Alles anders mit Obama?
Mit der Wahl von Barack Obama zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist das Projekt gescheitert, in den acht Jahren der Präsidentschaft von George W. Bush eine dauerhafte und stabile republikanische Wählerallianz um den Kern christlicher Gruppen zu schmieden. Seit den neunziger Jahren verfolgten Wahlstrategen um Karl Rove dieses Ziel; die Zwischenwahlen von 2002 und Bushs Wiederwahl 2004 waren ihre größten Erfolge.
Im Wahlkampf 2008 verband das Obama-Team große Teile der politischen Technik von Karl Rove mit den Ideen Howard Deans – und brach dabei alle bisherigen Maßstäbe. Auf dem Wahlmarkt der USA ist Barack Obama der größte Unternehmer. Er hat den umsatzstärksten, charismatischsten, bewegungspolitischsten, kommunikativsten, postmodernsten und gleichzeitig traditionellsten Wahlkampf geführt. Er verband modernste Technologie mit einem traditionellen Angebot: eine Person als charismatischen Führer zu wählen. Als solcher muss er sich nun neu erfinden.
Nach der gewonnen Wahl steht Obama vor der Aufgabe, seine politischen Projekte so anzulegen, dass er dabei eine feste Wählerallianz für 2012 zusammenführen kann. Sein Wahlkampfstratege David Axelrod hat damit schon begonnen, und in weniger als zwei Jahren wird diese Strategie ihren ersten Test bestehen müssen. Axelrod wird – das war während des Wahlkampfes nicht sicher – mit in das Weiße Haus einziehen und eine herausgehobene Stellung bei der Definition der Präsidentschaft Obamas einnehmen.
Wird Obama in die Mitte rücken?
Die Konturen der zukünftigen Innen- und Außenpolitik sowie der Wählerallianz sind noch unklar. Sie hängen eng und kompliziert miteinander zusammen. Je erfolgreicher Barack Obama und seine Mitarbeiter bei der Bewältigung der innenpolitischen Aufgaben sein werden, desto größer dürfte ihr Handlungsspielraum nach außen sein. Je handlungsmächtiger er sich als Reformer – Spötter sagen: Retter – des Kapitalismus darstellen kann, desto behutsamer wird er außenpolitisch vorgehen können. Je komplizierter die politische Entscheidungsfindung im parlamentarischen und bürokratischen Getriebe wird, desto rascher wird der neue Präsident außenpolitische Erfolge benötigen.
Innenpolitische Herausforderungen und außenpolitische Handlungsfähigkeit hängen eng zusammen, am sichtbarsten in der Finanz- und Wirtschaftspolitik, aber ebenso deutlich in energie- und klimapolitischen Fragen. Seine Wählerbasis wird Obama angesichts der Wirtschaftskrise durch Konjunktur-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik überzeugen müssen. Vor allem aber werden es zwei Grundfragen des politischen und gesellschaftlichen Systems sein, die eine strategische Entscheidung erfordern. Die erste Aufgabe resultiert daraus, dass die Einkommen zunehmend ungleich verteilt werden. Um mehr sozialen Ausgleich durchzusetzen, wird der Präsident Kompromisse mit den Abgeordneten der inzwischen disparateren Demokraten eingehen müssen. Deren Wahlerfolg ist mit dem Preis verbunden, dass die Partei konservativer geworden ist.
Die hier absehbaren Verhandlungen führen zur zweiten grundlegenden Frage: Welches Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative wird sich in den nächsten Jahren herausbilden? Bush und Cheney haben dem Parlament die Einmischung in die Exekutive verwehren wollen und teilweise erfolgreich verbaut. Wird Obama diese quasi-monarchistische Verfassungsinterpretation beibehalten? Das würde Konflikte mit dem Kongress geradezu provozieren. Zumindest ist jetzt schon erkennbar, dass seine Kampagne die politische Bewegung, die seinen Wahlsieg ermöglicht hat, über den Wahltag hinaus weiter organisiert. Die Geld- und Kommunikationsmaschine läuft auf Hochtouren. Diese direkte Kommunikation mit der Bevölkerung könnte Obama von der Partei unabhängiger machen. Sein Rollenmodell wäre dann nicht Bill Clinton, sondern Dwight D. Eisenhower. Das aber bedeutet, dass er während seiner ersten Präsidentschaft in die Mitte der Gesellschaft rücken und in beiden Parteien Unterstützung suchen müsste.
