Führungslos ins Unwetter

EDITORIAL

Unlängst mussten Ronald Pofalla und Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, die beiden Generalsekretäre der Unionsparteien, ihrem Amtskollegen Hubertus Heil von der SPD einmal so richtig heimleuchten. „Einen beachtlichen Mangel an staatspolitischer Verantwortung“ attestierte Pofalla dem Sozialdemokraten, während Guttenberg (womöglich allzu kryptisch) sekundierte, der SPD-Generalsekretär sei „über das eigene Niveau“ gestolpert. Welche Heil’sche Untat trieb die beiden Unionspolitiker zu ihrer erkennbar lustlosen Auftragsraserei? Nun, Heil hatte in knappen Worten auf einen Umstand hingewiesen, der inzwischen so gleißend klar und besorgniserregend zutage liegt, dass er selbst vor den Begriffsstutzigsten im Land kaum mehr verheimlicht werden kann: „Frau Merkel steht für programmatischen Nebel“, hatte er gesagt. „Sie ist nicht in der Lage, unserem Land die notwendige Orientierung für das kommende Jahrzehnt zu geben.“

Ein böser Affront! Ein böser Affront? Heils Aussage trifft so vollkommen offensichtlich den Nagel auf den Kopf, dass Ronald Pofallas Vorwurf, dem SPD-Mann gebreche es an „staatspolitischer Verantwortung“, gullideckelschwer auf den Christdemokraten selbst zurückfällt. Angesichts der in ihrem ganzen Umfang gerade erst einsetzenden Weltwirtschaftskrise, die Deutschland als Exportnation mit voller Wucht heimsuchen wird, erweist sich staatspolitische Verantworung heute tatsächlich darin, mit Ernst und Sorge eine unhintergehbare Wahrheit auszusprechen: Diese Krise ist für die Anpassungstaktikerin Merkel schlicht zu groß geraten. Die Regierungschefin der weltweit viertgrößten Wirtschaftsmacht agiert in beängstigender Weise zögerlich und hinhaltend, führungsunwillig und machtopportunistisch. Schlimmer noch wirkt sich zunehmend Merkels beklemmende Sprachohnmacht aus: Diese Kanzlerin ist weder fähig noch willens, den Bürgerinnen und Bürgern der Republik mit klaren Worten darzulegen, in welcher Lage sich unser Land befindet, welche Bedrohungen wir zu gewärtigen haben, wie sie daher vorzugehen gedenkt, um die kommenden Herausforderungen zu bewältigen, und von welchen übergeordneten Prinzipien sie sich dabei leiten lassen wird. „Auch“ lautet Merkels ohne Unterlass im Munde geführtes Lieblingswort: „Auch“ sagt, wer weder Prioritäten setzen noch sich entscheiden mag. „Auch“ sagen Chefs, die überfordert sind. So driftet die deutsche Gesellschaft ungeführt und desorientiert in das gefährlichste Unwettergebiet seit Jahrzehnten.

Nirgendwo übrigens ist die Besorgnis über das Führungsvakuum an der Staatsspitze so groß wie in den intellektuell ernst zu nehmenden Kreisen der Unionsparteien. Man kann das nachvollziehen und teilt die Sorge. Denn wohlgemerkt, es geht hier nicht um billige Polemik, es geht um dieses Land und seine Menschen in einer extrem schwierigen Zeit. Amerika hat Obama, wir haben Merkel: Wem bei diesem Klassenunterschied nicht mulmig wird, der muss in den vergangenen Monaten ziemlich fest geschlafen haben. Angela Merkel kann auch damit sehr gut leben.


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