859, bekannt, im Labor ist sie leicht nachmessbar. Dadurch wird das Strahlungsgleichgewicht der Erde verändert - das ist der so genannte Treibhauseffekt. Jürgen Krönig hat Recht: Dieser Treibhauseffekt ist seit Beginn der Erdgeschichte wirksam, ohne ihn läge die Temperatur an der Erdoberfläche bei etwa minus 18 Grad Celsius und nicht bei heutigen 16 Grad plus - die Erde wäre völlig vereist. Der Mensch hat den Treibhauseffekt nicht etwa erschaffen, er verändert aber seine Stärke - um 2,4 Watt zusätzlicher Strahlung, und das ist erheblich. Krönigs Versuch, dies durch Beiziehung eines unzutreffenden Vergleichsfalls für klein auszugeben, ist leicht durchschaubar, schließlich gehört dieser Trick zum Standardrepertoir eines jeden Lehrbuchs in der Kunst der Rhetorik. Allein der Vergleich der hypothetischen Temperatur ohne Treibhauseffekt mit der Realität, das heißt eine Temperaturdifferenz von mehr als 33 Grad Celsius, macht deutlich, dass selbst kleine Veränderungen der Strahlungsbilanz zu großen Veränderungen des Klimas führen können.
Dies alles ist simple und reine Physik. In gewissem Ausmaß offen, das heißt unentschieden, ist lediglich die Frage, um wie viel und mit welcher Geschwindigkeit sich die untere atmosphärische Schicht der Erde durch diese 2,4 Watt zusätzlicher Strahlung erwärmen wird. Die Antwort auf diese Frage wäre eine simple Rechenaufgabe für Physikstudenten - wenn das Klimasystem, wie von Sverdrup konzipiert, ein abgeschlossenes System wäre. In Wahrheit aber ist das Klimasystem Teil eines umfassenderen Erdsystems, an dem andere Kompartimente wie die Biosphäre, der Ozean etc. beteiligt sind. Das Klima ist demnach doch, nach der Sprechweise der Geosystemanalytiker, nur ein "Reich" unter anderen: Sie stellen sich die Erde als eine Reihe von ?Schalen" vor, zwischen denen es Wechselwirkungen und also Rückkoppelungen gibt. Die Zerlegung der Wirklichkeit der Erde in Teile, in Schalen oder Reiche, ist eine notwendige Bedingung dafür, dass wir Erfahrungen im neuzeitlichen Sinne mit der Erde und auch mit ihrem Klimasystem machen können. Die Rückkopplungen aus den anderen Reichen auf das Klimasystem sind also mit zu bedenken - sowohl positive (also verstärkende) als auch negative (also abschwächende).
Eisfeedback und Wolkenfeedback
Ein Verstärker ist beispielsweise in der Kryosphäre angesiedelt, das so genannte Eisfeedback: Wird es wärmer, gibt es weniger Eis und Schnee auf der Erde, wodurch auch weniger Sonnenstrahlung zurückgespiegelt wird. Dadurch wird die ursprüngliche Erwärmung etwas verstärkt. Abschwächend wirkt das so genannte Wolkenfeedback: Wird es wärmer, können mehr Wolken entstehen, die der Erwärmung teilweise entgegenwirken. Noch komplexer sind die Rückkopplungen mit der marinen und terrestrischen Biosphäre, die einen wichtigen Einfluss auf die CO2-Konzentration in der Atmosphäre haben. Solche Rückkopplungen müssen identifiziert und quantitativ abgeschätzt werden, um die vom Menschen verursachte Netto-Klimaänderung berechnen zu können. Bei der Quantifizierung und Identifizierung von wesentlichen Rückkopplungen tappt man zum Glück nicht im Dunklen. Schon am heutigen Klima nämlich lassen sich die meisten Aspekte solcher Rückkopplungen beobachten und messen, zumindest was das physikalische Klimamodell angeht: Das heutige Klima durchläuft ja bereits starke Temperaturvariationen, etwa die Jahreszeiten. Kalkuliert man alles mit ein, ergibt die erwähnte beste heutige Abschätzung für 2,4 Watt Strahlung eine Erwärmung um 1,5 Grad Celsius - allerdings erst im Gleichgewicht, das heißt nach langer Zeit.