Nicht bloß stark, sondern auch gut
Auch wenn die Außenpolitik die Wahl nicht entschieden hat, war sie ein wichtiges Wahlkampfthema. Allerdings gab es hier eigentlich keine substantiellen Unterschiede zwischen den Demokratischen Kandidaten. Alle strebten an, die internationale Dominanz der USA durch eine bessere Ausrüstung und Ausstattung von Streitkräften und Diensten zu bewahren. Parallel sollte die zivile Seite des internationalen Krisenmanagements institutionell neu aufgebaut werden. Entscheidungen sollten verstärkt im multilateralen Rahmen getroffen und in die Tat umgesetzt werden. Auf diese Weise sollte das schlechte Image der Vereingten Staaten weltweit wieder positiv gestaltet werden: die USA nicht nur als starke, sondern auch als gute Macht. Hegemonie, die Akzeptanz der amerikanischen Führung durch die verbündeten Staaten, sollte auf diese Weise hergestellt werden.
Was Obamas Regierung alles leisten soll
Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die zukünftige Außenpolitik. Die Regierung Obama soll neben der Neuordnung der Weltwirtschaft die amerikanischen Truppen aus dem Irak abziehen, den Krieg in Afghanistan gewinnen, Iran vom Besitz nuklearer Waffen abhalten, Pakistan stabilisieren, die Beziehungen zu China und Russland kooperativ ausbauen, die Abhängigkeit von Energieimporten reduzieren und den Klimawandel aufhalten. Obama selbst hat diese Erwartungen geweckt, er darf sich also nicht beschweren. Aber er wird nur in ganz wenigen Fragen, wenn überhaupt, Erfolge liefern können. Das liegt erstens daran, dass manche Probleme unter den Gegebenheiten der internationalen Ordnung nicht zu lösen sind. Und zweitens wird auch seine Administration von internationalen Krisen getrieben werden und mit innerbürokratischen Konflikten darauf reagieren.
Dabei sind die Voraussetzungen nicht schlecht, mit den Großmächten China und Russland zu kooperativen Beziehungen zu gelangen. Mit China sind die USA in einer für beide Seiten sehr kostspieligen wirtschaftlichen Interdependenz verbunden, die mittelfristig politische Konflikte dämpfen wird. Russland hingegen wird mehr Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten erfordern, die seit Clintons Präsidentschaft keine russlandpolitische Strategie mehr besitzt. Die Entwicklungen der Nato und des Mittleren Ostens erfordern dies aber. Über die transatlantischen Beziehungen könnte die russlandpolitische Konzeption befördert werden.
Die transatlantischen Beziehungen selbst wurden im Wahlkampf immer wieder angeführt, wenn es um die Neubelebung multilateraler Abstimmung ging. Ob dies so sein wird, lässt sich an der Nato-Politik ebenso ablesen wie an der Integration der EU-Staaten in die Konfliktlösung im Mittleren Osten. Lateinamerika wird auch unter Präsident Obama nur marginale Aufmerksamkeit erfahren. Möglich ist, dass sich Obama in einer außenpolitischen Analogie an die Grundidee von Richard Nixon anschließen und über Mittelmächte mit großem regionalem Einfluss die internationalen Beziehungen zu steuern versuchen wird. Auch Anfang der siebziger Jahre standen die USA vor einer gescheiterten internationalen Wirtschaftsordnung. Ziel dieser Strategie wäre es, die Vereinigten Staaten zu entlasten, ohne ihren Einfluss zu schmälern.
Lackmustest im Krisenbogen
Der Lackmustest einer solchen Strategie wird im Mittleren Osten, im Krisenbogen von Irak bis Pakistan stattfinden. Die amerikanischen Truppen werden sicherlich nicht in dem Maß aus dem Irak abziehen, wie es im Wahlkampf suggeriert wurde. Hillary Clinton wird Barack Obama hierfür nicht kritisieren können. Die in Afghanistan eingesetzten Streitkräfte werden in diesem Jahr kräftig aufgestockt. Gleichzeitig wird die im Irak angeblich erfolgreiche Tribalisierungsstrategie auch in Afghanistan implementiert. Einige Beobachter prognostizieren, dies werde dem Afghanistankonflikt eine weitere Gewaltdimension hinzufügen. Hieraus könnte die weitere Destabilisierung Pakistans resultieren. Diese kann aber auch aus anderen Gründen voranschreiten und wird große Aufmerksamkeit der amerikanischen Regierung in Anspruch nehmen. An einer Gegenstrategie mangelt es jedoch. Obama wird, nicht zuletzt mit Blick auf 2012, eine sehr enge Abstimmung mit General David Petraeus suchen. Dessen Position ist schon jetzt erheblich gestärkt, weil er – für den Fall, dass Obama im Mittleren Osten scheitert – als möglicher Kandidat der Republikaner gilt.
