"The Zeitgeist has changed"
Es ist ein lustig Ding mit den Tabus – man schwört Stein und Bein, wir hätten keine mehr, und wundert sich dann umso mehr, wenn es doch mal wieder jemandem gelingt, eins zu brechen. Die Pressefreiheit der westlichen Welt geriet ins Wanken, weil in Dänemark ein paar Zeichner den Religionsstifter des Islam bildlich dargestellt hatten. Wer Tabubrüche generell positiv bewertet, wird sich über die Satirezeitschrift Titanic gefreut haben, die daraufhin das auf den Kopf gestellte Portrait eines bärtigen Herrn mit der Überschrift „Karikaturenstreit bizarr: Baselitz malt Mohammed“ versah. Ob man die Folgen dieser Provokation für heilsam oder bedenklich hält, ändert nichts daran, dass sich tabuisierte Themen nicht ewig unter den Teppich kehren lassen.
Die meisten Tabus, mit denen wir es zu tun haben, beziehen ihren Sprengstoff nicht aus der Religion. Einer der blinden Flecke, die sich in der öffentlichen Wahrnehmung hartnäckig halten, ist beispielsweise der private Militärsektor. Gemeint sind nicht-staatliche Sicherheits- und Militärunternehmen, die sich mit Dienstleistungen von technischer und logistischer Unterstützung über Schutzaufgaben bis hin zur klassischen Privatarmee am Markt etabliert haben. Sie repräsentieren einen Wirtschaftszweig, der seit Jahren boomt, aber nur selten von sich reden macht. „Moderne Söldner“ nennt Gerhard Kümmel vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SOWI) diese privaten Militärunternehmen. Gemeinsam mit dem Kölner Politologen Thomas Jäger hat er die Aufsatzsammlung Private Military and Security Companies – Chances, Problems, Pitfalls and Prospects veröffentlicht. Darin gewähren die Autoren facettenreiche Einblicke hinter die Kulissen.
Die wachsende Bedeutung privater militärischer Akteure in den Konfliktgebieten der Welt ist gelegentlich Gegenstand parlamentarischer Anfragen, sie landet aber nur selten im Blickfeld der Medien. Eine ausführliche öffentliche Debatte fehlt, ganz so, als redete niemand gern darüber, dass ohne private Sicherheits- und Militärunternehmen nichts mehr geht. Aufgrund vermehrter internationaler Einsätze ist auch der private Militärsektor stark gewachsen. Innerhalb weniger Jahre, zwischen dem zweiten Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre und den Nato-Einsätzen auf dem Balkan, hat sich das Verhältnis von privatem Militärpersonal zu regulären Soldaten verfünffacht. Der weltweite Umsatz der Branche wird heute auf 200 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Die staatlichen Streitkräfte sind überfordert
Mit Fallstudien aus Einsatzgebieten in Afrika, dem Nahen Osten und Asien sowie mit Analysen der Privatisierungstrends in den europäischen Streitkräften und in der US-Armee untersuchen die Autoren die Ursachen für diese rasante Entwicklung. Dabei kommen sie auch zu unangenehmen Erkenntnissen: Die Vielzahl neuer Aufträge zur Friedenssicherung und Konfliktvermeidung sind von den eigenen Streitkräften der Staatengemeinschaft kaum zu bewältigen. Nicht nur die Komplementärfunktionen zu rein militärischen Aufgaben führen zu einer wachsenden Abhängigkeit staatlicher Gewalt vom privaten Umfeld. Auch Geheimdienstaktivitäten und andere Missionen, die früher ausschließlich der Staat durchführte, werden heutzutage bei privaten Anbietern eingekauft, weil sie aus eigener Kraft nicht mehr zu leisten sind.