Was erdgeschichtlich beispiellos ist
Ganz anders ist es bei den Rückkopplungen aus den anderen "Reichen". Da ist nüchtern festzustellen, dass die Menschheit dabei ist, sich mit großer Geschwindigkeit in einen erdgeschichtlich präzedenzlosen Zustand hineinzubewegen. Maßstab dieser Präzedenzlosigkeit und ihrer Geschwindigkeit sind zwei Indikatoren: Erstens, schon nicht mehr aufzuhalten ist ein Anstieg auf das Äquivalent eines Temperaturanstiegs in Höhe von plus 2 Grad Celsius, entsprechend etwa 560 ppmv - zuvor hatte der Treibhausgasgehalt über 400.000 Jahre(!) zwischen 200 und 280 geschwankt. Zweitens, über die letzten gut 100 Jahre überführte der Mensch immer größer werdende Mengen an Kohlenstoff von der Erdkruste in die Atmosphäre - gegenwärtig pro Jahr etwa so viel, wie in einer Million Jahre der Erdgeschichte abgelagert wurde. Das heißt, in dieser Hinsicht können die Klimamodelle, die dann schon fast Erdsystemmodelle sein müssen, nicht durch bezug auf Erfahrung "geeicht" sein - aus Mangel an Erfahrung.
Es ist wie in der Mechanik: Die Phänomene müssen - und können - approximativ rekonstruiert werden. Die entscheidende Frage für den Laien, im Hinblick auf die Verlässlichkeit, im Hinblick auf seinen Zweifel, lautet: Könnte es nicht sein, dass der bisherige Stand der Rekonstruktion denn doch Entscheidendes ausblendet? Die bisherige Sicht ist ja definiert durch den speziellen Zuschnitt "des" Klimasystems, den die Klimawissenschaft betrachtet, durch die berücksichtigten (unter allen) Rückkoppelungen. Die Antwort lautet deshalb: Ja. Prinzipiell kann es sein, dass Rückkoppelungen aus anderen Reichen entdeckt werden, die das Verhalten des Klimasystems anders als bisher gesehen erscheinen lassen - sei es, dass sie noch (vorab) entdeckt werden, sei es, dass sie auftreten, ohne vorab erkannt worden zu sein. Sie können ein viel "gnädigeres", verzeihendes Verhalten des den Menschen tragenden Systems zeigen. Sie können aber auch ein viel "ungnädigeres", Verhalten zeigen - beides ist möglich, ohne dass daraus geschlossen werden darf, beide Varianten seien gleich wahrscheinlich oder gar in gleicher Weise vertrauenswürdig.
Manches erscheint irreal - bis es passiert
Das Ozonloch, dessen Entstehungsbedingungen der Wissenschaft bis zu seiner Entdeckung unbekannt waren, ist ein gutes Beispiel für letztere Variante. In seinem Film The Day after Tomorrow hat Roland Emmerich dieses Phänomen präzise aufgenommen: In einem offenen System haben wir mit dem Auftreten von bislang für unmöglich Gehaltenem zu rechnen, wissend um die Paradoxie, dass es uns solange, wie es nicht eingetreten ist, als irreal erscheinen muss. Anders formuliert: Wissenschaftlich ist allein, das wissenschaftlich nicht Vorgestellte für möglich zu halten. Die meisten Kritiker haben diese Stelle des Films missverstanden und die Irrealität als Grund zur Entwarnung missbraucht. Nur: Aus den erläuterten Möglichkeiten folgt natürlich nicht die Botschaft, die Jürgen Krönig nahe legt: dass auf das - prinzipiell nicht auszuschließende - positive Wunder zu setzen und deshalb der Mensch aus dem Kreis der vom Menschen beeinflussbaren Ursachen auszublenden sei. Wollen wir uns unserer Zukunft sicher sein, müssen wir auf die Handlungsoption setzen, die wir sicher beeinflussen können: uns selbst.