Neben Pakistan ist der Iran das zweite Schlüsselland der Region. Seriöse Prognosen lauten, dass das Land in der ersten Amtszeit Obamas nuklearfähig werden könnte. Das wäre für den Wahlkampf 2012 eine schwere Hypothek. Die zur Verfügung stehenden Optionen, Iran von diesem Kurs abzubringen, sind alle wenig Erfolg versprechend. Ökonomische Sanktionen und diplomatischer Druck reichen angesichts der Ressourcen des Landes und der energiepolitischen Interessen Chinas nicht aus, um einen Politikwechsel herbeizuführen. Militärische Optionen, die seitens der USA und Israels nicht ausgeschlossen werden, sind nicht nur in der direkten Auseinandersetzung riskant. Iran ist in der Lage, Gewaltakte transnational zu streuen und würde dies sicherlich nicht unterlassen. Terroranschläge in den USA, die nach dem 11. September verhindert zu haben sich Präsident Bush rühmt, würden die innenpolitische Agenda schlagartig ändern. Die Change-Agenda würde von einer Sicherheits-Agenda abgelöst. Verbunden mit einer stärker auf die Wählerschaft der Latinos abzielenden Reorganisation der republikanischen Partei, könnten sich die politische Landschaft der USA und damit die innenpolitischen Anforderungen an außen- und sicherheitspolitische Maßnahmen rasch wieder grundlegend ändern.
Obama muss gut kommunizierbar bleiben
Die internationale Politik und die Optionen amerikanischer Außenpolitik bergen für den neuen Präsidenten derzeit mehr Risiken als Chancen, sich als internationaler Konfliktlöser darzustellen. Deshalb wäre eine behutsame, die jeweiligen Konflikte aus ihren eigenen Bedingungen heraus bearbeitende Vorgehensweise klug und richtig. Sie würde die Handlungsoptionen der amerikanischen Außenpolitik ebenso ausweiten wie die der jeweiligen Konfliktparteien, besonders in den mittelöstlichen Konflikten. Doch eine solche pragmatische und fallweise Vorgehensweise, die Obama selbst im Wahlkampf formuliert hat, steht in Spannung zu den Anforderungen an eine gesamtbildartige Definition seiner Präsidentschaft. Diese ist für die Fortführung einer auf Dauer gestellten Kampagne zur Mobilisierung der ihn unterstützenden Gruppen und zur Verbreiterung seiner finanziellen Möglichkeiten wichtig. Obama muss gut kommunizierbar bleiben.
George H. W. Bush als Vorbild?
Barack Obama hat seine Positionen zwischen den Vorwahlen und den Wahlen an die von ihm neu in den Blick genommenen Wählerschichten angepasst. Er wird seine Position nun nochmals neu justieren und damit auch den Handlungs- und Kommunikationsraum außenpolitischer Maßnahmen definieren. George W. Bush versuchte, zwei Prägungen in die Tat umzusetzen, in der Innen- und Außenpolitik sowie in seiner präsidialen Darstellung. Im Jahr 2000 begann er mit dem Konzept des mitfühlenden Konservatismus, suchte die Wähler in der Mitte der Gesellschaft und propagierte bildungspolitische Reformen. Im Jahr 2004 stellte er sich als Präsident im Krieg dar, mobilisierte die konservativen Wählergruppen in einer tief greifenden manichäischen Politisierung des Landes. Barack Obama gewann seine Wahl 2008 mit einem bewegungspolitisch begründeten Versprechen auf grundlegenden Wandel. Die zukünftige Prägung ist offen. Für die Außenpolitik wird entscheidend sein, ob Obama den „Krieg gegen den Terror“ als angebliche außenpolitische Strategie weiterführt oder eine andere Konzeption wählt. Im Wahlkampf kündigte er zwar die verstärkte Fortführung dieses Kampfes an. Die Zusammensetzung seiner Berater und Minister lässt hingegen erahnen, dass Obamas Politik eher an der Außenpolitik von Präsident George H.W. Bush ausgerichtet sein wird. Im besten Fall führt dies zu einer behutsameren Außenpolitik und stärker multilateral verabredeten Regeln.■