A black man with funny ears
"Change we can believe in“ steht in großen weißen Buchstaben vor rot-blauem Grund auf den Postern. Sie werden flankiert von einem Riesenbanner „Obama 08“, das dem halbdunklen Raum erhabene Festlichkeit verleiht. Und auf einer riesigen Leinwand flimmern die schönsten Momente des Parteitages der amerikanischen Demokraten. Gebannt starren die Obama-Anhänger auf die Übertragung, üppig ausgestattet mit Buttons und T-Shirts. Fast könnte man meinen, wir wären in Denver, nicht weit entfernt vom Footballstadion der „Broncos“, in dem Barack Obama zum Präsidentschaftskandidaten gekrönt wird. Aber wir befinden uns tausende Kilometer entfernt, im Wahlkreis, Berlin Mitte.
An der Bar lehnt Donald, ein gut genährter Anhänger der Democrats Abroad mit roter Baseballmütze und hellblauem Hemd. Er verkörpert den „typischen“ Amerikaner. Immer wieder fängt das anwesende Kamerateam Bilder von ihm ein. Viele der Gäste sind Amerikaner, aber nicht alle. In regelmäßigen Abständen läuft Wolfgang durch den Laden, ein mit Schnäuzer und der typischen Wahlausrüstung geschmückter Mann mittleren Alters. Lautstark bietet er Obama-Anstecker zum Selbstkostenpreis an. Ein verirrter „Gesine for President“–Button ist auch zu haben.
Es ist unübersehbar: Die Exil-Amerikaner wollen das Ereignis kräftig feiern. Einer der Stehtische im gut gefüllten Lokal ist mit so vielen Luftballons geschmückt, dass die Gesprächspartner einander kaum erkennen können. Es wird politisiert. Martin, ein deutscher Gast beim Feierabendbier, wundert sich, wer die Kosten für die Wahl-Dekoration trägt: „Wenn die Demokraten so viel Geld allein für Berlin ausgeben, was muss das erst insgesamt kosten? Das is schon Wahnsinn.“ Doch Michael von den Democrats Abroad beruhigt. Im Wahlkreis sei alles selbst finanziert. Sogar die Luftballons mit amerikanischer Flagge stammen aus Berlin. Ursprünglich wollte er 500 Stück kaufen. Doch der verdutzte Verkäufer erwiderte, in den letzten Jahren sei das Geschäft mit amerikanischen Ballons eher schlecht gelaufen. Schließlich fanden sich 80 Stück.
Jubel bricht aus. Auf der Leinwand erscheinen die aufgezeichneten Vorwahlergebnisse aus den Bundesstaaten. Nancy, eine in Berlin lebende Amerikanerin, hat die wichtigsten Momente der vergangenen Tage aus dem amerikanischen Fernsehen auf DVD gebrannt: „Es ist Zeit, dass das andere Team mal eine Chance bekommt.“ Immer wieder zeigt Nancy auf den Bildschirm, wenn sie Bekannte aus der Demokratischen Partei entdeckt. Über 11 Stimmen verfügen beim Parteiag in Denver die Democrats Abroad. Und sie jubeln, als „ihre“ Stimmen verlesen werden.
Endlich wieder Freude und Hoffnung
Von einem Präsidenten Obama erwartet Nancy vor allem, dass nach Jahren der Enttäuschungen endlich Freude und Hoffnung in die Politik zurückkehren. Ähnlich sieht es Donald mit der roten Kappe: „He is a black man with funny ears“, so seine erste schmunzelnde Reaktion auf unsere Frage nach dem Kandidaten. Aber dann wird er schnell ernst und betont das organisatorische Talent des Senators aus Illinois, das ihn von den anderen Bewerbern abhebe. Im Gegensatz zu Hillary Clinton und John McCain sei er nicht „part of the machinery“ und daher der einzige, der in der amerikanischen Politik – und damit in der Welt – wirklich etwas verändern könne. Parteifreund Michael glaubt, Obama könne das Land einen. „Die Politik wird nicht in Washington gemacht, sondern nach Washington gebracht“, hält er für einen der entscheidenden Sätze Obamas. Für das Verhältnis zu Europa bedeute dies vor allem eine Rückkehr zur Diplomatie und neue Partnerschaft, was uns allerdings durchaus einiges abverlangen werde.
Berauscht von der euphorischen Stimmung im Wahlkreis sind wir schockiert, als wir einem ausgewanderten Kalifornier begegnen. „Ich bin registrierter Demokrat, aber diesmal wähle ich zum ersten mal die Republikaner“, sagt er. Ist das etwa ein McCain-Agent bei der Democrats-Convention? Mitnichten. Er sei überzeugter Demokrat, erläutert der Mann, aber Obama mache ihm Angst, weil er keine außenpolitische Erfahrung besitze. „Obama fehlt der Mut, zur Not auch Bomben auf den Iran zu werfen.“ Auch habe er in seiner politischen Karriere bisher nie große Verantwortung tragen müssen. Sein Fazit :„Hillary wäre die bessere Alternative gewesen.“ Das sehen auch Lea und Kirsten so. Beide haben Hillary Clinton unterstützt. Beide glauben, sie hätte die größeren Chancen in der Bevölkerung. Trotzdem drücken sie jetzt Obama die Daumen, „damit das Ansehen Amerikas in der Welt wieder steigt“.
Hubertus Heil berichtet live aus Denver
Wir sind erstaunt, dass es Leute gibt, die gar nicht wegen Obama hier sind. Ein paar Gäste schauen aber doch immer wieder interessiert auf die Bildschirme. Langsam wird es spät und unsere Augen sind schon ziemlich müde. Plötzlich reicht uns Georg sein Mobiltelefon. Wir bekommen eine Direktschaltung nach Denver. Am anderen Ende der Leitung berichtet Hubertus Heil „live“ von seinen Eindrücken. Er ist fasziniert von der amerikanischen Politshow. Statt inhaltliche Debatten zu führen, machen die Demokraten aus ihrem Parteitag einfach eine Riesensause mit Stevie Wonder und Sheryl Crow. „In Deutschland wäre so etwas nicht vorstellbar“, sagt Heil, „die politische Kultur bei uns ist anders“.
Es wird spät, die Reihen lichten sich. Nur noch ganz hartgesottene Fans sind auf den Beinen und folgen der Live-Übertragung. Doch Obama rüttelt seine Anhänger in Übersee wieder wach: „We all put our country first.“ Applaus brandet auf, als der Präsidentschaftskandidat sein Feuerwerk abbrennt: Wirtschaftspolitik, Steuererleichterungen für die Mittelklasse, Bildung, Klimaschutz und Energiewende. Übermüdet, aber komplett zufrieden bewerten einige Democrats Abroad ZDF und CNN. Obama hat ihnen neue Kraft gegeben. Dürfen auch wir uns jetzt „Obamamaniacs“ nennen? Ein letzter Whiskey-Sour und die Antwort steht fest: „Yes, we can.“
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