Ohne Grund gibt es keine Hoffnung
Ist aber ein "Wunder" irgendwie realistisch zu erwarten? Die Frage kann nur beantworten, wer einen Schritt zurücktritt und unsere Erfahrung aus historischer Perspektive anschaut. Der Mensch hat mit dem Konzept der industriellen Wirtschaftweise den Kohlenstoffkreislauf kurzgeschlossen. Damit hat er sein Habitat mit großer Geschwindigkeit in einen erdgeschichtlich präzedenzlosen Zustand gleichsam katapultiert. In Treibhausgaskonzentrationen gemessen ist ein Faktor Zwei faktisch nicht mehr vermeidbar. Zu begrenzen ist nur noch das Ausmaß, in dem dieser erdgeschichtlich bereits völlig beispiellose Zustand noch überschritten werden wird - das aber setzte einen alsbaldigen Erfolg der Klima(mitigations)politik voraus, also eine Entscheidung, die Jürgen Krönig auf die lange Bank geschoben sehen möchte.
Wer erwartet beziehungsweise davon ausgehen möchte, dass dieses Verhalten des Menschen gegenüber seinem Habitat folgenlos bleiben könne, muss dafür einen Grund haben: "Einfach so" zu vertrauen, ohne Grund, ist eine naive ?Hoffnung" - und damit eben keine Hoffnung, denn ohne Grund gibt es keine Hoffnung, so ist sie definiert. Beides, auf Sicheres zu setzen und einer Hoffnung zu trauen, sind elementare Bedingungen jeden Lebens - Naivität, grundlose Hoffnung, dagegen ist kindlich, für Erwachsene mindestens fahrlässig. Bewusste Naivität ist nicht mehr nur fahrlässig.
Die Geschichte der Entdeckung des Klimaproblems durch die Wissenschaft während der letzten 230 Jahre kann als eine Geschichte rekonstruiert werden, in der ursprünglich auf fünf Gründe dafür gesetzt wurde, dass es doch "nicht so schlimm kommen" werde, wie nach dem physikalischen Klimamodell vermutet. Dessen Ergebnisse reproduzierten ja nur, auf was auch schon Arrhenius im Jahre 1896 gekommen war: Diese Gründe wurden einer nach dem anderen durch Forschung zertrümmert. Es ist die Geschichte der Zertrümmerung von Hoffnung. Seit 1980, dem ersten Weltklimakongress, ist das der Klimawissenschaft klar. Seitdem sagt sie: Hoffnung auf das Auftauchen eines anderen Bildes von der Klimaentwicklung ist ohne Grund - Hoffnung ist vielmehr auf ein anderes Verhalten der Ursache "Mensch" zu setzen. Die Klimawissenschaft prüft natürlich weiterhin die von ihr aufgezeigten Balken potentieller Hoffnung auf ein anderes Bild. Bislang aber war noch kein Balken dabei, aus dem sie ein Floß hätte bauen können. Die von Jürgen Krönig vorgebrachten Balken sind sämtlich durchgeprüft und für nicht tragfähig befunden worden. Von diesem Stand der Forschungsgeschichte kann man wissen - wenn man will.
Die Naturgesetze fordern Anerkenntnis
Wer bei Sinnen bleiben will, also auf die Integrität seiner Person Wert legt, sollte es vermeiden, zwar beim Einsteigen in ein technisches Verkehrsmittel auf die Verlässlichkeit der Physik zu setzen, aber sein Vertrauen über Bord zu werfen, wenn ein klimatisches Einzelphänomen ihr zu widersprechen scheint. Es ist ein Missverständnis beziehungsweise Ausdruck eines tiefen Unverständnisses der Gründe der Verlässlichkeit moderner Naturwissenschaft, sich so zwiespältig zu verhalten - die Naturgesetze fordern Anerkenntnis, ungeachtet der persönlichen Neurosen, in die ein solch autoritäres Verlangen der Natur einen Menschen zu stürzen vermag.