Wie ist diese Hilfsbedürftigkeit zu erklären? Seit der Blockantagonismus zwischen Ost und West nicht mehr existiert, haben alle Staaten, die heute die Last internationaler Konfliktprävention und -behebung tragen müssen, eine ordentliche Friedensdividende kassiert: Soldatenzahlen wurden reduziert, Material verschrottet, Verteidigungsetats eingedampft. Zwei Folgen liegen für die Autoren auf der Hand: Die offiziellen Militärs können immer weniger Aufgaben selbst erledigen; gleichzeitig gibt es immer mehr ehemalige Soldaten, die bei privaten Anbietern unterkommen und dort kompetent militärische Ersatzleistungen anbieten. Aktuelle Schätzungen gehen weltweit von über einer Million Mitarbeitern privater Militär- und Sicherheitsfirmen im engeren Sinne aus. Noch mag man das einen Nischenmarkt nennen, trotzdem sollte ihm größere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
NGOs kooperieren mit dubiosen Anbietern
Die Stärken des Buches liegen darin, dass die Autoren die Widersprüche aufdecken, die den schwierigen Umgang mit der privatisierten Gewalt charakterisieren. Beispiel Nichtregierungsorganisationen (NGOs): Offizielle staatliche Streitkräfte sind durchaus nicht die einzigen Abnehmer militärischer Dienstleistungen. Auch NGOs brauchen (ebenso wie transnationale Unternehmen) eine Absicherung ihrer Präsenz in Konfliktregionen. Anders als den staatlichen Akteuren ist es den NGOs allerdings ausgesprochen peinlich, dass sie ohne Einsatz von Gewalt oft nicht einmal ihre Hilfsgüter verteilen können. Internationale Hilfsorganisationen gehören zu den wichtigsten Abnehmern militärischer Hilfe, haben aber die größten Probleme, sich mit dieser Tatsache offen auseinanderzusetzen. Weil man sich bei der eigenen Spenderklientel nicht unbeliebt machen will, wird das Thema Sicherheit so weit wie möglich ausgespart. Viele NGOs versäumen es, Standards zu definieren, an denen lokale Hilfstruppen gemessen werden könnten, bevor man ihre Dienste in Anspruch nimmt. Wenn sie dann Schutz für Hilfskonvois oder das Basislager im Krisengebiet brauchen, kooperieren sie nicht selten mit dubiosen Anbietern, mit denen sie zu Hause sicher nichts zu tun haben wollten.
Die Autoren fordern besonders die humanitären Organisationen dazu auf, sich endlich der Diskussion um „Codes of Conduct“ und klare Vorgaben an die Helfer im Einsatz zu stellen. Feste Regeln für die Inanspruchnahme von militärischen Dienstleistungen und Sicherheitsdiensten wirken schließlich auch der Tendenz entgegen, dass die Bevölkerung häufig misstrauisch gegenüber ausländischen Helfern reagiert. Denn wer sich – notgedrungen – mit einem Kordon aus finsteren Söldnertypen umgibt, darf sich über Skepsis gegenüber den redlichen Bemühungen um peace building nicht wundern.
Die beschriebene Entwicklung lässt sich nicht mehr rückgängig machen, alle Autoren des 500-Seiten-Bandes gehen von einer langfristigen Zunahme privater Militärdienstleistungen aus. „The Zeitgeist has changed“, folgern die Herausgeber: Die neue Form des Outsourcing militärischer Leistungen gilt als grundsätzlich akzeptabel. Einige externe Leistungen sind sogar alternativlos. Wenn etwa strategische Transportleistungen nicht von privaten Anbietern durchgeführt werden dürften, dann hätte der Bundeswehr die Verlegung eigener Transporthubschrauber in den Kongo im vergangenen Jahr erhebliches Kopfzerbrechen beschert. Nur die privat betriebenen Maschinen vom Typ Antonov 126 sind groß genug, um den Heeres-Helikopter NH 90 quer durch die Welt zu verfrachten, ohne ihn vorher komplett auseinandernehmen zu müssen.
Positive Beispiele bei der Bundeswehr
Auch auf künftige Perspektiven der militärischen Privatisierung gehen die Autoren ein. Nach zum Teil erheblichen Anlaufschwierigkeiten gibt es bei der Bundeswehr positive Beispiele. Die in der Amtszeit von Verteidigungsminister Rudolf Scharping begonnene Auslagerung von Logistik-, Instandhaltungs- und Bekleidungsfunktionen an private Träger läuft gut. Die Bundeswehr spart nachweislich Kosten und hat mittlerweile einige Routine entwickelt.
Es leuchtet ein, dass im ambivalenten Gesamtbild des privaten Militärsektors nur auf der wirtschaftlichen Seite mit positiven Aspekten zu rechnen ist: Sparpotenziale, eine bessere Nutzung knapper Ressourcen, technische Expertise und flexiblere Strukturen machen die nicht-staatlichen Alternativanbieter militärischer Unterstützungsleistungen attraktiv. Wie es um die Akzeptanz für die externen Anbieter innerhalb der Streitkräfte bestellt ist, steht auf einem anderen Blatt.
Deshalb sollten nicht alle Privatisierungsvorhaben verwirklicht werden. Kürzlich ist das Pilotprojekt gescheitert, die Mannschaftsverpflegung an ein privates Catering abzutreten. Der Fehlschlag wird im Buch noch gar nicht erwähnt, aber die Erklärung dafür nimmt es praktisch vorweg: Untersuchungen des SOWI zufolge sind die Streitkräfte gegenüber einer stärker betriebswirtschaftlichen Orientierung grundsätzlich aufgeschlossen. Aber sie bemängeln fehlende Informationen, zu viel Bürokratie an der Schnittstelle zwischen staatlicher und privater Sphäre und nicht zuletzt die Schwierigkeiten der eigenen Vorgesetzten, aus der verbesserten ökonomischen Transparenz die positiven Effekte zu ziehen, die das Führen erleichtern sollen.
Wo sie ökonomische Fragen berühren, verrennen sich die in dem Band versammelten Autoren gelegentlich. So wirkt der Vorschlag ein wenig angestrengt, den Mangel an staatlicher Kontrolle und Regulierung durch die „fünf Kräfte“ des Management-Papstes Michael E. Porter erträglicher zu machen. Einig sind sich die Autoren darin, dass mit steigenden privaten Anteilen am Militärgeschäft in Zukunft dringend straffe Regeln für den internationalen Einsatz privater Dienstleister einhergehen müssen. Obwohl sich die Politik stark für die völkerrechtliche Bewertung privater Militäraktivität interessiert, fehlen bis heute effiziente Aufsichts- und Kontrollinstrumente, um die Einhaltung der vorhandenen Rechtskategorien durchzusetzen.
Investieren in privatisierte Sicherheit?
Bleibt die Frage, ob sich der private Militärsektor als Objekt der Geldanlage eignet. Investoren bei der „ABN Amro“ haben beispielsweise die Möglichkeit, gezielt auf die Kursentwicklung und die Rendite von Rüstungs- und Militärfirmen zu setzen. Allerdings gilt dieses Geschäftsfeld zumindest unter Kleinanlegern noch als anrüchig, und politisch korrekte Investmentfonds wie „Green Century“ stellen lieber Aktienpakete ethisch einwandfreier Unternehmen zusammen, die frei von Kernkraft, Umweltverschmutzung oder Tierversuchen sind. Die meisten dieser Fonds vermeiden auch Wertpapiere aus dem Rüstungs- und Militärsektor.
Aber warum eigentlich? Sollte jemand, der seinem sozialen Gewissen gemäß investieren möchte, nicht auch Anteile von Militärfirmen erwerben können, die im Auftrag humanitärer Hilfsorganisationen professionell Landminen oder Blindgänger entschärfen und beseitigen? Vielleicht geht diese Überlegung ein bisschen zu weit, aber so ist das mit Tabubrüchen: Wer frisch und ohne Vorbehalte das Für und Wider privater Militärdienstleistungen diskutiert, wird sich irgendwann auch mit solchen Fragen auseinandersetzen müssen.
Thomas Jäger und Gerhard Kümmel (Hrsg.), Private Military and Security Companies: Chances, Problems, Pitfalls and Prospects, Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 502 Seiten, 59,90 Euro